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DIE GEISTIGE SIGNATUR DER GEGENWART

Deutsche Wochenschrift 1888, VI. Jg., Nr. 24

Rudolf Steiner

Achselzuckend gedenkt unser heutiges Geschlecht jener Zeit, in der ein philosophischer Zug durch das ganze deutsche Geistesleben ging. Die gewaltige Zeitströmung, die am Ende des vorigen und am Anfang dieses Jahrhunderts die Geister ergriff und kühn sich die denkbar höchsten Aufgaben stellte, gilt gegenwärtig als eine bedauerliche Verirrung. Wer es wagt, zu widersprechen, wenn von den «Phantastereien Fichtes», von den «wesenlosen Gedanken und Wortspielen» Hegels die Rede ist, wird einfach als Dilettant hingestellt, «der von dem Geiste der heutigen Naturforschung ebensowenig wie von der Gediegenheit und Strenge der philosophischen Methode eine Ahnung hat». Höchstens Kant und Schopenhauer finden Gnade bei unseren Zeitgenossen. Bei dem ersteren gelingt es nämlich, die etwas spärlichen philosophischen Brocken, die sich die moderne Forschung zugrunde legt, scheinbar aus seinen Lehren abzuleiten; der letztere hat neben seinen streng wissenschaftlichen Leistungen auch Arbeiten in leichtem Stil und über Dinge geschrieben, die auch dem Menschen mit dem bescheidensten geistigen Horizonte nicht zu entlegen zu sein brauchen. Für jenes Streben nach den höchsten Spitzen der Gedankenwelt aber, für jenen Schwung des Geistes, der auf wissenschaftlichem Gebiete unserer klassischen Kunstepoche parallel ging, fehlt jetzt der Sinn und das Verständnis. Das Bedenkliche dieser Erscheinung tritt erst hervor, wenn man in Erwägung zieht, daß ein dauerndes Abwenden von jener Geistesrichtung für die Deutschen ein Verlieren ihres Selbsts, ein Bruch mit dem Volksgeiste wäre. Denn jenes Streben entsprang einem tiefen Bedürfnisse des deutschen Wesens. Es fällt uns nicht ein, die mannigfachen Irrtümer und Einseitigkeiten, die Fichte, Hegel, Schelling, Oken und andere auf ihren kühnen Unternehmungen im Reich des Idealismus begangen haben, leugnen zu wollen, aber die Tendenz, von der sie beseelt waren, sollte in ihrer Großartigkeit nicht verkannt werden. Sie ist so recht dem Volke der Denker angemessen. Nicht der lebendige Sinn für die unmittelbare Wirklichkeit, für die Außenseite der Natur, der die Griechen zu ihren herrlichen, unvergänglichen Schöpfungen befähigte, eignet dem Deutschen, dafür aber ein unablässiges Drängen des Geistes nach dem Grunde der Dinge, nach den scheinbar verborgenen, tieferen Ursachen der uns umgebenden Natur. Lebte sich der griechische Geist in einer wunderbaren Welt von Formen und Gestalten aus, so mußte der auf sich selbst zurückgezogene Deutsche, der weniger mit der Natur, dafür aber mehr mit seinem Herzen, mit seinem eigenen Innern Umgang pflegt, auch seine Eroberungen auf dem Gebiete der reinen Gedankenwelt suchen. Und darum war es deutsche Art, wie sich Fichte und seine Nachfolger der Welt und dem Leben gegenüberstellten. Darum fanden ihre Lehren so begeisterte Aufnahme, darum wurde eine Zeitlang das ganze Leben der Nation davon ergriffen. Darum aber auch dürfen wir mit dieser Richtung des Geistes nicht brechen. Überwindung der Fehler, aber naturgemäße Entwickelung auf dem Grunde, der damals gelegt wurde, muß unsere Losung werden. Nicht was diese Geister fanden oder zu finden glaubten, aber wie sie sich den Aufgaben der Forschung gegenüberstellten, das ist das bleibend Wertvolle. Man hatte das Bedürfnis, in die tiefsten Geheimnisse des Welträtsels einzudringen, ohne Offenbarung, ohne auf den Zufall beschränkte Erfahrung, rein durch die dem eigenen Denken innewohnende Kraft, und man hatte die Überzeugung, daß das menschliche Denken jenes Aufschwunges fähig sei, der dazu notwendig ist. Wie anders liegen die Dinge heute? Man hat alles Vertrauen in das Denken verloren. Man betrachtet als einziges Werkzeug der Forschung die Beobachtung, die Erfahrung. Was nicht handgreiflich ist, das hält man für unsicher. Daß unser Denken, ohne am Gängelbande der Sinne zu hängen, rein auf sich selbst gestützt, tiefer in das Weltengetriebe blicken kann, als alle äußere Beobachtung es vermag, dafür hat man kein Verständnis. Man verzichtet überhaupt auf jegliche Lösung der großen Rätselfragen der Schöpfung und verschwendet unendliche Mühe auf die Detailforschung, die ohne große, leitende Gesichtspunkte denn doch keinen Wert hat. Man vergißt dabei nur, daß man sich mit dieser Ansicht einem Standpunkte nähert, den man längst überwunden zu haben glaubt. Die Abweisung alles Denkens und das Pochen auf die Erfahrung ist nämlich, tiefer erfaßt, ganz