Karl Rössel-Majdan
2.12.1916 - 6.8.2000
Aufstand des Geistes gegen den Ungeist der Zeit
Wolfgang PETER 2000
Der
unermüdliche "Aufstand des Geistes gegen den Ungeist der Zeit" war, wie
Karl Rössel-Majdan selbst bekannte, das zentrale Leitmotiv seines Lebens.
Daß er sich damit nicht nur Freunde geschaffen hat, sondern oftmals auf
erbitterten Widerstand gestoßen ist, kann nicht verwundern. Eines aber
hatten seine Freunde wie Feinde gemeinsam: sie mußten seine stupende Bildung,
sein sachkundiges Urteil und vor allem seine außergewöhnliche, unbeugsame
Persönlichkeit anerkennen. Was ihn tief im Inneren wirklich bewegte, welches
wahrhafte schöpferische geistige Licht in seinem warmen Herzen brannte,
haben dennoch nur wenige verstanden. Ich selbst habe keinen Menschen sonst
getroffen, der ihm vergleichbar wäre. Manche, die ihn näher kennenlernen
konnten, werden ähnlich denken und dürfen es wohl zu den glücklichsten
Stunden ihres Lebens zählen, ihm begegnet zu sein und sich verpflichtet
fühlen, seine Impulse in sich rege zu machen und fruchtbar für die Zukunft
umzusetzen.
"Samstagskind viel Müh' und Arbeit find'!", sagte die Mutter oft zu dem jungen Karl, der an einem Samstag im Dezember 1916, inmitten der katastrophalen Zeit des 1. Weltkrieges, das Licht der Welt erblickt hatte. Und vielfach hat sich dieser volkstümliche Spruch in Karl Rössel-Majdans Leben bewahrheitet. Schon die Geburt selbst war schwierig und bald stellten sich böse Entzündungen und heftige Fieberanfälle, oft bis an die 42°C, ein. Schon damals drohte dieses junge Leben bereits wieder ausgelöscht zu werden, aber der kleine Karl hielt eisern durch, auch dann, als durch die schlechte Ernährung die Knochen weich und biegsam zu bleiben drohten. Energisch machte er die verordnete orthopädische Gymnastik; wenn zehn Übungen von ihm gefordert wurden, so machte er fünfzehn - und mit großem Erfolg: die Knochen wurden kerzengerade, aufrecht die ganze Gestalt. Als junger Bursche liebte es Karl Rössel-Majdan später, in meterhohen, beinahe halsbrecherischen Sätzen im Stabhochsprung über Hügel, Felder und Wiesen zu turnen und so eine ehemalige Schwäche zur Geschicklichkeit und Stärke umzuwandeln.
Die Natur liebte Karl Rössel-Majdan über alles; die würzig duftenden und rauschenden Wälder ebenso wie die unendliche Weite des Meeres, sei es nun stürmisch bewegt, ein glatter, glänzender Spiegel des Himmels oder wenn es nachts durch leuchtende Algen geheimnisvoll phosphoresziert. Der prasselnden Urgewalt des Feuers wußte er zu lauschen, seine sengende Hitze intensiv zu erfühlen, als er als Schüler des Stiftsinternats St. Paul das Vieh aus einer brennenden Scheune retten mußte, die von den Nazis angezündet worden war. Sturm und Regen waren ebenso seine Freunde wie die schroffen Berge, die seine Willenskraft herausforderten und die er in vielen Bergtouren gemeinsam mit seinem schicksalsverbundenen Freund Hans Mätzener bezwungen hat. Liebe zur Natur bedeutete für Karl Rössel-Majdan mehr als die bloß egoistische Sehnsucht nach "g'sunder Luft und g'sundem Wasser". Um der gewaltigen Natur gerecht zu werden, mußte er mit seiner ganzen Seele in ihre lebendige Seele eintauchen und an ihrem innersten Wesen innig teilhaben. Da begann er auch zu ahnen, wie die selben Kräfte, die draußen die Natur durchklingen und durchformen, in der menschlichen Seele nachhallen und, vom Menschen bewußt ergriffen, in jedem Laut der menschlichen Sprache in verwandelter Form weiterwirken. In jedem Konsonanten spricht naturverwandte Formbildekraft, in jedem Vokal ertönt zugleich die Seele der Natur. Aus solchem Erleben hat Karl Rössel-Majdan nicht nur die von Rudolf Steiner initiierte Sprachgestaltung weiterentwickelt und das musikalische und plastisch-bildnerische Empfinden vertieft, hier fand er auch den beständigen Inspirationsquell für viele seiner Gedichte, aus denen deutlich die durch warmherzige Menschlichkeit erhöhte schöpferische Urkraft der Naturelemente spricht.
