Forum für Anthroposophie, Waldorfpädagogik und Goetheanistische Naturwissenschaft | ||||
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Rudolf SteinerDie Mission einzelner Volksseelenim Zusammenhang mit der germanisch-nordischen MythologieGA 121
EINE VORREDENachträglich geschrieben zu diesen vor mehr als sieben Jahren gehaltenen Vorträgen In diesen Vorträgen, die im Juni 1910 in Kristiania gehalten worden sind, habe ich den Versuch gewagt, die Psychologie der Völkerentwickelung zu zeichnen. Als Grundlage der Betrachtung hat gedient, was ich über anthroposophisch orientierte Geisteswissenschaft (in meinen Büchern «Theosophie», «Geheimwissenschaft», «Vom Menschenrätsel», «Von Seelenrätseln» und anderen) dargestellt habe. Ich durfte auf dieser Grundlage aufbauen, weil meine Zuhörer bekannt waren mit der wissenschaftlichen Anschauung, die in meinen Büchern gekennzeichnet wird. Es kommt aber zu diesem äußeren Grund für die Wahl des Gesichtspunktes noch ein innerer. Für eine wirkliche Psychologie der Völkercharaktere kann die anthropologische, ethnographische, selbst die historische Betrachtung der gewöhnlichen Wissenschaft keine ausreichende Grundlegung geben. Man kommt mit dem von dieser Wissenschaft Gebotenen nicht weiter als man mit der Anatomie und Physiologie kommt für eine Erkenntnis des Seelenlebens des Menschen. Wie man bei dem einzelnen Menschen vom Leibe zur Seele fortschreiten muß, wenn man sein inneres Leben kennen lernen will, so muß man für die Völkercharaktere zu dem ihnen zugrunde liegenden Seelisch-Geistigen vordringen, wenn man eine wirkliche Erkenntnis derselben anstrebt. Dieses Seelisch-Geistige ist aber nicht ein bloßes Zusammenwirken der Einzel-Seelen der Menschen, sondern es ist ein diesen übergeordnetes Seelisch-Geistiges. Ein solches zu betrachten, ist der gegenwärtigen Wissenschaft ganz ungewohnt. Vor ihrem Forum ist es paradox von Volksseelen als von wirklichen Wesenheiten zu sprechen, wie man vom wirklichen Denken, Fühlen und Wollen des einzelnen Menschen spricht. Und ebenso paradox ist es vor diesem Forum, die Völker-Entwickelung auf der Erde in Zusammenhang zu bringen mit den Kräften der Himmelskörper des Weltraumes. Man braucht aber, um die Sache nicht mehr paradox zu finden, sich nur zu erinnern, daß niemand die Kräfte, welche eine Magnetnadel in der Nord-Süd-Richtung einstellen, innerhalb der Magnetnadel selbst suchen wird. Er schreibt sie der Wirkung des Erdmagnetismus zu. Er sucht die Gründe für die Richtung der Nadel im Kosmos. Wird man also nicht die Gründe für die Entwickelung von Volkscharakteren, Volkswanderungen usw. außerhalb der Volkszusammenhänge im Kosmos suchen dürfen? Von der anthroposophischen Anschauung ganz abgesehen, für die höhere geistige Wesenheiten eine Wirklichkeit sind, kommt für den Inhalt dieser Vorträge noch ein ganz anderes in Betracht. Dieser Inhalt legt allerdings eine höhere geistige Wirklichkeit der Völker-Entwickelung zugrunde, und er sucht die Kräfte, welche dieser Entwickelung die Richtungen geben, in einer solchen Wirklichkeit. Allein die Betrachtung steigt dann herab zu den Tatsachen, die im Leben der Völker zutage treten. Und da zeigt es sich, daß diese Tatsachen durch diese Grundlegung verständlich werden. Man kann dadurch die Lebensverhältnisse der einzelnen Völker sowohl, wie auch ihre gegenseitigen Beziehungen durchschauen, während es ohne eine solche Grundlegung ein wahres Erkennen auf diesem Gebiete nicht gibt. Man muß entweder auf eine Völkerpsychologie