Forum für Anthroposophie, Waldorfpädagogik und Goetheanistische Naturwissenschaft | ||||
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Weihnachten - ein Fest des Friedens?Wolfgang Peter 2001Weihnachten wird gemeinhin als Fest des Friedens angesehen, etwa im Sinne jener Worte, durch die uns das Lukas-Evangelium mit bedeutsamen Zeichen auf die Geburt des Jesuskindes hinweist: Göttliche
Offenbarung in den Höhen Wenig davon scheint sich bis heute erfüllt zu haben. Der Weg der Menschheit scheint bis heute kein solcher gewesen zu sein, der uns dem Frieden näher gebracht hätte. Im Gegenteil: Die Kämpfe, die in der Menschheit toben, sind im Zuge der Menschheitsentwicklung immer grausamer geworden und mit immer weitreichenderen, letztlich die ganze Menschheit betreffenden Konsequenzen hervorgetreten. Mehr und mehr Menschen haben ihren Glauben an einen Gott verloren, der solche Gräuel in der Welt geschehen lässt. Weihnachten ist in unserer modernen Kulturwelt vor allem zu einem realen Triumph des Kommerzes geworden, während die einstmals damit verbunden idealen Werte größtenteils zu kraftlosen Lippenbekenntnissen verkommen sind. Kann man also heute noch ehrlichen Herzens das Weihnachtsfest begehen, einen realen und zugleich idealen Sinn damit verbinden und jene Kraft daraus schöpfen, die uns dem inneren wie dem äußeren Frieden näher bringt? Der äußere Friede in der Welt wird jedenfalls nicht zu gewinnen sein, ohne dass der Mensch zuvor den Weg zum inneren Frieden in sich selbst findet. Wo immer das innere Seelengleichgewicht gestört ist durch maßlose Besitzgier, rücksichtsloses Machtstreben oder narzisstische Eitelkeit, kann sich dieser innere Friede nicht entfalten. So widersprüchlich es klingen mag: Je mehr wir uns im Egoismus verhärten, desto weniger finden wir zu uns selbst. Wir sind getrieben von Mächten, die wir nicht durchschauen. Oberflächliche Sensationslust und hektische äußere Betriebsamkeit hindern heute die meisten Menschen daran, in innerer Ruhe zu sich selbst zu finden. Das künftige Schicksal der Menschheit wird sehr davon abhängen, dass wir Wege finden, diesen inneren Weihnachtsfrieden in uns selbst herzustellen. Das wird nicht ohne schwere innere Seelenkämpfe möglich sein - aber wenn wir diese durchstehen, werden wir zwar nicht das Paradies auf Erden gewinnen, aber doch wesentlich beitragen, eine Welt zu schaffen, in der eine fruchtbare Entwicklung der Menschheit möglich ist. Man hat vielfach den Eindruck, dass sich viele gerade deshalb in das moderne äußere Treiben hineinstürzen, weil sie diese notwendige innere Begegnung mit sich selbst scheuen. Sie scheinen geradezu von panischer Angst erfüllt, sich selbst ganz ungeschminkt zu begegnen. Ohne dieses „Erkenne dich selbst“ zu üben, wie es schon in bedeutsamen Lettern über dem Tor zu den antiken Mysterien zu Delphi zu lesen war, lässt sich aber der innere Friede nicht finden. Von außen kann er uns nicht gegeben werden, durch keinen Gott und nicht durch die ganze Welt. Diesen Frieden können wir uns nur selbst erringen, indem wir den Kampf mit uns selbst aufnehmen und den Sturm der Leidenschaften unserer Seele, die uns zu unaufhaltsam blind Getriebenen machen, besänftigen und nach und nach jene „Meeresstille“ des Gemüts gewinnen, in der alleine wahre Selbsterkenntnis möglich ist. Überblickt man die kulturgeschichtliche Entwicklung seit dem Abklingen der letzten Eiszeitperiode vor etwa 10.000 Jahren, so findet man die Völkerschaften des südöstlichen asiatischen Raumes, des heutigen Indien, besonders begabt für diesen Weg der inneren mystischen Versenkung. Es ist ein Weg der allmählichen Selbstfindung, zugleich aber auch ein Weg der Weltverneinung. Man muss dabei bedenken, dass die Menschen in alter Zeit sich selbst noch kaum als selbstständiges Individuum zu empfinden gelernt