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Unsichtbare Welten

Gemeinsames in Natur- und Geisteswissenschaft

Wolfgang Peter 1997

INHALT

Was ist es, das wir als Welt erleben?

Die Außenwelt

Die Innenwelt

Das räumlich-sinnliche Bewußtsein

Die Sinneswelt als Mitte zwischen übersinnlicher und untersinnlicher Welt

Das innere Licht der Traumwelt

Das erkraftete Seelenleben - vom reinen Denken zur Imagination


Was ist es, das wir als "Welt" erleben?

Bei Tag erleben wir zunächst die sinnlich-räumliche Außenwelt und die zeitlich-seelische Innenwelt. Anders in der Nacht im Schlaf: dann wird es für unser Bewußtsein, abgesehen von den Träumen, finster. Wir wissen dann nichts von uns selbst, dennoch haben wir den festen Glauben, daß, während wir schlafen, die Welt und wir selbst weiter bestehen.

Die Außenwelt

Sie erscheint uns gegenständlich, d.h. als räumlich geordnete Komplexe der verschiedensten Sinnesqualitäten (Farben, Töne, Gerüche usw.). Es ist die im weitesten Sinne sichtbare Welt und sie ist das, was wir schlechthin als Realität bezeichnen (von "res" = resistent). Sie ist das, was unserem Willen Widerstand leistet. Hier setzen wir unsere Taten, von hier aus haben wir aber auch vieles zu erleiden.

Aber vieles in der Außenwelt ist nicht sichtbar, wir erkennen es nur an seinen Wirkungen: z.B. Radiowellen, kosmische Strahlungen, überhaupt alles, was mit Elektrizität und Magnetismus zu tun hat. Und diese Wirkungen beschränken sich nicht nur auf die räumliche Außenwelt, sondern auch auf unseren (räumlichen) Körper. Muskel und Nerven funktionieren auf elektrischem Wege und werden von der Elektrizität beeinflußt oder können umgekehrt in äußere elektrische Vorgänge eingreifen (Radio, TV, Verbundnetz, Handy oder umgekehrt die Steuerung des Computers durch Nervenimpulse = "Gedankensteuerung"). Völlig unsichtbar und doch sehr wirksam in der ganzen Natur ist die natürliche und künstliche Radioaktivität. Diese untersinnliche Welt wurde erst in der aller letzten Zeit entdeckt und hat seitdem überragende Bedeutung für die Menschheit gewonnen. Sie hängt eng mit der Technik zusammen: durch sie wurde sie erst entdeckt und wird durch sie immer mehr an die Oberfläche gedrängt, ja in ungeheurem Maße neu geschaffen.

Die untersinnliche Welt wird uns nicht gegenständlich wie die sichtbar-räumliche Welt, wir erkennen sie nur an den durch die Technik, die Meßapparate vermittelten Wirkungen. Diese Wirkungen kann man wohl räumlich erfassen, nicht aber die Elektrizität, den Magnetismus oder die Radioaktivität selbst! Elektronen z.B. sind weder sinnliche noch räumliche Gegenstände. Sie entsprechen nicht unserer gewohnten Vorstellung von Realität (im Sinne von "Dinglichkeit"). Man kann sie sich zunächst überhaupt nur durch symbolische Sinnbilder vergegenwärtigen! Am schlechtesten ist es, wenn man dafür ein räumlich-gegenständliches Sinnbild wählt, denn das führt leicht zu dem Aberglauben, daß sie in Wahrheit gegenständlicher Natur seien. Das war z.B. der Fehler des Materialismus des 19. Jahrhunderts, daß er, als er sich die Atome ausdachte, sie als räumliche Gegenstände vorstellte! Das sind sie nicht! Man kann zu recht von atomistischen, untersinnlichen Wirkungen sprechen, nicht aber von Atomen als sinnliche Gegenstände. Wir werden darauf noch zurückkommen und sehen, wie mit der Jahrhundertwende dieses materialistisch-atomistische Bild vollkommen zusammengebrochen ist.

Am stärksten die rein sinnliche Welt erlebten die Menschen in der griechisch-römischen Zeit. Geht man hinter diese Zeit zurück, so findet man, daß die Menschen von einer übersinnlichen Welt sprachen, die sie gleichsam hinter der sinnlichen Natur schauten. Sie sprachen von Elfen, Zwergen und anderen Elementarwesen genauso wie von erhabenen Göttern. Und so wie wir heute fest an die untersinnliche Welt glauben, so war damals diese übersinnliche Welt selbstverständlich. Eines haben beide gemeinsam: sie sind nicht unmittelbar sinnlich erfahrbar und sie lassen sich beide nur durch Sinnbilder ausdrücken. In Sagen, Märchen, Mythen und Legenden muß man solche Sinnbilder sehen. Sie sprechen von einer Wirklichkeit, die die Menschen ehemals ebenso sicher erfahren haben, wie wir heute die untersinnliche Welt der Elektrizität, des Magnetismus usw. In den Aberglauben würde man aber sofort verfallen, wenn man die Gestalten der Märchen mit sinnlich-räumlichen körperlichen Personen verwechselte, was später, als man die Mythen nicht mehr verstand und unmittelbar erlebte, genugsam geschah. Zu recht ist die neuzeitliche Naturwissenschaft gegen diesen Aberglauben aufgetreten - und zugleich zunächst dem materialistischen Aberglauben verfallen.

Die übersinnliche und die untersinnliche Welt unterscheiden sich aber wesentlich voneinander. Die untersinnliche Welt wurde dem Menschen durch die technische Entwicklung zugänglich, die übersinnliche Welt eröffnete sich den Menschen durch ihre seelische Entwicklung. Letztere war unumgänglich mit einer strengen moralischen und geistigen Schulung verbunden. Die Technik hingegen erfordert zwar, den Intellekt auszubilden, verlangt aber nicht unmittelbar die moralische, geistig-schöpferische Weiterentwicklung. Man kann ein guter Techniker sein und doch zugleich ein recht liederlicher Kerl.

Die untersinnliche Welt, der wir durch die Technik begegnen, ist erfüllt von abbauenden, ja zerstörerischen Kräften; ein prägnantes Beispiel ist die Radioaktivität, Sie ist lebensfeindlich und das Leben kann durch sie nicht begriffen werden. Tatsächlich begreift die Naturwissenschaft heute eingestandenerweise nicht, was das Leben wirklich ist. So läßt sich etwa die Gestalt eines Lebewesens keineswegs aus seiner genetischen Anlage ableiten. Die Gene sind zwar notwendig, damit ein irdisches Lebewesen entstehen kann, aber sie sind dafür keineswegs hinreichend. Der Phänotyp läßt sich aus dem Genotyp nicht erklären, läßt sich doch nicht einmal die Form eines Kristalls, sein Habitus, aus der Molekularstruktur seiner materiellen Bausteine deduzieren. Das zeigt u.a., wie problematisch die moderne Gentechnik ist, wo man tiefgreifend in das Leben der Organismen eingreift, ohne wirklich zu wissen, was man damit tut. Ähnlich ist es um die Kernkraft bestellt, und auch die lebensfeindlichen Wirkungen der elektromagnetischen Kräfte beginnt man allmählich zu ahnen (Elektrosmog). Damit soll aber nicht etwa eine Technikfeindlichkeit begründet werden; offensichtlich ist die Zeit reif dafür, daß sich der Mensch mit den Todeskräften auseinandersetzen muß.

