Timaios · Kritias · Sokrates · Hermokrates
Timaios: Wie froh bin ich, mein Sokrates,
daß ich nun, gleich als ob ich von einem langen Marsche ausruhte,
den Weg meiner Erörterung glücklich zurückgelegt habe! Zu dem
Gotte aber, der in der Tat schon lange vorher, in meiner
Beschreibung aber soeben entstanden ist, flehe ich, er möge von
dieser alles das, was das Richtige trifft, uns zum Heile gedeihen
lassen, wenn wir aber wider unsern Willen etwas Irriges über den
betreffenden Gegenstand vorgebracht haben, uns dafür die
gebührende Strafe auferlegen. Die rechte Strafe aber besteht
darin, daß er aus Irrenden uns zu Kundigen mache. Damit wir also
in Zukunft über die Entstehung der Götter die Wahrheit reden, so
flehen wir ihn an, er möge uns als Heilmittel, und zwar als das
vollkommenste und beste aller Heilmittel, die Erkenntnis
verleihen, und nachdem wir also den Gott angerufen, überlassen
wir unserer Übereinkunft gemäß dem Kritias die Fortsetzung.
Kritias: Wohl, mein Timaios, ich übernehme
sie. Doch was auch du zu Anfange getan hast, daß du nämlich
wegen der Schwierigkeit des zu behandelnden Gegenstandes dir
Nachsicht erbatest, eben das erbitte auch ich mir und wünsche
desselben in noch weit höherem Grade in bezug auf meine folgende
Auseinandersetzung teilhaftig zu werden. Ja, obgleich es mir nicht
so ganz entgeht, daß ich damit eine sehr anmaßende und mehr als
billig unziemliche Bitte tun werde, so muß ich sie dennoch
aussprechen. Denn daß deine Darlegung nicht vortrefflich gewesen
wäre, welcher Verständige dürfte das zu behaupten wagen! Um so
mehr aber muß ich es irgendwie dartun, daß die Erfüllung der
von mir übernommenen Aufgabe größere Schwierigkeiten darbietet
und daher auch größerer Nachsicht bedarf. Nämlich, lieber
Timaios, es ist leichter zu genügen, wenn man über die Götter
vor den Menschen, als wenn man über die Sterblichen vor uns
spricht. Denn wenn man über dasjenige reden soll, worin die
Zuhörer unerfahren, ja gänzlich unwissend sind, so gewährt eben
dieser ihr Zustand hierfür eine große Erleichterung. Wie wir uns
nun in dieser Beziehung in betreff der Götter verhalten, wißt
ihr selbst; damit ich euch aber noch deutlicher machen kann, wie
ich es meine, so bitte ich euch, meiner Erörterung hierüber zu
folgen.
Als eine Nachahmung und Abbildung muß man
nämlich doch wohl die einem jeden von uns aufgetragene
Auseinandersetzung bezeichnen. Betrachten wir nun aber einmal, mit
welcher Leichtigkeit oder Schwierigkeit die Maler bei ihren
Nachbildungen von Götter- und andererseits von Menschenkörpern
es erreichen, daß sie den Beschauern diese hinlänglich ähnlich
dargestellt zu haben scheinen, und wir werden sehen, daß, wenn
einer die Erde und ihre Berge, Flüsse und Wälder und das ganze
Weltgebäude mit allem, was sich innerhalb seines Umkreises
befindet und bewegt, auch nur einigermaßen der Ähnlichkeit
entsprechend darzustellen imstande ist, wir zunächst hiermit
schon zufrieden sind, und daß wir überdies noch, da wir doch
über jene Dinge selbst keine genauen Kenntnisse haben, auch die
Zeichnungen nicht näher untersuchen und prüfen, vielmehr uns bei
ihnen eine ungenaue und auf Täuschung berechnete
Perspektivmalerei gefallen lassen, daß dagegen, wenn jemand
unsere Körper abzumalen versucht, wir infolge unserer
natürlichen, oft wiederholten Beobachtung derselben genau darauf
merken, ob irgend etwas mangelt, und strenge Richter sind, wenn
wir nicht alle Ähnlichkeiten in allen Stücken wiedergegeben
sehen. Eben dasselbe wird sich daher auch bei der mündlichen
Darstellung wahrnehmen lassen, daß wir nämlich hinsichtlich der
himmlischen und göttlichen Dinge mit einer auch nur annähernden
Wahrscheinlichkeit derselben zufrieden sind, hinsichtlich des
Sterblichen und Menschlichen aber eine genaue Prüfung mit ihr
anstellen. Deshalb müßt ihr rücksichtlich dessen, was ich
nunmehr ohne weitere Vorbereitung schildern werde, Nachsicht mit
mir haben, wenn ich nicht ganz das Geziemende wiederzugeben
imstande sein werde; denn ihr müßt erwägen, daß es nicht
leicht, sondern schwierig ist, menschliche Verhältnisse so
abzuschildern, daß man der Erwartung entspricht. Um euch nun
hierauf aufmerksam zu machen und mir nicht weniger, sondern mehr
Nachsicht für das von mir zu Erörternde zu erbitten, habe ich
dies alles angeführt, mein Sokrates. Wenn ich euch also mit Recht
diese Gabe zu erbitten scheine, so gewährt sie mir aus freiem
Antriebe!
Sokrates: Warum sollten wir sie dir nicht
gewähren, mein Kritias? Und ebenso mag das gleiche auch dem
Hermokrates als dem Dritten von uns gewährt werden. Denn es
läßt sich voraussehen, daß er gleich hernach, wenn er sprechen
soll, sich dieselbe Gunst, wie ihr, erbitten wird. Damit er also
einen anderen Anfang ausfindig mache und nicht sich gezwungen
sehe, eben denselben vorzubringen, so mag er reden wie einer, der
dieser Nachsicht bereits zuvor versichert ist. Ich eröffne dir
jedoch, lieber Kritias, im voraus die Ansicht deiner
Zuhörerschaft, daß die Dichtung deines Vorgängers einen so
außerordentlichen Ruhm bei ihr eingelegt hat, daß die Nachsicht
dir in der Tat in vollem Maße nötig sein wird, damit du ihre
Fortsetzung zu übernehmen imstande seiest.
Hermokrates: Damit kündigst du denn auch
mir das gleiche an, mein Sokrates, wie dem Kritias. Indessen
mutlose Männer haben noch nie ein Siegeszeichen errichtet, lieber
Kritias, und so ziemt es dir denn, mutig zur Sache zu schreiten
und nach Anrufung des Paian und der Musen die Vortrefflichkeit der
alten Staatsbürger darzutun und zu verherrlichen.