hatten, sondern sich zunächst noch als ganz unselbstständiges Glied der geistigen Welt fühlten. So wie das Kind erst nach und nach lernt, sich als eigenständiges Ich zu erfahren, so musste auch die Menschheit insgesamt einen langen Weg zurücklegen, auf dem der einzelne schließlich zu sich selbst finden konnte. Als das Bewusstsein für die geistige Welt allmählich dahinschwand und die äußere sinnliche Wahrnehmung immer bedeutender wurde, sah man sich für lange Zeit immer noch zumindest als untrennbaren Teil des Volkes, des Stammes oder der Großfamilie an. Ein traumähnliches Kollektivbewusstsein ging dem Individualbewusstsein voran. Letzteres wurde in dem Maße deutlicher, in dem sich der Mensch den äußerlichen Objekten der sinnlichen Welt gegenübergestellt sah. Lange noch wurde die äußere sinnliche Welt als unwirkliche Täuschung, als bloße Maya angesehen. Aber immerhin, sie war da als etwas, von dem man sich unterscheiden konnte. Damit begann aber zugleich ein winziger Funke der überirdischen Geisteswelt, in die man sich ehedem eingebettet fühlte, abgesondert im eigenen seelischen Inneren aufzuleuchten; jenes göttliche Fünkchen, von dem viel später noch mittelalterliche Mystiker wie etwa Meister Eckehart gesprochen haben. Gesucht wird von den Mystikern dieser göttliche Quellpunkt im Inneren, der „nicht von dieser Welt“ ist, d.h. nicht dem Irdischen, nicht der Welt der toten vergänglichen Dinge entstammt. Im intensiv erlebten Atemrhythmus und den damit untrennbar verbundenen Gemütsstimmungen empfanden die Menschen diese eigene geistige Kraft am aller stärksten. Auf den Flügeln des beseelten Atems durchdringt der schöpferische Weltgeist (Brahma) den Menschen und macht ihn selbst zu einem eigenständigen geistigen Wesen (Atma; vgl. die Verwandtschaft mit dem dt. Wort „Atem“, das auf die selbe indogermanische Wurzel verweist). Rudolf Steiner hat das einmal in einem Spruch, von dem nachstehend der darauf bezügliche Teil auszugsweise zitiert sei, so ausgedrückt: Menschenseele! Die indische Yoga-Schulung diente vor allem dazu, dieses Atemerlebnis zu kontrollieren und zu vertiefen. Und tatsächlich hängt unser inneres Seelengleichgewicht, aber auch unser körperliches Wohlbefinden, unser innerer Friede im weitesten Sinn - seelisch und organisch - viel mehr von einem harmonisch geordneten Atemrhythmus ab, als uns zumeist bewusst ist. Goethe deutet es an, wenn er sagt: Im Atemholen
sind zweierlei Gnaden: Mensch zu werden, heißt in gewissem Sinn auch: Atmen zu lernen. Und Gott der
Herr machte den Menschen aus einem Erdenkloß, und er Mit dem ersten Atemzug beginnt unser Erdenleben, mit dem letzten hauchen wir unsere Seele wieder aus. Das neugeborene Kind atmet noch sehr unregelmäßig, was bekanntlich sogar zum plötzlichen Kindstod führen kann, bei dem die Atmung einfach aussetzt. Erst nach und nach fügen sich Herzschlag und Atmung in einen geordneten Rhythmus. Und dieser ist – darauf hat Rudolf Steiner mehrfach hingewiesen – ein verkleinertes Abbild großer kosmischer Rhythmen. Durchschnittlich macht der Mensch 18 Atemzüge pro Minute; das macht in einem Tag 18 x 60 x 24 = 25920. Diese Zahl entspricht aber ziemlich genau dem großen Platonischen Jahr, d.h. der Anzahl von Jahren, die die Sonne infolge der Präzessionbewegung der Erde braucht, um einmal rückläufig durch den ganzen Tierkreis zu wandern. Nimmt man das durchschnittliche Lebensalter des Menschen mit 72 Jahren an, so entspricht das in etwa einem Tag in diesem großen Platonischen Weltenjahr, sofern man dabei vereinfachend mit 360 Tagen pro Jahr rechnet: 72 x 360 = 25920. Unsere hektische moderne Zivilisation stört diesen gesunden Herz- und Atemrhythmus beständig und trägt nicht unwesentlich zu der unbefriedigenden Gemütsstimmung bei, die viele Menschen heute tagtäglich empfinden. Die überbordende Zivilisation