Die übersinnliche Welt, das ist vorallem die Welt der geistigen schöpferischen und lebensspendenden Wesen, die unsere Welt geschaffen haben und beständig um- und weitergestalten. Allerdings stehen ihnen auch verneinende Geister gegenüber, die zerstörerisch wirken. Schon die alten Perser hatten dem Lichtgott Ormuzd, der großen geistig-kosmischen Sonnenaura ("Ahura Mazdao") den finsteren Ahriman entgegengesetzt, der ein unterirdisches, untersinnliches Wesen ist. Der Mensch ist mitten hineingestellt in diesen Kampf zwischen Ormuzd und Ahriman. In diesem Sinne darf man die untersinnliche Welt auch als die Welt Ahrimans bezeichnen. Eine derartige Vorstellung wird den modernen Menschen natürlich zunächst unangenehm berühren, läßt er doch in der Außenwelt nichts Seelisches oder Geistiges gelten. Für ihn ist die Außenwelt sinnlicher oder höchstens noch untersinnlicher Natur; nur seine eigene Innenwelt empfindet er seelisch-geistig. Er wird daher sofort von Anthropomorhismus oder Animismus sprechen, und das ist aus der modernen Perspektive mit ihrer strengen Trennung von räumlicher Außenwelt und seelischer Innenwelt auch nicht anders zu erwarten. Man darf aber nicht übersehen, daß die Menschen nicht immer so empfunden haben. Bis in die neueste Zeit hinein haben die Menschen keine so strenge Scheidewand zwischen Innen- und Außenwelt aufgerichtet, wie wir. Und es ist nicht von vornherein einzusehen, daß unsere gegenwärtige Weltanschauung richtiger, wahrhaftiger ist, als die der alten Völker. Vielleicht ist die Welt in Wahrheit nicht so streng getrennt in eine Außen- und eine Innenwelt. Vielleicht ist diese Trennung nur eine scheinbare, wenngleich auch für unsere momentane Entwicklungsstufe notwendige? Jedenfalls sollten wir unvoreingenommen prüfen! Wenden wir uns daher zunächst der Innenwelt zu.

Die Innenwelt

Das seelische Innenleben unserer Mitmenschen ist uns zunächst unsichtbar, ebenso das der Tiere (sofern wir als heutiger Menschen ein solches überhaupt voraussetzen und nicht die Tiere oder gar den Menschen als bloßen physikalischen Apparat ansehen, als "L´homme machine"). Aber auch unser eigenes Innenleben ist uns nicht eigentlich "sichtbar". Wir erleben es zwar als Denken, Fühlen und Wollen, als Wünsche, Begierden und Triebe, aber wir schauen es nicht. Wenn wir uns selbst nicht wider unser tägliches Erleben ganz mit unserem sinnlich-räumlichen Körper identifizieren, so fühlen wir uns doch wenigstens eins mit unserem Seelenleben. Was wir als unser Ich bezeichnen, das setzen wir vorerst geradezu gleich mit unserem seelischen Innenleben.

Da dem Menschen heute in der Regel nichts über sein eigenes Ego geht, und da er dieses mit seinem Seelenleben weitgehend gleichsetzt, sollte man meinen, daß er dieses für die mächtigste Realität überhaupt hält. Aber nein, so ist es beiweiten nicht. Gegenüber der drückenden Realität der Außenwelt wird das seelische Innenleben als dünn und flüchtig, eben als gar nicht richtig greifbar empfunden. Und es gehört schon ein sehr stark entwickeltes Ich-Bewußtsein dazu, um wie Descartes neben der "res extensa", der räumlich-sinnlichen Außenwelt, auch eine "res cogitans", eine reale Innenwelt zu verspüren. "Ich denke, also bin ich" sagt Descartes und vermeint im Denken wenigsten der Wirklichkeit seines Ich gewiß zu sein, während sich die meisten Menschen, wie Fichte treffend sagt, wohl lieber für ein Stück grünen Käses aus dem Mond halten, als für ein Ich. Und doch ist auch dieses "Ich denke, also bin ich" höchst merkwürdig, bedeutet es doch auch umgekehrt, daß man nicht ist, wenn man nicht denkt. In der Nacht, wenn wir schlafen, denken wir zweifellos nicht. Sind wir dann nicht? Vergeht unser Ich jeden Abend, um am Morgen von neuem zu entstehen?

Unsere seelische Innenwelt ist also noch viel rätselhafter als die Außenwelt. Während letztere als objektive Wirklichkeit angesprochen wird, erscheint uns erstere bloß subjektiv und unwirklich und nur gradweise greifbarer als unsere chaotischen Träume. Am hellsten und klarsten ist uns noch das Denken, besonders in der gestrengen Mathematik; das Fühlen ist schon viel wirrer, und der Wille, die Begierden und Triebe tauchen gar aus einer völligen Dunkelheit unvermittelt hervor. Warum ist das so?

Der objektiven Außenwelt können wir, weil wir sie räumlich erfahren, gegenübertreten. Anders unsere Seelenwelt; wir erleben sie nicht räumlich, sondern zeitlich, sie fließt und verändert sich ständig. Von der Außenwelt können wir uns trennen, von unserer Innenwelt kaum; wir erleben sie vorderhand bloß subjektiv, aber sie wird uns nicht objektiv. Gerade dadurch, daß wir uns für unser Erleben geistig scheinbar völlig aus der Außenwelt herausgehoben haben, erwacht unser Bewußtsein, und es ist zugleich ein Bewußtsein der äußeren Welt und von uns selbst. Das räumlich-sinnliche Bewußtsein ist zugleich stets Selbstbewußtsein, das mit der äußeren Wahrnehmung mehr oder weniger leise mitklingt. Wenn früher die Menschen nicht so streng zwischen der sinnlichen und der seelischen Welt unterschieden haben, wenn diese, wie ihre Mythen bezeugen viel mehr ineinander und durcheinander flossen, dann hatten sie auch ein anderes Bewußtsein als wir. Noch früher empfanden die Völker überhaupt nur die Seelenwelt und erst allmählich breitete sich der Schleier der Sinneswelt, die Maya, wie sie die alten Inder nannten, über sie. Dafür aber war ihr Selbstbewußtsein noch wenig entwickelte. Der Einzelne fühlte sich als Glied der göttlichen Welt, oder zumindest als Glied eines Stammes, eines Volkes, aber nicht als individuelles Wesen. Dem Tod, dem Ende der physischen, körperlichen Existenz, das der moderne Mensch so sehr fürchtet, maß er wenig Bedeutung zu, denn dann, wenn der Sinnesschleier zerrissen wurde, kehrte er wieder in seine eigentliche geistige Heimat zurück. Viel bedrängender war es für ihn, überhaupt in diese räumliche Sinneswelt hineingeboren zu werden. Nicht dem Tod, sondern dem Erdenleben wollte man entfliehen. Nicht wiedergeboren zu werden, erscheint dem Buddhisten noch heute als höchstes Glück. Er sucht es auf Kosten seiner Individualität. Wenn du für immer in die göttliche Welt eingehen willst, die du hier auf Erden kaum mehr wähnst, wenn das Nirwana deine Heimat werden soll, dann mußt du die trügerische Illusion zerstören, ein Ich sein zu wollen. Die Heimat der Götter ist nicht diesseits in der Sinneswelt, sondern jenseits in der Seelenwelt.