Kritias: Mein lieber Hermokrates, du bist
noch guten Mutes, weil erst hinterher die Reihe an dich kommt und
du noch einen andern zum Vordermann hast. Wie es daher in Wahrheit
mit diesem deinem Mute bestellt ist, wird schon die Sache selber
dich lehren; wie dem aber auch sein mag, so ziemt es sich doch,
deinem Zuspruch und deiner Ermunterung Folge zu leisten und neben
den genannten Göttern auch alle anderen anzurufen, vor allen aber
die Mnemosyne. Ruht doch der Haupterfolg meiner Rede ganz in der
Macht dieser Göttin; denn wenn ich nur hinlänglich mich dessen
zu erinnern und es hiernach zu berichten weiß, was einst von den
Priestern dem Solon mitgeteilt und von ihm hierher mitgebracht
wurde, so glaube ich zu wissen, daß ich meiner Zuhörerschaft
hier meine Aufgabe so ziemlich werde gelöst zu haben scheinen. So
mag es denn nun geschehen, und ich will nicht länger mehr
zaudern.
Vor allem nun wollen wir uns zunächst das ins
Gedächtnis zurückrufen, daß es im ganzen neuntausend Jahre her
sind, seitdem, wie angegeben worden, der Krieg zwischen denen,
welche jenseits der Säulen des Herakles, und allen denen, welche
innerhalb derselben wohnten, entstand, welchen ich jetzt
vollständig zu erzählen habe. Nun wurde schon angeführt, daß
an der Spitze der letzteren unsere Stadt stand und den ganzen
Krieg zu Ende führte, während über die ersteren die Könige der
Insel Atlantis herrschten, welche, wie ich bemerkt habe, einst
größer war als Libyen und Asien zusammen, jetzt aber durch
Erderschütterungen untergegangen ist und dabei einen
undurchdringlichen Schlamm zurückgelassen hat, welcher sich
denen, die in das jenseitige Meer hinausschiffen wollen, als
Hindernis ihres weiteren Vordringens entgegenstellt. Ein Bild nun
der vielen übrigen ungriechischen Völker und sämtlicher
Hellenenstämme, welche es damals gab, wird der Verfolg unserer
Erzählung im einzelnen, wie es gerade die Gelegenheit mit sich
bringt, entrollen: dagegen die Verhältnisse der alten Athener und
ihrer Gegner, mit denen sie Krieg führten, das heißt die Macht
und die Staatseinrichtungen von beiden, ist es nötig sogleich
voraufzuschicken. Unter ihnen selber aber verdient die Schilderung
der hiesigen Zustände den Vorrang.
Die Götter nämlich verteilten einst die ganze
Erde nach ihren einzelnen Gegenden unter sich, und zwar ohne
Streit, denn es würde keinen vernünftigen Sinn haben,
anzunehmen, daß die Götter nicht gewußt haben sollten, was
einem jeden von ihnen zukäme, oder aber, daß einige von ihnen
das, was sie vielmehr als anderen zustehend erkannt, dennoch
diesen abzustreiten und in ihren eigenen Besitz zu bringen
versucht hätten. Durch rechtlich bestimmte Verteilung also
erhielten sie, was ihnen lieb war, und wählten hiernach ihre
Wohnsitze, und nachdem dies geschehen war, so zogen sie uns als
ihre Besitztümer und Pfleglinge auf wie die Hirten ihre Herden,
nicht so jedoch, daß sie mit körperlicher Gewalt unsere Körper
lenkten, wie die Hirten ihr Vieh mit Schlägen, sondern sie
führten und leiteten das ganze Menschengeschlecht, als das
lenksamste aller lebendigen Wesen, gleichsam nur wie mit einem
Steuerruder vom Schiffshinterteile aus, indem sie sich vermöge
ihrer höheren Einsicht durch Überredung der Seelen
bemächtigten. So nahmen denn nun, was andere Gegenden anlangt,
andere Götter diese in Besitz und statteten sie aus; Hephaistos
aber und Athene hatten, so wie sie von Natur zusammengehören,
teils als Geschwister von väterlicher Seite her, teils wegen
ihrer gleichen Liebe zur Wissenschaft und Kunst, so auch beide
unser Land zum gemeinsamen Eigentume empfangen, weil dieses von
Natur eine ihnen verwandte und angemessene Tüchtigkeit und
Einsicht hervorzubringen geeignet war, und sie pflanzten daher
wohlgeartete Männer als Eingeborene auf diesen Boden und legten
darauf in ihren Geist die Anordnung der Staatsverfassung. Von
diesen sind die Namen erhalten, ihre Taten aber wegen des
Unterganges derer, die sie von ihnen überkamen, und der Länge
der Zeit in Vergessenheit geraten. Denn das jedesmal
übrigbleibende Geschlecht pflegt, wie schon früher bemerkt
wurde, das auf den Bergen lebende und der Schrift unkundige zu
sein, welches bloß die Namen der Herrscher im Lande gehört hat
und dazu etwas Weniges von ihren Taten. Sie mußten sich daher
damit begnügen, ihren Nachkommen diese Namen zu überliefern; die
Tugenden und die Staatseinrichtungen ihrer Vorfahren aber kannten
sie nicht, es sei denn einige dunkle Gerüchte über Einzelnes,
und da sie überdies zusamt ihren Abkömmlingen viele Geschlechter
hindurch an dem Notwendigen Mangel litten und daher vielmehr auf
die Ausfüllung dieses Mangels ihren Sinn richten mußten, so
sprachen sie auch vielmehr hierüber mit einander und
vernachlässigten das einst bei ihren Vorfahren und vor alters
Geschehene. Denn die Erzählung alter Sagen und die Erforschung
der Vorzeit tritt erst mit der Muße in den Staaten ein, wenn sie
die Sorge um die Notdurft des Lebens bei manchen als eine schon
überwundene vorfindet, und nicht früher. Darum also sind uns die
Namen der Alten ohne ihre Taten erhalten geblieben. Dies aber
nehme ich daraus ab, weil Solon erzählte, die Priester hätten
über den damaligen Krieg dergestalt berichtet, daß sie jene
alten Athener meistens mit allen denjenigen Namen benannten -
nämlich mit dem des Kekrops, Erechtheus, Erichthonios,
Erysichthon und den meisten anderen -, wie ein jeder auch wirklich
von den Vorgängern des Theseus im Umlauf ist, und ebenso sei es
mit denen der Frauen gewesen. Und ebenso ist auch die Gestalt und
das Bild der Göttin - denn wie damals die Geschäfte des Krieges
Frauen und Männern gemeinsam waren, so sollen diesem Brauche
entsprechend die damaligen Athener die gewappnete Göttin als
Tempelbild geweiht haben - ein Beweis dafür, daß alle lebendigen
Wesen, welche sich paarweise finden, weiblich und männlich, von
Natur imstande dazu sind, die beiden Geschlechtern zukommende
Tüchtigkeit auch beiderseits gemeinschaftlich in Ausübung zu
bringen.
