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Rudolf Steiner

 

BLUT IST EIN GANZ BESONDERER SAFT

Berlin, 25. Oktober 1906

Ein jeder von Ihnen hat zweifellos im Gedächtnis, daß der heutige Vortrag, seinem Titel nach, an ein Wort des Goetheschen Faust anknüpft. Sie wissen alle, daß in diesem Gedichte dargestellt wird, wie Faust, der Repräsentant des höchsten menschlichen Strebens, einen Bund eingeht mit den bösen Mächten, die ihrerseits wieder in dem Gedichte durch Mephistopheles, den Sendung der Hölle, repräsentiert werden. Sie wissen alle, daß Faust einen Vertrag schließen soll mit Mephistopheles, und daß das Schriftstück dann von Faust mit Blut unterschrieben werden soll. Faust hält das zunächst für eine Posse; Mephistopheles aber spricht den an dieser Stelle von Goethe zweifellos ernst gemeinten Satz: «Blut ist ein ganz besonderer Saft».

Etwas Merkwürdiges ist bei dieser Stelle des Goetheschen Faust den sogenannten Goethe-Kommentatoren passiert. Sie wissen ja, daß über Goethes Faust eine so umfangreiche Literatur existiert, daß man ganze Bibliotheken damit füllen könnte. Natürlich kann es nicht meine Aufgabe sein, mich weiter auszulassen über dasjenige, was diese verschiedenen Goethe-Erklärer gerade über diese Fauststelle sagen; aber sie bringen nicht viel anderes zutage als das, wovon der Faustkommentar, der einer der letzten ist, von dem Universitätsprofessor Minor, ein Beispiel gibt. Er sowie andere Kommentatoren behandeln diesen Satz als etwas, das von Mephistopheles wie eine Art ironischer Bemerkung hingesprochen sein soll, und Minor macht die merkwürdige, in der Tat höchst merkwürdige Bemerkung - hören Sie genau, was er sagt, um vielleicht auch staunen zu können, auf was alles ein Goethe-Erklärer kommen kann -, die Bemerkung: «Der Teufel ist der Feind des Blutes», und er verweist dabei darauf, daß das Blut dasjenige sei, was dem Menschen eigentlich das Leben erhöht und erhält, und daß daher der Teufel, der Feind des menschlichen Geschlechtes, auch nur der Feind des Blutes sein könne. Er macht nun mit Recht darauf aufmerksam, daß schon in der ältesten Bearbeitung der Faustsage, wie auch in der Sage überhaupt, dieses Blut dieselbe Rolle spielt.

In einem alten Faustbuche wird uns klar beschrieben, wie Faust sich mit einem kleinen Federmesser die linke Hand etwas aufzuritzen hat, wie er dann das herausfließende Blut in die Feder nimmt und seinen Namen unter den Pakt schreibt, wie dann auf der linken Hand das Blut gerinnt und die Worte bildet: «O Mensch entfliehe.» Dies alles ist richtig. Aber nun die Bemerkung, daß der Teufel ein Feind des Blutes sei und die Unterschrift deshalb mit Blut fordere, eben weil er ein Feind des Blutes sei. Ich möchte Sie fragen, ob jemand sich vorstellen kann, daß er just dasjenige begehre, was ihm unsympathisch ist. Vernünftigerweise kann man nur voraussetzen, daß an dieser Stelle Goethe gemeint hat - daß nicht nur Goethe, sondern auch die Hauptsage und die ältere Faustdichtung einzig und allein das gemeint haben können -, daß dem Teufel an dem Blute etwas Besonderes liegt und daß es ihm nicht einerlei ist, ob er mit gewöhnlicher, neutraler Tinte den Pakt unterschrieben erhält oder mit Blut. Man kann hier nichts anderes voraussetzen, als daß der Repräsentant der bösen Mächte glaubt, ja überzeugt ist, daß er den Faust ganz besonders dadurch in der Hand haben werde, daß er sich wenigstens eines Tropfens seines Blutes bemächtigt haben wird. Das ist ganz selbstverständlich und niemand kann diese Stelle anders verstehen, als daß Faust nicht deshalb mit Blut unterschreiben soll, weil der Teufel ein Feind des Blutes ist, sondern weil er sich des Blutes bemächtigen möchte.

Dem liegt eine merkwürdige Empfindung zugrunde, die Empfindung, daß derjenige, der sich des Menschen Blutes bemächtigt, die Herrschaft über den Menschen habe, und daß das Blut deshalb ein ganz besonderer Saft ist, weil es sozusagen dasjenige ist, um das eigentlich gekämpft werden muß, wenn um den Menschen in bezug auf das Gute und auf das Böse gekämpft wird.

Alle diejenigen Dinge, welche aus den Sagen und Mythen des Volkes uns überkommen sind und sich auf das Menschenleben beziehen, werden in unserer Zeit in bezug auf die ganze Anschauung und Auffassung des Menschen einer besonderen Umwandlung unterliegen. Dasjenige Zeitalter liegt hinter uns, in dem man auf Sagen, Märchen und Mythen so geblickt hat, als ob in ihnen nur kindliche Volksphantasie sich ausspräche. Ja, selbst die Zeit liegt hinter uns, in der man in einer kindlich gelehrtenhaften Weise davon gesprochen hat, daß in der Sage die dichtende Volksseele zum Ausdruck komme. Die dichtende Volksseele ist nichts anderes als ein Erzeugnis des grünen Gelehrtentisches, denn es gibt ebenso einen grünen Gelehrtentisch, wie es einen grünen Bürokratentisch gibt. Wer einen Blick hineingetan hat in die Volksseele, der weiß sehr gut, daß es sich im Volke nicht um Erdichtungen und dergleichen Dinge handelt, sondern um etwas viel Tieferes, das in seinen Sagen und Märchen von wunderbaren Mächten und wunderbaren Ereignissen zum Ausdruck kommt.

Wenn wir uns von dem neuen Standpunkte der Geistesforschung aus wieder in die Sagen und Mythen vertiefen, wenn wir jene großartigen und gewaltigen Bilder, die uns aus der Urzeit überkommen sind, auf uns wirken lassen, nachdem wir mit geisteswissenschaftlichen Forschungsmethoden ausgerüstet sind, so erscheinen uns diese Mythen und Sagen so, daß sie uns zum Ausdruck einer tiefsinnigen Urweisheit werden.

Wahr ist es, daß der Mensch sich zunächst fragt, wie es komme, da wir es doch ursprünglich mit primitiven Volksstufen, primitiven Volksanschauungen zu tun haben, daß der naive Mensch sich die Welträtsel bildlich veranschaulichen konnte in diesen Sagen und Märchen und daß, wenn wir uns heute in diese Sagen und Märchen vertiefen, wir im Bilde dasjenige erblicken, was uns die Geistesforschung heute klar enthüllt. Zunächst muß das unsere Verwunderung erregen. Wer sich aber tiefer und tiefer einläßt in die Art und Weise, wie diese Märchen und Mythen zustande gekommen sind, dem schwindet jedes Erstaunen, jeder Zweifel und er wird nicht nur das, was man naive Anschauung nennt, in diesen Sagen und Märchen finden, sondern den weisheitsvollen Ausdruck einer uralten, wahren Weisheits-Anschauung der Welt erkennen. Mehr, viel mehr noch kann man lernen, wenn man die Grundlage dieser Mythen und Sagen positiv durchforscht, als wenn man die heutige verstandes- und erfahrungsmäßige Wissenschaft in sich aufnimmt. Freilich muß man mit den Erforschungsmethoden der Geisteswissenschaft ausgerüstet an diese Dinge herangehen. Alles, was man in den Sagen und alten Weltanschauungen über das Blut findet, pflegt von Bedeutung zu sein, weil man in diesen uralten Zeiten eine Weisheit hatte, die über das Blut, über jenen besonderen Saft, der das fließende Menschenleben selbst ist, und über seine Bedeutung für die Welt Bescheid wußte.