Da geschah zur Zeitenwende der große Umschwung. Ein Gott, der höchste Gott überhaupt, verkörperte sich auf Erden und wurde Mensch. Eine unerhörte und noch nie dagewesene Tat wurde damit vollbracht, als der Christus die Erde betrat. "Die Reiche der Himmel sind nahe herabgekommen", so kündigt schon Johannes der Täufer sein Kommen an. Und die Botschaft, die Wirkung, die von dieser Tat ausstrahlt ist diese: werde ein Ich und erlebe schon hier auf Erden die geistige Welt. Nur wenn du hier auf Erden Taten setzt, die den Stempel des Geistes aufgeprägt haben, wenngleich du dafür vielleicht auch erleiden mußt, was nur je ein Mensch erleiden kann, dann kannst du ein individuelles Ich-Wesen werden. Dann aber bist du berufen, auch einmal in den Reigen der Götter als ein Wesen ihresgleichen aufgenommen zu werden. Der Christus hat ein solches Leben vorgelebt und der Menschheitsentwicklung damit eine neue Richtung gegeben. Nicht dieser Welt zu entfliehen, sie zu verneinen, ist von nun an die Maxime, sondern mutig das Erdental zu durchdringen zu einem neuen geistigen Erwachen, bis uns die seelische Welt ebenso klar, ja noch viel klarer erscheint als die bloße Sinneswelt. Um unser Ich-Bewußtsein zu entfalten, müssen wir zuerst die räumliche Welt erfahren. Ist das einmal geschehen, kann der Wiederaufstieg in die geistige Welt beginnen, bereichert um alle Früchte des Erdendaseins. Dann kommt auch das andere Christuswort zum tragen: "Mein Reich ist nicht von dieser Welt".

Das räumlich-sinnliche Bewußtsein

Weil unser Bewußtsein für den Raum erwacht ist, erleben wir uns, wie wir gesehen haben, als individuelles Ich-Wesen. Das war, wie ebenfalls erwähnt, nicht immer so, und es ist auch heute noch nicht so, wenn der Mensch in diese Welt hineingeboren wird. Erst allmählich wächst das Kind bewußt in den Raum hinein. Ein erster entscheidender Schritt ist getan, wenn das Kind mit etwa drei Jahren erstmals "Ich" zu sich selbst sagt. Erst dann hat es eine gewisse erste Sicherheit im räumlichen Erleben gewonnen. Dann hat es gelernt, Gegenstände zu ergreifen, sich aufzurichten, zu sprechen und ganz anfänglich zu denken. Aufrichtekraft, Sprache und Denken sind drei Fähigkeiten, über die nur der Mensch verfügt, aber kein Tier. Und kein Tier erlebt bewußt den Raum. Dem scheint die Tatsache zu widersprechen, daß sich auch viele Tiere sehr geschickt, ja oft geschickter als der Mensch im Raum bewegen, ihre Beute anvisieren und zielsicher fangen. Aber sich geschickt im Raum zu bewegen, ist nicht das selbe, wie den Raum auch bewußt zu erleben. Das zeigt sich am besten an den Schlafwandlern, die völlig bewußtlos sind und sich doch zielsicher auf die waghalsigsten Klettertouren begeben, sicherer als wären sie wach. Tibetische Mönche bilden sich noch heute oft als "Tranceläufer" aus. In völliger Finsternis eilen sie in hohem Tempo über die welligen Hochebenen Tibets, während ihr Bewußtsein ganz in Trance versetzt und der Sinneswelt entrückt ist. Es scheint geradezu, als bewegte sich der Mensch viel ungeschickter, wenn er wach ist. Was bewußtlos völlig selbstverständlich abläuft, kann bewußt nur mühevoll geschehen. Und doch müssen wir erwachen, um unser Ich zu finden. Wir müssen dazu zunächst einmal die räumlich-sinnliche Welt bewußt erobern.

Die räumlich-sinnliche Welt ist uns also nicht selbstverständlich gegeben, sondern wir müssen sie erst bewußt ergreifen. Tatsächlich liefern uns die Sinne, die Augen zunächst kein räumliches Bild. Jedes Auge empfängt nur ein flächenhaftes Abbild der Welt. Erst wenn wir durch unsere seelische Tätigkeit diese beiden leicht unterschiedlichen Bilder miteinander verbinden, erleben wir räumlich gegenständlich. Nur ist uns dieses innere Tun so selbstverständlich geworden, daß wir es als erwachsener Mensch nicht mehr bemerken. Wir glauben, die Gegenstände seien uns unmittelbar gegeben und eben darum von uns völlig unabhängig und bar jeder seelischen Aktivität. Nicht einmal Formen würden wir alleine durch den Lichtsinn des Auges erkennen, es erlebt alleine Hell und Dunkel und die verschiedenen Farben. Formen werden wir erst gewahr, weil wir sie unwillkürlich durch den Eigenbewegungssinn unserer Augen abtasten. Und je geschulter dieser ist, desto reichere Formen vermag er zu erkennen. Das Auge des Malers sieht beiweiten mehr als der Durchschnittsmensch. Der geschulte Botaniker sieht die verschiedensten Gräser und Blumenarten, wo wir bloß eine beliebige Wiese erkennen. Und er "sieht" sie wirklich ebenso unmittelbar wie wir vielleicht gerade noch eine Rose sofort als solche wahrnehmen. Je reicher jemand seine seelische Innenwelt entwickelt hat, um so mehr erkennt er von der Außenwelt. Die "objektive" Welt wäre für uns gar nicht vorhanden, wenn wir sie nicht durch unser "subjektive" Innenwelt ergreifen; und das ist durchaus individuell ganz unterschiedlich. Goethe spricht das so aus:

  • Kenne ich mein Verhältnis zu mir selbst und zur
    Außenwelt, so heiß ich's Wahrheit. Und so kann
    Jeder seine eigene Wahrheit haben, und es ist
    doch immer dieselbige.
  • (Maximen und Reflexionen)

    Damit wird keineswegs ein Erkenntnisrelativismus begründet, aber die eine Wahrheit kann von den verschiedensten Seiten betrachtet und ganz unterschiedlich tief aufgefaßt werden.

