Forum für Anthroposophie, Waldorfpädagogik und Goetheanistische Naturwissenschaft
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Rudolf Steiner

DAS GOETHEANUM IN SEINEN ZEHN JAHREN

Das Goetheanum, II 23-26, 14. Januar, 4. und 18. Februar, 4. und 18. März 1924

I

Den Dornacher Hügel bedecken jetzt die Aschenreste des Goetheanums. Sein Aufbau ist aus der Initiative von Mitgliedern der Anthroposophischen Gesellschaft hervorgegangen. - Anthroposophie ist der Name, den ich gebraucht habe, als ich vor zwanzig Jahren in Berlin einen Vortragszyklus über die Weltanschauung hielt, von der ich glaube, daß sie in gerader Fortsetzung der Goetheschen Vorstellungsart liegt. Den Namen erwählte ich in Erinnerung an ein vor Jahrzehnten erschienenes Buch des Herbartianers Robert Zimmermann «Umriß einer Anthroposophie». Der Inhalt dieses Buches hat allerdings mit dem nichts zu tun, was ich als «Anthroposophie» vortrug. Er war modifizierte Herbartsche Philosophie in allerabstraktester Form. Ich wollte durch das Wort eine Weltanschauung ausdrücken, welche durch die Anwendung der geistigen Wahrnehmungsorgane des Menschen ebenso den geistigen Weltinhalt zur Erkenntnis bringt wie die Naturwissenschaft durch die sinnlichen Wahrnehmungsorgane den physischen.

Ich hatte über ein anderes Gebiet dieser anthroposophischen Weltanschauung bereits etwa anderthalb Jahre vor Abhaltung des eben erwähnten Vortragszyklus auf die Einladung der Gräfin und des Grafen Brockdorff hin in der damals in Berlin bestehenden «Theosophischen Bibliothek» Vorträge gegeben, deren Inhalt in meinem Buche «Die Mystik im Aufgange des neuzeitlichen Geisteslebens » veröffentlicht ist. Infolge dieser Vorträge wurde ich aufgefordert, in die «Theosophische Gesellschaft» einzutreten. Ich kam dieser Aufforderung nach in der Absicht, niemals etwas anderes zu vertreten als den Inhalt dessen, was sich mir als anthroposophische Weltanschauung ergeben hatte. Meine Ansicht war stets, daß ich vor allen Menschen vortragen solle, die mich hören wollen, gleichgültig wie der Parteiname lautet, unter dem sie sich zu irgendeiner Gruppe zusammengeschlossen haben, oder ob sie ohne alle solche Voraussetzung zu meinen Vorträgen kamen.

Mit der Einladung an mich in die Theosophische Gesellschaft fiel zeitlich zusammen, daß eine Anzahl von Mitgliedern dieser Gesellschaft eine deutsche Sektion derselben begründeten. Ich wurde aufgefordert, deren Generalsekretär zu werden. Trotz schwerer Bedenken wurde ich es. Ich änderte nichts an meiner Absicht, die anthroposophische Weltanschauung vor der Welt zu vertreten. Was ich selbst «Theosophie» nenne, geht klar aus meinem Buche «Theosophie» hervor, das ich kurze Zeit darnach geschrieben habe. Diese Theosophie ergibt sich als ein besonderes Gebiet der Anthroposophie.

In denselben Tagen, in denen die Mitglieder der Theosophischen Gesellschaft die deutsche Sektion durch Reden von Annie Besant in Berlin einleiten ließen, hielt ich den Vortragszyklus über Anthroposophie, von dem ich eben gesprochen habe.

Ich wurde nun viel eingeladen, Vorträge vor Mitgliedern der Theosophischen Gesellschaft zu halten. Aber es begann im Grunde schon vom Anfange dieser Tätigkeit an die Opposition gegen mich bei dem Kreise jener Mitglieder der Theosophischen Gesellschaft, die in dogmatischer Art an den Lehren einiger älterer Führer dieser Gesellschaft befangen waren. Der Kreis derjenigen Persönlichkeiten, die an der anthroposophischen Weltanschauung etwas fanden, bildete sich immer mehr als ein selbständiger aus. Er wurde von jenen Führern 1913 aus der Theosophischen Gesellschaft ausgeschlossen, als ich Konsequenzen, die aus den Lehren dieser Führer gezogen und von ihnen vor die Welt hingestellt worden waren, als absurd bezeichnet und erklärt hatte, daß ich mit dergleichen Absurditäten nichts zu tun haben wolle.

Unter dem Einflüsse dieser Ereignisse wurde 1912 die Anthroposophische Gesellschaft begründet. Mit Hilfe derjenigen Persönlichkeiten, welche dann die Führung in dieser Gesellschaft innehatten, konnte ich schon vorher zu der Vortragstätigkeit die Aufführung von «Mysterien» hinzufügen. Bereits 1907 führten die anthroposophisch orientierten Mitglieder in München bei dem Theosophischen Kongreß Schurés Nachdichtung des eleusinischen Mysteriums auf. Ihm folgte 1909 ebenfalls in München die Darstellung der «Kinder des Lucifer» von demselben Autor. Das führte dazu, daß in den folgenden Jahren, 1910-1913, meine vier eigenen, ganz modernen Mysteriendramen - gleichfalls in München - für die Mitglieder des anthroposophischen Kreises aufgeführt wurden.

Diese Erweiterung der anthroposophischen Tätigkeit in das Kunstgebiet hinein ergab sich aus dem Wesen der Anthroposophie. Die Gründe dafür sind in dieser Wochenschrift öfters dargestellt worden.

Mittlerweile hatte sich der zur Anthroposophischen Gesellschaft gewordene Kreis so weit vergrößert, daß die in ihm führenden Persönlichkeiten dazu schreiten konnten, der Anthroposophie eine eigene Heimstätte zu bauen. Als Ort dazu wurde München ausersehen, wo sich die meisten Träger der Bauabsicht befanden und wo damals eine besonders hingebungsvolle Tätigkeit von diesen entwickelt worden ist.

Ich selbst betrachtete mich nur als den Beauftragten dieser Träger der Bauabsicht. Ich glaubte, meine Kraft auf den Ausbau der inneren geistigen Arbeit der Anthroposophie konzentrieren zu müssen und nahm dankbar die Initiative hin, derselben eine eigene Wirkensstätte zu schaffen. In dem Augenblicke aber, in dem die Initiative ihrer Verwirklichung entgegenging, war die künstlerische Ausgestaltung für mich eine Sache der inneren geistigen Arbeit. Ich hatte mich dieser Ausgestaltung zu widmen. Ich machte geltend, daß aus denselben Grundlagen, aus denen die Gedanken der Anthroposophie kommen, auch die künstlerischen Formen des Baues kommen müssen, wenn er eine wirkliche Umrahmung der anthroposophischen Weltanschauung sein solle. - Daß dieses nicht in der Art einer strohernen Allegorik der Bauformen oder eines vom Gedanken angekränkelten Symbolismus zu geschehen hat, liegt im Wesen der Anthroposophie, die nach meiner Überzeugung eben zur wirklichen Kunst führt.

Der Gedanke, den Bau in München aufzuführen, konnte nicht ausgeführt werden, da maßgebende künstlerische Kreise dort Einwendungen gegen die Bauformen machten. Ob diese Einwendungen später überwunden worden wären, braucht nicht besprochen zu werden. Die Träger der Bauabsicht wollten die Verzögerung nicht und nahmen deshalb das Geschenk von Dr. Emil Großheintz, das in einem von ihm schon vorher erworbenen Baugrund auf dem Dornacher Hügel bestand, dankbar an.

So konnte 1913 der Grundstein zu dem Bau gelegt und sogleich mit der Arbeit begonnen werden.