Als die Nazis in Österreich einmarschierten, mußte sich Karl Rössel-Majdan die bange Frage stellen, wie man als anständiger Mensch in einer solch menschenverachtenden Zeit weiterleben könne, ohne dadurch zugleich schwere Schuld, und sei es nur durch ängstliche Untätigkeit, auf sich zu laden. Aufstehen mußte man gegen das Unrecht der Zeit, nicht in blinder Wut, aber besonnen und effektiv: Karl Rössel-Majdan wurde aktiver Mitbegründer der Widerstandsbewegung von der ersten Stunde an. "Georg Michael" - das war von nun an sein geheimer Deckname, der selbe Name, unter dem er später seine Gedichte herausgab und in dem sich die geistige Gesinnung ausdrückt die Karl Rössel-Majdan beseelte: mit dem michaelischen Feuerschwert des Geistes der drachengestaltigen Unmenschlichkeit und dem Ungeist der Zeit entgegenzutreten! Damals war gerade die Siebensterngasse, wo heute das Comenius-Institut ist und wo damals Helene Soldan ihren Kindergarten betrieben hatte, von den Nazis in die "Straße der Julikämpfer" umbenannt und eine monumentale Gedenktafel zu Ehren der Dollfuß-Mörder angebracht worden. Empört darüber schlich sich Karl Rössel-Majdan heimlich heran und schüttete ein volles Faß Tinte über die Tafel. Der poröse Sandstein nahm die Tinte begierig auf und das Monument war zerstört und mußte entfernt werden. Die Nazis schäumten vor Wut. Dutzende Detektive wurden, erfolglos, zur Aufklärung des Falls eingesetzt.
Wie so viele wurde Karl Rössel-Majdan zum Kriegsdienst eingezogen. Später hat er es als großes Glück bezeichnet, daß er, weder als Soldat noch als Widerstandskämpfer, jemals einen Menschen töten mußte; das wäre ihm unerträglich gewesen. Durch Granatsplitter verwundet, als er einen Kameraden aus der Schußlinie zog, kam er schließlich ins Lazarett, aus dem er sich jede Nacht heimlich wegschlich, um die geheimen Truppenbewegungen zu registrieren und an die Widerstandsbewegung weiterzugeben, bis er schließlich vom Krankenlager weg durch die Gestapo verhaftet wurde. Wochenlange Verhöre folgten, aufrecht dem goldbedreßten Gestapo-Kommissar gegenüber. Freimütig hat Rössel-Majdan alles gestanden, viel mehr noch als er selbst wirklich getan hat, niemals hat er andere durch seine Aussagen belastet. "Rössel, Sie sind weder Marxist, noch Klerikaler, Ihr Ariernachweis reicht bis ins Mittelalter zurück, warum sind Sie unser Gegner?" "Aus Deutschtum, Herr Obersturmbannführer!", war die klare, verblüffende Antwort. Nicht jener gefährliche Nationalstolz der Nazis war damit gemeint, der die Welt in Flammen gesetzt hatte, sondern das gerade Gegenteil, die geistige Wiege genialer Geister wie Schiller, Goethe und Fichte ... und nicht zuletzt Rudolf Steiners. Jedes Volk hat seine spezifischen Talente und Fähigkeiten, die es im Dienst der ganzen Menschheit rege zu machen gilt. Jedes Volk, und sei es noch so klein und politisch unbedeutend, hat seinen besonderen, einzigartigen Beitrag zur Menschheitskultur zu leisten. Daß neben den unendlichen äußeren Greuel, welche die Hitlerzeit mit sich gebracht hat, das mitteleuropäische Geistesleben beinahe vollständig totgetreten und vor der ganzen Welt diffamiert wurde, hat Karl Rössel-Majdan stets sehr schmerzlich berührt. Davon zu retten, was noch zu retten war, und fruchtbar weiterzuführen, war sein unermüdliches Bestreben.