    Die einzelnen Sinnesorgane liefern uns überhaupt nur einzelne, völlig unverbundene Sinnesqualitäten wie Gerüche, Töne, Farben, Hitze und Kälte usw. Aber durch die Sinne allein würden sie sich niemals auch nur zu dem einfachsten Gegenstand zusammensetzen. Erst indem wir geistig ihren inneren Zusammenhalt erkennen, erstehen sie für unser Bewußtsein. Durch unsere geistige Verrichtung ergreifen wir das objektive geistige, das ihnen zugrunde liegt. Die Form, auch die räumliche Form, ist niemals sinnlich, sondern nur geistig zu erfahren. Und daher wird etwa auch in der Bibel den Göttern, die unsere Welt geschaffen haben, den Elohim, höchste Ehrfurcht entgegengebracht; in der christlichen Terminologie werden sie geradezu als "Geister der Form" bezeichnet. Kein Tier erlebt, wie wir gesehen haben, diese Form. Es lebt in einem wogenden Meer von Sinneseindrücken, von Farben, Gerüchen, Tönen usw. Es erlebt zwar sinnlich, aber nicht räumlich; dafür erlebt es die Sinnesqualitäten viel intensiver als wir, und es erlebt sie vorallem eng verbunden mit seinen eigenen inneren Empfindungen. Bestimmte Gerüche sind unmittelbar identisch mit einem spezifischen Lusterlebnis, andere mit Ekel, die eine Farbe wird direkt wohltuend empfunden, die andere abstoßend. Goethe hat etwas von diesen Zusammenhängen geahnt, darum hat er von der sinnlich-sittlichen Wirkung der Farben gesprochen. Nur hat er damit zugleich höheres, geistigeres gemeint, als es das Tier zu ergreifen vermag, das sich bloß in seelischen Stimmungen badet. Farben sind eben niemals nur sinnlich, sondern auch seelisch und geistig. Wie überhaupt die sinnliche Welt niemals ohne der geistigen bestehen kann. Daß wir die Außenwelt streng von unserer Innenwelt trennen müssen, ist zwar notwendig, damit wir unser selbst bewußt werden, aber sie ist letztlich nur eine Illusion, die uns nur deswegen nicht auffällt, weil wir die seelische und geistige Welt noch nicht wirklich bewußt erfaßt haben.

    Noch im vorigen Jahrhundert, als der Materialismus seine Blüte hatte, dachte man sich die Welt aus Atomen zusammengesetzt, die man sich im Grunde als winzig kleine räumliche Gegenstände vorstellte. Diese Illusion ist verflogen, obwohl sich auch nicht alle Physiker dessen vollkommen bewußt sind. Als man in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts die Quantentheorie entwickelte, wurde das materialistische, mechanistische Weltbild der klassischen Physik in seinen Grundfesten erschüttert. Man erkannte, daß sich die submikroskopische Welt der Atome, Elektronen usw. durch das klassische Teilchenbild alleine, also durch die Vorstellung räumlich genau lokalisierbarer, begrenzter fester Gegenstände, nicht adäquat beschreiben läßt. Die atomistischen Erscheinungen mußten zugleich als Welle, d.h. als sich über den ganzen Kosmos erstreckender periodischer raumzeitlicher Vorgang aufgefaßt werden. "Teilchen" und "Welle" sind zunächst nichts anderes als gedankliche Modelle für eine sinnlich-räumlich überhaupt nicht vorstellbare Wirklichkeit. Das Teilchenbild beschreibt die Wirkungen, die diese untersinnliche Welt in unsere räumlich-sinnliche Welt hereinwirft. Alles, was sinnlich erscheint oder zumindest durch physikalische Apparate meßbar ist, muß an einem bestimmten Ort und zu einer bestimmten Zeit erscheinen. Die sinnlich-räumliche Wirkung der untersinnlichen Welt läßt sich daher treffend durch das Teilchenbild beschreiben; dahinter steht aber der ganzheitliche Aspekt der submikroskopischen Welt, der keine räumliche und zeitliche Einengung gestattet. Daraus folgt, daß die untersinnliche Welt unserem intuitiven gegenständlichen Vorstellungsvermögen auf geradezu unglaubliche Weise widerspricht. Die Welt der Atome, die untersinnliche Welt, ist tatsächlich alles andere als gegenständlich. Feste Gegenstände sind für gewöhnlich undurchdringlich, wo ein Gegenstand ist, kann nicht zugleich ein anderer sein und räumliche Dinge können nicht zugleich an verschiedenen Orten erscheinen. Atome oder Elementarteilchen wie etwa das Elektron können all dies gelegentlich tun. Sie durchdringen scheinbar unüberwindliche Barrieren mühelos (Tunneleffekt; wesentlich für die ganze moderne Elektronik, besonders für die Halbleitertechnik). Unter speziellen Bedingungen können sich hunderte und mehr Atome (Bosonen, d.h. "Teilchen" mit ganzzahligem Spin) an ein und dem selben Ort aufhalten. Das gemahnt beinahe an die scholastische Frage, wie viele Engel auf einer Nadelspitze sitzen können. Und aus dem sog. EPR-Experiment und aus der Bellschen Ungleichung folgt, daß es getrennte "Teilchen" überhaupt nicht gibt, sondern daß sie auf einer tiefen, fundamentalen Ebene alle miteinander verbunden sind. Was einem "Teilchen" hier passiert, findet seinen unmittelbaren Widerhall im ganzen Universum, ohne jegliche äußere Vermittlung und ohne irgendeinen Zeitverlust. Atome können durch Energie, etwa durch Licht in verschiedene sog. angeregte Zustände versetzt werden - und diese verschiedenen Anregungszustände ein und desselben Atoms können zugleich an verschiedenen Orten erscheinen. Das Kausalitätsprinzip, bis zum Ende des 19. Jahrhunderts das wesentlichste Dogma der Physik, ist in der mikroskopischen Welt nicht mehr gültig. Atomare Erscheinungen, wie etwa der radioaktive Zerfall, lassen sich nicht aus äußeren Ursachen ableiten. Das streng deterministische mechanistische Weltbild der klassischen Physik war damit endgültig in seinem begrenzten Erkenntniswert erkannt worden. Von nun an konnte die Welt nicht mehr als großes Uhrwerk angesehen werden, das, einmal aufgezogen, in streng vorhersagbaren Bahnen abläuft. Diese und viele andere merkwürdige Ereignisse sind typisch für die untersinnliche, beinahe gespenstische mikroskopische Welt, die sich völlig unserem sinnlichen Vorstellungsvermögen entzieht und mehr der chaotischen Traumwelt ähnlich zu sein scheint als der uns vertrauten Sinneswelt.

    Die Sinneswelt als Mitte zwischen übersinnlicher und untersinnlicher Welt

    In der Nacht, bei völliger Finsternis sehen wir die Dinge der äußeren Welt nicht, auch wenn sie dicht vor unseren Augen stehen. Die materielle Welt, für sich allein genommen, ist unsichtbar. Um sie zu erkennen, bedarf es des Lichts. Aber auch das Licht selbst ist, so paradox das auch klingen mag, unsichtbar. Niemals sehen wir mit sinnlichen Augen das Licht selbst. Das ganze Weltall, der Nachthimmel, ist erfüllt von Licht, und doch erscheint es uns, abgesehen von den leuchtenden Sternen, ganz dunkel, beinahe schwarz. Nicht das Licht sehen wir, sondern immer nur Leuchtendes oder Beleuchtetes. Durch das übersinnliche Licht erscheint uns die untersinnliche Stoffesfinsternis; erst wo beide zusammenwirken, erstrahlen die sinnlichen Farben. Wenn das Licht die materielle Finsternis durchdringt, so zeigen sich die aktiven gelben und roten Farbtöne. Schimmert umgekehrt die Dunkelheit durch ein durchhelltes Medium, so erscheinen die blauen und violetten Farbnuancen. Das dunkle Weltall, gesehen durch die durchleuchtete Luft, wölbt sich als blauer Himmel über unseren Köpfen. Die untergehende Sonne, deren Licht die dichten trüben Luftschichten durchdringen muß, verfärbt sich rötlich. Farben sind Taten und Leiden des Lichts, sagt Goethe in seiner Farbenlehre. Am Stoff erscheint das Licht als Farbe. Während aber auf dem Grund der Stoffeswelt die Todeskräfte walten, ist das übersinnliche Licht von Schöpferkräften erfüllt. Nicht nur die Farben vermag es hervorzubringen, sondern auch die Augen selbst, durch die wir die Farben wahrnehmen, sind durch das Licht geschaffen:

  • Wär' nicht das Auge sonnenhaft,
    Wie könnten wir das Licht erblicken?
    Lebt' nicht in uns des Gottes eigne Kraft,
    Wie könnt' uns Göttliches entzücken?
  • So Goethe in Anlehnung an den deutschen Mystiker Jakob Böhme, und weiter:

    "Das Auge hat sein Dasein dem Licht zu danken. Aus gleichgültigen tierischen Hilfsorganen ruft sich das Licht ein Organ hervor, das seinesgleichen werde, und so bildet sich das Auge am Lichte fürs Licht, damit das innere Licht dem äußeren entgegentrete."