Es soll uns heute nicht beschäftigen, woher in Urzeiten jene Weisheit gekommen ist, obwohl der Schluß des Vortrages auch darauf wird hindeuten müssen. Die eigentliche Betrachtung dieses Gegenstandes soll späteren Vorträgen vorbehalten bleiben. Aber das Blut selbst, in seiner Bedeutung für die Menschheit und den menschlichen Kulturprozeß, wollen wir uns heute einmal anschauen. Nicht etwa eine physiologische oder rein naturwissenschaftliche Betrachtung soll hier geboten werden, sondern eine Betrachtung aus der geistigen Weltanschauung heraus. Und da dringen wir am besten in jedes Ding ein, wenn wir uns zunächst bewußt werden, welches die Bedeutung eines uralten Satzes ist, eines Satzes, der mit der Urkultur des alten Ägyptens zusammenhängt, wo die Priesterweisheit des Hermes gewaltet hat, eines Satzes, der als Grundsatz aller Geisteswissenschaft gilt, der der hermetische Grundsatz genannt worden ist und der heißt: «Es ist oben alles wie unten.»

Sie können manche dilettantische Erklärung dieses Satzes finden. Diejenige Erklärung aber, die uns zunächst heute hier beschäftigen soll, ist die folgende. Alle Geisteswissenschaft ist sich darüber klar, daß die Welt, die dem Menschen zunächst durch seine fünf Sinne zugänglich ist, nicht die ganze Welt darstellt, sondern daß sie nur der Ausdruck ist für eine tiefere, hinter ihr verborgene Welt, die geistige Welt. Diese geistige Welt wird im Sinne dieses hermetischen Grundsatzes die obere Welt genannt, und die sinnliche Welt, die sich um uns herum ausbreitet, die wir mit unseren Sinnen wahrnehmen und mit unserem Verstande erforschen können, gilt als untere, als der Ausdruck der geistigen Welt. So daß der Geistesforscher in dieser sinnlichen Welt kein Letztes sieht, sondern eine Art Physiognomie, die ihm eine dahinterliegende seelische und geistige Welt ausdrückt, genau so wie man, wenn man das menschliche Antlitz betrachtet, nicht bei den Formen des Gesichtes und der Gesten stehenbleiben darf, sondern selbstverständlich von den Gesten und der Physiognomie auf dasjenige hingeführt wird, was sich seelisch und geistig in ihnen ausdrückt.

Dasjenige, was jeder Mensch naiv tut, wenn er einem beseelten Wesen gegenübertritt, das macht der Okkultist oder der Geistesforscher der ganzen Welt gegenüber. «Es ist oben alles wie unten» würde, auf den Menschen angewandt, heißen: Es drücken sich diejenigen Impulse in seinem Gesichte aus, die in seiner Seele liegen: in einem harten, rohen Antlitz die Roheit der Seele, in einem Lächeln innerlicher Frohsinn, in den Tränenperlen die Leiden der Seele.

Lassen Sie mich an der Frage, was eigentlich Weisheit ist, den hermetischen Grundsatz einmal darlegen. Es wurde in der Geisteswissenschaft immer davon gesprochen, daß die Weisheit des Menschen etwas zu tun habe mit der Erfahrung, und zwar mit schmerzlicher Erfahrung. Derjenige, der unmittelbar in Schmerz und Leiden darinnensteckt, wird innerhalb dieses Schmerzes und Leidens vielleicht etwas zeigen, was innerliche Disharmonie ist. Derjenige aber, der die Schmerzen und Leiden überwunden hat und ihre Frucht in sich trägt, wird Ihnen immer wieder nur das sagen, daß er damit etwas von Weisheit aufgenommen hat. Die Freuden und Lüste des Lebens, das, was mir das Leben geboten hat an Befriedigungen, das nehme ich dankbar hin; aber weniger als das alles möchte ich hingeben meine Schmerzen und Leiden, die hinter mir liegen: Meinen Schmerzen und Leiden verdanke ich die Weisheit. So hat von jeher die Geistesforschung in der Weisheit etwas gesehen wie kristallisierten Schmerz, der überwunden ist und sich in sein Gegenteil verwandelt hat.

Interessant ist es nun, daß die gegenwärtige mehr materialistische Forschung in einer eigenartigen Weise gerade darauf zurückgekommen ist. In jüngster Zeit ist ein schönes Buch erschienen über die Mimik des Denkens, ein Buch, das lesenswert ist. Das Buch ist von keinem Theosophen, sondern von einem Natur- und Seelenforscher. Er versucht zu zeigen, wie sich das innere Leben des Menschen, seine Art und Weise des Vorstellens, zum Ausdrucke bringt in der Physiognomie, und auch dieser Forscher macht darauf aufmerksam, daß der Denker immer etwas in seinem Gesichtsausdruck hat, das an absorbierten Schmerz erinnert.

So sehen Sie, als eine schöne Bestätigung eines uralten Grundsatzes der Geisteswissenschaft, diesen Grundsatz wieder in der mehr materialistischen Anschauung unserer Zeit auftauchen. Das werden Sie noch tiefer und tiefer einsehen, und Sie werden finden, wie Zug um Zug dasjenige, was uralte Weisheit ist, der heutigen Wissenschaft wiederum zugänglich wird.

Es macht das Wesen der Geistesforschung aus, daß alles, was uns in der Welt umgibt - das mineralische Gerüst, die Pflanzendecke, die Tierwelt unserer Erde -, als der physiognomische Ausdruck oder das Untere eines Oberen, eines dahinterliegenden geistigen Lebens angesehen wird. Vom okkulten oder geisteswissenschaftlichen Standpunkt aus wird das jenige, was uns in der sinnlichen Welt gegeben wird, erst richtig verstanden, wenn man dazu das Obere, das geistige Vorbild, die geistigen Urwesen, aus denen das alles hervorgegangen ist, kennt. So soll uns heute beschäftigen, was hinter der Erscheinung des Blutes verborgen liegt, dasjenige, was sich in dem Blute einen physiognomischen Ausdruck hier in der Sinnenwelt schuf. Hat man dann diesen geistigen Hintergrund des Blutes, dann wird man auch einsehen, wie eine solche Erkenntnis zurückwirken muß auf unser ganzes geistiges Kulturleben.

Große Fragen drängen sich in unserer Zeit an den Menschen heran: Fragen der Erziehung nicht nur des jungen Menschen, sondern Fragen der Erziehung ganzer Völker, und auch die große Erziehungsfrage, die die Zukunft an die Menschheit stellen wird. Sie muß jeder erblicken, wenn er sein Auge auf die großen sozialen Umwälzungen unserer Zeit richtet, auf die sozialen Forderungen, die überall auftreten, seien sie verkörpert in der Frauenfrage, in der sozialen Frage, in der Friedensfrage und so weiter. Alles das tritt vor unsere sorgende Seele. Alle diese Fragen werden hell und klar, wenn wir das, was als geistige Wesenheit hinter dem Blute liegt, kennen.

Wer wollte leugnen, daß mit dieser Frage auch die Rassenfrage zusammenhängt, die bezeichnenderweise auch in unserer Gegenwart wieder auftritt? Wir verstehen die Rassenfrage aber nur, wenn wir das geheimnisvolle Wirken des Blutes und der Blutmischung unter den Völkern verstehen. Endlich hängt auch noch eine Frage damit zusammen, die immer aktueller und aktueller werden wird, je mehr man sich aus einem bloß ziellosen Vorgehen in dieser Sache herauswindet und durchringen wird zu einem einheitsvollen Vorgehen auf diesem Gebiete. Die Frage, auf die hier hingedeutet wird, ist die Kolonisationsfrage, jene Frage, die auftaucht, wenn Menschen kultivierter Völker mit unkultivierten Völkern zusammenkommen: Inwiefern können unkultivierte Völker neue Kulturen in sich aufnehmen? Wie kann ein Schwarzer, wie kann ein barbarischer Wilder kultiviert werden, wie hat man sich ihnen gegenüber zu benehmen? Da kommen nicht bloß die Gefühle einer schattenhaften Moral in Betracht, sondern große, ernste und bedeutsame Lebensfragen des Daseins. Derjenige, der nicht weiß, unter welchen Bedingungen ein Volk steht, ob in auf- oder absteigender Linie der Entwicklung, ob dies oder jenes durch sein Blut bedingt ist, der vermag nicht den richtigen Weg zu finden, um irgendeine Kultur bei einem anderen Volke einzuführen. Alles das taucht auf, wenn diese bedeutungsvolle Frage nach dem Blute aufgeworfen wird.