zerreißt überhaupt alle Verbindungen mit den Naturrhythmen und entfremdet den Menschen der Natur. Nicht nur unser Gefühlsleben leidet unter diesem Zivilisationschaos, auch unsere Gesundheit wird dadurch beständig leise angegriffen. Und noch etwas muss hier erwähnt werden, was nur allzu leicht unterschätzt werden kann, aber für das Leben in der sozialen Gemeinschaft von überragender, geradezu zentraler Bedeutung ist: die Sprache. In ungeheurem Maße verliert die Sprache an seelischer Ausdrucksfähigkeit, wenn sie nicht genügend vom lebendigen Atem getragen wird; sie wird nüchtern und geradezu herzlos auf die bloße verstandesmäßige Informationsweitergabe reduziert. Dieser Prozess ist heute in den westlichen Kulturländern in einem geradezu dramatischen Ausmaß vorangeschritten. Sprache ist zum bloßen Signalisieren von - meist höchst banalen - Nachrichten geworden. Aber nur die Herzen verbinden die Menschen, der kalte Verstand, die scharf geführte intellektuelle Diskussion, die selbstgefällige rechthaberische verbale Auseinandersetzung reißt die Menschen auseinander, isoliert sie in ihrer lebensfremden Kopfigkeit und tötet alles ehrliche herzhafte Mitempfinden. Dass schon im Alten Testament der monumentale ehrgeizige Turmbau zu Babel mit der babylonischen Sprachverwirrung verbunden wird, kommt wohl nicht von ungefähr. Das war zugleich die Zeit, in der sich die Völker im eigentlichen Sinne überhaupt erst zu bilden und zu differenzieren begannen. Zuvor hatte es einzelne nomadisierende Stämme, durch die Welt ziehende Großfamilien gegeben, die sich in losem Kontakt miteinander befanden, sich teils verbündeten, oft auch bekriegten. Was die Stämme innerlich verband, war die gemeinsame Abstammung, die Blutverwandtschaft. Die Nahehe war der Regelfall, in einen anderen Stamm hinein zu heiraten, war verpönt. Die Blutrache war an der Tagesordnung: wurde ein Mitglied des einen Stammes von dem Mitglied eines anderen Stammes getötet, verletzt oder entehrt, so musste dafür ein beliebiges Mitglied dieses anderen Stammes als Sühneopfer herhalten – völlig unabhängig von dessen persönlicher Schuld oder Unschuld. Man empfand sich eben überhaupt noch kaum als einzelne Persönlichkeit, sondern der Stamm als Ganzes genommen wurde gleichsam als überpersönliche Individualität aufgefasst. Das Blut, die physische Erbschaft, trennte den einzelnen Stamm also sehr streng von den anderen Stämmen. Nicht die Sprache - allen Menschen war einstmals eine allgemein nachfühlbare Ursprache gemeinsam, die damals ja noch sehr wenig verstandesmäßig begrifflich auszudrücken hatte, sondern viel mehr innere Empfindungen im Klang der Vokale intonierte, oder äußere Naturformen in den Konsonanten so intensiv nachgestaltete, dass dadurch unmittelbar ein treffendes seelisches Bild im Zuhörer erregte wurde. Und die Menschen hörten einander damals auch nicht so passiv zu, wie wir es heute tun, sonder sie lebten die Worte das anderen mit, sprachen sie geradezu nachahmend mit, wie es heute in gewissem Sinn noch das kleine Kind tut, wenn es die Muttersprache erlernt. Dabei taten sich zugleich immense sprachschöpferische Kräfte auf. Die Sprache war weit davon entfernt, sich in irgendwelche starren Regeln einfangen zu lassen – sie wurde im Grunde mit jedem Wort neu geschaffen. Sie glich mehr einem höchst komplexen organisch wachsenden Lebewesen, denn einem toten Regelwerk. All das hörte zu der Zeit auf, als sich die verschiedensten Völkerschaften zu bilden begannen. Was ein Volk zusammenbindet, ist, von Ausnahmen abgesehen, schon viel weniger das gemeinsame Blut, die gemeinsame Abstammung, sondern vor allem die gemeinsame, aber nun schon in relativ festen Regeln und vorgegebenem Vokabular erstarrte Sprache, die sich von der Sprache der Nachbarvölkern signifikant unterscheidet. Dazu kommt natürlich auch