    Im Auge, so meint Goethe, ruht ein inneres, seelisches Licht, das bei der mindesten Veranlassung von innen oder außen erregt werden kann:

    "Wir können in der Finsternis durch Forderungen der Einbildungskraft uns die hellsten Bilder hervorrufen. Im Traume erscheinen uns die Gegenstände wie am vollen Tage. Im wachenden Zustande wird uns die leiseste äußere Lichtwirkung bemerkbar; ja, wenn das Organ einen mechanischen Anstoß erleidet, so springen Licht und Farben hervor."

    Zuletzt ist auch die Materie selbst, die stoffliche untersinnliche Finsternis, aus dem Licht geschaffen. Wie heute schon experimentell gezeigt werden kann, lassen sich beispielsweise Elektronen direkt aus dem reinen Licht erzeugen, und umgekehrt kann Materie auch wiederum in Licht umgewandelt werden, wie die etwa bei der Kernspaltung frei werdenden ungeheuren Energien genugsam zeigen.

    Das innere Licht der Traumwelt

    Zurecht spricht Goethe nicht nur von dem äußeren Licht, das die räumliche Welt erhellt, sondern auch von einem inneren Licht, das die Seele erleuchtet. In der Nacht, wenn wir schlafen und die Pforten unserer Sinne geschlossen sind, versinkt das Bewußtsein in absoluter Finsternis. Weder von der Welt noch von uns selbst wissen wir dann; doch ab und zu tauchen aus diesem Dunkel bewegte innere Bilder scheinbar ganz chaotisch und allen physikalischen Gesetzen spottend empor. Ob wir sie auf irgendeine Wirklichkeit beziehen dürfen, und wenn ja, auf welche, bleibt uns zunächst völlig unklar. Auch unser Selbstbewußtsein ist im Traum beinahe völlig abgedämpft. Anders als der Sinneswelt gegenüber können wir uns von den Traumbildern nicht so einfach abtrennen und ihnen gegenübertreten. Wir selbst sind gleichsam identisch mit den Bildern, und eben darum können wir uns ihnen nicht objektiv gegenüberstellen. Die Träume haben deshalb vorerst keinen wirklichen Erkenntniswert, und alle herkömmliche Traumdeuterei ist von herzlich geringem Wert. "Träume sind Schäume", sagt man nicht ganz zu unrecht, aber doch sind sie ein wichtiges Symptom dafür, wie die Seele aus eigener Kraft ein inneres Licht hervorzubringen vermag. Daß wir uns von den Traumbildern nicht wirklich als selbständiges Ich ablösen können, haben sie gemeinsam mit unserem seelischen Innenleben während des Tages. Insbesondere auch unsere Gefühle werden uns niemals so gegenständlich wie etwa die sinnliche Außenwelt, und mit gewissem Recht kann man sagen, daß wir in unserem Fühlen auch tagsüber träumen. Nur sind unsere Gefühle noch viel blasser als die Träume, weil sie vom sinnlichen Tagesbewußtsein überstrahlt werden. Erst wenn dieses im Schlaf wegfällt, erscheinen sie in traumhaft bewegten Bildern.

    Eine Erscheinung des wachen Tagesbewußtseins gibt es, die mit den Träumen verwandt ist und doch unser normales Selbstbewußtsein nicht mindert: die Erinnerungsvorstellungen. Von ihnen wissen wir, daß sie sich auf eine, wenngleich bereits vergangene äußere Wirklichkeit beziehen. Und doch kopieren die Erinnerungsvorstellungen nicht einfach das, was einstmals geschehen ist. Die Erinnerungsbilder sind nicht irgendwo in uns "aufgespeichert", sondern wir produzieren sie jedesmal neu, wenn wir uns erinnern. Daher ist auch unser Gedächnis nicht immer so getreu, wie wir es uns wünschen. Allzu leicht neigen wir unbewußt dazu, die Vergangenheit zu verfälschen, wenn wir uns an sie erinnern. Das steigert sich noch im Traumleben, denn dieses besteht zunächst aus nichts anderem als aus Erinnerungsbildern, die aber völlig chaotisch zusammengewürfelt werden und darum mit dem am Tage erlebten nur mehr wenig gemeinsam haben. So hat die Traumhandlung selbst mit dem Tagesleben nichts mehr zu tun, aber die Bilder selbst, gleichsam der Stoff aus dem die Träume gewoben sind, sind der sinnlichen Welt entnommen. Meist sind es Bilder, die wir am gleichen Tag oder am Vortag aufgenommen haben, wobei aber alles noch dadurch kompliziert wird, daß es sich dabei oft um Eindrücke handelt, die wir zwar mit Augen gesehen oder mit Ohren gehört haben, die uns aber dabei kaum wirklich tagsüber bewußt geworden sind. Wie vieles sieht man tagein tagaus und sieht es doch nicht wirklich mit wachem Geist; in den Träumen tauchen all diese unbewußten Erfahrungen wieder auf. Sich zu einem getreuen Gedächnis zu erziehen, empfiehlt Goethe als wichtige geistige Schulung für den Naturforscher, wenn er von der exakten sinnlichen Phantasie spricht. Aufmerksam beobachtete Naturphänomene sollen wieder und wieder detailgetreu erinnert und dadurch innerlich angeeignet werden. Das erfordert eine gehörige Willensanstrengung, die aber jetzt nicht nach außen, sondern auf das innere Seelenleben gewendet ist. Was man so beharrlich innerlich erübt, läßt neue Früchte reifen. Neues entsteht in der Seele, das mehr ist als bloße sinnliche Vorstellung. Zu dem inneren Abbild des sinnlichen Phänomens tritt immer mehr ein Bewußtsein von dessen gesetzmäßigem Zusammenhang hinzu. Das geistige Band, daß die einzelnen Elemente der sinnlichen Erscheinung miteinander verbindet und das den Sinnen selbst verborgen bleibt, tritt immer deutlicher hervor. Gedanken bilden sich in der Seele, die ein geheimes Naturgesetz aussprechen; aber es sind keine abstrakten Gedanken, die abseits der konkreten Erscheinung entworfen sind und ihr gleichsam aufgezwungen werden, sondern die Natur selbst spricht sich direkt in Gedankenform aus. Goethes Denken war immer zugleich auch ein Anschauen, wie auch umgekehrt sein Schauen ein Denken. Das nannte Goethe die anschauende Urteilskraft. Sie kann zu einem wichtigen Werkzeug des Naturforschers werden und ist zugleich ein mächtiges Erziehungsmittel für die Seele, was sich auch darin zeigt, daß sich das Traumleben zu wandeln beginnt und klarer und geordneter wird.