Was das Blut als solches ist, das kennen Sie ja wohl alle aus der landläufigen Naturwissenschaft. Sie wissen, wenn Sie den Menschen und die höheren Tiere betrachten, daß dieses Blut wirklich das fließende Leben ist. Sie wissen, daß durch das Blut des Menschen Inneres nach außen geöffnet wird, und indem dies geschieht, nimmt der Mensch durch das Blut die Lebensluft, den Sauerstoff auf. Das Blut erfährt durch diese Sauerstoffaufnahme eine Erneuerung. Dasjenige Blut, welches das menschliche Innere gleichsam dem hereinströmenden Sauerstoff anbietet, ist eine Art von Giftstoff für den Organismus, eine Art Vernichter und Zerstörer. Dieses blaurote Blut wird umgewandelt durch Aufnahme von Sauerstoff, durch eine Art Verbrennungsprozeß, in rotes, lebenschaffendes Blut. Dieses Blut, das in alle Teile des Körpers dringt, in allen Teilen des Körpers die Ernährungsstoffe ablagert, hat die Aufgabe, die Stoffe der Außenwelt unmittelbar in sich aufzunehmen und auf dem kürzesten Wege zur Ernährung des Wesens zu verwenden. Der Mensch und die höheren Tiere haben nötig, erst diese Ernährungsstoffe in das Blut überzuführen, das Blut zu bilden, den Sauerstoff der Luft in das Blut aufzunehmen und den Körper durch das Blut aufzubauen und zu erhalten.

Nicht mit Unrecht hat ein geistvoller Seelenkenner gesagt: Das Blut mit seiner Bewegung ist wie ein zweiter Mensch, der sich zu dem anderen aus Knochen, Muskeln und Nervenmasse bestehenden Menschen wie eine Art von Außenwelt verhält. Und in der Tat nimmt der ganze Mensch fortwährend aus dem Blute seine Erhaltungskräfte auf und gibt andererseits dasjenige, was er nicht gebraucht hat, an das Blut ab. Im Blute ist also ein wirklicher Doppelgänger des Menschen vorhanden, der ihn fortwährend begleitet, aus dem er fortwährend seine neuen Kräfte schöpft und an den er dasjenige, was er nicht mehr braucht, abgibt. Mit vollem Recht hat man daher das Blut das fließende Menschenleben genannt und ihm ähnliche Bedeutung beigemessen wie dem Zellstoff für die niederen Organismen. Was der Zellstoff für den niederen Orgnismus ist, das ist der so vielfach umgewandelte «besondere Saft», das Blut, für den Menschen.

Ein bedeutender Forscher, Ernst Haeckel, hat tief in die Werkstatt der Natur hineingeschaut und mit Recht in populären Werken darauf aufmerksam gemacht, daß das Blut eigentlich am spätesten im Organismus entsteht. Wenn man die Entwicklung des Menschenkeims im Mutterleibe verfolgt, so findet man, daß die Anlagen zum Knochen- und Muskelbau längst ausgebildet sind, bevor die Anlage zur Blutbildung entsteht. Erst sehr spät werden die Anlagen zur Blutbildung - mit ihr das Blutgefäß-System — im Menschen sichtbar; erst sehr spät kommen sie heraus. Daraus schließt die Naturwissenschaft mit Recht, daß die Blutbildung überhaupt erst spät in der Weltentwicklung aufgetreten ist, daß sozusagen andere Kräfte, die da waren, erst bis zur Höhe des Blutes heraufgehoben worden sind, um auf dieser Höhe dasjenige zu bewirken, was innerhalb des Menschen bewirkt werden soll. Wenn der Mensch als Menschenkeim die früheren Stadien der Menschheitsentwicklung durchmacht, sie noch einmal wiederholt, dann eignet er sich erst dasjenige an, was vor der Blutbildung in der Welt vorhanden war, um dann der Evolution in der Umwandlung, in der Heraufhebung alles Früheren zu diesem besonderen Saft, dem Blute, die Krone aufzusetzen.

Wollen wir nun die hinter dem Blute waltenden geheimnisvollen Gesetze des geistigen Universums studieren, dann müssen wir uns mit den elementarsten Begriffen der Geisteswissenschaft ein wenig befassen. Schon oft sind diese elementaren Begriffe der Geisteswissenschaft hier auseinandergesetzt worden. Sie werden sehen, daß diese elementaren Begriffe der Geisteswissenschaft das Obere sind, und daß sich uns dieses Obere, wenn wir es kennengelernt haben, in den bedeutungsvollen Gesetzen des Blutes, wie in denen des übrigen Lebens, zum Ausdruck bringt wie in einer Physiognomie. Diejenigen, welche diese elementaren Gesetze der Geisteswissenschaft längst kennen, gestatten mir wohl, daß ich für die, welche zum ersten Male hier sind, kurz wiederhole. Dabei werden auch Ihnen solche Gesetze immer klarer und klarer werden, wenn Sie sie immer wieder in besonderen neuen Fällen anwenden lernen. Freilich für diejenigen, die noch nichts wissen von Geisteswissenschaft, die sich noch nicht eingelebt haben in die Lebens- und Weltanschauung, um die es sich hier handelt, ist, was ich jetzt sagen werde, mehr oder weniger nur eine Zusammenstellung von Worten, unter denen sie sich nichts denken können. Aber es ist ja nicht immer der Mangel eines hinter dem Worte steckenden Begriffes daran schuld, wenn sich jemand bei einem Worte nichts denken kann. Es kann hier eine Bemerkung, die der geistvolle Lichtenberg gemacht hat, etwas verändert angenommen werden: Wenn ein Kopf und ein Buch zusammenstoßen und es hohl klingt, so muß nicht immer das Buch daran schuld sein. So ist es auch bei der Beurteilung der geisteswissenschaftlichen Wahrheiten von Seiten unserer Zeitgenossen. Wenn diese Wahrheiten den Menschen oftmals als bloße Worte an die Ohren klingen und sie sich nichts dabei denken können, so muß nicht immer die Geisteswissenschaft daran schuld sein. Derjenige aber, der sich einlebt in diese Dinge, der wird sehen, daß hinter den Bezeichnungen und Hinweisen auf höhere Wesenheiten auch wirklich solche Wesenheiten stecken, die nicht in unserer sinnlichen Welt zu finden sind.

In der geisteswissenschaftlichen Weltanschauung sehen wir, daß der Mensch, insofern er uns in der Außenwelt für unsere Sinne entgegentritt, insofern er Form und Gestalt ist, nur einen Teil der menschlichen Wesenheit ausmacht, und daß sogar hinter dem physischen Leibe viele andere Wesenheiten sind. Diesen physischen Leib hat der Mensch mit allen um ihn herumliegenden mineralischen, sogenannten leblosen Dingen gemeinschaftlich. Darüber hinaus hat aber der Mensch den sogenannten Äther- oder Lebensleib. Äther wird hier nicht in dem Sinne verstanden, wie die physische Wissenschaft es tut. Dieser Äther- oder Lebensleib ist ein Prinzip, das für den geisteswissenschaftlichen Forscher nicht bloß etwas Erdachtes, nicht bloß etwas Aus-spekuliertes ist, sondern etwas, das für seine geöffneten geistigen Sinne ebenso wirklich vorhanden ist wie die äußeren sinnlichen Farben für das sinnliche Auge. Zu sehen, wirklich zu sehen ist für den hellsehenden Menschen dieser Äther- oder Lebensleib. Er ist dasjenige, was die unorganischen Stoffe zu lebendigem Dasein aufruft, sie heraufholt aus der Leblosigkeit, um sie aufzufädeln an dem Faden des Lebens. Glauben Sie nicht, daß dieser Lebensleib für den okkulten Forscher nur etwas ist, was er zum Leblosen hinzudenkt. Das versuchen die Naturforscher. Sie versuchen das, was sie mit dem Mikroskop und so weiter an den Dingen sehen können, zu vervollständigen, sich etwas zu erdenken, was sie dann das Lebensprinzip nennen. Auf diesem Standpunkt steht die geisteswissenschaftliche Forschung nicht, sie hat ein bestimmtes Prinzip. Sie sagt sich nicht: Hier stehe ich als Forscher so, wie ich nun einmal bin. Was es in der Welt gibt, muß sich meinem gegenwärtigen Standpunkt fügen. Was ich nicht erkennen kann, das gibt es nicht. - Das ist ungefähr ebenso gescheit, wie wenn ein Blinder sagt, die Farben seien eine phantastische Sache.