Es wohnten nun damals in diesem Lande mit
einander die übrigen Klassen der Bürger, welche sich mit den
Gewerben und mit dem Gewinne von den Früchten der Erde
beschäftigten; das Geschlecht der Krieger aber, welches durch
gottbegeisterte Männer gleich im Anfang von ihnen ausgesondert
war, wohnte getrennt von ihnen, ausgerüstet mit allem, was zur
Erziehung und Bildung erforderlich ist, und keiner von ihnen hatte
ein ausschließliches Eigentum, sondern alle sahen das Eigentum
aller als ihnen gemeinsam an, so wie sie denn auch über den
erforderlichen Unterhalt hinaus irgend etwas von den übrigen
Bürgern anzunehmen verschmähten und überhaupt alle diejenigen
Bestrebungen wirklich verfolgten, welche gestern den bloß
vorausgesetzten Wächtern zugeschrieben wurden.
Aber auch was sodann in betreff unseres Landes
erzählt wurde, ist glaubwürdig und wahr: zuerst, daß sich
damals seine Grenzen bis an den Isthmos und gegen das übrige
Festland bis zu den Höhen des Kithairon und Parnes ausgedehnt,
und daß sich diese Grenzen dergestalt abwärts gezogen hätten,
daß sie das Gebiet von Oropos zur Rechten hatten, zur Linken aber
den Asopos vom Meere abgrenzten; sodann aber, daß an
Fruchtbarkeit die ganze Erde von unserem Lande übertroffen wurde,
weshalb es denn auch imstande gewesen wäre, ein großes Heer von
Einwohnern zu ernähren. Ein bedeutender Beweis aber für diese
Güte des Bodens ist der Umstand, daß auch sein gegenwärtiger
Überrest in Ergiebigkeit an jeglicher Frucht und an Nahrung für
jede Art lebender Wesen es noch mit allen anderen Ländern
aufnimmt; damals aber gar trug er dies alles in Schönheit und
reichlicher Fülle. Wie nun aber möchte dies noch näher als
glaubwürdig erscheinen, nämlich inwiefern dies gegenwärtige
Land mit Recht ein Überrest des damaligen heißen? Das Ganze, so
wie es vom übrigen Festlande ab sich langhin in das Meer
erstreckt, liegt da wie ein Vorgebirge; denn das Meeresbecken,
welches es umgibt, ist hart an seinen Gestaden überall von
großer Tiefe; und da nun viele bedeutende Überschwemmungen
während der neuntausend Jahre stattgefunden haben - denn so viele
sind ja deren seit jener Zeit bis auf die gegenwärtige
verstrichen -, so hat die Erde, welche während dieser Zeit und
unter diesen Einwirkungen von den Höhen herabgeflossen ist,
nicht, wie in anderen Gegenden, einen Damm, welcher der Rede wert
wäre, aufgeworfen, sondern ist jedesmal im Kreise herumgeflossen
und so in der Tiefe verschwunden. So sind denn, wie es auch bei
kleinen Inseln zu geschehen pflegt, im Vergleich zu dem damaligen
Lande in dem gegenwärtigen gleichsam wie von einem durch
Krankheit dahingeschwundenen Körper nur noch die Knochen
übriggeblieben, indem die Erde, soweit sie fett und weich war,
ringsherum abgeflossen und nur das magere Gerippe des Landes
zurückgelassen ist. Damals aber, als es noch unversehrt war,
waren seine Berge hoch und mit Erde bedeckt, und ebenso waren
seine Ebenen, welche jetzt als Steinboden bezeichnet werden, voll
fetter Erde; auch trug es vieles Gehölz auf den Bergen, von
welchem es auch jetzt noch deutliche Spuren gibt. Denn von den
Bergen bieten zwar einige jetzt nur noch den Bienen Nahrung dar;
es ist aber noch nicht gar lange Zeit her, als noch Dächer,
welche aus den Bäumen verfertigt waren, die man dort als
Sparrenholz für die größten Gebäude fällte, unversehrt
dastanden. Es gab aber auch noch viel andere hohe Bäume, und zwar
Fruchtbäume, und für die Herden brachte das Land unglaublich
reiche Weide hervor. Ferner genoß es einer jährlichen
Bewässerung von Zeus und verlor diese auch nicht wieder, wie
jetzt, wo sie von dem dünnen Fruchtboden ins Meer abfließt;
sondern wie es diesen damals reichlich besaß, so sog es auch den
Regen in ihn ein und bewahrte ihn in einer Umschließung von
Tonerde auf, indem es das eingesogene Wasser von den Höhen in die
Tiefen hinabfließen ließ, und bereitete so an allen Orten
reichhaltige Quellen und Flüsse, von denen auch noch jetzt da, wo
einst ihre Ursprünge waren, heilige Merkzeichen für die Wahrheit
meiner gegenwärtigen Erzählung über unser Land geblieben sind.