Inhaftierung im Landesgericht, zwischenzeitliche Verschickung nach Deutschland und schließlich große Verhandlung vor dem "Blutsenat" folgten. Von seinem Vater mußte Karl Rössel-Majdan noch kurz vor der Verhandlung erfahren, daß sein geliebter Bruder auf scheußliche Art im KZ umgekommen war. Das sicher scheinende Todesurteil vor Augen stand er dem Senat Rede und Antwort. Wieder bekannte er sich in allen Punkten schuldig, sagte die volle Wahrheit, nahm Taten auf sich, die andere begangen hatten - bis er endlich für unglaubwürdig gehalten wurde. Schließlich bewies man ihm sogar, daß er den Anschlag auf die Gedenktafel der Julikämpfer, für den er tatsächlich verantwortlich war, gar nicht begehen hatte können! Das Wunder geschah: auf Antrag des Staatsanwalts (!) blieb ihm die Köpfung erspart und Karl Rössel-Majdan wurde zu 10 Jahren Haft verurteilt. Das war die höchste Haftstrafe, die zu dieser Zeit noch verhängt wurde. Jedes höhere Strafmaß hätte automatisch die Köpfung bedeutet.
Im Internierungslager in der Lobau wurde Rössel-Majdan aufgrund seiner Fremdsprachenkenntnisse mit Franzosen zusammen als Autogenschweißer eingesetzt, um die immer wieder durch Fliegerangriffe zerstörten Destillationsanlagen instand zu halten. Das ganze Gelände war von Bombentrichtern durchfurcht, und als er einmal wieder nach einem Angriff aus dem Trichter hervorkroch, sah er sich Auge in Auge seinem Vater gegenüber. Der hatte sich durch die Absperrungen geschlichen und brachte Lebensmittel mit. "Die sind von meiner besten Schülerin!" - der Vater, Karl Rössel-Majdan senior, war ja Opernsänger, Regisseur und Lehrer an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst - und diese "beste Schülerin" wurde kurz nach Kriegsende Karl Rössel-Majdans Gattin. Kurz vor Kriegsende wurde Karl Rössel-Majdan von einem ihm wohl gesonnenen Aufseher zugetragen, daß er am nächsten Tag unter dem fadenscheinigen Vorwand, seine Zähne sollten kontrolliert werden, zurück ins Landesgericht geschickt werden sollte, wo er als "Politischer" kurzerhand erschossen worden wäre. So mußte er sich in der klaren eisigen Mondnacht durch eine abenteuerliche Flucht der Lagerhaft entziehen und lebte, bei einem einfachen Arbeiter versteckt, den er von früher kannte, als "U-Boot" bis zum Einmarsch der Alliierten.