Es hat nicht derjenige über eine Sache zu entscheiden, der nichts darüber weiß, sondern derjenige, welcher etwas darüber erlebt hat. Der Mensch ist in Entwicklung begriffen. Daher sagt die Geisteswissenschaft: Wenn du so bleibst, wie du bist, so kannst du nichts vom Ätherleibe sehen, und kannst in der Tat von «Grenzen des Erkennens» und von «Ignorabismus» sprechen; wirst du aber ein anderer, eignest du dir die nötigen Fähigkeiten an, um die geistigen Dinge wahrzunehmen, so kann nicht von Grenzen der Erkenntnis gesprochen werden. Nur so lange gibt es diese, als der Mensch seine inneren Sinne nicht geöffnet hat. Daher ist auch der Agnostizismus nichts als eine drückende Last für unsere Kultur. Er sagt: Der Mensch ist so und so, und wenn er so und so ist, so kann er auch nur dies und das erkennen. Darauf ist zu antworten: Wenn er heute so und so ist, so muß er eben anders werden, und dann wird er auch anderes erkennen.

Das zweite Glied des Menschen ist also der Ätherleib, den der Mensch gemeinschaftlich mit der Pflanzenwelt hat.

Das dritte Glied ist der sogenannte Astralleib, sehr schön und bedeutungsvoll so genannt, und es soll hier auch später noch einmal gezeigt werden, daß dieser Astralleib mit Recht so genannt wird. Theosophen, die für diesen Namen einen anderen wählen wollten, haben keine Ahnung davon, um was es sich hier handelt. Dem Astralleib obliegt es, im Menschen und im Tiere, das Lebendige zur Empfindungssub-stanz aufzurufen, so daß sich innerhalb des Lebendigen nicht bloß Säfte bewegen, sondern daß sich darin dasjenige ausdrückt, was man Lust und Leid, Freude und Schmerz nennt. Damit haben Sie im wesentlichen auch den Unterschied zwischen Pflanze und Tier angedeutet, obwohl es Übergänge gibt.

Eine neue naturwissenschaftliche Forschergruppe hat geglaubt, auch den Pflanzen im direkten Sinne Empfindung zuschreiben zu sollen. Das ist aber nur ein Spiel mit Worten. Es ist für gewisse Pflanzen selbstverständlich, daß sie Erregungszustände haben, wenn etwas in ihre Nähe kommt, wenn etwas auf sie einwirkt. Das ist aber keine Empfindung. Es muß im Innern des Geschöpfes ein Bild auftauchen als Reflex der Erregung. Wenn auch bei gewissen Pflanzen eine Gegenwirkung auf einen äußeren Eindruck geschieht, so ist das doch noch kein Beweis dafür, daß die Pflanze auch innerlich einen solchen Reiz zu einer Empfindung erhebt, daß sie ihn innerlich erlebt. Dasjenige, was man innerlich erlebt, hat seinen Sitz im Astralleibe. So sehen wir also, daß das, was bis zum Tier heraufkam, aus dem physischen Leib, dem Äther- oder Lebensleib und dem Astralleib besteht.

Der Mensch ragt nun über das Tier durch etwas ganz Besonderes hinaus, und das, wodurch er über das Tier hinausragt, haben sinnige Menschen immer gefühlt. Es wird darauf hingewiesen durch das, was Jean Paul in seiner Lebensbeschreibung selbst von sich sagt: er erinnere sich ganz genau, wie ihm als kleines Kind im Hofe seines Elternhauses der Gedanke durch die Seele schoß: du bist ja ein «Ich», du bist ja eine Wesenheit, die innerlich zu sich Ich sagen kann. Das machte auf ihn einen bedeutenden Eindruck.

Alle sogenannte äußerliche Seelenkunde übersieht das Wichtigste, worauf es in diesem Punkte ankommt. Folgen Sie mir für einige Minuten in eine subtile Betrachtung hinein, die Ihnen aber zeigen wird, um was es sich handelt. Im ganzen Umkreis der deutschen Sprache gibt es ein einziges Wörtchen, das sich von allen anderen Wörtern prinzipiell unterscheidet. Von jedem Dinge, das hier in diesem Saale ist, kann jeder von Ihnen den Namen dieses Dinges nennen. Den Tisch kann jeder Tisch, den Stuhl kann jeder Stuhl nennen. Aber ein Wort, einen Namen gibt es, den Sie nicht aussprechen können außer für das, dem dieser Name zukommt: das ist das Wörtchen «Ich». Niemand kann zu einem anderen «Ich» sagen. Das «Ich» muß heraustönen aus der innersten Seele selbst, es ist der Name, den sich nur die Seele selbst beilegen kann. Jeder andere ist für mich ein «Du», und ich selbst bin für jeden anderen ein «Du».

Alle Religionen empfanden dieses Ich als den Ausdruck für jenes Wesen in der Seele, durch das die Seele in sich selbst ihre Grundwesenheit, ihr Göttliches, sprechen zu lassen vermag. Da beginnt dann dasjenige, was niemals durch die äußeren Sinne eindringen kann, was niemals in seiner Bedeutung von außen benannt werden kann, sondern aus dem Innersten heraus ertönen muß. Da beginnt jener Monolog, jenes Selbstgespräch der Seele, wodurch das göttliche Selbst in der Seele sich ankündigt, wenn die Bahn frei wird für das Einziehen des Geistes in die Seele.

In den älteren Kulturreligionen, noch im alten Hebräischen, hat man diesen Namen «den unaussprechlichen Namen Gottes» genannt, und was auch die heutige Philologie übersetzen mag, der alte jüdische Gottesname bedeutet nichts anderes als das, was heute durch das deutsche Wort «Ich» ausgedrückt wird. Bewegung ging durch die Reihen der Zuhörer, wenn der Name des «unbekannten Gottes» durch den Eingeweihten gesprochen wurde, wenn geahnt wurde, was durch dieses Wort ausgedrückt war, wenn das «Ich bin der Ich-Bin» im Tempel ertönte. In diesem Wort drückt sich das vierte Glied der menschlichen Wesenheit aus, das der Mensch im Umkreis seines irdischen Daseins für sich allein hat. Dieses Ich umschließt wiederum und bildet in sich aus die Keime zu höheren Stufen des Menschentums. Nur hingewiesen soll darauf werden, was in der menschlichen Entwicklung durch dieses vierte Glied in Zukunft zum Dasein gebracht werden wird, hingewiesen soll werden darauf, daß der Mensch aus dem physischen Leib, dem Ätherleib, dem Astralleib und dem Ich oder dem eigentlichen inneren Leben besteht, und daß in diesem inneren Leben die Keime zu drei weiteren Stufen der Entwicklung vorhanden sind, die aus dem Blute erstehen werden, nämlich Manas, Buddhi und Atma, oder mit deutschen Worten: Manas = Geistselbst im Gegensatz zum Körperselbst, Buddhi = Lebensgeist, Atma = Geistmensch, der eigentliche, wahre Geistmensch, der heute dem Menschen nur als Ideal vorschwebt, der als kleiner Keim im Innern veranlagt ist und in ferner Zukunft seine Vollendung erreichen wird.

So haben wir, wie im Regenbogen sieben Farben, wie in der Tonskala sieben Töne, im Reich der Atome sieben Stufen der Atomgewichte, die siebenstufige Skala des Menschenwesens, die wieder in vier untere und in drei obere Stufen zerfällt.