dasselbe wie der blinde Offenbarungsglaube der Religionen. Denn worauf beruht der letztere? Doch nur darauf, daß uns Wahrheiten fertig überliefert werden, die wir hinnehmen müssen, ohne daß wir die Gründe in unserem eigenen Denken abwägen sollen. Wir vernehmen die Botschaft, doch ist uns die Einsicht in die Gründe verwehrt. Nicht anders ist es beim blinden Erfahrungsglauben. Man soll bloß die Tatsachen sammeln, ordnen und so weiter, ohne auf die inneren Gründe einzugehen, so behaupten die Naturforscher, so die strengen Philologen. Auch hier sollen wir die fertigen Wahrheiten ohne Einsicht in die hinter den Erscheinungen tätigen Kräfte einfach hinnehmen. Glaube, was Gott geoffenbart hat, und forsche nicht nach den Gründen, so spricht die Theologie; registriere, was vor deinen Augen sich abspielt, aber denke nicht nach, was für Ursachen dahinter walten, denn das ist vergebens, so spricht die neueste Philosophie. Und erst auf dem Gebiete der Ethik, wohin sind wir da gelangt! Der rote Faden, der sich durch das Denken aller Geister der klassischen Periode unserer Wissenschaft hindurchzieht, ist die Anerkennung des freien Willens als der höchsten Macht des menschlichen Geistes. Diese Anerkennung ist das, was, recht erfaßt, uns den Menschen allein in seiner Würde erscheinen läßt. Die Religionen, die von uns Unterwerfung unter die Gebote verlangen, die uns eine äußere Macht gibt, und in dieser Unterwerfung allein das Sittliche sehen, setzen diese Würde herab. Es ist dem auf der höchsten Stufe organischer Entwickelung stehenden Wesen nicht angemessen, daß es sich willenlos in die Bahnen fügt, die ihm von einem anderen vorgezeichnet sind, es muß sich Richtung und Ziel seines Wirkens selbst vorschreiben. Nicht Geboten, sondern der eigenen Einsicht gehorchen, keine Macht der Welt anerkennen, die uns vorzuschreiben hätte, was sittlich ist, das ist die Freiheit in ihrer wahren Gestalt. Diese Auffassung macht uns zu Selbst-Herren unseres Schicksales. Von dieser Auffassung getragen sind Fichtes bedeutungsvolle Worte: «Brecht alle herab auf mich, und du Erde und du Himmel, vermischt euch in wildem Tumulte, und ihr Elemente alle, - schäumet und tobet und zerreibet im wilden Kampfe das letzte Sonnenstäubchen des Körpers, den ich mein nenne: — mein Wille allein mit seinem festen Plane soll kühn und kalt über den Trümmern des Weltalls schweben; denn ich habe meine Bestimmung ergriffen, und die ist dauernder als ihr; sie ist ewig, und ich bin ewig wie sie.» Was der deutschen idealistischen Philosophie zugrunde lag: Bruch mit dem Dogma auf dem Gebiete des Denkens, Bruch mit dem Gebote auf jenem des Handelns, das muß das unverrückbare Ziel der weiteren Entwickelung sein. Der Mensch muß sich Glück und Befriedigung aus sich selbst schaffen und nicht von außen an sich herankommen lassen. Rein dem Unvermögen, sich auf ein energisches Selbst zu stützen und von da aus kräftig zu wirken, entspringt der Pessimismus und was sonst noch an ähnlichen Zeitkrankheiten auftritt. Man weiß sich keine bestimmten Lebensaufgaben zu stellen, denen man gewachsen wäre, man träumt sich in unbestimmte, unklare Ideale hinein und klagt dann, wenn man nicht erreicht, wovon man eigentlich keine Vorstellung hat. Man frage einen der Pessimisten unserer Tage, was er denn eigentlich wolle und woran er verzweifelt? Er weiß es nicht. Man glaube nicht, daß ich hiermit etwa Eduard von Hartmanns Pessimismus treffen will, der mit dem gewöhnlichen Gejammer über das Elend des Lebens nichts gemein hat. (Wie hoch ich Hartmanns Weltanschauung stelle, ersehe man aus der Einleitung zum zweiten Bande meiner Ausgabe von Goethes wissenschaftlichen Schriften. Kürschners Deutsche National-Literatur.)

Bei allen Fortschritten, die wir auf den verschiedensten Gebieten der Kultur zu verzeichnen haben, können wir uns doch nicht entschlagen, daß die Signatur unseres Zeitalters viel, sehr viel zu wünschen übrig läßt. Unsere Fortschritte sind zumeist nur solche in die Breite und nicht in die Tiefe. Für den Gehalt eines Zeitalters sind aber nur die Fortschritte in die Tiefe maßgebend. Es mag sein, daß die Fülle der Tatsachen, die von allen Seiten auf uns eingedrungen sind, es begreiflich erscheinen läßt, daß wir über dem Blick ins Weite den in die Tiefe augenblicklich verloren haben, wir möchten nur wünschen, daß der abgerissene Faden fortschreitender Entwickelung bald wieder angeknüpft und die neuen Tatsachen von der einmal gewonnenen geistigen Höhe aus erfaßt werden.

 

aus GA 30 (1961), S 253 ff

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