Also war nun das übrige Land von Natur
beschaffen und ward auch in gehöriger Weise angebaut von
Ackerleuten, die in Wahrheit diesen Namen verdienten und sich eben
nur hiermit beschäftigten und dabei pflichteifrig und von
tüchtigem Schlage waren, wie ihnen denn ja auch der schönste
Boden und Wasser in reicher Fülle und in der Luft die
trefflichste Mischung der Jahreszeiten zuteil geworden war. Die
Stadt aber war in der damaligen Zeit auf folgende Weise angelegt:
Die Burg zuvörderst befand sich damals in anderen Umgebungen als
jetzt. Denn jetzt hat eine besonders regnerische Nacht die Erde
ringsherum aufgelockert und von ihr weggespült, indem zugleich
Erdbeben und eine gewaltige Wasserflut, die dritte vor der
Zerstörung zu Deukalions Zeit, entstanden waren. Sodann zog sich
ihre Ausdehnung in früherer Zeit bis zum Eridanos und Ilissos
hinab, faßte die Pnyx in sich und hatte der Pnyx gegenüber den
Berg Lykabettos zur Grenze; auch war die ganze Höhe mit Erde
bedeckt und mit wenigen Ausnahmen eben auf ihrer Oberfläche. Es
wurde aber die Gegend außerhalb derselben, unmittelbar unter
ihren Abhängen, von den Handwerkern und denjenigen Landleuten,
welche den nahegelegenen Acker bebauten, bewohnt; die Höhe selbst
aber war um das Heiligtum der Athene und des Hephaistos herum von
dem Geschlecht der Krieger gesondert für sich in Besitz genommen,
indem sie dasselbe wie den Garten eines gemeinsamen Hauses mit
einer einzigen Mauer umgeben hatten. Sie bewohnten nämlich den
nördlichen Teil der Burg, wo sie mit gemeinschaftlichen Häusern
und Speisesälen für den Winter und überhaupt mit allem, was in
ihrem Gemeinwesen zur Einrichtung von Gebäuden für sie selbst
und die Priester erforderlich war, ausgerüstet waren, jedoch
nicht mit Gold und Silber, denn dessen bedienten sie sich niemals
in irgend welcher Art; und wie sie vielmehr überhaupt zwischen
Übermut und unfreiem Sinne die Mittelstraße verfolgten, so waren
auch ihre Wohnungen von mäßig guter Einrichtung, in denen sie
selbst und noch ihre Kindeskinder alt wurden, und wie das eine
Geschlecht stets dem anderen ähnlich war, so übergab es ihm
diese auch immer in dem gleichen Zustande. Was aber den südlichen
Teil der Burg anlangt, so gebrauchten sie ihn zu dem gleichen
Zwecke, wenn sie, wie dies im Sommer zu geschehen pflegte, ihre
besonders dazu eingerichteten Gärten, Übungsplätze und
Speisesäle verließen. Es gab ferner damals nur einen einzigen
Born an dem Punkte, wo jetzt die Burg steht, nach dessen Versiegen
infolge von Erdbeben noch die kleinen Wässerchen von ihm
übriggeblieben sind, welche sich rings um sie herumziehen; er
gewährte aber eine völlig zureichende Wassermenge für alle, die
damals lebten, und besaß im Winter wie im Sommer das richtige
Wärmeverhältnis. In dieser Weise also wohnten sie dort, als
Beschützer ihrer eignen Mitbürger sowie als frei gewählte
Führer aller andern Hellenen, und wachten nach Möglichkeit
dafür, daß die Zahl ihrer eigenen kriegstüchtigen Mitglieder -
an Männern und Weibern - für ewige Zeiten dieselbe bleibe,
welche auch damals bereits sich auf ungefähr zwanzigtausend
belief.
Da sie nun also von solcher Beschaffenheit
waren und etwa in der beschriebenen Weise ihren eigenen Staat
sowie ganz Griechenland mit Gerechtigkeit lenkten, so waren sie in
ganz Europa und Asien sowohl wegen ihrer Körperschönheit als
auch wegen ihrer mannigfachen geistigen Vorzüge angesehen, ja die
namhaftesten unter allen damals lebenden Völkern. Doch nun will
ich auch die Verhältnisse ans Licht stellen, wie sie bei ihren
Gegnern bestanden und wie sie sich von Anfang an bei diesen
entwickelten - wenn anders mich mein Gedächtnis nicht bei dem,
was ich bereits als Knabe gehört habe, im Stiche läßt -, um
auch euch, meinen Freunden, die Kunde hiervon mitzuteilen.
Indessen muß ich meinem Berichte noch die
Bemerkung unmittelbar voraufschicken, daß ihr euch nicht etwa
wundern möget, wenn ihr ungriechischen Männern griechische Namen
geben hört: denn ihr sollt den Grund davon erfahren. Da nämlich
Solon ja diese Erzählung zu einem Gedichte zu verwenden
bezweckte, so forschte er nach der Bedeutung der Namen, und da
fand er nun, daß jene alten Ägypter, welche sie zuerst
aufgezeichnet, sie in ihre eigene Sprache übersetzt hatten, und
so nahm er seinerseits gleichfalls wieder den Sinn jedes Namens
vor und schrieb ihn so nieder, wie er, in unsere Sprache
übertragen, lautete. Und diese Aufzeichnungen befanden sich denn
auch bei meinem Großvater, und ich besitze sie noch, und sie sind
von mir in meinen Knabenjahren sorgfältig durchgelesen worden.
Wenn ihr daher ebensolche Namen hört wie hierzulande, so laßt
euch das nicht wundernehmen, denn ihr wißt jetzt die Ursache
davon. Von der langen Erzählung lautete der Anfang nun damals
ungefähr folgendermaßen:
Wie schon im Obigen erzählt wurde, daß die
Götter die ganze Erde unter sich teils in größere, teils in
kleinere Teile verteilt und sich selber ihre Heiligtümer und
Opferstätten gegründet hätten, so fiel auch dem Poseidon die
Insel Atlantis zu, und er verpflanzte seine Sprößlinge, die er
mit einem sterblichen Weib erzeugt hatte, auf einen Ort der Insel
von ungefähr folgender Beschaffenheit: Ziemlich in der Mitte der
ganzen Insel, jedoch so, daß sie an das Meer stieß, lag eine
Ebene, welche von allen Ebenen die schönste und von ganz
vorzüglicher Güte des Bodens gewesen sein soll. Am Rande dieser
Ebene aber lag wiederum, und zwar etwa sechzig Stadien vom Meere
entfernt, ein nach allen Seiten niedriger Berg. Auf diesem nun
wohnte einer von den daselbst im Anfange aus der Erde
entsprossenen Männern, namens Euenor, zusamt seiner Gattin
Leukippe, und sie hatten eine einzige Tochter, Kleito, erzeugt.
Als nun dies Mädchen in das Alter der Mannbarkeit gekommen war,
starben ihr Mutter und Vater; Poseidon aber ward von Liebe zu ihr
ergriffen und verband sich mit ihr. Er trennte deshalb auch den
Hügel, auf welchem sie wohnte, rings herum durch eine starke
Umhegung ab, indem er mehrere kleinere und größere Ringe
abwechselnd von Wasser und von Erde um einander fügte, und zwar
ihrer zwei von Erde und drei von Wasser, und mitten aus der Insel
gleichsam herauszirkelte, so daß ein jeder in allen seinen Teilen
gleichmäßig von den anderen entfernt war; wodurch denn der
Hügel für Menschen unzugänglich ward, denn Schiffe und
Schiffahrt gab es damals noch nicht. Für seine Zwecke aber
stattete er die in der Mitte liegende Insel, wie es ihm als einem
Gotte nicht schwer ward, mit allem Nötigen aus, indem er zwei
Wassersprudel, den einen warm und den andern kalt, dergestalt,
daß sie aus einer gemeinsamen Quelle flossen, aus der Erde
emporsteigen und mannigfache und reichliche Frucht aus ihr
hervorgehen ließ. An männlicher Nachkommenschaft aber erzeugte
er fünf Zwillingspaare und zog sie auf, zerlegte sodann die ganze
Insel Atlantis in zehn Landgebiete und teilte von ihnen dem
Erstgeborenen des ältesten Paares den Wohnsitz seiner Mutter und
das umliegende Gebiet, als das größte und beste, zu und
bestellte ihn auch zum König über die anderen Söhne; aber auch
diese machte er zu Herrschern, indem er einem jeden die Herrschaft
über viele Menschen und vieles Land verlieh. Auch legte er allen
Namen bei, und zwar dem ältesten und Könige den, von welchem
auch die ganze Insel und das Meer, welches ja das Atlantische
heißt, ihre Benennungen empfingen; nämlich Atlas ward dieser
erste damals herrschende König geheißen. Dem nach ihm geborenen
Zwillingsbruder ferner, welcher den äußersten Teil der Insel,
von den Säulen des Herakles bis zu der Gegend, welche jetzt die
gadeirische heißt und von der damals so genannten diese
Bezeichnung empfangen hat, als seinen Anteil erhielt, gab er in
der Landessprache den Namen Gadeiros, welcher auf griechisch
Eumelos lauten würde und auch jene Benennung des Landes
hervorrufen sollte. Von dem zweiten Paare sodann nannte er den
einen Ampheres und den andern Euaimon, von dem dritten den
erstgeborenen Mnaseas und den folgenden Autochthon, von dem
vierten den ersten Elasippos und den zweiten Mestor, von dem
fünften endlich empfing der Frühgeborene den Namen Azaës und
der letztgeborene den Namen Diaprepes. Diese alle nun samt ihren
Abkömmlingen wohnten hier viele Geschlechter hindurch und
beherrschten auch noch viele andere Inseln des Meeres, überdies
aber, wie schon vorhin bemerkt wurde, auch noch die hier innerhalb
Wohnenden bis nach Ägypten und Tyrrhenien hin.