die gemeinsame Geschichte, die gemeinsamen Lebensgewohnheiten, die gepflegte Tradition, die Charakteristik der Landschaft, in der man sesshaft geworden ist, die Art und Zubereitung der Nahrungsmittel und ähnliches – aber die Sprache ist doch vielleicht der entscheidendste Faktor. Noch die Griechen bezeichneten ihre Nachbarvölker ob ihrer für griechische Ohren höchst ungehobelten Sprache als Barbaren, als Stammler! Und die griechische Sprache war auch tatsächlich etwas ganz besonderes; hier wurde die Sprache in der gesamten menschheitlichen Entwicklung erstmals fähig, rein Gedankliches klar und präzise auszudrücken – bekanntlich ist die Logik überhaupt erst in der Blütezeit der griechischen Kultur entwickelt worden. Jetzt erst tritt das verstandesmäßige Denken als völlig neue menschliche Fähigkeit hervor. Nicht, dass die Menschen vorher nicht auch durchaus vernünftig gehandelt hätten; in ihrem Tun lag vielmehr oft sehr hohe Weisheit – aber sie kam ihnen nicht als begrifflich erfasster Gedanke zu Bewusstsein. Es war gleichsam ein implizites Wissen, eine instinktiv erworbene Fähigkeit, aber kein explizites logisches Verstehen. Mehr und mehr haben wir heute dieses implizite Wissen verloren oder verdrängt und pochen fast ausschließlich auf unseren Verstand. Damit beginnt aber zugleich das Persönlichkeitsbewusstsein immer stärker zu werden. Nichts gibt uns mehr das Gefühl, eine eigene Persönlichkeit zu sein, als der mit den Mitteln des klar durchschauten logischen Verstandes vertretene und im Streitgespräch verfochtene eigene Standpunkt – der trotz seiner logischen Stringenz nicht notwendigerweise mit der Wahrheit als solcher identisch sein muss, ja es sogar höchst selten ist, sondern eigentlich nur die eigene Meinung ausdrückt, also den Punkt bezeichnet, von dem aus ein ganz bestimmtes Individuum die Welt auf seine Weise ansieht. „Ich denke, also bin ich“ – auf diese knappe Formel hat es bekanntlich später Descartes gebracht. Und obwohl die Logik als solche, in der sich die unumstößlichen Gesetze des äußeren sinnlichen Daseins widerspiegeln, im Grunde allgemeinmenschlich verbindlich ist, so ist gerade sie paradoxer Weise zugleich jenes Werkzeug, das uns am meisten von unseren Mitmenschen, ja von der Welt überhaupt absondert und uns in unsere eigenen, mehr oder weniger verschrobenen Gedankennetze einspinnt. Krass gesagt: wir empfinden uns heute vor allem deshalb so sehr als eigene Persönlichkeit, weil wir weitgehend nur mehr in unserer eigenen weltfremden und letztlich illusionären Verstandeswelt leben, die uns höchstens noch mit allem Toten, Abgestorbenen in der Welt draußen verbindet. Damit lässt sich immerhin noch die durchaus bewundernswerte moderne Technik erschaffen, damit kann man ganze Zivilisationen aufbauen – aber dem eigentlichen natürlichen, kulturellen und sozialen Leben werden wir ebenso völlig entfremdet, wie unserem eigenen innersten geistigen Wesenskern. Das Ego der Menschen hat sich heute unglaublich aufgebläht; was ihr wirkliches Ich, ihre eigentliche geistige Individualität ist, ahnen die meisten kaum. Hier ist eine der wesentlichen Quellen für die beständige unterschwellige innere Unzufriedenheit des modernen Menschen und die daraus resultierenden äußeren Konflikte gegeben. Den alten Yoga-Weg, durch den man das Ich im Wechselschlag von Brahma und Atma noch als weitestgehend im Schoße der Gottheit ruhend empfand, können wir heute nicht mehr gehen, um uns geistig selbst zu finden. Zu verschieden von den alten Völkern des südostasiatischen Raumes sind wir mittlerweile seelisch wie körperlich geworden. Schon rein körperlich lebten diese Menschen vor allem aus ihrem rhythmischen System, im tiefsten Empfinden des Pulsschlages und des vollen, tiefen Atemzuges, während die Kopf- und Gliedmaßenerlebnisse wenig bedeutsam waren, bzw. noch