Nun versuchen wir, uns einmal klar zu werden darüber, wie sich dieses Obere, Geistige, einen physiognomischen Ausdruck verschafft in dem Unteren, wie es uns vor Augen tritt in der Sinneswelt. Nehmen Sie zunächst dasjenige, was sich im Menschen zu seinem physischen Leib kristallisiert. Er hat es gemeinschaftlich mit der sogenannten leblosen Natur. Wenn wir geisteswissenschaftlich sprechen von diesem physischen Leib, dann sprechen wir gar nicht einmal von dem, was das Auge sieht, sondern von dem Zusammenhang von Kräften, die den physischen Leib konstruiert haben, von dem, was als Kraftnatur hinter dem physischen Leibe steht.

Sehen wir uns die Pflanze an als das Wesen, das schon den Ätherleib hat, welcher die physischen Stoffe heraufholt zum Leben, das heißt dasjenige, was sinnliche Materie ist, in Lebenssäfte verwandelt. Was ist es, das so die sogenannten leblosen Kräfte in die Lebenssäfte umgestaltet? Wir nennen es den Ätherleib, und dieser Ätherleib tut dasselbe im Tier und dasselbe auch im Menschen; er ruft dasjenige, was bloß sinnlich ist, zu lebendiger Konfiguration, zu lebendiger Gestaltung auf. Dieser Ätherleib wird wieder durchsetzt von dem Astralleib. Und was macht dieser Astralleib? Er ruft die bewegte Substanz zum innerlichen Miterleben des Kreislauf s der stofflichen Säftebewegung auf, so daß sich die äußere Bewegung in innerlichen Erlebnissen spiegelt.

Wir sind damit so weit gekommen, daß wir den Menschen begreifen, insofern er in das Tierreich hineingestellt ist. Alle Substanzen, aus denen der Mensch zusammengesetzt ist, finden Sie auch draußen in der leblosen Natur: Sauerstoff, Stickstoff, Wasserstoff, Schwefel, Phosphor und so weiter. Soll das, was umgewandelt ist durch den Ätherleib in lebendige Substanz, zu innerlichem Erfassen, zur Schaffung innerer Spiegelbilder von dem, was außen vorgeht, aufgerufen werden, so muß der Ätherleib von dem, was wir Astralleib nennen, durchdrungen werden. Der Astralleib ruft die Empfindung hervor. Aber jetzt, auf dieser Stufe ruft der Astralkörper die Empfindung in ganz besonderer Weise hervor. Der Ätherleib wandelt unorganische Substanz in Lebenssäfte um, der Astralleib wandelt diese lebendige Substanz in empfindende Substanz um. Aber - und das bitte ich besonders zu beachten - was empfindet eine Wesenheit, die nur mit diesen drei Leibern ausgestattet ist? Sie empfindet nur sich selbst, nur die eigenen Lebensvorgänge, sie führt ein in sich abgeschlossenes Leben. Das ist eine höchst interessante Tatsache von außerordentlicher Wichtigkeit, wert, festgehalten zu werden. Sehen Sie sich einmal ein niederes Tier an. Was hat es ausgebildet? Umgestaltet hat es leblose Substanz in lebendige Substanz, lebendige, bewegliche Substanz in empfindende Substanz. Und empfindende Substanz ist nur da, wo wenigstens die Anlage zu dem vorhanden ist, was später im ausgebildeten Nervensystem erscheint. So haben wir also leblose Substanz, lebendige Substanz und von empfindungsbegabten Nerven durchsetzte Substanz. Wenn Sie sich einen Kristall ansehen, so haben Sie sich zunächst in dieser Kristallform einen Ausdruck gewisser Naturgesetze, die im sogenannten leblosen Reich draußen herrschen, vorzustellen. Kein Kristall könnte zustande kommen ohne die ganze ihn umgebende Natur. Sie können kein Glied aus dem Kosmos herausreißen und für sich hinstellen, ebensowenig wie Sie den Menschen aus seiner ganzen Umgebung herausreißen können, der, wenn er nur ein paar Meilen über die Erde erhoben würde, sterben müßte. Wie er nur denkbar ist an dem Orte, an dem er ist, wo die entsprechenden Kräfte sich in ihm zusammenfügen, in ihm leben müssen, so ist es schon beim Kristall der Fall, und wer den Kristall richtig anschaut, wird in ihm die ganze Natur, den ganzen Kosmos in einem Einzelabdruck sehen. Es ist ganz richtig, was Cuvier gesagt hat, daß ein vollkommener Anatom aus einem Knochen schließen kann, was für einem Tier derselbe angehört hat, weil jedes Tier seine ganz besonderen Knochenformen haben muß.

So lebt auch in der Form des Kristalls der ganze Kosmos. Und ebenso drückt sich in der lebendigen Substanz eines Einzelwesens der ganze Kosmos aus. Die bewegten Säfte eines Wesens sind schon eine kleine Welt, ein Abdruck der großen Welt. Und wenn die Substanz zur Empfindung aufgerufen wird, was lebt dann in den Empfindungen des einfachsten Wesens? In diesen Empfindungen sind die kosmischen Gesetze gespiegelt, so daß das einzelne lebendige Wesen mikrokosmisch in sich den ganzen Makrokosmos empfindet. Das Empfindungsleben eines einfachen Wesens ist also ein Abdruck des Kosmos, wie der Kristall ein Abdruck seiner Form ist. Mit einem dumpfen Bewußtsein hat man es in solch einfachem Lebewesen zu tun. Aber was dieses Bewußtsein an größerer Dumpfheit hat, das ist auf der anderen Seite ausgeglichen durch den größeren Umfang. Der ganze Kosmos leuchtet in dem dumpfen Bewußtsein, im Innern des Lebenswesens auf. Nun ist aber im Menschen auch nichts anderes vorhanden als eine kompliziertere Ausbildung derjenigen drei Leiber, die in dem einfachsten empfindenden Lebewesen sich finden. Nehmen Sie den Menschen und sehen Sie ab von seinem Blute, nehmen Sie ihn als ein Wesen, das geformt ist von der Substanz der es umgebenden physischen Welt, das ebenso wie die Pflanze Säfte in sich enthält, die es zu lebendiger Substanz aufruft, und in die es sich ein Nervensystem eingliedert. Dieses erste Nervensystem ist das sogenannte sympathische. Das sympathische Nervensystem im Menschen dehnt sich zu beiden Seiten längs des Rückgrats aus, hat auf jeder Seite eine Reihe von Knoten, verzweigt und verästelt sich und schickt seine Fäden zu den verschiedenen Organen: Lunge, Verdauungswerkzeuge und so weiter. Es ist durch Seitenstränge mit dem Rückenmark verbunden.

Zunächst bedeutet dieses sympathische Nervensystem das Empfindungsleben, das Ihnen eben geschildert worden ist. Der Mensch kann aber mit seinem Bewußtsein nicht hinunterreichen zu dem, was durch diese Nerven von den Weltvorgängen abgespiegelt wird. Diese Nerven sind Ausdrucksmittel. Und so, wie das Menschenleben aufgebaut ist aus der umliegenden kosmischen Welt, so spiegelt sich wider in dem sympathischen Nervensystem diese kosmische Welt. Diese Nerven leben ein dumpfes Innenleben. Könnte der Mensch untertauchen in dieses sympathische Nervensystem, so würde er, wenn er sein oberes Nervensystem einschläferte, wie in einem Lichtleben die großen Gesetze des Kosmos walten und wirken sehen. Es gab beim Menschen der Vorzeit ein heute überwundenes Hellsehen, welches man erkennen kann, wenn durch besondere Vorgänge die Tätigkeit des höheren Nervensystems ausgeschaltet und dadurch das untere Bewußtsein freigemacht wird. Dann lebt der Mensch in dem Nervensystem, das zum Spiegel für die Welt um ihn herum wird, in einer eigenartigen Weise. Gewisse niedere Tiere haben sich diese Stufe des Bewußtseins allerdings erhalten und bewahren sie noch heute. Es ist also ein dumpfes, dämmerhaftes Bewußtsein, aber es ist wesentlich umfassender als das gegenwärtige Menschenbewußtsein. Es spiegelt als dumpfes Innenleben eine weiterreichende Welt, nicht bloß den kleinen Ausschnitt, den der heutige Mensch wahrnimmt.