Vom Atlas nun stammte ein zahlreiches
Geschlecht, welches auch in seinen übrigen Gliedern hochgeehrt
war, namentlich aber dadurch, daß der jedesmalige König die
königliche Gewalt immer dem ältesten seiner Söhne
überlieferte, viele Geschlechter hindurch sich den Besitz dieser
Gewalt und damit eines Reichtums von solcher Fülle bewahrte, wie
er wohl weder zuvor in irgend einem Königreiche bestanden hat,
noch so leicht künftig wieder bestehen wird, und war mit allem
versehen, was in der Stadt und im übrigen Lande herbeizuschaffen
nötig war. Denn vieles ward diesen Königen von auswärtigen
Ländern her infolge ihrer Herrschaft über diese zugeführt; das
meiste aber bot die Insel selbst für die Bedürfnisse des Lebens
dar, zunächst alles, was durch den Bergbau gediegen oder in
schmelzbaren Erzen hervorgegraben wird, darunter auch die Gattung,
welche jetzt nur noch ein Name ist, damals aber mehr als dies war,
nämlich die des Goldkupfererzes, welches an vielen Stellen der
Insel aus der Erde gefördert und unter den damals lebenden
Menschen nächst dem Golde am höchsten geschätzt ward. Ferner
brachte sie alles, was der Wald zu den Arbeiten der Handwerker
darbietet, in reichem Maße hervor und nährte reichlich wilde und
zahme Tiere. Sogar die Gattung der Elefanten war auf ihr sehr
zahlreich; denn nicht bloß für die übrigen Tiere insgesamt,
welche in Sümpfen, Teichen und Flüssen, sowie für die, welche
auf den Bergen und welche in den Ebenen leben, war reichliches
Futter vorhanden, sondern in gleichem Maße auch selbst für diese
Tiergattung, die die größte und gefräßigste von allen ist. Was
überdem die Erde jetzt nur irgend an Wohlgerüchen nährt, sei es
von Wurzeln oder Gras oder Hölzern oder hervorquellenden Säften
oder Blumen oder Früchten, das alles trug und hegte die Insel
vielfältig; nicht minder die »milde Frucht« (den Wein) und die
trockene, deren wir zur Nahrung bedürfen (Getreide), und alle,
deren wir uns sonst zur Speise bedienen und deren Arten wir mit
dem gemeinsamen Namen der Gemüse bezeichnen; ferner die, welche
baumartig wächst und Trank und Speise und Salböl zugleich
liefert; ferner die schwer aufzubewahrende Frucht der Obstbäume,
welche uns zur Freude und zur Erheiterung geschaffen ist, und was
wir zum Nachtisch aufzutragen pflegen als erwünschte Reizmittel
des angefüllten Magens für die Übersättigten, - dies alles
brachte die Insel, die damals durchweg den Einwirkungen der Sonne
zugänglich war, in vortrefflicher und bewundernswerter Gestalt
und in der reichsten Fülle hervor. Indem nun Atlas und seine
Nachkommen dies alles aus der Erde empfingen, gründeten sie
Tempel, Königshäuser, Häfen und Schiffswerften und richteten
auch das ganze übrige Land ein, wobei sie nach folgender
Anordnung verfuhren:
Zuerst schlugen sie Brücken über die Ringe
von Wasser, welche ihre alte Mutterstadt umgaben, um sich so einen
Weg von und zu der Königsburg zu schaffen. Diese errichteten sie
nämlich gleich im Anfange eben auf jenem Wohnsitze des Gottes und
ihrer Vorfahren, und so empfing sie der eine von dem anderen,
indem ein jeder ihre Ausstattung erweiterte und nach Kräften
seinen Vorgänger darin überbot, bis sie denn endlich diesen
ihren Wohnsitz durch die Größe und Schönheit ihrer Werke zu
einem staunenswerten Anblicke gemacht hatten: Zuerst nämlich
gruben sie einen Kanal von drei Plethren Breite, hundert Fuß
Tiefe und fünfzig Stadien Länge vom Meere aus bis zu dem
äußersten Ringe hin und machten so eine Einfahrt von der See in
denselben wie in einen Hafen möglich, indem sie die Einmündung
in ihn weit genug zum Einlaufen für die größten Schiffe
brachen. Sodann durchbrachen sie aber auch die Kreiswälle von
Erde, welche die Wasserringe von einander trennten, unterhalb der
Brücken in einer solchen Breite, daß für einen einzelnen
Dreiruderer die Durchfahrt von dem einen durch den anderen
möglich ward, und überbrückten dann wieder den Durchstich, so
daß die Schiffahrt hier eine unterirdische war; die Ränder der
Erdwälle hatten nämlich eine Höhle, welche hinlänglich über
das Meer emporragte. Es war aber der weiteste von den Ringen,
welche einst aus dem Meere gebildet waren, drei Stadien breit, und
ebenso der zunächst auf ihn folgende Wallring, von den beiden
nächsten Ringen aber der aus Wasser bestehende zwei, und ebenso
war ihm wiederum der aus Erde aufgehäufte an Breite gleich,
endlich der unmittelbar um die Insel herumlaufende ein Stadion,
und die Insel selbst, auf welcher die Königsburg stand, hatte
fünf Stadien im Durchmesser. Diese selber nun umgaben sie rings
herum, und ebenso die Ringe und die Brücke, welche ein Plethron
breit war, von beiden Seiten mit je einer steinernen Mauer und
errichteten bei den Brücken nach beiden Seiten hin Türme und
Tore gegen die Durchfahrten vom Meere zu. Die Steine dazu aber,
welche teils weiß, teils schwarz und teils rot waren, brachen sie
unten an den Abhängen der in der Mitte gelegenen Insel ringsherum
und ebenso unten an den Wallrändern nach außen und nach innen
zu, und dadurch, daß sie sie dort herausschlugen, erlangten sie
zugleich innerhalb derselben auf beiden Seiten Höhlungen zu
Schiffsarsenalen, welche den Felsen selber zur Decke hatten. Auch
andere Gebäude errichteten sie aus jenen Steinen, und zwar teils
einfarbige, teils auch bunte, indem sie sie aus
verschiedenfarbigen Steinen zum Genuß für das Auge
zusammensetzten und ihnen dadurch ihren vollen natürlichen Reiz
gaben. Die Mauer endlich, welche um den äußeren Wall herumlief,
faßten sie ihrem ganzen Umfange nach mit Erz ein, indem sie
dieses gleichsam wie ein Salböl anwandten; die um den innern aber
umschmolzen sie mit Zinn, endlich die Burg selbst mit
Goldkupfererz, welches einen feuerähnlichen Glanz hatte.