gesondert unterdrückt wurden, wie man schon sehr deutlich aus der typischen Meditationshaltung, dem Lotossitz, ersehen kann, die ja ganz gezielt die Gliedmaßentätigkeit vollständig ausschließt. Der moderne Mensch hat gerade diese Mitte, das Leben im rhythmischen System, sehr weitgehend verloren und erscheint wie zerrissen zwischen der abstrakt geistigen Kopfarbeit und der vielfach triebhaft ungeistigen, beinahe mechanistisch hölzernen Gliedmaßentätigkeit und all den damit verbundenen Seelenerlebnissen. Die Voraussetzungen sind also mittlerweile ganz andere geworden. Dass alles äußere Dasein leidvoll ist und uns unserem eigentlichen geistigen Wesen entfremdet, wurde nirgends so klar ausgesprochen wie in den Lehren des Buddha. Von vier „Edlen Wahrheiten“ hat der Buddha gesprochen: I. Die Edle Wahrheit vom Leiden: „Geburt ist
Leiden, Alter ist Leiden, Krankheit ist Leiden, Sterben ist Leiden,
mit Unliebem vereint zu sein, ist Leiden, von Liebem getrennt zu sein,
ist Leiden, nicht erlangen, was man begehrt: Das ist Leiden“[3] II. Die Edle Wahrheit von der Leidensentstehung: Das Leiden resultiert aus unserer Unwissenheit, dass es der Durst nach äußerem Dasein, das begehrliche Haften an der äußeren Welt ist, was uns das Leben leidvoll macht. Dieser Durst nach äußerem Dasein ist es auch, der uns immer wieder zu neuen Geburten in das irdische Jammerleben herunterführt, der gleichsam das „Rad der Geburten“ in Schwung hält – wie den meisten orientalischen Weisheitslehren liegt auch dem Buddhismus der Wiedergeburtsgedanke zugrunde, der als schreckliches Verhängnis empfunden wird. III. Die Edle Wahrheit von der Leidensvernichtung: Das Leiden kann nur dadurch überwunden werden, dass wir in uns den brennenden Durst nach äußerem Dasein zum endgültigen Erlöschen bringen. Der Weg dazu wird uns durch die vierte der Edlen Wahrheiten beschrieben: IV. Die Edle Wahrheit von dem zur Leidensvernichtung führenden Pfad: Der Achtgliedrige Pfad, durch den wir unser Wahrnehmen, Denken, Fühlen und Wollen und all unsere Lebensgewohnheiten so erziehen, dass wir das Haften an der äußeren Welt nach und nach überwinden und uns mystisch ins eigene Innere versenken, indem wir üben: 1.
Rechte Anschauung 2.
Rechtes Denken 3.
Rechtes Reden 4.
Rechtes Tun 5.
Rechter Lebensberuf 6.
Rechte Gewohnheiten 7.
Rechtes Gedächtnis 8.
Rechte Versenkung (Meditation) Eine sehr pessimistische Weltsicht wird damit gegeben - zumindest, was alles äußere Dasein betrifft, in dem wir aber doch notwendig als Menschen leben müssen. Diese Weltanschauung mag sehr einseitig erscheinen, aber eine unumstößliche Wahrheit, der wir uns nicht entziehen können, liegt ihr dennoch zugrunde. Man wird nicht so weit gehen müssen, zu sagen, dass das äußere Leben nur leidvoll ist und man deshalb in tiefster Depression versinken müsste. Aber wahr bleibt es doch: Alle Dinge, alle Wesen, die in der sinnlich-physischen Welt leben, und selbstverständlich auch unsere physischen Leiber, sind vergänglich. In dem wir unser Begehren an sie heften, muss diesem Begehren früher oder später die Erfüllung verwehrt werden – und das ist schmerzvoll. Die höchsten Kulturen, die die Menschheit hervorgebracht hat, die schönsten Kunstwerke – alles wird einmal vergehen. Sie mögen uns immer wieder kurze Momente höchsten Glücks schenken – festhalten lässt sich dieses Glück nicht. Wenn der hochbetagte Faust gegen Ende des zweiten Teils von Goethes Meisterwerk sagt: Zum
Augenblicke dürft' ich sagen: , so gibt er sich einer Illusion hin und stirbt ja schließlich auch genau
in dem Moment, in dem das letzte Wort eben erst verklungen ist. Ein
dauerhaftes irdisches Paradies wird sich niemals erschaffen lassen,
den ewigen Frieden in der äußeren Welt kann es nicht geben. Alle
diesbezüglichen Utopien sind nichts mehr als fadenscheinige Träumereien.
