Die
Sprache
und ihre Bedeutung für die menschliche Entwicklung
Wolfgang Peter 2003
Die Sprache der Natur – Am Anfang war das Wort
Die Natur tönt von allen Seiten, im Rieseln der
Quelle, im Rauschen des Baches, des Windes, der Wälder, in Blitz und
Donner – ja, auch im Blitz, denn wir können auch das Licht
innerlich als tönend empfinden. Zurecht sprechen wir von
„schreienden Farben“, zurecht sagt Goethe in seinem Faust: „Die
Sonne tönt nach alter Weise“ und man kann den Sonnenaufgang wie er
empfinden:
Ungeheures Getöse verkündet das
Herannahen der Sonne.
ARIEL.
Horchet! horcht dem Sturm der Horen!
Tönend wird für Geistesohren
Schon der neue Tag geboren.
Felsentore knarren rasselnd,
Phöbus' Räder rollen prasselnd,
Welch Getöse bringt das Licht!
Es trommetet, es posaunet,
Auge blinzt, und Ohr erstaunet,
Unerhörtes hört sich nicht.
Schlüpfet zu den Blumenkronen,
Tiefer tiefer, still zu wohnen,
In die Felsen, unters Laub!
Trifft es euch, so seid ihr taub. |
Stark prägt diese Sprache der Natur den
Menschen, sie wirkt auf seine Seele. Die Sprache der Natur ist – in
diesem Sinne – eine seelische Wirklichkeit! Das Tönen, der
Klang, die Sprache, das Wort ist etwas, was in intimster Weise auf die
Seele wirkt und sie bildet – während umgekehrt chaotische Geräusche
die Seele verbilden. Die Klangkakophonie der modernen Großstädte ist
wenig geeignet, das Seelenleben des Menschen zu fördern. Stumpf ist
unser Hören geworden – und das ist geradezu ein notwendiger Schutz
gegen die Misstöne unserer Zeit. Aber wir haben dadurch viel an
feiner seelischer Empfindsamkeit verloren – sowohl gegenüber der
Sprache der Natur, als auch gegenüber der Sprache unserer
Mitmenschen.
Die Sprache des Menschen wurzelt in der Sprache
der Natur. Hier ist ihr Ursprung, und nur so kann man die Worte
verstehen, mit denen das Johannes-Evangelium beginnt: „Am Anfang war
das Wort ...“ Nicht umsonst ging man früher in den Heiligen Hain,
um dort seine Inspirationen zu empfangen. Die Natur spricht zum
Menschen, wenn seine Seele dafür offen ist. Das galt namentlich für
die Priesterinnen, weil die weibliche Seite der Seele gemeinhin viel
empfänglicher und offener für das Seelische ist, das ihr
entgegentritt. Und so begann sich im inneren Nacherleben der
beseelenden Sprache der Natur allmählich die menschliche Sprache zu
formen – und vor allem den Frauen haben wir sie zu verdanken. Wie
heißt es doch bei Goethe:
Vom Vater hab ich die Statur,
Des Lebens ernstes Führen,
Vom Mütterchen die Frohnatur
Und Lust zu fabulieren. |
Wobei nur noch zu bedenken ist, dass die Seele
des Menschen weder männlich noch weiblich ist, sondern beide Elemente
enthält, mit allerdings unterschiedlicher Gewichtung bei Mann und
Frau.
Lautäußerungen der Tiere
Auf ihrem Weg durch die Naturreiche hin zum
Menschen verwandelt sich die Sprache der Natur, und zwar so, dass
diese Entwicklung ein Zeichen der Verinnerlichung des Seelischen
ist. Mit der Verinnerlichung wächst zugleich das Bewusstsein, um
schließlich im Menschen zum Selbstbewusstsein zu erwachen. Die
Sprache der Natur scheint dabei zunächst zu verstummen und wacht erst
im Menschen auf neue Weise wieder auf. Im Stein und in der Pflanze
schweigt die Natur. Auch die niederen Tiere, deren inneres Seelenleben
noch sehr dumpf ist, etwa die Fische oder die Würmer, sind entweder
stumm oder tönen nicht von innen her, sondern erzeugen Geräusche
durch äußere Körperorgane, etwa das Zirpen der Grillen, das Summen
der Bienen usw.
Höhere Tiere mit ihrem viel reicheren seelischen
Erleben tönen von innen heraus und geben dadurch Kunde von ihrer
seelischen Lust und ihrem Leid. Sprache im menschlichen Sinn ist es
aber niemals.
Die artikulierte Lautsprache des Menschen
Durch die Sprache unterscheidet sich der Mensch
vom Tier. Tiere haben keine artikulierte Lautsprache.
Verwirrend erscheint es daher, wenn gelegentlich von Tiersprachen
geredet wird, etwa von der Bienensprache. Diese ist aber eine
komplexe Zeichensprache, nicht eine artikulierte Lautsprache. Auch die
Walgesänge sind nicht Sprache in diesem Sinn, sondern eben Gesänge.