Die königliche Wohnung innerhalb der Burg
selbst aber war folgendermaßen eingerichtet: Inmitten der letztem
befand sich ein der Kleito und dem Poseidon geweihter Tempel,
welcher nur von den Priestern betreten werden durfte und mit einer
goldenen Mauer umgeben war, derselbe, in welchem sie einst das
Geschlecht der zehn Fürsten erzeugt und hervorgebracht hatten.
Dahin schickte man auch jedes Jahr aus allen zehn Landgebieten die
Erstlinge als Opfer für einen jeden von diesen. Ferner stand dort
ein besonderer Tempel des Poseidon, von einem Stadion Länge, drei
Plethren an Breite und von einer Höhe, wie sie einen
dementsprechenden Anblick gewährte, er hatte aber ein etwas
barbarisches Ansehen. Den ganzen Tempel nun überzogen sie von
außen mit Silber, mit Ausnahme der Zinnen, die Zinnen aber mit
Gold. Was aber das Innere anbetrifft, so konnte man die
elfenbeinerne Decke ganz mit Gold und Goldkupfererz verziert
sehen, alles andere aber an Mauern, Säulen und Estrichen
überkleideten sie mit Goldkupfererz. Auch stellten sie goldene
Bildsäulen darin auf, nämlich den Gott selber, wie er, auf
seinem Wagen stehend, sechs geflügelte Rosse lenkt, und der
seinerseits so groß gebildet war, daß er mit dem Haupte die
Decke berührte, rings um ihn herum aber die hundert Nereiden auf
Delphinen; denn so viel, glaubte man damals, seien ihrer;
außerdem befanden sich aber auch noch viele andere Bildwerke als
Weihgeschenke von Privatleuten im Tempel. Außerhalb aber standen
rings um ihn die Bildsäulen von allen insgesamt, nämlich von den
zehn Königen selbst und ihren Weibern und allen, welche von ihnen
entsprossen waren, und viele andere große Weihgeschenke von den
Königen wie von Privatleuten teils aus der Stadt selbst, teils
aus allen von ihnen beherrschten Gebieten außerhalb derselben.
Auch der Altar entsprach an Größe sowie an Arbeit dieser
Ausstattung, und ebenso war auch die königliche Wohnung
ebensosehr der Größe der Herrschaft wie andererseits dem auf die
Heiligtümer verwandten Schmucke angemessen. Von den beiden
Quellen aber, sowohl der von kaltem als der von warmem Wasser,
welche dessen eine reiche Fülle enthielten und es beide an
Wohlgeschmack und Güte zum Gebrauche in ganz bewundernswerter
Vortrefflichkeit darboten, zogen sie Nutzen, indem sie Gebäude
und Baumpflanzungen, wie sie zu den Wassern sich schickten,
ringsumher anlegten und ferner Wasserbehälter teils unter freiem
Himmel, teils zu warmen Bädern für den Winter in bedeckten
Räumen in der Umgebung einrichteten, und zwar deren besondere
für die Könige und besondere für die Untertanen, ferner noch
andere für die Weiber und wieder für die Pferde und die übrigen
Zugtiere, und einem jeden von diesen allen die ihm angemessene
Ausstattung gaben. Das abfließende Wasser aber leiteten sie in
den Hain des Poseidon, welcher Bäume von mannigfacher Art und von
ganz vorzüglicher Höhe und Schönheit infolge der Güte des
Bodens umfaßte, teils aber auch durch Kanäle über die Brücken
weg in die äußeren Ringe hinein. In der Nähe dieser
Wasserleitungen wurden denn auch Heiligtümer vieler Götter,
ferner viele Gärten und Übungsplätze angelegt, und zwar
besondere für die auf den menschlichen Körper beschränkten
Übungen und besondere für die mit dem Wagengespann auf jeder von
beiden aus den Wällen bestehenden Inseln; und überdies besaßen
sie auch in der Mitte der größeren Insel eine ausgesuchte
Rennbahn, welche ein Stadion breit und deren Länge im ganzen
Umkreise zum Wettkampfe für die Rosse eingerichtet war. Um
dieselbe herum lagen auf beiden Seiten die Wohnungen für die
Mehrzahl der Trabanten. Die zuverlässigeren unter ihnen aber
hatten ihre Wache auf dem kleineren und näher an der Burg
gelegenen Wallring; den vor allen anderen an Zuverlässigkeit
ausgezeichneten endlich waren ihre Wohnungen auf der Burg selber
um den Königspalast herum gegeben. Die Schiffsarsenale aber waren
voll von Dreiruderern und von allem, was zu der Ausrüstung von
Dreiruderern gehört, wovon alles in reichem Maße in Bereitschaft
gehalten wurde.
Solches war nun also die Ausrüstung der
königlichen Wohnung. Wenn man aber die drei außerhalb derselben
befindlichen Häfen hinter sich hatte, so traf man auf eine Mauer,
welche vom Meere begann und im Kreise herumlief, von dem größten
Ringe und zugleich Hafen aber überall fünfzig Stadien entfernt
war und an derselben Stelle bei der Mündung des Kanals in das
Meer wieder abschloß. Dieses Ganze aber war mit vielen und
dichtgedrängten Wohnungen umgeben, und die Ausfahrt sowie der
größte Hafen wimmelten von Schiffen und Kaufleuten, weiche aus
allen Gegenden hierher kamen und bei Tage wie bei Nacht Geschrei,
Getümmel und Getöse mannigfacher Art wegen ihrer Menge
verursachten.