    Die Traumbilder, das Rohmaterial aus dem sich die Träume aufbauen, sind der Sinneswelt entnommen. Was aber drückt sich in der inneren Gesetzmäßigkeit der Traumhandlung, sofern es eine solche gibt, aus. Offensichtlich kann es nicht die Naturgesetzlichkeit der äußeren Welt sein. Ein Beispiel: Man träumt. Man sei in einem finsteren stickigen, mit Spinnweben verhangenen Gewölbe eingeschlossen und sucht verzweifelt nach einem Ausgang. Man findet eine Tür, stößt sie auf - und erwacht mit gräßlichen Kopfschmerzen. Der Zusammenhang ist offenkundig: in dem finsteren stickigen Gewölbe symbolisiert sich unsere Schädeldecke, die Spinnweben, die drückende Atmosphäre und daß wir verzweifelt einen Ausweg suchen, stellt den Kopfschmerz dar, dem wir entrinnen wollen. Organische Zustände und damit verbundene Seelenstimmungen sind es also, die sich in diesem Fall in der Traumhandlung symbolisieren und die sich in adäquaten Bildern ausleben. Neben bloß chaotisch durcheinanderwirbelnden Erinnerungsvorstellungen handelt es sich dabei um einen der charakteristischsten Wege, wie Träume entstehen. Einen allzu großen geistigen Wert wird man diesen Traumbildern nicht zumessen, vielleicht aber einen gewissen medizinisch-diagnostischen. Tatsächlich fußen viele mittelalterliche mystische Schriften auf ähnlichen Erlebnissen; man denke nur an die mystisch-medizinischen Schriften etwa einer Hildegard von Bingen. Besonders solche Mystiker, die ihren Körper durch strenge Askese schwächten, haben solche oft grandios erscheinenden seelische Bilder in ihr Traumbewußtsein heraufgehoben, die weniger Geistiges bedeuten, sondern gleichsam ein inneres, oft recht wollüstiges traumhaftes Beschnuppern des eigenen körperlichen Organismus bedeuten. Das heißt nicht, daß in früheren Zeiten die Menschen nicht in ihren Träumen tatsächliche geistige Begegnungen haben konnten. Sie standen eben der seelischen, der geistigen Welt noch viel näher als selbst der mittelalterliche Mensch. Und so stiegen sie in ihren Träumen nicht nur bis zu einem symbolisierenden Organbewußtsein hinunter, sondern noch tiefer, bis hin zu den schöpferischen geistigen Mächten, die diese Organe, ja den ganzen menschlichen Körper und die übrige äußere Welt geschaffen haben. So sind viele der alten Schöpfungsmythen entstanden, man denke nur an die griechische oder die altnordische Mythologie. Derartige Erfahrungen sind dem Menschen heute kaum mehr möglich, und so hält er sie zumeist für nicht viel mehr als nett erzählte anthropomorphistisch verbrämte Märchen. Aber man halte nur fest, was hier eigentlich geschildert wird: wie der Mensch, der Anthropos, durch die Götter geformt (morphe´= Form) wurde, und dann entscheide man, ob die alten Völker angemessene Bilder zu verwenden wußten oder nicht und ob darin nicht weniger Aberglaube steckt, als wenn man die Welt der Atome für gegenständlich hält und daraus alles Sein ableiten will. Dennoch, klar muß uns sein, daß wir die Fähigkeiten, die die Menschen früher hatten, unwiederbringlich verloren haben. Wir haben dafür auch neue gewonnen, allen voran unser ausgeprägtes Ich-Bewußtsein. Wenn wir uns die geistige Welt wieder erobern wollen, dann kann das niemals auf traumhafte Art geschehen, sondern nur so, daß wir dabei unser volles Ich-Bewußtsein aufrecht erhalten, ja sogar noch bedeutsam steigern. Dann muß aber unser inneres Seelenleben, das heute noch so flüchtig in uns wogt, bedeutsam erkraftet und ebenso klar werden, wie die Außenwelt, die wir sinnlich wahrnehmen.

    Das erkraftete Seelenleben - vom reinen Denken zur Imagination

    Der sinnlichen, räumlichen Außenwelt stehen wir wach gegenüber, sie erscheint uns ganz konkret und als vollgesättigte Wirklichkeit, das innere zeitlich verfließende Seelenleben dagegen als flüchtig, dünn und viel weniger real. Warum? Den Gegenständen treten wir entgegen, sie beharren in ihrer Form, wir können sie im Grunde beliebig lange betrachten. Wenngleich die Zeit auch für die Außenwelt eine Rolle spielt, so ändern sich doch die Dinge wenig, während wir sie betrachten. Jedenfalls werden uns gerade die Dinge besonders gegenständlich, die sich nicht kurzfristig verändern. Ein Stein, ein Kristall, selbst eine Pflanze, die sich zwar beständig verändert, aber eben nur langsam, sind für unser Bewußtsein leicht greifbar. Ziehende Wolken, das im Sturm schäumende Meer oder eine über die Steppe rasende Tierherde sind schon viel schwerer zu erfassen. Und glaubte man nicht lange Zeit, daß man Tiere überhaupt nur so studieren könne, daß man sie tötet und ausstopft? Dinge, die fest im Raum stehen, können wir betasten, wir spüren den Widerstand, den sie unserem Willen leisten; wir können gemütlich um sie herumgehen und sie mühelos von allen Seiten betrachten. Die Sinnesqualitäten, durch die sie uns erscheinen, springen wie von selbst vor unser Auge, sie sind uns schlechthin gegeben und wir müssen uns nicht abmühen, sie selbst hervorzubringen. Das alles vermittelt uns das Gefühl, daß sie real für sich selbst bestehen, unabhängig von uns selbst. Durch unsere Sinne wirken sie auf uns, und durch unsere Taten, die wir mit unseren Gliedmaßen verrichten, wirken wir auf sie zurück.

    Ganz anders unser Seelenleben; indem es beständig an uns vorüberströmt, vermögen wir es niemals wirklich zu fassen. Wir können es, wie wir gesehen haben, nicht einmal erschauen. Wir erleben es zwar ganz zweifellos, aber wir fühlen uns so sehr mit ihm verbunden, daß wir ihm nicht objektiv gegenübertreten können. Wir können Gefühle nicht in aller Ruhe betrachten, um sie herumgehen und betasten, d.h. begreifen. Ähnlich wie die Sinneseindrücke springen sie zwar wie aus einem unbekannten Dunkel in unser Bewußtsein, aber wir fühlen uns doch unmittelbar mit ihnen verbunden; in gewissen Grenzen vermögen wir sie zu beherrschen und zu kontrollieren. Es scheint, als läge unter unserem bewußten Seelenleben noch ein unterbewußtes, das seine Wellen in unser Bewußtsein heraufwirft. Klarer als Gefühle wie Liebe, Haß, Trauer usw. erscheinen uns unsere Gedanken, besonders solche von mathematisch strenger Form. Sie sind zwar vergleichsweise nüchtern, blaß und abstrakt, dafür aber lassen sie sich bis zu einem gewissen Grad willentlich festhalten und innerlich betrachten. Wir zweifeln keinen Augenblick daran, daß wir selbst es sind, die diese Gedanken hervorbringen. Descartes etwa hatte dieses Gedankenleben so stark in sich entwickelt, daß es ihm immerhin die Realität seines eigen Ich zu verbürgen schien. Das ist erst ein Anfang, aber hier läßt sich weiterbauen.