Das wird ja auch schon durch die Schriften des Neuen Testaments bekräftigt,
wenn etwa in der „Offenbarung des Johannes“ vom kommenden Krieg
aller gegen alle gesprochen wird – und wenn man die heutige Welt
betrachtet, kann man sich des Eindrucks kaum erwehren, dass dieser
Krieg längst begonnen hat! Wenn wir also das Weihnachtsfest ehrlichen
Herzens als ein Fest des Friedens feiern wollen, dann müssen wir uns
auch im Sinne der Bibel vor falschen Illusionen hüten. Diese mögen
der menschlichen Seele kurze Momente des Trostes schenken, aber das
unvermeidliche Erwachen aus diesen schönen Träumen müsste um so
bitterer sein. Im Grunde entspricht es nur der philiströsen
Bequemlichkeit des Menschen, ein solches irdisches Schlaraffenland zu
begehren – und das ist vielleicht die aller größte Quelle des
Leidens und des Unfriedens in der Welt – das sei so manchem
„Friedensapostel“ von eigenen Gnaden ins Stammbuch geschrieben! Ganz im Sinne der buddhistischen Lehre wird es zunächst darum gehen, unsere
Unwissenheit aufzuheben und ein klares Bewusstsein davon zu
entwickeln, was alles im menschlichen Leben zum äußeren, vergänglichen
und damit leidvollen Dasein zu zählen ist. Wie noch genauer auszuführen
sein wird, muss sich der heutige Mensch diesem äußeren Dasein nicht
weltflüchtig entziehen, wie es noch die ursprüngliche buddhistische
Anschauung lehrt, aber er muss lernen, dass darin seine eigentliche Würde
als Mensch nicht zu finden ist, sondern dass damit nur ein notwendiges
Arbeitsfeld bezeichnet ist, auf dem seine geistigen Kräfte reifen können.
Zum äußeren Dasein ist die ganze äußere physische Welt zu rechnen, und
das gilt zuallererst für den physische Leib des Menschen. Die Würde
des Menschen lässt sich nicht aus der Abstammung von einem bestimmten
Geschlecht, nicht aus der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Rasse,
zu einem bestimmten Stamm oder zu einer bestimmten Familie begründen.
Der Wert des Menschen lässt sich nicht an seiner physischen
Erscheinung messen. Ob jemand schön oder hässlich ist, ob er dieses
oder jenes körperliche Gebrechen hat, diese oder jene physische
Behinderung zeigt – und alle sogenannten geistigen Behinderungen
sind ja eigentlich ganz massive körperliche Defekte, die mit dem
Geist als solchem nicht das geringste zu tun haben – ist für die
Beurteilung eines Menschen nicht maßgeblich. Dass die dahingehenden
Vorurteile längst nicht überwunden sind, zeigt sich im tagtäglichen
Geschehen nur allzu deutlich; das eben erst vergangene Jahrhundert hat
uns diesbezüglich reichliche Beispiele geliefert. Nur darf man
anderseits auch nicht in die Illusion verfallen, dass es die körperlichen
Unterschiede, die aus der physischen Abstammung, aus der Zugehörigkeit
zu einer bestimmten Rasse usw. resultieren, nicht gibt. Der physische
Leib jedes Menschen weist immer gewisse Einseitigkeiten auf, die ihm
einerseits hinderlich sein können, anderseits aber auch den Weg zu
bestimmten Fähigkeiten erleichtern können. Diese Unterschiede sind
vorhanden und sie sind bedeutsam, zwar nicht für den inneren Wert,
aber für das äußere Dasein des Menschen. Sie können aber heute
weitgehend überwunden bzw. zum Vorteil des Menschen genützt werden
– sofern man sich ihrer bewusst ist. Wer diese Unterschiede leugnet
und davon nichts wissen will, wird sich gerade am meisten an die
eigenen körperlich bedingten Eigenarten ketten und diese ganz
unbewusst zu allgemein menschlichen Gegebenheiten erklären. Der
Rassismus im weitesten Sinn, den man so oberflächlich zu überwinden
scheint, kommt dann heimtückisch unbemerkt durch die Hintertür sehr
schnell wieder herein und die Dinge werden um so schlimmer, je mehr
