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Spielen
als Grund in der Weltanschauung des Thomas von Aquin
L. Jean Lauand - jeanlaua@usp.br
Gott spielt. Gott schafft, indem er spielt und spielt indem
er schafft. Der Mensch muß spielen, wenn er menschlich leben
möchte, aber auch wenn er gleichzeitig die von Gott gespielte
Realität wahrnehmen möchte. Lediglich diese zwei Aussagen
– Grundsätze in der Weltanschauung des Thomas von Aquin –
genügten, um uns unmittelbar feststellen zu lassen, daß, von
allen Urteilen, die noch gegen das Mittelalter erhoben werden,
eins der ungerechtesten es als eine Zeit ansieht, die, bewußt
oder gar unbewußt, gegen alles Lachen und Spielen kämpft. In
Wirklichkeit ist der Mensch des Mittelalters –wenn man es so
sagen darf – sehr empfindsam für alles Witzige (Ludus):
die Lache, der Witz und das Spielen sind sozusagen ein
Bestandteil seines Lebens.
http://www.hottopos.com.br/rih1/spielen.htm
Natur
als Grundlage der Moral
Martin Rhonheimer
Die personale Struktur des Naturgesetzes bei Thomas von Aquin:
Eine Auseinandersetzung mit autonomer und teleologischer Ethik
(Tyrolia-Verlag,
Innsbruck-Wien 1987, 443 S. ISBN: 3-7022-1602-2)
Kann man aus
der menschlichen Natur universale und objektive sittliche
Normen ableiten? Viele katholische Moraltheologen haben dies während
der letzten Jahre zunehmend bestritten. Durch eine
Neuinterpretation des Begriffs "Naturgesetz" bei
Thomas von Aquin wurde ein Begriff von "theonomer
Autonomie" entwickelt, auf dessen Grundlage der Rekurs
auf menschliche Natur zur Begründung sittlicher Normen sowie
eine "naturrechtliche" Fundierung der Ethik als überholt
erklärt wurde.
Dieses Buch
erarbeitet die Grundlagen für den Nachweis, dass diese
Auffassung sowie die ihr zugrundeliegende
Thomas-Interpretation unzulänglich und fehlerhaft ist. Die
sogenannte "autonome Moral" wie auch die mir ihre
eng verknüpfte "teleologische Ethik" (Konsequenzialismus)
beruhen auf einer -- keinesfalls neuen -- Verkennung der
praktischen Vernunft sowie auf einer Anthropologie, der die
Tendenz eigen ist, zu einer spiritualistischen Variante des
Personalismus zu führen.
Zugleich
vermittelt dieses Buch eine systematische und gegenüber früheren
neuthomistischen Deutungen kritische Darstellung der
personalen Struktur des Naturgesetzes (Lex naturalis)
als einem "Gesetz der praktischen Vernunft",
Ausdruck der wahren, in der menschlichen Geschöpflichkeit
begründeten sittlichen Autonomie des Menschen, in der ebenso
die menschliche Person als moralisches Subjekt wie auch die
universale Objektivität sittlicher Normen zur Geltung kommt.
Das Naturgesetz erweist sich als Ausdruck einer Theonomie, die
der Mensch als rationales Wesen durch seine sittliche
Erfahrung autonom entfaltet und deren normativer Wahrheit er
zugleich als freies Wesen unterworfen ist. So eröffnet gerade
die sittliche Autonomie des Menschen den Zugang zum Verständnis
Gottes als moralischem Gesetzgeber und zeigt es sich, wie und
in welchem Sinn in einer personalen Sicht des menschlichen
Handelns die Natur Grundlage der Moral genannt werden kann und
was unter "moralischer Objektivität" bzw.
"objektiver Sittlichkeit" sinnvollerweise zu
verstehen ist.
http://www.usc.urbe.it/html/php/rhonheimer/details/ngmdetails.htm
Praktische
Vernunft und Vernünftigkeit der Praxis
Martin Rhonheimer
Handlungstheorie bei Thomas von Aquin in ihrer Entstehung aus
dem Problemkontext der aristotelischen Ethik
(Akademie Verlag, Berlin 1994, 611 S. ISBN
3-05-002536-0)
Die
Grundaussage der aristotelischen Ethik, dass das
menschlich-gute Leben, die "eupraxia" und
schliesslich die in ihr gegründete "eudaimonia", in
einem Leben gemäss dem "logos" ("kata logon zên")
bestehe, dessen faktische Ermöglichung durch sittliche Tugend
bewirkt wird, ist bei Thomas nicht mehr nur eine Aussage einer
bestimmten philosophischen Disziplin - der praktischen
Wissenschaft - sondern "Aussage" der praktischen
Vernunft des Handlungssubjekts selbst. Gemäss seiner Lehre
von den Prinzipien der praktischen Vernunft wird die Vernünftigkeit
der Praxis nicht mehr nur - wie bei Aristoteles - durch die
Lehre der praktischen Wissenschaft einerseits und die richtige
Gesetzgebung und Erziehung in der Polis andererseits
einsichtig und vermittelt, sondern fundamental und ursprünglich
durch die praktische Vernunft des handelnden Subjekts selbst.