Nach dem Krieg war Karl Rössel-Majdan lange Jahre für den Österreichischen Rundfunk tätig, zuerst als wissenschaftlicher Referent, dann als Personalreferent, Leiter der Abteilung für Rundfunkforschung und Hauptabteilungsleiter des Auslandsdienstes der Kurzwelle. Als Personalreferent wußte er sich flammend und mit Androhung eines wilden Streiks für die Anliegen der kleinen Angestellten einzusetzen, gegen die Geschäftsführung und gegen die damals noch alles bestimmenden Besatzungsmächte. Später wurde er deshalb zum Vorsitzenden der Gewerkschaft Kunst, Medien und freie Berufe bestellt, und er wurde eingeladen, Rednerkurse in der "Künstlerischen Volkshochschule" zu halten - daraus sind die Kurse für Sprachgestaltung hervorgegangen, die zu einer der Keimzellen des späteren Goetheanistischen Konservatoriums und der Waldorfpädagogischen Ausbildung wurden.
Studienreisen führten Karl Rössel-Majdan nach Palästina, wo er das Leben der Palästinenser und Beduinen gründlich kennenlernte, und nach Amerika, wo er sich, ganz zum Leidwesen seiner amerikanischen Gastgeber, intensiv mit dem Leben der Indianer beschäftigte. Er tauchte verständig in ihre Seele ein, fühlte sich ihnen tief verbunden und sagte später, daß er ganz selbstverständlich mit ihnen als einer der ihren hätte leben können. Rassenvorurteile und falscher Nationalstolz waren Karl Rössel-Majdan immer völlig fremd, sie erschienen ihm als böses Übel, gegen das man als freier Geist jederzeit aufstehen müsse. Er war sich aber auch sehr bewußt, daß ihn persönlich das Schicksal an einen ganz bestimmten Platz in der Welt gestellt hat, von dem aus er seine Begabungen am reichsten entfalten konnte. Von hier aus fruchtbar zu wirken, fühlte er sich verpflichtet.
In der Gewerkschaftsbewegung konnte er viele Impulse setzen, um das Kulturleben als vollgültige "Dritte Kraft" neben Politik und Wirtschaft zu emanzipieren durch Gesetzesinitiativen bezüglich des Rundfunkgesetzes, des Urheberrechts und der Verankerung der Freiheit der Kunst in der Verfassung. Vieles ist gelungen, aber nur wenige haben seine tieferen Beweggründe genügend verstanden, und vieles bleibt noch zu tun. Was Karl Rössel-Majdan immer auszeichnete, war, daß er glühenden Idealismus stets mit nüchternem, lebenspraktischem Realismus zu verbinden wußte. In über 5000 Vorträgen, in Kursen, Seminaren und Rundfunksendungen wußte er die Menschen für seine Ideale zu begeistern; mit dem Aufbau der Behindertenwerkstätten in Wien und Kärnten, mit der Begründung der Friedrich Eymann Waldorfschule und später des ORG Rudolf Steiner und des Goetheanistischen Konservatoriums und der Waldorfpädagogischen Akademie wurden, unter beträchtlichen Opfern der ganzen Familie Rössel-Majdan, jene Stätten geschaffen, von denen jenes gesundende freie Geistesleben ausstrahlen kann, das jetzt und künftig gegen den Ungeist der Zeit aufsteht.
Karl Rössel-Majdan hat uns ein großes Erbe hinterlassen, und dafür danken wir. An uns wird es liegen, die reichen Früchte seines Lebens zu ergreifen und seine Impulse auf unsere Art und mit unseren Kräften weiterzuführen. Das wird nicht immer leicht sein, groß sind die Aufgaben, groß ist die Verantwortung und groß sind die beharrlichen Widerstände, die sich einer längst überfälligen geistigen Erneuerung entgegensetzen, aber ich gedenke der Worte, wie sie Karl Rössel-Majdan einmal gebraucht hat: "Wenn der Rössel einmal nicht mehr ist, da oben ist ein guter Kamerad!" Nehmen wir das ernst! Karl Rössel-Majdan hat seine irdische Hülle abgelegt - sein Geist ist mitten unter uns, und wer ihn kannte und aufmerksam auf sein Innerstes lauscht, der wird etwas von seinem Licht und von seinem begeisternden Feuer in seinem eigenen Herzen spüren und daraus Kraft für die Zukunft schöpfen.
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