Die Träger der Bauabsicht haben mit Rücksicht auf eine Gestalt meiner Mysteriendramen, die Johannes Thomasius heißt, den Bau «Johannesbau» genannt. Ich habe im Laufe der Jahre, in denen gebaut wurde, öfters ausgesprochen, daß ich im Aufbau der anthroposophischen Weltanschauung vor vielen Jahren von der Betrachtung Goethescher Vorstellungsart ausgegangen bin, und daß für mich deren Heim ein «Goetheanum» ist. Daraufhin haben vorzugsweise nicht-deutsche Mitglieder der Anthroposophischen Gesellschaft den Entschluß gefaßt, fernerhin dem Bau den Namen «Goetheanum» zu geben.

Da die Anthroposophie in der Zeit, in welcher mit dem Bau begonnen wurde, bereits wissenschaftlich vorgebildete und arbeitende Mitglieder auf den mannigfaltigsten Gebieten gefunden hatte und deshalb in Aussicht stand, die geisteswissenschaftlichen Methoden in den einzelnen Wissenschaften anzuwenden, durfte ich vorschlagen, der Bezeichnung des Baues den Zusatz zu geben: «Freie Hochschule für Geisteswissenschaft».

An diesem Bau wurde nun seit fast zehn Jahren von Freunden der Anthroposophie gearbeitet. Schwer zu bringende Opfer materieller Art kamen von vielen Seiten: Künstler, Techniker, Wissenschafter arbeiteten in hingebungsvollster Art mit. Wer im anthroposophischen Kreise die Möglichkeit hatte, an dem Werke zu arbeiten, der tat es. Die schwierigsten Arbeiten wurden bereitwilligst übernommen. Der Geist anthroposophischer Weltanschauung arbeitete aus begeisterten Herzen heraus an dem «Goetheanum». Die der Anthroposophie zuerst zum mindesten gleichgültig gegenüberstehenden Bauarbeiter sind zu meiner innigen Freude seit 1922 wohl in ihrer Mehrzahl der Meinung, daß die Mißurteile, die über Anthroposophie in so weiten Kreisen gefällt werden, unbegründet sind.

Meine und meiner Mitarbeiter Gedanken waren auf die Fortsetzung unserer Arbeit gelenkt. Wir hatten für Ende Dezember und Anfang Januar einen naturwissenschaftlichen Kursus angesetzt. Freunde der anthroposophischen Sache aus vielen Ländern waren wieder anwesend.

Zu der übrigen künstlerischen Betätigung war seit Jahren die für Eurythmie und Deklamationskunst getreten, unter der Leitung von Frau Marie Steiner, die diese Leitung zu einem ihrer mannigfaltigen Arbeitsgebiete gemacht hat. Am Sylvesterabend hatten wir von 5 bis 7 Uhr eine Eurythmie-Vorstellung. Um 8 Uhr begann mein Vortrag, der eine halbe Stunde nach 9 Uhr beendet war. Ich hatte über den Zusammenhang des Menschen mit den Erscheinungen des Jahreslaufes in anthroposophischer Art gesprochen. Kurze Zeit darnach stand das Goetheanum in Flammen; am Neujahrsmorgen 1923 war es bis zum Betonunterbau niedergebrannt.

II

Als ich den ersten Kursus, der im September und Oktober 1920 im Goetheanum abgehalten worden ist, eröffnen durfte, schien es mir vor allem geboten, darauf aufmerksam zu machen, wie in der Anthroposophie geisteswissenschaftliche Erkenntnis, künstlerische Gestaltung und religiöse Innerlichkeit aus einer Quelle gesucht werden. In der Eröffnungsrede wies ich kurz darauf hin, und in Vorträgen «über den Baugedanken in Dornach» wollte ich zeigen, wie im Goetheanum die Kunst aus derselben Geistigkeit geschöpft worden ist, die in Ideen sich offenbaren will, wenn Anthroposophie in der Erkenntnisform auftritt.

Nach dieser Richtung ist der Versuch, der mit dem Goetheanum gemacht worden ist, von Vielen verkannt worden. Man hat davon gesprochen, daß hier in Symbolik gearbeitet worden ist. Diejenigen, die so gesprochen haben, kamen mir immer wie Menschen vor, die zwar das Goetheanum besucht, es aber nicht wirklich angeschaut haben. Sie dachten: hier wird eine bestimmte Weltanschauung dargestellt. Die Leute, welche diese hervorbringen, wollen in den Bauformen und in dem übrigen Künstlerischen, das sie innen und außen hinzufügen, Sinnbilder dessen gestalten, was sie lehren. - Mit diesem Dogma besuchte man oft das Goetheanum und fand es - bestätigt, weil man es nicht anschaute und weil man die Sache so beurteilte, als ob Anthroposophie auch nichts anderes wäre als eine Verstandeswissenschaft. Eine solche wird allerdings zumeist, wenn sie sich künstlerisch ausdrücken will, es zu nichts bringen als zur Symbolik, oder Allegorik.

Aber am Goetheanum wurden keine abstrakten Ideen verkörperlicht. Die Ideengestaltung wurde völlig vergessen, wenn aus der künstlerischen Empfindung die Form, aus der künstlerischen Anschauung Linie aus Linie, Fläche aus Fläche hervorgeholt wurde. Wenn in Farben auf der Wand dargestellt wurde, was auch unmittelbar im Farbenbilde geschaut wurde.

Wenn ich zuweilen Besuchern das Goetheanum persönlich zeigen durfte, dann sprach ich aus, daß mir alles «Erklären» der Formen und Bilder eigentlich unsympathisch ist, weil das Künstlerische nicht durch Gedanken nahe gelegt werden, sondern in unmittelbarer Anschauung und Empfindung hingenommen werden soll.

Kunst, die auf demselben Boden ersteht, wie der Ideengehalt der wahren Anthroposophie, kann wirkliche Kunst werden.

Denn die Seelenkräfte, welche diesen Ideengehalt gestalten, dringen in die Geistigkeit vor, aus denen auch die künstlerische Schöpferkraft kommen kann. Was man aus anthroposophischer Erkenntnis heraus in Gedanken formt, das steht für sich da. Man hat gar nicht das Bedürfnis, es in einer Halbkunst symbolisch auszudrücken. Dagegen hat man durch das Erleben derjenigen Wirklichkeit, welche Anthroposophie enthüllt, das Bedürfnis, in Formen, in Farben künstlerisch zu leben. Und diese Farben, diese Formen leben wieder für sich. Sie drücken keine Ideen aus. Ebenso wenig, oder ebenso viel, wie eine Lilie, oder ein Löwe eine Idee ausdrücken.

Weil das mit dem Wesen des anthroposophischen Lebens zusammenhängt, wird derjenige, der sich des Auges und nicht des dogmatisierenden Verstandes beim Besuche in Dornach bedient hat, keine Symbole und Allegorien, sondern wirkliche künstlerische Versuche gewahr geworden sein.

Aber eines mußte ich immer wieder sagen, wenn ich von dem Baugedanken des Goetheanums sprach. — Als daran gegangen wurde, diesen Bau auszuführen, konnte es nicht sein, daß man sich an einen Künstler wandte, der im antiken, oder Renaissance- oder gotischen Stile der Anthroposophie hätte eine Heimstätte schaffen sollen. Wäre eben Anthroposophie bloße Wissenschaft, bloßer Ideeninhalt, dann hätte es so sein können. - Aber Anthroposophie ist Leben, ist Ergreifen des Allmenschlichen und der Welt im und durch den Menschen.

Die Initiative der Freunde dieser Weltanschauung für den Bau des Goetheanums konnte in Wahrheit nur ausgeführt werden, wenn dieser Bau bis in die Einzelheiten seiner Gestaltung aus demselben lebendigen Geiste heraus entstand, aus dem die Anthroposophie selbst quillt. Ich habe öfter ein Bild gebraucht: Man betrachte eine Nuß und die Nußschale. Die Schale ist gewiß kein Symbol der Nuß. Aber sie ist aus denselben Gesetzmäßigkeiten heraus geformt wie die Nuß. So kann der Bau nur sein die Hülle, die in ihren Formen und Bildern künstlerisch den Geist verkündigt, der im Worte lebt, wenn Anthroposophie durch Ideen spricht.

Es ist in dieser Art jeder Kunststil aus einem Geiste herausgeboren, der auch in einer Weltanschauung ideenhaft sich geoffenbart hat.