Über die Stadt und jenen einstigen Wohnsitz
der Könige habe ich nun so ziemlich das, was mir damals erzählt
wurde, mitgeteilt; nun muß ich aber auch noch versuchen, über
die natürliche Beschaffenheit des übrigen Landes und die Art
seiner Verwaltung zu berichten. Zunächst nun wurde mir das Land
im ganzen als sehr hochgelegen und steil aus dem Meere aufsteigend
geschildert, die Gegend um die Stadt her dagegen durchweg als eine
Ebene, welche sie umschloß, ihrerseits aber wieder ringsherum von
Bergen eingeschlossen wurde, die sich bis zum Meere hinabzogen,
und zwar als eine ganz glatte und gleichmäßige Fläche, die in
ihrer Gesamtausdehnung eine längliche Gestalt hatte, indem diese
nach der Seite zu dreitausend Stadien, in der Mitte aber vom Meere
aufwärts nur zweitausend betrug. Von der ganzen Insel nämlich
lag dieser Teil nach der Südseite zu, indem er sich von Norden
nach Süden erstreckte. Die Berge aber, welche ihn umgaben, wurden
damals als solche gepriesen, welche an Menge, Größe und
Schönheit alle jetzt vorhandenen übertrafen, indem sie viele
Flecken mit einer reichen Zahl von Bewohnern, ferner Flüsse, Seen
und Auen, welche allen möglichen zahmen und wilden Tieren
hinreichendes Futter darboten, sowie endlich Waldungen in sich
faßten, welche in bunter Menge und in der größten
Mannigfaltigkeit aller Gattungen einen reichhaltigen Stoff zu den
Arbeiten jeder Art, im Großen wie im Kleinen, lieferten. Auf
diese Weise war die Ebene von der Natur ausgestattet, und viele
Könige hatten nicht minder an ihrer weiteren Ausstattung
gearbeitet. Zum größten Teile bildete sie nämlich wirklich
bereits ein vollständiges Rechteck; wo es aber noch an der vollen
Regelmäßigkeit dieser Gestalt fehlte, war ihr diese dadurch
gegeben worden, daß sie auf allen Seiten einen Graben
herumgezogen hatten. Was mir nun von dessen Tiefe, Breite und
Länge erzählt ward, das könnte unglaublich erscheinen für ein
von Menschenhänden gearbeitetes Werk; es könnte unglaublich
erscheinen, daß sie zu ihren vielen anderen Arbeiten auch noch
diese von so gewaltiger Ausdehnung unternommen hätten; dennoch
muß ich darüber berichten, wie ich es gehört habe. Nämlich ein
Plethron tief ward er gegraben und überall ein Stadion breit, und
als er nun die ganze Ebene herumgezogen war, da ergab sich für
ihn eine Länge von zehntausend Stadien. Er nahm auch die von den
Bergen herabfließenden Wasser auf, und da er rings um die Ebene
herumgeführt war und die Stadt auf beiden Seiten berührte, so
ließ er diese auf folgende Weise ins Meer abfließen: Von seinem
oberen Teile her wurden nämlich von ihm ungefähr hundert Fuß
breite Kanäle in gerader Linie in die Ebene geleitet, welche
wieder in den großen vom Meere aus gezogenen Kanal einmündeten
und von einander hundert Stadien entfernt waren. Auf ihnen
brachten sie denn auch das Holz von den Bergen in die Stadt; aber
auch alle anderen Landeserzeugnisse holten sie zu Wasser heran,
indem sie wieder Überfahrten aus den Kanälen in einander nach
der Quere zu und ebenso nach der Stadt hin gruben. Auch ernteten
sie infolgedessen zweimal des Jahres ein, indem ihnen im Winter
der Regen des Zeus dazu verhalt, im Sommer aber die Bewässerung,
welche das Land selber in sich trug, dadurch, daß sie sie aus den
Kanälen herzuleiteten.
Was aber die Zahl der Bewohner anbetrifft, so
bestand die Anordnung, daß in der Ebene selbst an
kriegstüchtigen Männern jedes Grundstück einen Anführer zu
stellen hatte; die Größe eines jeden Grundstückes aber betrug
gegen hundert Quadratstadien, und die Zahl von ihnen allen
sechzigtausend; auf den Gebirgen dagegen und im übrigen Lande
zählte man eine unsägliche Menschenmasse, alle jedoch waren nach
ihren Ortschaften und Flecken je einem dieser Grundstücke und
Führer zugeteilt. Die Führer nun aber hatten die Verpflichtung,
zum Kriege ihrer sechs zusammen einen Kriegswagen zu stellen, so
daß deren insgesamt zehntausend wurden, ferner ein jeder zwei
Rosse und Reiter, dazu noch ein Zwiegespann ohne Sessel, welches
mit einem Krieger bemannt war, der einen kleinen Schild trug und
auch herabsteigend zu Fuße kämpfte, außer diesem Wagenkämpfer
aber mit einem Lenker für die beiden Rosse; ferner zwei
Schwerbewaffnete und an Bogen- und Schleuderschützen je zwei, und
ebenso an Steinund Speerwerfern ohne Rüstung je drei; endlich
vier Seeleute zur Bemannung von zwölfhundert Schiffen. So war das
Kriegswesen in dem königlichen Staate angeordnet; in den andern
neun Staaten aber auf verschiedene Weise, deren Erörterung zu
lange Zeit in Anspruch nehmen würde.