Die thomasische
Lehre von der kognitiven Leitung der Klugheit durch den die
universalen praktischen Prinzipien erfassenden Intellekt
konkurriert damit in keiner Weise mit dem aristotelischen
Thema der Abhängigkeit der Klugheit von der sittlichen
Tugend. Zugleich erweist sich dann aber die
"fortgeschrittene Position" von Thomas als eine
solche, die über einen Begriff der praktischen Vernunft verfügt,
der die fundamentalen menschlichen Güter als intelligible Güter
in praktischer, und das heisst: auf Handeln hin bewegender
Weise gegenständlich sind. Sie ist deshalb eine
Handlungstheorie, die nicht nur auf die dialektische
Hermeneutik der Meinungen und des Lebensvollzugs derer
verwiesen ist, die als die Besten und Weisen gelten. Sie
vermag auch auf die unmittelbare Selbsterfahrung des
Handlungssubjekts zu rekurrieren und besitzt dadurch auch die
Möglichkeit, die jeweilig vorherrschenden "endoxa"
selbst noch einmal auf ihre Vernünftigkeit zu hinterfragen.
Damit begründet sie auch für die praktische Wissenschaft
einen erweiterten Ausgangspunkt und ermöglicht deren Ausbau
zu einer im eigentlichen Sinne normativen Ethik.
Es kann kaum
bezweifelt werden, dass die Entstehung dieser erweiterten
Sicht der praktischen Vernunft - obgleich sie inhaltlich rein
philosophisch-rational begründet und formuliert ist -
historisch-faktisch (und nicht "von der Sache her"
notwendig) die christliche Überzeugung von der
Gottebenbildlichkeit des Menschen zur Voraussetzung hat, sowie
jenen genuin "christlichen Optimismus", der
letztlich darauf gründet, dass die Schwäche des Menschen und
sein von ihm schmerzlich erfahrener Hang zur Schlechtigkeit,
nicht mehr als unausweichliches Schicksal und unheilbare conditio
humana betrachtet werden, sondern als Folge eines
geschichtlich identifizierbaren Ereignisses, infolge dessen
der Mensch "unter sein Niveau" gefallen ist, dass er
dieses Niveau jedoch - als erlöster Mensch - wieder zu finden
vermag.
Dennoch ist
festzuhalten, und es wurde bereits wiederholt darauf
hingewiesen, dass die aristotelische Methodologie einer
dialektisch-hermeneutischen Bestimmung des "guten
Lebens" ihre volle Aktualität behält. Zunächst, weil
diese Methodologie auf der platonischen Voraussetzung beruht,
dass die Menschen - werden sie nicht durch hindernde Einflüsse
der ungeordneten Affekte davon abgehalten und in die Irre geführt
- darauf angelegt sind, auch im Bereich des Praktischen Wahrheit
zu erfassen. Thomas hat hier - wie gesagt - Platonisches, das
bei Aristoteles im Laufe seiner Bemühungen um Abgrenzung von
akademischen Positionen in den Hintergrund gerückt ist,
wieder expliziert und ins Recht gesetzt, allerdings nicht gegen
Aristoteles, sondern diesen in eine höhere Synthese
integrierend. Zweitens aber bleibt die aristotelische Methode
der Hermeneutik der menschlichen Meinungen, und unter ihnen
derjenigen der "Besten" und "Weisen",
unverzichtbar. Denn ein Zusammenleben der Menschen lässt sich
nicht auf Einsichten einzelner Handlungssubjekte gründen,
sondern nur auf den Konsens darüber, was denn nun im
Zusammenhang der menschlichen "koinônia" als gut zu
gelten habe. Wie dieser Konsens sich ausbildet ist eine andere
Frage; ebenso, auf Grund welcher Kriterien man die
"Besten" und "Weisen" ausmacht. Für den
Christen sind es letztlich und vor allem die Heiligen, deren
gelegentliche "Kanonisierung" gerade in diesem
Zusammenhang betrachtet eine nicht unerhebliche Funktion
offenbart. Dass es ebenfalls eines solchen Konsenses und damit
auch der "endoxa" und der Berufung auf sie bedarf,
damit eine im sozialen Zusammenhang relevante Ethik als
praktische Wissenschaft überhaupt möglich ist und mit
Aussicht auf Erfolg gelehrt werden kann, auch darüber kann
kein Zweifel bestehen. In einer Gesellschaft jedoch, in der es
immer weniger wirkmächtige "endoxa" gibt, rückt
dann aber die durch Thomas eröffnete Möglichkeit der
Berufung auf die unmittelbare praktische Einsicht des einzelnen
in den Mittelpunkt. Dafür eine Theorie geliefert zu haben,
welche die Wahrheit der aristotelischen Position in sich enthält,
darin liegt wohl heute einer der Hauptgründe für die
Aktualität einer an Thomas orientierten Handlungstheorie und
philosophischen Ethik.
http://www.usc.urbe.it/html/php/rhonheimer/details/pvvpdetails.htm
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