Und rein künstlerisch ist für das Goetheanum entstanden, was man einen Baustil nennen kann, der von der Symmetrie, Wiederholung und so weiter zu dem übergehen mußte, was in den Formen des organischen Lebens atmet. Der Zuschauerraum zum Beispiel hatte zu beiden Seiten sieben Säulen. Nur immer eine links und rechts hatten gleichgebildete Kapitale. Dagegen war jedes folgende Kapital die metamorphosische Entwickelung des vorigen. Das alles ergab sich aus der künstlerischen Empfindung; nicht aus einem gedankenhaften Elemente. Es konnten nicht typenhafte Motive an den verschiedenen Orten wiederholt werden; sondern jedes Gebilde ward an seinem Platze ganz individuell gestaltet, so wie das kleinste Glied an einem Organismus individuell und doch so gestaltet ist, daß es mit Notwendigkeit an dem Orte, an dem es ist, in seiner Bildung erscheint. - Die Siebenzahl der Säulen hat mancher für den Ausdruck eines Mystischen genommen. Auch dies ist ein Irrtum. Gerade sie ist ein Ergebnis der künstlerischen Empfindung. Indem man eine Kapitälform aus der andern künstlerisch entstehen ließ, war man mit der siebenten bei einer Bildung angekommen, über die man nicht hinausgehen konnte, ohne in das Motiv der ersten zurückzufallen.

Man darf nun, ohne sich einer Illusion hinzugeben, sagen, daß nicht nur die angedeuteten Vorurteile dem Goetheanum-Bau entgegengebracht worden sind. Es fanden sich allmählich recht viele Menschen, die mit unbefangenem Auge ästhetisch anschauen wollten, was unbefangener Empfindung entsprungen ist.

Goethe spricht aus seiner Kunstempfindung die Worte: «Wem die Natur ihr offenbares Geheimnis zu enthüllen anfängt, der empfindet eine unwiderstehliche Sehnsucht nach ihrer würdigsten Auslegerin, der Kunst», und «Das Schöne ist eine Manifestation geheimer Naturgesetze, die ohne dessen Erscheinung ewig wären verborgen geblieben.» Nach den Formen, die der menschliche Erkenntnisbegriff in der neuern Zeit angenommen hat, glaubt man, das Wesen der Naturdinge und Naturvorgänge nur auszudrücken, wenn man in gedankenmäßiger Art Gesetze (Naturgesetze) prägt. Allein wie wäre es, wenn dem Schaffen der Natur ein Künstlerisches zu Grunde läge. Dann käme eben derjenige, welcher von dem Vorurteile ausgeht, nur mit dem Verstandesmäßigen dürfe man sie ausdrücken, an das volle Wesen der Natur gar nicht heran. Und so ist es. Wenn man in lebensvoller Art durch das Ideenhafte in die Naturgeheimnisse eingedrungen ist, dann erfährt man: da ist noch etwas, das sich dem Gedanken nicht ergibt, das man nur erreichen kann, wenn man die ideenmäßige Seelenverfassung in die künstlerische Anschauung umstimmt. So hat Goethe empfunden, als er die angeführten Sätze niederschrieb. Und aus einer solchen Empfindung ist das Goetheanum gestaltet worden. Wer in den Menschen, die Anthroposophie treiben, eine Sekte sieht, der wird leicht auch in die Bauformen des Goetheanums die Symbolik einer Sektenauffassung hineinerklären. Aber die Anthroposophie ist eben das Gegenteil alles Sektiererischen. Sie strebt überall in voller Unbefangenheit das Rein-Menschliche an.

Der kleine Kuppelraum des Goetheanums wurde so ausgemalt, daß dort nicht von ideenhaftem Figuralen ausgegangen worden ist, dem Farben aufgeklebt worden wären, sondern es war zuerst ein Farbenerlebnis da; und aus diesem heraus wurde das Figurale geboren. In der Hingabe an das Farbenwesen erkraftet sich das seelische Schaffen zu Figuralem, das die erlebten Farben fordern. Man fühlt sich da im Malen für die Augenblicke des Schaffens so, als ob es in der Welt überhaupt nichts gebe als webend-lebende Farben, die aber schöpferisch sind und aus sich Wesenhaftes erzeugen.

Wenn man aus den Absichten, aus denen heraus das Goetheanum entstanden ist, so über dasselbe sprechen muß, fühlt man den Schmerz über seinen Verlust, für den die Worte nicht da sind. Denn das ganze Wesen dieses Baues war auf die Anschauung hingeordnet. Die Erinnerung schmerzt unsäglich. Denn man erinnert sich in Seelenerlebnissen, die nach Anschauung drängen. Aber die Möglichkeit der Anschauung ist seit der Sylvesternacht hinweggenommen.

III

Am Goetheanum konnte man durch ein künstlerisches Empfinden zu der Einsicht kommen, daß Anthroposophie keine Sektenbildung oder Religionsbegründung ist. In diesem Stil kann man nicht eine Kirche oder einen Tempel bauen. Zwei Zylindermantel, mit verschieden großen Grundflächen, griffen an den Seiten, an denen sie ausgeschnitten waren, ineinander. Sie waren oben durch eine größere und eine kleinere Kuppel abgeschlossen. Die Kuppeln hatten Halbkugelform und griffen ebenfalls ineinander, indem da, wo sie sich berührten, Sektoren ausgeschnitten waren.

Der kleine Kuppelraum sollte, nach der völligen Fertigstellung, als Bühnenraum für Mysterienaufführungen dienen. Doch war er dazu noch nicht eingerichtet. Bis jetzt hatten nur Eurhythmievorstellungen in diesem Raum stattgefunden. - Der größere Kuppelraum umschloß die Zuschauer- und Zuhörerreihen. Irgend etwas, das diesem zweigliedrigen Raum den Charakter eines Tempel- oder Kultgebäudes verliehen hätte, gab es nicht.

Die Sockel der zwölf Säulen, die im Umkreise des kleinen Kuppelraumes waren, hatte man zu zwölf Stühlen umgebildet. Man konnte einen Versammlungsraum für eine beschränkte Zahl von Teilnehmern erkennen; aber nicht etwas Kirchenartiges. Zwischen den Säulen sollte dereinst eine plastische Gruppe stehen, in deren Mittelpunkt eine Gestalt sich befindet, in der man Christus erkennen kann. Es sollte das Wahrzeichen dafür sein, daß echte Geistes-Erkenntnis zu Christus führt, also mit dem Religionsgehalt sich zusammenfindet.

Wer durch das Hauptportal eintrat, zu dem sollte das Ganze auf künstlerische Art sprechen: «Erkenne die wahre Menschenwesenheit.» So wollte man den Bau zu einer Heimstätte der Erkenntnis gestalten, nicht zu einem Tempel.

Die beiden Räume waren durch einen Vorhang getrennt. Vor dem Vorhang war ein Rednerpult, das versenkt werden konnte, wenn der Bühnenraum benützt wurde.

Man brauchte nur auf die Formen dieses Rednerpultes zu schauen, um zu erkennen, wie wenig dabei an etwas Kirchenartiges gedacht war. Alle diese Formen waren künstlerisch herausgeholt aus der Gesamtgestalt des Baues und aus dem Zusammentreffen der Gestaltungen, die nach dem Platze hinliefen, an dem der Redner stand.

Diese Formen waren kein architektonischer und plastischer Tempelinhalt, sondern die Umrahmung einer Pflegestätte der geistigen Erkenntnis. Wer etwas anderes darin sehen wollte, der mußte erst künstlerische Unwahrheit in sie hineininterpretieren. Es war mir aber immer befriedigend, wenn ich von Befugten hören durfte: diese Formen sprechen in wahrer Art von dem, was sie sein wollen. Und daß ich solche Rede hören konnte, das kam mehrere Male vor.

Es soll aber nicht in Abrede gestellt werden, daß an dem Bau manches befremdlich sein mußte für denjenigen, der zunächst mit gewohnten Vorstellungen von Architektonik an ihn herantrat. Das aber lag in seinem Wesen; und es konnte nicht anders sein.