    Wenn uns unser Seelenleben konkret gegenständlich werden soll, müssen wir seine Intensität unbegrenzt steigern und wir selbst müssen uns gleichsam aus ihm herauslösen und betrachtend gegenübertreten. Dann erkennen wir, daß unser Ich, unser geistiger Wesenskern, nicht mit der bloßen Seele identisch ist. Sie ist ein Produkt des Ich, oder auch dessen Wirkungsfeld, aber nicht gleichzusetzen mit unserer Individualität. So ist es zwar das Ich, das denkt, aber die Gedanken, die seelisch erlebt werden, sind nicht das Denken selbst, sondern nur dessen seelisches Erzeugnis. Denken sollte man niemals damit verwechseln, bloß Gedanken zu haben. In unserem alltäglichen Leben sind wir uns dessen kaum bewußt. Wenn wir etwa einen Baum betrachten und daß Wahrnehmungsurteil fällen, daß dies ein Tannenbaum sei, so steht dieser Gedanke so unvermittelt vor unserem Bewußtsein, daß wir das Denken selbst, d.h. den Prozeß durch den wir diesen Gedanken bilden, völlig übersehen. Und auch der so gebildete Gedanke verfliegt zumeist bald wieder, oder wird von anderen Gedanken verdrängt. Man beobachte nur einmal, wie fluktuierend unser gewöhnliches Gedankenleben ist. Wäre nicht die sinnliche Außenwelt, die immer wieder bestimmte Gedanken in uns anregte, so wäre es noch viel chaotischer.

    Eine gute Vorübung, um das Seelenleben zu verstärken, ist es, die exakte sinnliche Phantasie und die anschauende Urteilskraft so zu pflegen, wie das Goethe getan hat. Wir bewegen uns dann an der Grenze zwischen sinnlicher und seelischer Welt und profitieren von beiden. Die in der Natur waltenden geistigen Gesetze erziehen unsere Seele, und umgekehrt blicken wir tiefer in die sinnliche Schöpfung hinein, als wir es ohne durchseelten Blick vermöchten. Unser Innenleben wird dadurch unendlich bereichert und immer konkreter und intensiver, die Gedanken werden bildhaft, wenngleich sie zunächst nur Sinnliches nachempfinden.

    Goethe kann uns aber noch weiter führen. Als Frucht seiner gründlichen botanischen Studien, bereichert durch die Erfahrungen seiner Italienreise, ging ihm allmählich die Idee der Urpflanze auf. Daß es eine solche geben müsse, hatte er schon lange vermutet, denn wodurch erkennen wir, daß eine Pflanze eine Pflanze ist, wenn ihnen nicht allen ein gemeinsames Prinzip zugrunde liegt? Anfangs hoffte er noch, eine solche urtypische Pflanze irgendwo draußen in der sinnlichen Natur zu finden, aber nach und nach gewahrte er, daß es sich dabei nicht um ein sinnliches, sondern vielmehr um ein geistiges Urbild handeln müsse. Er erkannte, daß das Blatt das wesentliche Bildungsprinzip jeder Pflanze darstellt, das sich aber in die mannigfaltigsten Formen verwandeln, metamorphosieren kann. Einmal erscheint es als Keimblatt, dann als Laubblatt, Kelch oder Blütenblatt. Auch Stempel, Staubgefäße und endlich Früchte und Samen sind nichts anderes als vielfältig umgestaltete Blätter. Nicht etwa, daß sich das sinnliche Keimblatt in ein sinnliches Blütenblatt verwandelte, das nicht, aber ein geistiges Band verbindet sie, das nur geistig zu erfassende Urblatt. In jeder Pflanze waltet dieses Prinzip und erscheint in immer neuen Variationen. Solange man Goethes Idee der Urpflanze nur als abstrakten Gedanken erfaßt, hat man seine Metamorphosenlehre noch nicht verstanden. Er vermochte die Urpflanze nicht nur im herkömmlichen Sinne zu denken, sondern er konnte sie schauen - allerdings nicht mit äußeren Sinnen, sondern mit seinem inneren geistigen Auge. Als Goethe Schiller von seiner Urpflanze erzählte, fand Schiller das ganz großartig und sagte: "Das ist ihre Idee". Worauf Goethe einwenden mußte: "Das kann mir lieb sein, daß ich Ideen habe, ohne es zu wissen, und sie noch dazu mit Augen schaue!" Goethes Urpflanze ist eben mehr als eine Idee, sie ist ein innerlich wahrgenommenes, sich beständig gesetzmäßig verwandelndes rein seelisches Bild. Wie groß der Unterschied zwischen dem abstraktem Gedanken und der lebendig erfahrenen Urpflanze ist, vermag man kaum zu ermessen, solange man sie nicht selbst geschaut hat. Er ist noch viel größer als der zwischen dem bloßen Gedanken des Raumes und dem wirklichen Raumerlebnis, aber immerhin können wir diese unterschiedlichen Erfahrungen vergleichsweise heranziehen. Zwar können wir uns nicht so ohne weiters in die früheste Kindheit zurückversetzen, wo wir die Welt noch nicht räumlich wahrgenommen haben, aber wir können diese Situation doch sehr leicht simulieren. Betrachten wir dazu sog. stereoskopische Bilder. Das sind zwei ebene Bilder, die ein und denselben räumlichen Gegenstand von zwei etwas unterschiedlichen Blickwinkeln zeigen, nebeneinandergestellt. Keines der beiden Bilder ist zunächst räumlich, aber der Raum ist gleichsam in der gesetzmäßigen Beziehung der beiden Bilder zueinander versteckt. Gelingt es einem, seine Blickweise so zu verändern, daß man mit dem linken Auge nur das linke Bild betrachtet und mit dem rechten Auge nur das rechte, dann wird einem alsbald in der Mitte des Sehfeldes ein drittes, nun vollkommen räumliches Bild erscheinen. Vom abstrakten gesetzmäßigen geometrischen Bezug der beiden Bilder zueinander sind wir dann zum wirklichen Schauen des räumlichen Gegenstandes aufgestiegen, obwohl dieser unmittelbar sinnlich gar nicht gegeben ist. Folgendes Beispiel soll das verdeutlichen:

    Abb.1: stereoskopische Bilder

    Obwohl der räumliche Gegenstand selbst sinnlich nicht vorhanden ist, so sind es doch immerhin die beiden ebenen Bilder. Um die Urpflanze zu schauen, muß man noch viel weiter gehen. Viele verschiedenartige Pflanzen in den unterschiedlichsten Entwicklungstadien muß man gründlich studiert haben und sich immer wieder innerlich vergegenwärtigen. Wie sich die Pflanzen mit dem Jahreslauf verändern muß man ebenso miterleben, als wie sie sich durch ein anderes Klima, durch einen anderen Boden zu einer ganz anderen Variation entfalten. Beständig muß man sich darin üben, die verschiedensten Blattformen in der exakten sinnlichen Phantasie ineinander umzuwandeln und die damit verbundenen Gesetzmäßigkeiten durch anschauende Urteilskraft zu erfassen. All die zeitlich und räumlich auseinanderliegenden Stufen pflanzlicher Entwicklung muß man innerlich zu einem Bild zusammenschauen, ähnlich wie man die beiden stereoskopischen Bilder innerlich verbinden muß, um zu einem räumlichen Erlebnis zu kommen. Dann wird einem allmählich die Urpflanze als wirkliche innere Erfahrung vor die Seele treten und man wird immer mehr empfinden, daß sie wirklich existiert - nicht als äußere sinnliche Pflanze, aber als reale geistige Gestalt, die urbildlich der ganzen Pflanzenwelt zugrunde liegt. Sie ist ebenso eine übersinnliche Wirklichkeit, wie etwa Magnetismus und Elektrizität untersinnliche Tatsachen sind. Und ebenso wie wir von letzteren sinnlich nur ihre Wirkungen erfahren können, so ist die Urpflanze das wirkende Prinzip des vegetabilen Lebens. Nicht als ruhendes Bildnis erscheint sie unserem inneren Auge, sondern als das lebendig bewegte Leben selbst. In den Nachträgen zur Farbenlehre schildert das Goethe so:

    "Ich hatte die Gabe, wenn ich die Augen schloß und mit niedergesenktem Haupte mir in der Mitte des Sehorgans eine Blume dachte, so verharrte sie nicht einen Augenblick in ihrer ersten Gestalt, sondern sie legte sich auseinander, und aus ihrem Innern entfalteten sich wieder neue Blumen aus farbigen, auch wohl grünen Blättern; es waren keine natürlichen Blumen, sondern phantastische, jedoch regelmäßig wie die Rosetten der Bildhauer. Es war unmöglich, die hervorquellende Schöpfung zu fixieren, hingegen dauerte sie so lange, als mir beliebte, ermattete nicht und verstärkte sich nicht."

    (Das Sehen in subjektiver Hinsicht, von Purkinje)

    All die Blumen, Gräser, Bäume und Büsche, die unsere Erde schmücken, sind Geschöpfe der inneren Lebenskraft des äußeren Sonnenlichts; die Urpflanze, wenn sie innerlich erlebt wird, ist dem inneren Seelenlicht entsprungen. Und so wie man das Leben selbst geistig zu erschauen vermag, so können auch die Todeskräfte der untersinnlichen Welt zum realen inneren Erlebnis werden. Als Michael Faraday, der begnadete Erforscher der elektrischen und magnetischen Phänomene, erstmals den aus der modernen Physik nicht mehr wegzudenkenden Begriff des elektrischen bzw. magnetischen Feldes entwarf, das die sinnlich nicht wahrnehmbare Verbreitung der elektrischen und magnetischen Kräfte im Raum beschreibt, dann tat er es nicht bloß aus einem abstrakten Konzept heraus, sondern er vermeinte geradezu, diese imaginären Felder mit seinem inneren Auge zu sehen.

    Noch weiter können wir unser Seelenleben entfalten, wenn wir den Blick ganz von der sinnlichen Welt abwenden und uns in das reine Denken vertiefen, wie es Rudolf Steiner in seiner "Philosophie der Freiheit" beschreibt. Mehr als ein bloßes gedankliches Konzept wird hier vorgestellt, man lernt zu belauschen, wie sich das lebendige Denken selbst entfaltet, in dessen Mittelpunkt das Ich, unser geistiges Wesen selbst steht, daß sich durch seine freie geistige Tat selbst erschafft. So wie sich die Urpflanze vor unserem inneren Sinn selbsttätig entfaltet, so gewinnt hier der Begriff der Freiheit sein eigenes inneres Leben. Eine Wissenschaft der Freiheit entsteht so zunächst, die nicht erspekuliert, sondern innerlich seelisch erlebt und mit geradezu naturwissenschaftlicher Gründlichkeit beobachtet wird. "Seelische Beobachtungsresultate nach naturwissenschaftlicher Methode", so heißt es auch treffend im Untertitel der "Philosophie der Freiheit". Ist einmal ein lebendiges inneres Bild der Freiheit entstanden, so kann man fortschreiten, die Freiheit in sich zu verwirklichen. Dabei geht es nicht um die körperliche, sondern um die geistig-moralische Freiheit. "Der Mensch ist frei, und wär' er auch in Ketten geboren", meint Schiller zurecht. In der moralischen Intuition bewähren wir uns als verantwortungsvoller Herr unseres eigenen Tuns, und je mehr uns das gelingt, je weniger wir der äußeren Autorität bedürfen für ein die Weltentwicklung förderndes Handeln, um so mehr wächst unser individuelles Ich. Die von uns frei entworfenen moralischen Intuitionen sind, einmal geschaffen, für uns selbst absolut verbindlich. Verstoßen wir gegen sie, so reißen wir damit zugleich ein Stück aus unserem Ich heraus. Niemand kann dann strenger, gerechter aber auch härter über uns urteilen, als wir selbst. Es liegt in unserer Hand, wie weit wir uns als geistiges Wesen selbst erschaffen, und wir stehen heute erst am Anfang dieses Weges.

    Vieles, Übersinnliches und Untersinnliches, liegt heute noch jenseits unseres Bewußtseins. Aber dieses Jenseits ist kein absolutes, sondern nur ein temporäres, und je mehr wir uns geistig entwickeln, je mehr wir unsere Seele erkraften, desto mehr werden uns diese heute noch unsichtbaren Welten schaubar werden. Die moderne Naturwissenschaft hat längst das Tor zu einer untersinnlichen Welt aufgeschlossen, die ganz anders ist, als die uns gewohnte räumliche Sinneswelt. Noch ist sie uns bloß abstrakter Gedanke und keine mit dem ganzen Ich erfahrene Wirklichkeit, aber an ihrer Realität können wir nicht mehr zweifeln. Wirken werden sowohl die übersinnlichen, wie auch die untersinnlichen Kräfte auf uns. Wie wir uns ihnen gegenüber bewähren werden, liegt an uns, und wir werden uns nur dann bewähren können, wenn wir ihnen mit unserem wachen Ich-Bewußtsein entgegentreten! Dann wird uns auch das geistige Leben, das die ganze Welt geschaffen hat und durch das wir uns unaufhaltsam selbst erschaffen, immer konkreter erscheinen. Das reine Denken geht dann allmählich in ein bildhaftes Denken, in die Imagination über, in der sich neben unserem eigenen Ich auch andere geistige Wesen offenbaren. In seinen Anthroposophischen Leistsätzen hat Rudolf Steiner auf diese Problematik sehr eindringlich hingewiesen. Im März 1925, also kurz vor seinem Tod, schreibt er:

    Leitsatz 183. Im Naturwissenschaftlichen Zeitalter, das um die Mitte des neunzehnten Jahrhunderts beginnt, gleitet die Kulturbetätigung der Menschen allmählich nicht nur in die untersten Gebiete der Natur, sondern unter die Natur hinunter. Die Technik wird Unter-Natur.

    Leitsatz 184. Das erfordert, daß der Mensch erlebend eine Geist-Erkenntnis finde, in der er sich eben so hoch in die Über-Natur erhebt, wie er mit der unternatürlichen technischen Betätigung unter die Natur hinuntersinkt. Er schafft dadurch in seinem Innern die Kraft, nicht unterzusinken.

    Die "unsichtbaren Welten" beginnen sich dem menschlichen Bewußtsein zu eröffnen. An ihm selbst liegt es, ob er in der untersinnlichen Welt versinken muß, oder ob er sich in die übersinnlichen Welten zu erheben vermag.

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