Für den Menschen tritt aber etwas anderes ein. Hat im Laufe der Entwicklung bis zum sympathischen Nervensystem der Kosmos ein Spiegelbild gefunden, so öffnet sich auf dieser Stufe der Entwicklung das Wesen wieder nach außen: dem sympathischen System gliedert sich das Rückenmark ein. Das Rückenmark- und Gehirnsystem führt dann hin zu den Organen, die mit der Außenwelt die Verbindung herstellen. Wenn im Menschen die Bildung so weit ist, dann ist er nicht mehr berufen, bloß die ursprünglichen Bildungsgesetze des Kosmos in sich spiegeln zu lassen, sondern es tritt das Spiegelbild selbst in ein Verhältnis zur Umgebung. Wenn das sympathische Nervensystem sich zusammengegliedert hat mit den höheren Teilen des Nervensystems, so ist dies ein Ausdruck der vor sich gegangenen Umwandlung des Astralleibes. Dieser lebt dann nicht mehr bloß das kosmische Leben im dumpfen Bewußtsein mit, sondern er fügt sein besonderes Innenleben zu diesem hinzu. Durch das sympathische Nervensystem empfindet ein Wesen, was außer ihm vorgeht, durch das höhere Nervensystem dasjenige, was in ihm vorgeht. Und durch die höchste Form des Nervensystems, die gegenwärtig in der allgemeinen Menschheitsentwicklung zum Vorschein kommt, wird aus dem höher gegliederten Astralleib wieder das Material entnommen, um Bilder der Außenwelt, Vorstellungen, zu schaffen. Der Mensch hat also die Fähigkeit verloren, die ursprünglichen dumpfen Bilder der Außenwelt zu erleben; er empfindet sein Innenleben und baut sich aus diesem seinem Innenleben auf höherer Stufe eine neue Bilderwelt auf, die ihm zwar ein kleineres Stück der Außenwelt spiegelt, aber in hellerer, vollkommenerer Art.

Mit dieser Umwandlung geht, auf höherer Stufe der Entwicklung, eine andere Hand in Hand. Es dehnt sich die Umgestaltung des Astralleibes bis auf den Ätherleib aus. Ebenso wie der Ätherleib in seiner Umgestaltung den Astralleib hervorruft, wie zum sympathischen Nervensystem das Rückenmark- und Gehirnsystem hinzukommen, so bewirkt dasjenige, was von dem Ätherleibe nach Aufnahme der niederen Säftezirkulation herausgewachsen und frei geworden ist, die Umsetzung der niederen Säfte in das, was wir Blut nennen. Das Blut ist ebenso ein Ausdruck des individualisierten Ätherleibes wie das Gehirn und Rückenmark ein Ausdruck des individualisierten Astralleibes. Und durch diese Individualisierung kommt das zustande, was sich in dem «Ich» auslebt.

Wenn wir von diesem Gesichtspunkte aus den Menschen in seiner Entwicklung so weit verfolgt haben, so sehen wir, daß wir zunächst eine fünfgliedrige Kette haben, die sich uns wie folgt zusammenschließt: erstens der physische Leib, zweitens der Ätherleib, drittens der Astralleib, oder erstens die unorganischen, neutralen, physischen Kräfte, zweitens die Lebenssäfte, die sich auch in der Pflanze finden, drittens das niedere oder sympathische Nervensystem, viertens der von dem niederen astralen Leibe herausgehobene höhere Astralleib, der im Rückenmark und Gehirn seinen Ausdruck findet, fünftens dasjenige Prinzip, das den Ätherleib individualisiert.

So wie diese zwei Prinzipien individualisiert worden sind, so wird auch für den Menschen das erste Prinzip individualisiert, durch welches die leblosen Stoffe von außen eindringen und den menschlichen Körper aufbauen. Diese Umwandlung ist beim heutigen Menschen erst in der ersten Anlage vorhanden.

Wir sehen, wie die äußeren formlosen Stoffe einfließen in den menschlichen Leib, wie der Ätherleib diese Stoffe zu lebendigen Gebilden aufruft und wie dann durch den Astralleib Bilder der Außenwelt geformt werden; wie weiter dieser Reflex der Außenwelt sich zu inneren Erlebnissen entfaltet und dann dieses Innenleben aus sich selbst wieder Bilder der Außenwelt erzeugt.

Greift nun die Umwandlung auf den Ätherleib über, so entsteht das Blut. Das Blutgefäß-System mit dem Herzen ist ein Ausdruck des umgewandelten Ätherleibes, wie das Rückenmark- und Gehirnsystem ein solcher des umgewandelten Astralleibes. Wie durch das Gehirn die Außenwelt verinnerlicht wird, so wird durch das Blut diese Innenwelt in dem Leib des Menschen zu einem äußeren Ausdrucke umgeschaffen. Ich muß im Gleichnisse sprechen, wenn ich die hier in Betracht kommenden komplizierten Vorgänge darstellen will. Das Blut nimmt die durch das Gehirn verinnerlichten Bilder der Außenwelt auf, gestaltet sie zu lebendigen Bildungskräften um und bildet durch sie den jetzigen Menschenleib aus. Das Blut ist so der Stoff, der den menschlichen Leib auferbaut. Es stellt sich hier ein Vorgang uns vor Augen, durch den das Blut das Höchste aufnimmt, was es der Umwelt entnehmen kann, den Sauerstoff, nämlich dasjenige, was das Blut stets wieder erneuert, mit neuem Leben versorgt. Dadurch wird das Blut veranlaßt, sich der Außenwelt zu öffnen. Damit haben wir den Weg verfolgt von der Außenwelt zur Innenwelt und wieder zurück vom Innern zum Äußern. Nun ist ein Zweifaches möglich. Wir sehen, daß die Entstehung des Blutes da liegt, wo der Mensch als selbständiges Wesen der Außenwelt entgegentritt, wo er aus den Empfindungen, zu denen die Außenwelt geworden ist, selbständig wiederum Gestalten und Bilder schafft, wo er schöpferisch wird, wo also das Ich, der Eigenwille aufleben kann. Kein Wesen, in dem dieser Vorgang noch nicht stattgefunden hat, könnte aus sich selbst heraus Ich sagen. Im Blute liegt das Prinzip für die Ich-Werdung. Ein Ich kann nur da zum Ausdrucke kommen, wo ein Wesen die Bilder, die es von der Außenwelt erzeugt, in sich selbst zu gestalten vermag. Ein Ich-Wesen muß fähig sein, die Außenwelt in sich aufzunehmen und innerhalb seiner selbst wieder zu erzeugen. Hätte der Mensch bloß Gehirn, so könnte er nur Bilder der Außenwelt in sich erzeugen und in sich erleben; er würde dann zu sich nur sagen können: Die Außenwelt ist in mir als Spiegelbild noch einmal wiederholt; kann er aber diese Wiederholung der Außenwelt zu einer neuen Gestalt aufbauen, dann ist diese Gestalt nicht mehr bloß die Außenwelt: sie ist «Ich». Ein Wesen mit bloßem sympathischen Nervensystem spiegelt die Außenwelt, es empfindet also diese Außenwelt noch nicht als sich, noch nicht als Innenleben. Ein Wesen mit Rückenmark und Gehirn empfindet die Spiegelung als Innenleben. Ein Wesen aber mit Blut erlebt als seine eigene Gestalt sein Innenleben. Durch das Blut wird mit Hilfe des Sauerstoffes der Außenwelt nach den Bildern des Innenlebens der eigene Leib gestaltet. Diese Gestaltung kommt als Ich-Wahrnehmung zum Ausdruck. Nach zwei Seiten weist das Ich, und das Blut ist der äußere Ausdruck dieser Hinweisung. Nach innen gerichtet ist der Blick des Ich, nach außen gerichtet ist der Wille des Ich. Nach innen sind die Kräfte des Blutes gerichtet, sie bauen das Innere auf; nach außen sind sie gerichtet zum Sauerstoff der äußeren Welt hin. Daher geht der Mensch, wenn er in Schlaf fällt, im Unbewußtsein unter, er geht unter in dasjenige, was das Bewußtsein im Blute erleben kann. Wenn der Mensch aber sein Auge der Außenwelt öffnet, dann nimmt das Blut die durch Gehirn und Sinne erzeugten Bilder in seine Gestaltungskräfte auf. Das Blut steht so in der Mitte zwischen der inneren Bilderwelt und der lebendigen Gestaltenwelt des Äußeren. Diese Rolle wird uns klar werden, wenn wir zwei Erscheinungen betrachten. Die eine Erscheinung ist die Abstammung, die Verwandtschaft der bewußten Wesen, die andere Erscheinung ist die Erfahrung der Welt der äußeren Erlebnisse. Die Abstammung stellt uns dahin, wo wir, wie man es gewöhnlich nennt, durch das Blut stehen. Der Mensch wird herausgeboren aus einem Zusammenhang, einer Rasse, einem Stamme, aus seiner Vorfahrenreihe, und dasjenige, was aus seinen Vorfahren sich auf ihn vererbt, findet seinen Ausdruck im Blute. Im Blut wird gleichsam zusammengefaßt, was sich aus der materiellen Vergangenheit des Menschen herausgebildet hat. Es wird aber im Blute auch vorgebildet, was sich für die Zukunft des Menschen vorbereitet.