Wenn der Mensch mit Anthroposophie bekannt wird, so ist für manchen an dieser auch etwas in dieser Art Befremdendes. Sie tritt zunächst als Menschen-Erkenntnis auf. Doch, indem sie ihre Menschen-Erkenntnis entwickelt, erweitert sie sich zur Welt-Erkenntnis. Der Mensch ergreift erkennend sein eigenes Wesen; doch dieses Ergreifen ist ein Zusammengehen mit dem Welt-Inhalte.

Wer das Goetheanum betrat, war von Wänden umschlossen. Doch die Behandlung der Wand in ihrer plastischen Ausgestaltung hatte etwas, das dem Charakter der Wand widersprach. Man ist gewohnt, die Wand so behandelt zu sehen, daß sie einen Raum nach außen hin abschließt. Solch eine Wand ist künstlerisch undurchsichtig. Die Wände des Goetheanums mit ihren vorgebauten Säulenformen und den Gestaltungen, die von diesen Säulen getragen wurden, waren künstlerisch durchsichtig gedacht. Sie sollten nicht von der Welt abschließen, sondern den Blick mit ihren künstlerischen Bildungen so treffen, daß sich der Beschauer mit den Weiten des Weltalls verbunden fühlte. Konnte man auf diese Eigentümlichkeit nicht sogleich die Aufmerksamkeit richten, so kamen einem diese Formen so vor, wie wenn man plötzlich unverständlich da ein Fenster gewahr wird, wo man eine undurchsichtige Wandtafel erwartet hatte.

Diesem Charakter der Wand waren auch die in die Außenwand eingelassenen Glasfenster angepaßt. Diese waren zwischen je zwei Säulen sichtbar. Sie waren aus einfarbigem Glas, in das die künstlerischen Motive eingraviert waren. Man hatte es mit einer Art Glasradierung zu tun. Das Bild entstand durch die verschiedene Dicke, die das einfarbige Glas durch die Radierung erhielt. Es war nur bei durchdringendem Sonnenlichte als Bild zu sehen. So war an diesen Fenstern auch physisch das erreicht, was bei der übrigen Wandbildung künstlerisch in Formen gedacht war. Das Bild war nur da, wenn die Wand mit der äußeren Welt zusammenwirkte. Je zwei Fenster links und rechts waren gleichfarbig. Die vom Eingang bis zum Bühnenanfang gelegenen Fenster waren verschiedenfarbig, und zwar so, daß die Farben in ihrer Aufeinanderfolge eine Farbenharmonie ergaben.

Man konnte, was man als Bilder in den Fenstern sah, zunächst unverständlich finden. Doch für denjenigen, der sich in die anthroposophische Weltanschauung eingelebt hat, wird sich das erst Sonderbare alsbald rein im Anschauen, nicht in verstandesmäßig-symbolischer Ausdeutung, als vertraut ergeben haben. Und das Ganze war ja eine Heimstätte für diejenigen, die Anthroposophie suchten. Wer beanspruchte, diese Bilder zu verstehen, ohne anthroposophisch orientierte Anschauung, der gliche dem, der ein Gedicht in einer Sprache künstlerisch genießen wollte, ohne die Sprache erst zu verstehen.

Das gleiche galt von den malerischen Motiven, welche die inneren beiden Kuppelflächen bedeckten. Man hat aber nicht recht, wenn man sagt: ja, das geht doch nicht an, daß man, um Bilder und Formen zu verstehen, erst eine Weltanschauung innehaben soll. Man brauchte eben, um für diese Bilder anthroposophisch orientiert zu sein, nicht erst Bücher zu lesen, oder Vorträge zu hören, sondern man konnte diese Orientierung auch ohne das vorangehende Wort durch das bloße Hineinsehen in die Bilder erlangen. Aber zu ihr kommen mußte man. Wollte man das nicht, so stand man davor, wie - ohne selbstverständlich einen künstlerischen Wertvergleich auch nur im entferntesten damit anzudeuten - vor Raphaels Disputa, wenn man sich nicht auf das Geheimnis der Dreifaltigkeit dabei hinorientieren wollte.

Der Zuschauerraum war für neunhundert bis tausend Personen berechnet. Am Westende desselben war erhöht der Raum für die eingebaute Orgel und andere Musikinstrumente.

Dieser ganze aus Holz errichtete Bau stand auf einem Betonunterbau, der im Grundrisse größer war, so daß um den Zuschauerteil außen eine erhöhte Terrasse herumlief. In diesem Unterbau befanden sich unter dem Zuschauerraum die Stätten für das Ablegen der Kleider, unter dem Bühnenraum Maschinen. Auf diejenigen, welche den Inhalt dieses Betonunterbaues gesehen hatten, mußte es einen erheiternden Eindruck machen, wenn sie hörten, daß Gegner der anthroposophischen Weltanschauung von allerlei Geheimnisvollem, sogar von unterirdischen Versammlungsstätten in diesem Betonbau fabelten. Das Goetheanum hatte Ziele, die wahrhaftig keiner verdunkelten, geheimnisvollen Versammlungsorte und keiner Zauberinstrumente bedurften. Solche hätten in den Baugedanken des Ganzen auch gar nicht hineingepaßt. Sie wären künstlerisch unmotiviert gewesen.

Die Kuppeln waren bedeckt mit nordischem Schiefer aus den Voß'schen Schieferbrüchen. Der bläulich-graue Glanz im Sonnenlichte gab mit der Holzfarbe zusammen ein Ganzes, das mancher sympathisch begrüßt hat, der den Dornacher Hügel hinauf an einem leuchtenden Sommertage den Weg zum Goetheanum gemacht hat.

Jetzt trifft er einen Trümmerhaufen, aus dem eine niedrige Betonruine emporragt.

IV

Die eurythmische Kunst schien im Goetheanum-Bau besonders zur Geltung zu kommen. Sie ist sichtbare Sprache oder sichtbares Singen. Der einzelne Mensch führt Bewegungen durch seine Glieder, besonders die ausdrucksvollsten Bewegungen der Arme und Hände aus, oder auch Gruppen von Menschen bewegen sich, oder bringen sich in Stellungen zueinander. Diese Bewegungen sind geberdenartig. Aber sie sind nicht Geberden in gewöhnlichem Sinne. Diese verhalten sich zu dem, was in der Eurythmie dargestellt wird, wie das kindliche Lallen zu der ausgebildeten Sprache.

Wenn der Mensch sich seelisch durch die Sprache oder den Gesang offenbart, dann ist er mit seinem ganzen Wesen dabei. Er ist gewissermaßen in der Anlage durch seinen ganzen Körper in Bewegung. Aber er bringt diese Anlage nicht zum Ausdruck. Er hält diese Bewegung in der Entstehung fest und konzentriert sie auf die Sprach- oder Tonorgane. Man kann nun durch sinnlich-übersinnliches Schauen - um diesen Goetheschen Ausdruck zu gebrauchen - erkennen, welche Bewegungsanlage des ganzen körperlichen Menschen einem Ton, oder einem Sprachlaut, einer Harmonie, Melodie, einem gestalteten Sprachgebilde zugrunde liegt. Dadurch kann man Menschen oder Menschengruppen Bewegungen ausführen lassen, die genau ebenso auf sichtbare Art das Musikalische oder Sprachliche zur Darstellung bringen wie die Sprach- und Gesangsorgane auf hörbare. Der ganze Mensch, oder Menschengruppen werden zum Kehlkopf; die Bewegungen sprechen oder singen, wie der Kehlkopf tönt oder lautet.

Ebensowenig wie in der Sprache oder dem Gesang beruht in der Eurythmie etwas auf einer Willkür. Aber es hat ebensowenig Sinn zu sagen, Augenblicksgeberden seien der Eurythmie vorzuziehen, wie ein Willkürton oder Willkürlaut seien besser als die in der gesetzmäßigen Sprach- oder Tongestaltung liegenden Laute oder Töne.