Mögen sie auch noch so reich und vielfältig sein, bleiben sie doch
innerhalb enger artspezifischer Grenzen eingeschlossen. Nicht so die
Lautsprache des Menschen. Mit sehr wenigen grundlegenden Lauten, den
Vokalen und Konsonanten, erreicht der Mensch durch ihre lebendige
immer wechselnde Verbindung eine potentiell unbegrenzte
sprachschöpferische Kraft. Die von klein auf erlernte Muttersprache,
die Volkssprache, setzt dieser Ausdruckskraft zwar zunächst gewisse
Grenzen, aber wir können sie immerhin erweitern, indem wir neue
Sprachen lernen und begabte Dichter können den Reichtum ihrer
Muttersprache bedeutsam vermehren. Bei den Tieren ist das
Lautrepertoire weitgehend angeboren, obwohl es in sehr engen Grenzen
variieren kann durch das, was das Tier nachahmend von den Elterntieren
erlernt. Beim Menschen hingegen ist eigentlich nur die grundsätzliche
Sprechfähigkeit angeboren, während die spezifische menschliche
Sprache ganz auf das Erlernen gegründet ist. Das gilt für das
einzelne heranwachsende Kind genauso wie für die Menschheit
insgesamt. Das darf uns vermuten lassen, dass die menschliche Sprache
vielleicht noch lange nicht ihre volle Höhe erreicht hat und es wird
in diesem Vortrag auch darum gehen, auf die künftige
Sprachentwicklung hinzuweisen.
Körpergestik der Tiere
Tiere haben keine Gestik im menschlichen Sinn,
die sich vor allem durch die feinen beseelten Bewegungen der Arme und
Hände kundgibt, wohl aber eine sehr ausdrucksvolle Körpergestik, man
denke nur an den Katzenbuckel oder das Wedeln des Hundes, wobei die
Bewegung sehr wesentlich vom Rückgrat ausgeht - eigentlich wedelt der
Schweif mit dem Hund und nicht umgekehrt. Die Bienensprache ist
eigentlich ein Tanz, der mit dem ganzen Körper ausgeführt wird, sie
ist keine beseelte Sprache im eigentlichen Sinn. Ganz anders die
beredte Gestik des Menschen, sie ist geradezu sichtbar gewordene
Sprache und mit der Lautsprache aufs engste verwandt.
Drei Fähigkeiten unterscheiden den Menschen wesentlich vom Tier:
Die freie Gestik und auch die Fähigkeit zu
sprechen verdankt der Mensch seiner aufrechten Körperhaltung.
Insgesamt sind es drei Fähigkeiten, durch die sich der Mensch
grundlegend von jedem Tier unterscheidet:
- Aufrichtekraft
(Ausdruck des Willens)
- Sprache,
im Sinne der artikulierten Lautsprache, ist vor allem
artikulierter Ausdruck des Gefühls - Tiere hingegen können ihre
Emotionen nicht artikulieren.
- Denken
(Ausdruck des Denkens – Ichbewusstsein)
Der Kosmos der Laute
Eine provokante These sei hier zuletzt
ausgesprochen: die wahrhaft menschliche Sprache im vollen und ganzen
Sinn haben wir noch gar nicht, sie wird erst künftig entstehen! Dem
scheint sogleich der lange schon bemerkbare allgemeine Sprachverfall
zu widersprechen. Doch was zerfällt, sind – wie schon oben
angedeutet - nur die begrenzten und begrenzenden Volkssprachen. Sie mögen
göttlichen Ursprungs sein, empfangen durch die inspirierende Sprache
der Natur– zumindest hat man es früher so aufgefasst. Den alten
Indern war das Sanskrit noch ein leuchtender Abglanz der Göttersprache,
den Juden war das Hebräische heilig und dem gläubigen Moslem ist es
das Arabische noch heute. Das Lateinische und die modernen europäischen
Volkssprachen sind demgegenüber schon viel profaner. Wahrhaft
menschlich in der vollen Bedeutung des Wortes sind sie allesamt nicht.
Die Volkssprachen werden nach und nach
verschwinden, und zwar in dem Maße, in dem sich auch die Grenzen
zwischen den Völkern verwischen werden. Wer die menschheitliche
Entwicklung mit offenem Blick überschaut, kann nämlich sehen, dass
die Trennung in Rassen, Völker, Stämme und Familien immer mehr ihre
Berechtigung verliert und dafür der einzelne individuelle Mensch
immer stärker hervortritt. Die sprachbildende Kraft der Völker ist
verödet und die Zukunft wird viel höhere Anforderungen an die individuelle
sprachschöpferische Kraft des Menschen stellen und zugleich die Fähigkeit
erfordern, diese Kräfte der anderen Menschen nachschöpferisch
in sich zu erfassen – denn sonst wäre eine Verständigung abseits
aller Sprachnormen, die es dann eben nicht mehr geben wird, völlig
unmöglich. Gerade darin wird zugleich einer der wesentlichsten
Antriebe für die künftige Entwicklung der Menschheit liegen. Es wird
dadurch ein so inniges Band von Mensch zu Mensch geknüpft werden, wie
man sich das heute noch kaum vorzustellen vermag. Wie ein winziges
keimendes Samenkorn liegt heute noch die eigentlich menschliche
Sprache zwischen dem weltenschaffenden Götterwort und dem an die
sinnliche Lust und das irdische Leid gebundenen tierischen Laut. Aber
dieses Samenkorn wird nicht von selbst reifen, sondern nur, wenn der
Mensch es aus freiem Willen tätig erstrebt.
|