Wenn der Mensch daher sein höheres Bewußtsein herabdämpft, wenn er in der Hypnose, im Somnambulismus oder im atavistischen Hellsehen ist, dann taucht er unter in ein viel tieferes Bewußtsein und nimmt die großen Weltgesetze wahr, in einer traumartigen Form, nur viel klarerund heller als in den hellsten Träumen des gewöhnlichen Schlafes. Der Mensch hat dann die Tätigkeit des Gehirns, und bei tiefstem Somnambulismus auch diejenige des Rückenmarkes unterdrückt; er erlebt die Tätigkeit seines sympathischen Nervensystems, das heißt in einer dumpfen, dämmerhaften Form das Leben im ganzen Kosmos. In einem solchen Falle bringt dann das Blut nicht mehr die Bilder des Innenlebens zum Ausdruck, die durch das Gehirn vermittelt sind, sondern dasjenige, was die Außenwelt in ihn hineingebaut hat. Nun aber haben an ihm gebaut die Kräfte seiner Vorfahren. Wie er die Form seiner Nase von einem Vorfahren hat, so die Form seines ganzen Leibes. Er empfindet so bei gedämpftem Bewußtsein seine Vorfahren in sich, wie er die durch die Sinne erzeugten Bilder der Außenwelt bei wachem Bewußtsein empfindet. Das heißt: seine Vorfahren rumoren in seinem Blute. Er lebt dann noch das Leben seiner Vorfahren dumpf mit.

Alles in der Welt ist in Entwicklung begriffen, auch das menschliche Bewußtsein. Die Bewußtseinsart, welche der Mensch jetzt hat, war ihm nicht immer eigen. Wenn wir in der Zeit zurückgehen zu unseren fernen Vorfahren, so finden wir eine andere Bewußtseinsart. Gegenwärtig nimmt der Mensch in seinem wachen Tagesleben durch seine Sinne die äußeren Dinge wahr und bildet sie zu Vorstellungen um. Diese Vorstellungen der Außenwelt wirken auf sein Blut. Es lebt daher und arbeitet in seinem Blute alles das, was er durch die äußeren Erlebnisse der Sinne empfangen hat. Das Gedächtnis ist nun mit diesen Erlebnissen, mit den Erfahrungen der Sinne erfüllt. Dagegen bleibt diesem heutigen Menschen unbewußt, was sich in seinem leiblichen Innenleben durch die Vererbung von seinen Vorfahren her vererbt hat. Er weiß nichts von den Formen seiner inneren Organe. So war es nicht in der Vorzeit. Da lebte im Blute nicht nur, was die Sinne von außen empfangen hatten, sondern auch dasjenige, was in der Leibesgestalt vorhanden ist. Und weil diese Leibesgestalt ererbt ist von den Vorfahren, so empfand der Mensch in sich das Leben der Vorfahren. Denkt man sich ein solches Bewußtseinsleben gesteigert, so erhält man eine Vorstellung davon, wie es sich auch in einem entsprechenden Gedächtnisse zum Ausdruck bringt. Ein Mensch, der nur erlebt, was er durch seine Sinne wahrnimmt, der erinnert sich auch nur an das, was er durch die äußere Sinneserfahrung erlebt hat. Er kann nur ein Bewußtsein von dem haben, was er seit seiner Kindheit auf diese Art erfahren hat. Anders war es beim Menschen der Vorzeit. Der erlebte, was in ihm war, und da dieses «Innere» ein Ergebnis der Vererbung ist, erlebte er in seinen Vorstellungen die Erlebnisse seiner Vorfahren mit. Er erinnerte sich nicht nur an seine Kindheit, sondern auch an die Erlebnisse seiner Vorfahren. Dieses Leben seiner Vorfahren war in den Bildern, die sein Blut empfing, mit gegenwärtig. So unglaublich es für die heutige materialistische Vorstellungsart auch ist: es ist doch wahr, daß es einmal ein Bewußtsein gegeben hat, durch das die Menschen nicht nur ihre Sinneswahrnehmungen als ihre eigenen Erlebnisse betrachteten, sondern auch die Erlebnisse ihrer Vorfahren. Damals sagten sie: «Ich habe es erlebt» nicht nur zu dem, was ihre eigene Person erlebt hat, sondern auch zu dem, was die Vorfahren erfahren hatten; sie erinnerten sich dessen. Zwar war diese frühere Bewußtseinsform des Menschen gegenüber dem gegenwärtigen wachen Tagesbewußtsein dämmerhaft, mehr wie ein lebhaft gesteigertes Träumen, aber sie war dafür umfassender. Sie dehnte sich über die Erfahrung der Vorfahren aus. Der Sohn fühlte sich mit Vater, Großvater in einem Ich verbunden, weil er deren Erlebnisse als seine eigenen miterlebte.

Weil der Mensch dieses Bewußtsein hatte, weil er nicht bloß in seiner persönlichen Welt lebte, sondern weil in seinem Innern das Bewußtsein seiner vorhergehenden Generation auflebte, deshalb bezeichnete er auch nicht bloß seine Person mit einem Namen, sondern eine ganze Generationenreihe. Der Sohn, der Enkel und so weiter bezeichneten das Gemeinsame, das durch sie alle hindurchging, mit einem Namen. Der Mensch empfand sich als ein Glied der ganzen Generationsreihe. Das war eine wirkliche und wahre Empfindung. Und wodurch wurde diese Bewußtseinsform in eine andere verwandelt? Sie wurde es durch ein Ereignis, das die geheimwissenschaftliche Geschichte gut kennt. Wenn Sie in der Geschichte zurückgehen, dann tritt für alle Völker des Erdkreises ein Moment auf, der Ihnen ganz genau bei jedem einzelnen Volke bezeichnet werden kann. Das ist der Moment, wo das Volk in einen neuen Kulturzustand eintritt, in dem es aufhört, alte Traditionen zu haben, wo es aufhört, Urweisheit zu besitzen, jene Weisheit, die durch das Blut der Generationen hindurchgerollt ist. Die Völker haben ein Bewußtsein davon, und dieses Bewußtsein finden wir ausgedrückt in den alten Sagen der Völker. Die Stämme blieben nämlich in früherer Zeit in sich abgeschlossen, die einzelnen Mitglieder der Familien heirateten untereinander. Das finden Sie ursprünglich bei allen Rassen und Völkern. Und ein wichtiger Moment für die Menschheit ist der, als dieses Prinzip durchbrochen wird, sich fremdes Blut mit fremdem Blute mischt, wo die Nah-Ehe in die Fern-Ehe übergeht. Die Nah-Ehe bewahrt das Blut der Generationen, sie läßt dasselbe Blut durch die einzelnen Glieder rinnen, das seit Generationen den Stamm, die Nation durchfloß. Die Fern-Ehe gießt neues Blut dem Menschen ein, und diese Durchbrechung des Stammesprinzipes, diese Mischung des Blutes, die bei allen Völkern sich findet und früher oder später auftritt, bedeutet die Geburt des äußeren Verstandes, die Geburt des Intellektes.