Aber Eurythmie ist auch nicht mit Tanzkunst zu verwechseln. Man kann Musikalisches, das gleichzeitig ertönt, eurythmisieren. Dann wird nicht zur Musik getanzt, sondern sichtbar gesungen.

Die eurythmischen Bewegungen sind ebenso gesetzmäßig aus dem ganzen menschlichen Organismus herausgeholt wie die Sprache oder der Gesang.

Wenn eine Dichtung eurythmisiert wird, dann offenbart sich auf der Bühne die sichtbare Sprache der Eurythmie und gleichzeitig ertönt die Dichtung durch Rezitation oder Deklamation. Man kann nun nicht so zur Eurythmie rezitieren, oder deklamieren, wie man das oft liebt, durch bloßes Pointieren des Prosagehaltes der Dichtung. Man muß die Sprache wirklich als Sprache künstlerisch behandeln. Takt, Rhythmus, melodiöse Motive und so weiter oder auch das Imaginative der Lautbildung müssen herausgearbeitet werden. Denn es liegt jeder wahren Dichtung eine verborgene (unsichtbare) Eurythmie zugrunde. Frau Marie Steiner hat diese Art der Rezitation und Deklamation, die parallel der eurythmischen Darstellung gehen, besonders auszubilden versucht. Es scheint, als ob dadurch wirklich eine Art orchestralen Zusammenwirkens des gesprochenen und sichtbar dargestellten Wortes erreicht wäre.

Es erweist sich nämlich als unkünstlerisch, wenn eine Person zugleich rezitiert und eurythmisiert. Es muß auf verschiedene Personen verteilt sein. Das Bild einer Person, die beides an sich offenbaren wollte, zerfiele für den unmittelbaren Eindruck.

Die Ausgestaltung der eurythmischen Kunst beruht auf der sinnlich-übersinnlichen Einsicht in die ausdrucksvolle Bewegungsmöglichkeit des menschlichen Körpers. Für diese Einsicht ist nur eine spärliche Überlieferung - so weit mir bekannt - aus früheren Zeiten vorhanden. Aus Zeiten, in denen dem Menschenkörper das Durchscheinen des Seelisch-Geistigen noch in einem erhöhteren Maße angesehen worden ist als heute. Diese spärliche Überlieferung, die übrigens nach ganz anderen Absichten hinweist, als den in der Eurythmie vorhandenen, wurde selbstverständlich benützt. Doch mußte sie selbständig aus- und umgebildet, und vor allem in das Künstlerische ganz und gar umgeprägt werden. Von der Formenbewegung der Menschengruppen, die wir in der Eurythmie nach und nach ausgebildet haben, ist mir keine Überlieferung bekannt.

Wenn nun diese eurythmische Kunst auf der Bühne des Goetheanums auftrat, so sollte man das Gefühl haben, daß die ruhenden Formen der Innenarchitektur und der Plastik sich auf ganz naturgemäße Art zu den bewegten Menschen verhielten. Die erstem sollten die letztern gewissermaßen wohlgefällig in sich aufnehmen. Bau und eurythmische Bewegung sollten zu einem Ganzen verwachsen. Dieser Eindruck konnte noch erhöht werden, indem die Folge der eurythmischen Gestaltungen begleitet wurde von Lichtwirkungen, die im harmonischen Zusammenstrahlen und harmonischer Folge den Bühnenraum durchfluteten. Was da versucht wird, ist Licht-Eurythmie.

Und wenn die Bauformen der Bühne die eurythmischen Gestaltungen gleichsam als etwas zu ihnen Gehöriges aufnahmen, so diejenigen des Zuschauerraumes die parallel mit der Eurythmie auftretende Rezitation oder Deklamation, die von einem Sitze an der Seite der Bühne, da wo diese mit dem Zuschauerraum zusammenstößt, durch Marie Steiner erklangen. Vielleicht ist es nicht unzutreffend, zu sagen, der Zuhörer sollte in dem Bau selbst einen Genossen im Verstehen des gehörten Wortes oder Tones empfinden. Wenn man nicht mehr behaupten will, als daß eine solche Einheit von Bauform und Wort oder Musik erstrebt worden ist, so wird das Gesagte nicht allzu unbescheiden klingen. Denn keiner kann mehr überzeugt davon sein, daß dieses alles nur höchst unvollkommen erreicht worden ist, als ich selbst. Aber ich habe versucht, so zu gestalten, daß man fühlen konnte, wie die Bewegung des Wortes längs den Formen der Kapitale und Architrave naturgemäß dahinlief.

Ich möchte damit nur andeuten, was man für einen solchen Bau versuchen kann: daß seine Formen das darin Dargestellte nicht bloß äußerlich umschließen, sondern es in lebendiger Einheit in sich im unmittelbaren Eindrucke enthalten.

Und würde ich damit nur meine Meinung aussprechen: ich hielte sie doch zurück. Aber ich habe das Gesagte von Andern gehört.

Ich weiß ja auch, daß ich die Formen des Baues aus der Seelenverfassung heraus empfindend gestaltet habe, aus der mir auch die Eurythmiebilder kommen.

Daß die Formen der Eurythmie fortlaufend im Erleben dessen gestaltet wurden, was im Zustandekommen der Bauformen erlebt werden konnte, wird nicht als ein Widerspruch gegen das Gesagte empfunden werden können. Denn so ist das Zusammenstimmen beider nicht durch eine verstandesmäßige Absicht erstrebt worden, sondern durch einen gleichgearteten künstlerischen Impuls entstanden. Wahrscheinlich hätte die Eurythmie nicht ohne die Arbeit am Bau gefunden werden können. Vor dem Baugedanken war sie nur in ihren ersten Anfängen vorhanden.

Die Unterweisungen für die seelische Gestaltung der bewegten Sprachformen wurde den Schülern zuerst in dem Saal gegeben, der in den Südflügel des Goetheanums eingebaut war. Die Innenarchitektur besonders dieses Saales sollte eine ruhende Eurythmie sein, wie die eurythmischen Bewegungen darinnen bewegte plastische Formen, aus dem gleichen Geiste gestaltet wie diese ruhenden Formen selbst.

In diesem Saale wurde am 31. Dezember zuerst der Rauch entdeckt, welcher von dem Feuerkeim herrührte, der in seinem Erwachsen das ganze Goetheanum zerstörte. Man fühlt, wenn man mit dem Bau in Liebe verbunden war, die unbarmherzigen Flammen schmerzend durch die Empfindungen dringen, die in die ruhenden Formen und in die darin versuchte Arbeit sich ergossen haben.

V

Gegen die Stilformen des Goetheanums kann selbstverständlich manches eingewendet werden. Ich habe sie stets als einen ersten Versuch bezeichnet, etwas Künstlerisches in der Richtung zu unternehmen, die in den vorangehenden Ausführungen charakterisiert worden ist.

Wer gar keinen Übergang von der erkenntnismäßigen Darstellung des Weltenwesens und der Weltenvorgänge durch Ideen in die bildmäßig künstlerische Verkörperung gelten lassen will, der muß diese Stilformen ablehnen. Aber worauf beruht es denn schließlich, daß man durch die Erkenntnis in der Seele etwas von den Weltinhalten in sich vergegenwärtigen will ? Doch nur darauf, daß man im Erleben der Erkenntnisideen etwas gewahr wird, in dem man die äußere Welt in sich fortwirkend weiß. Die Welt spricht in der Menschenseele durch die Erkenntnis. Wer nur meint: er habe sich seine Ideen über die Welt gemacht, wer nicht die Welt in sich pulsieren fühlt, wenn er in Ideen lebt, der sollte nicht von Erkenntnis sprechen. Die Seele ist der Schauplatz, auf dem die Welt ihre Geheimnisse enthüllt.