verzichten, oder man muß für sie eine Grundlegung in einer geistigen Wirklichkeit suchen. Ich habe mich nicht gescheut, für die höheren geistigen Wesenheiten die Namen anzuwenden, welche in den ersten christlichen Jahrhunderten üblich waren. Der Orientale würde andere Namen wählen. Doch wenn man auch heute das Anwenden solcher Namen wenig «wissenschaftlich» finden kann, so scheint es mir doch richtig, vor solcher Anwendung nicht zurückzuschrecken; erstens wird dadurch dem christlichen Grundcharakter unserer abendländischen Kultur Rechnung getragen, zweitens ist dadurch doch noch eher eine Verständigung möglich, als wenn völlig neue Namen gewählt würden, oder wenn orientalische Bezeichnungen übernommen würden, deren wahrer Inhalt doch nur demjenigen gegenwärtig sein kann, der in dem entsprechenden Kulturzusammenhang seelisch darinnen steht. Mir schwebt doch die Möglichkeit vor, daß derjenige, welcher in diese geistigen Zusammenhänge eindringen will, sich, wenn er die Sache als solche nicht ablehnt, an Namen wie Engel, Erzengel, Throne usw. ebensowenig stoßen wird, wie er dies in der physischen Wissenschaft gegenüber Benennungen wie positive und negative Elektrizität, Magnetismus, polarisiertes Licht usw. tut. Wer den Inhalt dieser Vorträge zusammenhält mit den schmerzlichen Prüfungen der Kulturmenschheit in diesen Tagen, der wird finden können, daß das damals Gesagte manches Licht verbreitet über jetzt Geschehendes. Hielte ich diese Vorträge jetzt, so könnte man glauben, daß der augenblickliche Stand der Weltereignisse solche Betrachtungen herausforderte. So steht zum Beispiel auf Seite 13 des ersten Vortrages: «Es ist... von einer ganz besonderen Wichtigkeit. . ., daß gerade in unserer Zeit in unbefangenster Weise auch gesprochen wird über dasjenige, was wir die Mission der einzelnen Volksseelen der Menschheit nennen . . ., weil die nächsten Schicksale der Menschheit in einem viel höheren Grade als das bisher der Fall war, die Menschen zu einer gemeinsamen Menschheitsmission zusammenführen werden. Zu dieser gemeinsamen Mission werden aber die einzelnen Volksangehörigen nur dann ihren entsprechenden freien, konkreten Beitrag liefern können, wenn sie vor allen Dingen ein Verständnis haben für ihr Volkstum, ein Verständnis für dasjenige, was man nennen kann Selbsterkenntnis des Volkstums>.» Die Zeiten sind wohl nun da, in denen die Schicksale der Menschheit selber lehren, daß in einer solchen Anschauung Wahrheit ist. Vielleicht ist gerade das Thema von den «Volksseelen» ein solches, das zeigt, wie geistige Betrachtung, die auf die wirkliche übersinnliche Wesenheit des Daseins geht, zugleich die wahrhaft praktische Lebensanschauung gibt, die Licht wirft auch auf die einzelnsten Fragen des Lebens. Eine Lebensbetrachtung, die für die Entwickelung und das Wesen der Völker nur solche Vorstellungen gebraucht, die für die Naturwissenschaft mit Recht geltend gemacht werden, kann das nicht. Diese mechanistischphysische Wissenschaft hat ihr Großes geleistet in der Hervorbringung mechanisch-physikalisch-chemischer Kulturmittel; für die Kulturmittel des geistigen Lebens der Menschheit bedarf es einer auf das Geistige hingeordneten Wissenschaft. Unsere Zeit bedarf einer solchen Wissenschaft. Berlin, 8. Februar 1918 Rudolf Steiner
Lit.:Die Textgrundlage bildet der von Rudolf Steiner selbst durchgesehene und teilweise korrigierte Manuskriptdruck aus dem Jahre 1911, heute veröffentlicht in GA 121. |
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