Die Verhältnisse der obrigkeitlichen Gewalt
und der Staatswürden aber waren vom Anbeginn her folgendermaßen
geordnet: Von den zehn Königen herrschte ein jeder in dem ihm
überkommenen Gebiete von seiner Stadt aus über die Bewohner und
stand über den meisten Gesetzen dergestalt, daß er strafte und
hinrichten ließ, wen immer es ihm gut dünkte. Die Herrschaft
über sie selbst aber ward gegenseitig und gemeinschaftlich
geführt nach den Anordnungen des Poseidon, wie sie ein Gesetz
ihnen überlieferte, welches von ihren Vorfahren auf eine Säule
von Goldkupfererz eingegraben war, die in der Mitte der Insel,
nämlich im Heiligtum des Poseidon, stand. Hierher kamen sie denn
auch abwechselnd bald jedes fünfte und bald jedes sechste Jahr
zusammen, um der geraden und der ungeraden Zahl ein gleiches Recht
angedeihen zu lassen, und berieten sich auf diesen
Zusammenkünften teils über die gemeinsamen Angelegenheiten,
teils hielten sie Nachforschung danach, ob einer von ihnen irgend
eine Übertretung begangen, und saßen darüber zu Gericht. Wenn
sie aber zum Gerichte schritten, so gaben sie einander zuvor
folgendes Unterpfand der Treue: Nachdem sie zu dem Gotte gebetet,
daß es ihnen gelingen möge, das Opfertier, welches ihm genehm
sei, zu fangen, stellten sie zehn ganz allein unter den Stieren,
die da frei im Heiligtume des Poseidon weideten, eine Jagd ohne
Eisen bloß mit Knitteln und Stricken an, und denjenigen von den
Stieren, welchen sie fingen, brachten sie oben auf die Säule
hinauf und schlachteten ihn dort unmittelbar über jener
Inschrift. Auf der Säule befand sich aber außer dem Gesetze noch
eine Schwurformel, welche gewaltige Verwünschungen über
diejenigen aussprach, welche ihm nicht gehorchten. Wenn sie nun so
nach ihren Bräuchen beim Opfer dem Gotte alle Glieder des Stieres
geweiht hatten, so richteten sie einen Mischkessel zu und warfen
in diesen für jeden einen Tropfen geronnenen Blutes; alles
übrige aber warfen sie ins Feuer, nachdem sie die Säule
ringsherum gereinigt hatten. Hierauf schöpften sie mit goldenen
Trinkschalen aus dem Mischbecher, und während sie dann aus ihnen
die Spenden ins Feuer gossen, schwuren sie dabei, nach den
Gesetzen auf der Säule zu richten und es zu strafen, wenn einer
von ihnen zuvor einen Frevel begangen, und ebenso wiederum in
Zukunft keine von jenen Vorschriften absichtlich zu verletzen und
weder anders zu herrschen, noch einem andern Herrscher zu
gehorchen als dem, welcher nach den Gesetzen des Vaters regierte.
Nachdem ein jeder von ihnen dies für sich selbst und für sein
Geschlecht gelobt hatte, trank er und weihte sodann die Becher als
Geschenk für das Heiligtum des Gottes, und sodann wandten sie
sich zum Mahle, um auch den Anforderungen ihres Körpers Genüge
zu tun. Sobald es aber dunkel ward und das Opferfeuer verglomm,
dann kleideten sich alle sofort in ein blaues Gewand von der aller
höchsten Schönheit, und so, bei der Glut der Eidesopfer auf der
Erde sitzend, indem sie gänzlich das Feuer im Heiligtume
auslöschten, empfingen und sprachen sie Recht bei der Nacht, wenn
etwa der eine von ihnen den andern irgend einer Übertretung
anklagte. Nach vollzogenem Urteil aber schrieben sie die
Richtersprüche, sobald es Tag ward, auf einer goldenen Tafel auf
und weihten diese samt jenen Gewändern zum Denkzeichen. Es gab
aber noch viele andere Gesetze, welche die Rechte der Könige für
einen jeden im besonderen bestimmten; über allen jedoch stand
dies, daß sie niemals gegen einander die Waffen führen, vielmehr
einander insgesamt Hilfe leisten sollten, wenn etwa einer von
ihnen in irgend einer Stadt das königliche Geschlecht auszurotten
versuchte, und daß sie nach gemeinsamer Beratung, gleichwie ihre
Vorfahren, ihre Beschlüsse über den Krieg und alle anderen
Angelegenheiten fassen und ausführen, den Vorsitz und Oberbefehl
dabei aber dem Geschlechte des Atlas überlassen sollten. Die
Vollmacht, einen seiner Verwandten hinrichten zu lassen, sollte
ferner einem Könige nicht zu Gebote stehen, es sei denn, daß
über die Hälfte von den zehn es genehmigt hätte.
Diese Macht von solcher Art und Ausdehnung, wie
sie damals in jenen Gegenden bestand, führte der Gott, indem er
sie zusammentreten ließ, nun auch gegen unser Land, wozu, wie es
heißt, ungefähr folgende Verhältnisse Anlaß gaben: Viele
Geschlechter hindurch, solange noch irgend die Natur des Gottes in
ihnen wirksam war, waren sie den Gesetzen gehorsam und zeigten ein
befreundetes Verhalten gegen das ihnen verwandte Göttliche. Denn
sie besaßen wahrhafte und durchgehends große Gesinnungen, indem
sie eine mit Klugheit gepaarte Sanftmut allen etwaigen
Wechselfällen des Schicksals gegenüber sowie gegen einander an
den Tag legten; und da Sie eben deshalb alles andere außer der
Tugend für wertlos ansahen, so achteten sie alle vorhandenen
Glücksgüter gering und betrachteten mit Gleichmut und mehr wie
eine Last die Masse ihres Goldes und ihrer übrigen Besitztümer;
und nicht kamen sie, berauscht von dem Schweigen in ihrem
Reichtum, so daß sie durch ihn die Herrschaft über sich selbst
verloren hätten, zu Falle, sondern erkannten mit nüchternem
Scharfblick, daß dies alles nur durch die gemeinsame Freundschaft
im Verein mit der Tugend sein Gedeihen empfängt, durch den Eifer
und das Streben nach ihm dagegen nicht bloß selber entschwindet,
sondern auch jene mit sich zugrunde richtet. Infolge dieser
Grundsätze und der fortdauernden Wirksamkeit der göttlichen
Natur in ihnen gedieh ihnen denn das alles, was ich euch vorhin
mitgeteilt habe. Als aber ihr Anteil am Wesen des Gottes durch die
vielfache und häufige Beimischung des Sterblichen in ihnen zu
schwinden begann und die menschliche Art überwog, da erst waren
sie dem vorhandenen Reichtum nicht mehr gewachsen und entarteten
und erschienen dem, welcher es zu erkennen vermochte, niedrig,
indem sie von allem, was in Ehren zu stehen verdient, gerade das
Schönste zugrunde richteten; denen aber, die ein wahrhaft zur
Glückseligkeit führendes Leben nicht zu erkennen imstande waren,
schienen sie damals erst recht in aller Herrlichkeit und Seligkeit
dazustehen, als sie ungerechten Gewinn und ungerecht erworbene
Macht im Überflusse besaßen. Der Gott der Götter aber, Zeus,
welcher nach den Gesetzen herrscht und solches wohl zu erkennen
vermag, beschloß, als er ein treffliches Geschlecht so
schmählich herunterkommen sah, ihnen Strafe dafür aufzuerlegen,
damit sie, durch diese zur Besinnung gebracht, zu einer edleren
Lebensweise zurückkehrten. Er berief daher alle Götter in ihren
ehrwürdigsten Wohnsitz zusammen, welcher in der Mitte des
Weltalls liegt und eine Überschau aller Dinge gewährt, die je
des Werdens teilhaftig wurden, und nachdem er sie zusammenberufen
hatte, sprach er - - - |