Wer aber wirklichkeitsgemäß so von der Erkenntnis denkt, der muß zuletzt zu der Anschauung kommen, daß sein Denken in künstlerisches Gestalten übergehen muß, wenn er den Weltinhalt auf gewissen Gebieten in sich erleben will. Man kann sich vor einer solchen Anschauung verschließen. Man kann die Forderung aufstellen, Wissenschaft müsse sich von einer künstlerischen Verbildlichung fernhalten und bloß in den Ideengestaltungen aussprechen, die von den logischen Gesetzen gefordert werden. Aber eine solche Forderung wäre bloße subjektive Willkür, wenn das schöpferische Naturverfahren sich so darstellte, daß es in gewissen Gebieten nur als Künstlerisches erfaßt werden könnte. Wenn die Natur als Künstlerin verfährt, so muß der Mensch, um sie auszudrücken, zu künstlerischen Formen greifen.

Es ist aber eben auch ein Erkenntniserlebnis, daß die Natur, um ihr in ihrem Schaffen zu folgen, die Überleitung der logisch geformten Ideen in künstlerische Bildgestalten fordert.

Man wird zum Beispiel den menschlichen Leibesbau bis zu einem gewissen Punkte durch logisches Denken zum Ausdrucke bringen können. Aber von diesem Punkte an wird man das Erfassen in künstlerische Gestaltungen eintreten lassen müssen, wenn man nicht einen Schemen, eine Art Gespenst vom Menschen, sondern diesen in seiner lebendigen Wirklichkeit haben will. Und man wird fühlen können, daß in der Seele, indem sie in sich die Leibesform künstlerisch-bildhaft erlebt, ebenso die Weltwirklichkeit sich offenbart wie in den logisch geformten Ideen.

Ich war der Meinung, Goethes Weltansicht richtig darzustellen, als ich Ende der achtziger Jahre sein Verhältnis zu Kunst und Wissenschaft so darstellte: « Unsere Zeit glaubt das Richtige zu treffen, wenn sie Kunst und Wissenschaft möglichst weit auseinanderhält. Sie sollen zwei vollkommen entgegengesetzte Pole in der Kulturentwickelung der Menschheit sein. Die Wissenschaft soll uns - so denkt man - ein möglichst objektives Weltbild entwerfen, sie soll uns die Wirklichkeit im Spiegel zeigen oder mit andern Worten: sie soll mit Entäußerung aller subjektiven Willkür sich rein an das Gegebene halten. Für ihre Gesetze ist die objektive Welt maßgebend, ihr hat sie sich zu unterwerfen. Sie soll den Maßstab des Wahren und Falschen ganz und gar aus den Objekten der Erfahrung nehmen. - Ganz anders soll es bei den Schöpfungen der Kunst sein. Ihnen wird von der selbstschöpferischen Kraft des menschlichen Geistes das Gesetz gegeben. Für die Wissenschaft wäre jedes Einmischen der menschlichen Subjektivität Verfälschung der Wirklichkeit, Überschreitung der Erfahrung; die Kunst dagegen wächst auf dem Felde genialischer Subjektivität. Ihre Schöpfungen sind Gebilde der menschlichen Einbildungskraft, nicht Spiegelbilder der Außenwelt. Außer uns, im objektiven Sein liegt der Ursprung wissenschaftlicher Gesetze; in uns, in unserer Individualität der der ästhetischen. Daher haben die letzteren nicht den geringsten Erkenntniswert, sie erzeugen Illusionen ohne den geringsten Wirklichkeitsfaktor. - Wer die Sache so faßt, wird nie Klarheit darüber gewinnen, welches Verhältnis Goethesche Dichtung zu Goethescher Wissenschaft hat. Dadurch wird aber beides mißverstanden. Die welthistorische Bedeutung Goethes liegt ja gerade darinnen, daß seine Kunst aus dem Urquell des Seins fließt, daß sie nichts Illusorisches, nichts Subjektives an sich trägt, sondern als die Künderin jener Gesetzlichkeit erscheint, die der Dichter in den Tiefen des Naturwirkens dem Weltgeiste abgelauscht hat. Auf dieser Stufe wird die Kunst die Interpretin der Weltgeheimnisse, wie es die Wissenschaft in anderem Sinne ist. - So hat Goethe auch stets die Kunst aufgefaßt. Sie war ihm eine Offenbarung des Urgesetzes der Welt, die Wissenschaft war ihm die andere. Für ihn entsprangen Kunst und Wissenschaft aus einer Quelle. Während der Forscher untertaucht in die Tiefen der Wirklichkeit, um die treibenden Kräfte derselben in Form von Gedanken auszusprechen, sucht der Künstler dieselben treibenden Gewalten seinem Stoffe einzubilden. Goethe selbst spricht das so aus: «Ich denke, Wissenschaft könnte man die Kenntnis des Allgemeinen nennen, das abgezogene Wissen; Kunst dagegen wäre Wissenschaft zur Tat verwendet. Wissenschaft wäre Vernunft und Kunst ihr Mechanismus, deshalb man sie auch praktische Wissenschaft nennen könnte. Und so wäre denn endlich Wissenschaft das Theorem, Kunst das Problem.» Und ein Ähnliches spricht Goethe mit den Worten aus: «Der Stil ruht auf den tiefsten Grundfesten der Erkenntnis, auf dem Wesen der Dinge, insofern uns erlaubt ist, es in sichtbaren und greif liehen Gestalten zu erkennen.)) (Vergleiche meine Einleitung zu Goethes naturwissenschaftlichen Schriften, die als selbständiges Buch demnächst im Stuttgarter Kommenden Tag-Verlag erscheinen wird.)

Was ich damals meinte: daß Goethe recht hat, wenn er so das Verhältnis von Kunst zur Wissenschaft denkt, das erscheint mir auch heute als das rechte. Deshalb durfte am Goetheanum das in Kunstform dargestellt werden, was in seinem Räume in Erkenntnisform ausgedrückt wurde.

Anthroposophie hat zu ihrer Darstellung den übersinnlichen Inhalt der Welt, so weit er der menschlichen Anschauung zugänglich ist. Man fühlt, daß jeder Ausdruck dieses Gehaltes durch logisch geformte Ideen nur eine Art Gedanken-Geberde ist, die auf diesen Inhalt hindeutet. Und die künstlerische Gestalt erscheint wie die andere Geberde, durch die die geistige Welt auf die Gedanken-Geberde antwortet; oder wohl auch umgekehrt, die Welt offenbart die Idee als Antwort, wenn man sie durch das künstlerische Bild fragt.

Die Stilformen des Goetheanums konnten deshalb nicht naturalistische Nachahmungen irgendeines äußerlich gegebenen Leblosen oder Lebendigen sein. Das Erleben des Geschehens in der geistigen Welt mußte die Hand führen, welche das Plastische formte, welche die Farbe auf die Fläche setzte. Man mußte den Geistgehalt der Welt in die Linienform sich ergießen, sich in der Farbe offenbaren lassen.

Mag deshalb noch so viel gegen diese Stilformen des Goetheanums eingewendet werden; der Versuch, der gemacht wurde, war doch der, im Sinne Goethescher Intentionen einem Erkenntnisstreben ein künstlerisches Heim zu schaffen, das aus demselben Geistquell war wie die darin gepflegte Erkenntnis selbst. Der Versuch mag unvollkommen gelungen gewesen sein; er war als solcher da: und das Goetheanum ist im Sinne Goethescher Kunstanschauung gebaut worden.

So lernte man das Goetheanum als die Heimstätte der Anthroposophie fühlen; so fühlt man sich aber auch, nach dem Unglücke vom 31. Dezember, nach der einen Seite hin, mit der Anthroposophie obdachlos geworden. Teilnehmende Besucher fanden sich am 1. Januar bei der Brandstätte ein, die sagten : wir wollen, was in diesem Bau uns lebte, im Herzen unsichtbar bewahren.

VI

Das Goetheanum hat nur neun größere Veranstaltungen erlebt. Im September und Oktober 1920 fanden durch drei Wochen Vortragsreihen über die verschiedensten wissenschaftlichen Gebiete statt. Die Anregung dazu wurde aus dem Kreise der in der Anthroposophischen Gesellschaft arbeitenden Wissenschafter gegeben. In deren Händen lag auch die ganze Einrichtung der Vortragszyklen. Lehrer der Freien Waldorfschule und andere in einzelnen Wissenschaften durchgebildete Persönlichkeiten - und auch Künstler - wirkten mit. Die Idee, die dieser Veranstaltung zugrunde lag, war, zu zeigen, in welcher Art die einzelnen wissenschaftlichen Gebiete von der anthroposophischen Forschungsart aus beleuchtet werden können.