Das ist eben das Wichtige, daß in alten Zeiten eine Art dämmerhaften Hellsehens vorhanden war und daß Mythen und Sagen aus diesem hellseherischen Vermögen heraus entstanden sind, welches sich in dem verwandtschaftlichen Blute ausleben kann wie in dem vermischten Blute das gegenwärtige Bewußtsein. Mit dem Eintritt der Fern-Ehe fällt auch die Geburt des logischen Denkens, die Geburt des Intellektes zusammen. So überraschend das ist, so wahr ist es. Es ist eine Erkenntnis, die immer mehr und mehr durch die äußere Forschung bestätigt werden wird. Die Anfänge sind schon gemacht. Die Blutmischung, die mit der Fern-Ehe eintritt, ist zu gleicher Zeit dasjenige, was das Hellsehen von früher zunächst auslöscht, um die Menschheit zu einer höheren Entwicklungsstufe hinaufzuheben. Wie der, welcher eine okkulte Entwicklung durchmacht, dieses Hellsehen wieder heraufhebt und es zu einer neuen Form umwandelt, so hat sich umgekehrt das gegenwärtige wache Tagesbewußtsein aus einem alten dämmerhaften Hellsehen heraus entwickelt.

Gegenwärtig drückt sich die ganze Umwelt, der der Mensch sich hingibt, im Blute aus, und diese Umwelt formt das Innere daher nach dem Äußeren. Beim Urmenschen drückte sich mehr das leibliche Innere im Blute aus. In den Urzeiten vererbten sich mit der Erinnerung an die Erlebnisse der Vorfahren auch deren Neigungen zu diesem oder jenem Guten und Bösen. In dem Blute des Nachkommen waren die Wirkungen der Neigungen der Vorfahren zu spüren. Als dann das Blut durch die Fern-Ehe gemischt wurde, da wurde auch dieser Zusammenhang mit den Vorfahren durchschnitten. Der Mensch ging über zum persönlichen Eigenleben. Er lernte sich in seinen sittlichen Neigungen nach dem zu richten, was er im persönlichen Leben erfahren hat. So drückt sich in einem ungemischten Blute die Macht des Vorfahrenlebens aus, in dem gemischten die Macht der eigenen Erlebnisse. Davon erzählen die Sagen und Mythen der Völker. Sie sagen uns: Was Macht hat auf dein Blut, das hat Macht über dich. Die Macht der Völkertraditionen hörte auf, als sie nicht mehr wirken konnte auf das Blut, als dessen Aufnahmefähigkeit für solche Vorfahrenmacht erlischt durch die Beimischung des fremden Blutes. Und dieser Satz gilt im weitesten Umfange. Welche Macht auch immer sich eines Menschen bemächtigen will, sie muß so auf ihn wirken, daß sich diese Wirkung im Blute ausdrückt. Will also eine böse Macht Einfluß gewinnen auf den Menschen, dann muß sie Herrschaft haben über sein Blut. Das ist der tiefe und geistvolle Zug des erwähnten Wortes aus Faust. Daher sagt der Repräsentant des bösen Prinzipes: Schreibe mir deinen Namen mit Blut unter den Pakt. Habe ich deinen Namen mit deinem Blute geschrieben, dann habe ich dich bei demjenigen erfaßt, wodurch der Mensch überhaupt erfaßt werden kann, ich habe dich zu mir herübergezogen. Wem das Blut gehört, dem gehört auch der Mensch oder des Menschen Ich.

Wenn zwei Menschengruppen aufeinanderstoßen, wie dies bei der Kolonisation der Fall zu sein pflegt, dann wird derjenige, welcher die Evolution kennt, sagen können, ob eine fremde Kultur aufgenommen werden kann oder nicht. Nehmen Sie ein Volk, das herausgewachsen ist aus seiner Umgebung, in dessen Blut sich seine Umgebung hineingebildet hat, und versuchen Sie, ihm eine fremde Kultur aufzupfropfen. Es ist unmöglich. Das ist auch der Grund, warum gewisse Ureinwohner zugrunde gehen mußten, als die Kolonisten in bestimmte Gegenden kamen. Von diesem Gesichtspunkte aus wird man diese Frage beurteilen müssen, und dann wird man auch nicht mehr glauben, daß man jedes jedem aufpfropfen kann. Dem Blute darf nur dasjenige zugemutet werden, was es noch vertragen kann.

Die Entdeckung der neueren Wissenschaft, daß, wenn man Blut eines Tieres mit dem eines ihm nicht verwandten vermischt, das eine Blut das andere tötet, ist eine alte okkulte Erkenntnis. Mischen Sie Menschenblut mit dem Blut niederer Affen, so tritt Vernichtung ein, weil sie zu weit voneinander abliegen. Mischen Sie Menschenblut und das Blut höherer Affen, so töten sie sich nicht. So wie die Mischung des Blutes von Tiergattungen, wenn sie zu entfernt sind, den wirklichen Tod hervorbringt, so tötete es das alte Hellsehen des niederen Menschen, als sein Blut mit dem Blute des nicht stammverwandten vermischt wurde. Das ganze heutige Geistesleben ist nichts anderes als das Ergebnis der Blutmischung, und man wird in nicht zu ferner Zeit auch den Einfluß der Blutmischung studieren und im Menschenleben zurückverfolgen können, wenn man von diesem Gesichtspunkte aus wieder die Forschung betreibt. Also: Blut zu Blut von in der Entwicklung sich fernstehenden Tiergattungen tötet; Blut zu Blut von verwandten Tiergattungen tötet nicht. Der physische Organismus des Menschen wird erhalten, auch wenn fremdes Blut zu fremdem Blute kommt, aber die hellseherische Kraft stirbt unter dem Einfluß der Blutmischung oder der Fern-Ehe.

Der Mensch ist so gestaltet, daß, wenn sich Blut und Blut mischt und diese Blutmischung nicht von einer Seite herkommt, die in der Entwicklung zu weit absteht, der Intellekt geboren wird. Dadurch wird die ursprünglich aus dem Animalischen kommende Hellseherkraft vernichtet und ein neues Bewußtsein in der Entwicklung geboren.

Es ist also bei der menschlichen Entwicklung auf höherer Stufe etwas Ähnliches vorhanden wie auf niederer Stufe in der Tierwelt. In der Tierwelt tötet fremdes Blut das fremde Blut. In der Menschenwelt tötet das fremde Blut dasjenige, was mit dem Verwandtenblut verbunden ist: das dumpfe, dämmerhafte Hellsehen. Das wache Tagesbewußtsein des Menschen der Gegenwart ist also ein Ergebnis eines Tötungsprozesses. Es ist im Laufe der Entwicklung das Geistesleben der Nah-Ehe getötet worden, aber es ist auch dafür aus der Fern-Ehe das Neue, der Intellekt, das wache Tagesbewußtsein geboren worden.

Was also im Blute des Menschen leben kann, das lebt in seinem Ich. Wie der physische Leib der Ausdruck ist für das physische Prinzip, der Ätherleib für die Lebenssäfte und ihre Systeme, der Astralleib für das Nervensystem, so ist das Blut der Ausdruck für das Ich. Physisches Prinzip, Ätherleib, Astralleib sind das Obere, Blutzustand und Ich sind das Mittlere und physischer Leib, Lebenssystem, Nervensystem sind das Untere. Was sich deshalb eines Menschen bemächtigen will, das muß sich seines Blutes bemächtigen. Das muß berücksichtigt werden, wenn man im praktischen Leben vorwärtskommen will. Man kann zum Beispiel ein fremdes Volk in seiner Eigenart töten, wenn man kolonisierend seinem Blute zumutet, was dieses Blut nicht ertragen kann. Denn im Blute drückt sich das Ich aus. Erst dann haben Schönheit und Wahrheit den Menschen, wenn sie sein Blut haben. Mephistopheles bemächtigt sich des Blutes des Faust, weil er dessen Ich haben will. Der Satz, der das Leitmotiv dieses Vertrags bildet, ist daher aus der Tiefe der Erkenntnis heraus genommen. Ja, Blut ist ein ganz besonderer Saft.

 

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