Mir fiel damals, als ich diese Zyklen miterlebte, auf, daß nicht alles sich so ausnahm wie ein aus dem Goetheanumgeiste heraus Geborenes. Wenn aus dem Geiste der anthroposophischen Gesamtvorstellungen, bei Beleuchtung einzelner Natur- oder Geschichtserkenntnisse, aus diesem Geiste heraus gesprochen wurde, so fühlte man Harmonie zwischen Bau und Erkenntnisdarstellung. Wenn Einzelfragen behandelt wurden, so war das nicht der Fall.

Ich mußte daran denken, wie während des Bauens die anthroposophische Arbeit über das Stadium hinausgewachsen war, in dem sie sich befand, als man zu bauen begonnen hatte. 1913 war der Gedanke derjenigen Persönlichkeiten, die den Bau beschlossen hatten, den anthroposophischen Arbeiten im engern Sinn und denjenigen künstlerischen Darbietungen, die aus der anthroposophischen Empfindungsart herausgewachsen waren, eine Stätte zu errichten. In die anthroposophische Erkenntnisarbeit fielen damals die wissenschaftlichen Einzelgebiete nur insofern, als sie sich naturgemäß in die umfassenderen Darstellungen der geisteswissenschaftlichen Betrachtung eingliederten.

Für dieses als den geistigen Inhalt war sachgemäß der Bau als das künstlerische Gefäß gedacht. Dieses Verhältnis war bei

der Gestaltung des Baues zugrunde gelegt worden. Es durfte so sein. Denn darauf kam es an, künstlerisch auszusprechen, wie Anthroposophie in das menschliche Gesamtleben hineingestellt werden soll. Kam später die Bearbeitung einzelner wissenschaftlicher Gebiete in Frage, so sollte dies in abgesonderten Zubauten geschehen.

Bei einem Wiederaufbau eines Goetheanums muß wohl anders gedacht werden. Die Errichtung einer Zentralstätte für das Anthroposophische im engern Sinne lag nahe, weil es der Wille der Persönlichkeiten, die sich für den Bau einsetzten, war, diese Stätte aus Holz aufzuführen. In diesem Materiale läßt sich eine solche Zentralstätte künstlerisch durchempfinden. Für die Zubauten wäre dann ein anderes Material in Betracht gekommen. - An einen zweiten Holzbau ist ja nicht zu denken. Ich habe, bevor das Goetheanum in Angriff genommen worden ist, den maßgebenden Persönlichkeiten nach meinen Einsichten gesagt, was für künstlerische Empfindungen für Holz, was für ein anderes Material in Betracht kämen. Man entschied sich für Holz, weil man damals auf dem Standpunkt stand, so idealistisch als möglich vorzugehen. Dieser Idealismus hat die schöne Frucht gezeitigt, daß verständnisvolle Seelen wenigstens kurze Zeit ein Heim der Anthroposophie vor Augen gehabt haben, das in diesem Schwung der Linien, in dieser Ausdrucksfähigkeit der Formen ihnen in einem anderen Materiale nicht hätte hergestellt werden können. Diese Frucht ist heute eine tragische Erinnerung. Für den Schmerz über den Verlust fehlen die Worte. Dem Idealismus derer, die mir den Auftrag gaben, in Holz zu bauen, muß deshalb doch alle mögliche Anerkennung zuteil werden.

Der Bau ist gerade durch das Fehlen der gekennzeichneten Harmonie bei der ersten Veranstaltung eng mit dem Schicksal der anthroposophischen Entwickelung in den letzten Jahren verbunden. Die erste Vortragsreihe als Ganzes offenbart sich als etwas, das nicht ganz organisch aus derselben Idee herausgewachsen war wie der Bau selbst. Sie war wie etwas in den rein anthroposophischen Bau Hineingetragenes. - In der äußeren Wirklichkeit des menschlichen Zusammenlebens gehen eben die Dinge nicht immer den aus dem Innern eines geistigen Zusammenhanges geforderten Gang. Anthroposophie ist durchaus daraufhin veranlagt, ihre Entwickelungstendenzen bis dahin auszudehnen, wo diese auch in die speziellsten Erkenntnisgebiete einmünden. Allein so ist es in der Anthroposophischen Gesellschaft nicht gekommen. Es ist ein anderer Weg genommen worden. Wissenschaftlich gebildete Persönlichkeiten sind Mitglieder der Gesellschaft geworden. Die Wissenschaft war ihr Lebensweg und ihre Erziehungssache. Die Anthroposophie ist ihnen Herzenssache geworden. Sie haben sich von ihr für ihre Wissenschaft anregen lassen. So haben wir wissenschaftliche Ausführungen von anthroposophisch denkenden Persönlichkeiten bekommen, bevor die einzelnen Erkenntnisgebiete aus der Anthroposophie selbst heraus geboren worden sind. Manches wurde dadurch zustande gebracht, daß, als sich das Bedürfnis regte, über die verschiedensten Wissensgebiete Vortragszyklen aus anthroposophischem Geiste heraus vor engeren Kreisen gehalten wurden. Was dadurch entstanden ist, soll hier nicht als etwas hingestellt werden, was voreilig oder dergleichen war. Aber wie zum Beispiel auf pädagogischem Gebiet die Erziehungsmethoden in gerader Linie aus der Anthroposophie hervorgegangen sind, wie es auf künstlerischem Gebiete durch die Eurhythmie geschieht, so ist es auf anderen Gebieten der Anthroposophischen Gesellschaft vom Schicksal nicht bestimmt gewesen. Man forderte von der Anthroposophie auf gewissen Gebieten aus einer gut gesehenen zeitgemäßen Notwendigkeit heraus einen schnelleren Gang. Der bedingt, daß wissenschaftliche Einzelgebiete, die schon bearbeitet werden, und anthroposophische Entwickelung erst in einander wachsen müssen.

Das drückte sich auch in der geschilderten Disharmonie der ersten Veranstaltung 1920 aus. Kommt ein Wiederaufbau zustande, so wird er - in einem andern Materiale - Einzelsäle - zum Beispiel in einem ersten Stockwerk - für wissenschaftliche Veranstaltungen und künstlerische Wirksamkeit enthalten können und dabei den Raum für das Anthroposophische im engern Sinne. Ein solcher Bau wird dann auf der einen Seite seinem Materiale, auf der andern der Entwickelung entsprechen, welche die anthroposophischen Bestrebungen in den letzten Jahren genommen haben.

Die Disharmonie war nur ein Ausdruck für das Bestreben, der Anthroposophie im engern Sinne ein Heim zu schaffen, das ihrem Entwickelungsstadium bis zum Jahre 1918 künstlerisch angemessen war. Vielleicht darf ich dieses anführen als Beweis dafür, wie Anthroposophie als Geistesinhalt und deren Heimstätte als künstlerische Einheit bei der Ausarbeitung der letztern empfunden worden ist.

Aber in einer merkwürdigen Harmonie mit diesem Baugedanken des Goetheanums empfinde ich heute, was sich damals in mir sträubte, das Goetheanum selbst festlich zu eröffnen, als in ihm die erste Veranstaltung eingerichtet wurde. Es konnte eben das Programm jener Vortragsreihe nicht zum Anlaß eines solchen Festes genommen werden. Das sollte erst dann stattfinden, wenn einmal eine Veranstaltung möglich geworden wäre, deren Ganzes mit der ursprünglichen Bauidee vollkommen im Einklang gestanden hätte. Es ist nicht dazu gekommen. Das Goetheanum ist vorher hinweggestorben. In den Herzen derer, die es geliebt haben, ist eine dauernde Trauerfeier geworden.

Über die weiteren Veranstaltungen, die noch in dem lieben Bau stattfinden konnten, soll im nächsten Aufsatz gesprochen werden.

VII

Wenn nun auch die Eröffnungsfeier, die Baugedanke und Veranstaltung des Goetheanums in vollem Einklänge geoffenbart hätte, uns nicht möglich geworden ist, so konnten doch im Verlaufe von mehr als zwei Jahren nach den verschiedenen Seiten hin Versuche gemacht werden, die anthroposophische Geistesart zur Wirksamkeit zu bringen.

Dem ersten dreiwöchigen Vortragszyklus folgte im April 1921 ein zweiter einwöchiger. Gerade bei dieser Gelegenheit sollte gezeigt werden, wie die einzelnen menschlichen Wissensgebiete eine wesentliche Erweiterung erfahren können, wenn ihre Forschungswege in das geistige Gebiet hinein fortgesetzt werden.

Mir gewährte es bei diesem Anlasse eine besondere Befriedigung, durch meine eigenen Vorträge auf eine solch mögliche Erweiterung für eine Anzahl Wissensgebiete hinweisen zu können.

Bei diesen Veranstaltungen fiel mir auch immer die Aufgabe zu, die Besucher im Bau herumzuführen und dabei von dem Künstlerischen des Goetheanums zu sprechen. Auf der einen Seite widerstrebte es mir, theoretisch über Künstlerisches etwas zu sagen. Denn Kunst will angeschaut werden. Aber diese Führungen hatten noch eine andere Seite. Man konnte es vermeiden, in unkünstlerischer Weise Kunst «erklären» zu wollen. Das tat ich denn auch, so weit es mir von denen, die sich den Bau ansahen, gestattet schien. Aber es bot sich in Anknüpfung an die zu sehenden Formen und Bilder reichlich Gelegenheit, in freier fragmentarisch-aphoristischer Darstellung über Anthroposophisches zu sprechen. Und die Vorträge konnten dann mit dem, was bei der Führung gesprochen wurde, zu einem Ganzen verwoben werden. Dann fühlte man ganz intim, wie gut das anthroposophisch orientierte Wort geborgen war, wenn es an einer Säule, oder unter einem Bilde gesprochen wurde, die aus demselben Geiste stammten wie das Wort selbst.

Veranstaltungen dieser Art schlossen immer Eurythmiedarbietungen in sich. Man wurde bei ihnen gewahr, wie der Bau forderte, daß Erkenntnismäßiges, das in ihm vorgebracht wurde, durch Künstlerisches zu einem Ganzen gestaltet werden mußte. Der Innenraum des Goetheanums schien einen nicht durch Künstlerisches abgerundeten Vortragszyklus nicht zu dulden. Ich glaube, man empfand es wie eine Notwendigkeit, wenn Frau Marie Steiner von dem Orgelraum herab ihre Rezitations- und Deklamationskunst in die Vortragsveranstaltungen einfügte.

Wir haben ja auch die Freude gehabt, wiederholt Frau Werbeck-Svärdström von diesem Orgelraum herab, einmal mit ihren drei Schwestern zusammen, ihre herrliche Kunst entfalten zu hören. Den Teilnehmern wird, was sie da hören durften, gewiß unvergeßlich sein.

Mir persönlich machte es auch immer die allergrößte Freude, Albert Steffen vom Vortragspodium des Goetheanums herab zu hören. Was er sagt, will ja immer in plastischen Formen empfunden werden. Er ist wie ein Bildhauer der Sprache; und zwar ein Bildhauer, der in Holz schnitzt. Ich nahm eine Harmonie wahr zwischen den Bauformen und seinen Sprachplastiken, die er zugleich bedächtig und sicher in den Bau hineinstellte.

Im August 1921 durften wir eine Veranstaltung haben, die dem englischen Maler Baron von Rosenkrantz zu verdanken war. Man fühlte sich mit dieser Veranstaltung in dem Bau besonders heimisch. Es trat dabei das Band vor das Seelenauge, das geisterstrebende Wissenschaft und geistoffenbarende Kunst verbindet. Daß gerade bei diesem Anlasse die Aufmerksamkeit auf das gelenkt wurde, wofür der Bau ein Versuch sein wollte, ist begreiflich.

Ende September und Anfang Oktober versammelten sich im Goetheanum eine Anzahl deutscher Theologen, die den Impuls zu einer christlich-religiösen Erneuerung in sich trugen. Was hier erarbeitet wurde, fand einen Abschluß im September 1922. Ich selbst muß, was ich mit diesen Theologen in dem kleinen Saale des Südflügels, in dem später der Brand zuerst entdeckt worden ist, im September 1922 erlebt habe, zu den Festen meines Lebens rechnen. Hier konnte mit einer Reihe edelbegeisterter Menschen der Weg gegangen werden, der Geist-Erkenntnis in das religiöse Erleben hineinführt.

Ende Dezember und Anfang Januar von 1921 auf 1922 fand sich im Goetheanum ein Kreis englischer Pädagogen ein. Daß dies sein konnte, verdankt man den aufopfernden Bemühungen von Frau Prof. M. Mackenzie. Sie und Prof. Mackenzie nahmen an dem Kursus teil, den Baron von Rosenkrantz im August veranstaltet hatte. Die bedeutende englische Pädagogin faßte bei diesem Anlasse den Entschluß, englische Lehrer und Lehrerinnen für die Weihnachtsferien zu einem Besuche des Goetheanums einzuladen. Mit einer Anzahl von Lehrkräften der Stuttgarter Waldorfschule zusammen durfte ich damals über Pädagogik, Erziehungs- und Unterrichtspraxis wieder in dem Saal des Südflügels sprechen. Den englischen Pädagogen hatten sich auch andere, aus Skandinavien, der Schweiz, Holland, Deutschland und so weiter zugesellt.

Im September 1922 durfte ich zehn Vorträge über « Kosmologie, Philosophie und Religion vom Gesichtspunkte der Anthroposophie» halten. Wieder rundeten den Zyklus meiner Vorträge Lehrkräfte der Waldorfschule und andere in der anthroposophischen Bewegung stehende Persönlichkeiten durch ihre Vorträge und die Diskussionen, die sie mit den Teilnehmern pflegten, ab. Ich ging zu jedem meiner Vorträge hin und von ihnen weg mit einem innigen Dankbarkeitsgefühle gegenüber denjenigen, welche den Bau des Goetheanums veranlaßt haben. Denn gerade bei diesen Vorträgen, in denen ich ein weites Gebiet der Erkenntnis vom anthroposophischen Gesichtspunkte zu umfassen hatte, mußte ich das Wohltuende tief empfinden, Ideen aussprechen zu dürfen, die sich in dem Bau eine künstlerische Umrahmung haben schaffen dürfen.

Veranstaltungen wie der «Dramatische Kurs», den Marie Steiner im Juli 1922 gab und ein Nationalökonomischer Kursus, den ich selbst im Juli und August 1922 abgehalten habe, fanden zwar nicht innerhalb der Räume statt, die uns das Unglück der Sylvesternacht genommen hat. Sie gehören aber in den Kreis dessen, wozu das Goetheanum die Anregung gegeben hat.

Eurythmiedarstellungen fanden seit längerer Zeit fortlaufend im Goetheanum statt. Ihren engen Zusammenschluß mit dem Wesen des Baues habe ich in einem früheren Artikel zu schildern versucht.

Für Ende Dezember und Anfang Januar 1922 auf 1923 war ein naturwissenschaftlicher Zyklus von Vorträgen in Aussicht genommen. Wieder sollten mit mir zusammen Persönlichkeiten, die auf dem Felde der Anthroposophie arbeiten, Vorträge halten und Diskussionen veranstalten. Von mir wurden den Vorträgen über Naturerkenntnis andere über rein Anthroposophisches eingefügt. Nur der erste Teil dieser Veranstaltung konnte noch in dem Goetheanum stattfinden. Nach der Eurythmiedarbietung und meinem Vortrag am Sylvesterabend nahmen uns die Flammen den Bau, in dem wir so gern weitergewirkt hätten.

In einem Nebenraume mußten die Vorträge fortgesetzt werden, während draußen noch die Flammen die letzten Reste des von uns so geliebten Goetheanums verzehrten.

 

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