sie unbewusst im Verborgenen wühlen. Der Volkscharakter und das damit verbundene Volkstemperament, die bei
den einzelnen Völkern heute immer noch oft sehr unterschiedlichen
Lebensgewohnheiten, die heimische Landschaft, und ganz besonders natürlich
die Eigentümlichkeiten der Muttersprache prägen den Menschen viel
mehr als ihm bewusst ist. Wie wir die Dinge dieser Welt benennen, wie
der ganze Duktus unserer jeweiligen Sprache ist, beeinflusst ganz
entscheidend unsere Sicht der Welt. Nur scheinbar leben alle Menschen,
gleich welchem Volk sie entstammen, in einer gemeinsamen, objektiv
beschreibbaren Welt. In Wahrheit objektivieren wir die Welt, in die
wir durch die Geburt hineingestellt werden, überhaupt erst durch die
Sprache. Jedes Volk lebt gewissermaßen in seiner eigenen Welt und den
Missverständnissen ist dadurch Tür und Tor geöffnet. Und doch liegt
in dieser Einseitigkeit zugleich eine kulturgeschichtliche
Notwendigkeit. Bestimmte Seelenfähigkeiten konnten sich die Menschen
überhaupt nur dadurch aneignen, dass sie die Welt durch die Enge
Brille einer bestimmten Sprache sehen lernten. Was so zunächst
innerhalb eines Volkes gepflegt wurde, ist aber dazu berufen, später
in die ganze Menschheit überzugehen und dadurch zum Fortschritt der
ganzen Menschheit beizutragen. Mit dem einzelnen Individuum als
solchem, mit seinem geistigen Wesenkern, hat das alles nichts zu tun.
Für das Ich selbst ist das Volk, in das es sich hineingestellt sieht,
ein bloße Äußerlichkeit. Niemand ist Deutscher, Brite,
Franzose, Amerikaner, Russe, Inder oder Japaner. Solange er sich dafür
hält, hat er sich selbst noch nicht gefunden. Einem bestimmten
Volkstum anzugehören, ist nichts als eine Chance, ganz spezifische Fähigkeiten
zu entwickeln, vielfach auch ein zu überwindendes Hindernis auf dem
Wege der Menschwerdung, aber jedenfalls nichts, mit dem man sich
identifizieren müsste. Es muss uns aber klar sein, dass es sehr viel
schwerer ist, sich dem durch die Geburt und Erziehung mitgegeben
Volkscharakter objektiv gegenüberzustellen, als den verschiedenen
rein physischen Rasseeigentümlichkeiten, die unserem Ich viel ferner
liegen. Am aller schwersten aber wird man sich von den persönlichen Eigenarten, von
den spezifischen Egoismen und Begierden, den Sympathien und
Antipathien, den gewohnten Denkmustern und Lieblingsmeinungen usw.
distanzieren können. Diese drängen sich bereits sehr, sehr dicht um
unseren geistigen Wesenskern und werden zumeist mit demselben
verwechselt, stellen aber doch nur eine sehr vergängliche Äußerlichkeit
dar, an der der Wert eines Individuums nicht gemessen werden darf.
Vieles davon ist uns bloß vererbt oder durch Erziehung angewöhnt
worden, wie es Goethe so treffend beschreibt: Vom
Vater hab ich die Statur, Sein geniales Ich, seine geistige Individualität, hat er weder vom Vater,
noch von der Mutter, sondern allein durch sich selbst. Und der
geistig-moralische Wert eines Individuums misst sich allein daran,
inwieweit er diese vererbten oder erworbenen Eigenheiten durch die
Kraft seines Ichs zu beherrschen und zu verbessern gelernt hat. Dass
wir uns selbst mit unseren persönlichen Eigenarten verwechseln und
andere nach deren persönlichen Eigenheiten beurteilen, darin liegt
gegenwärtig das allergrößte Konfliktpotential und ist die
eigentliche Wurzel des anschwellenden Krieges aller gegen alle, hinter
den die kriegerische Auseinandersetzung der Völker oder die noch
altertümlichere, sich auf die physische Abstammung berufende
Blutrache bereits in den Hintergrund zu treten beginnen. Man wird diese Probleme nur verstehen und so weit als möglich lösen können,
wenn man der Betrachtung ein wesentlich differenzierteres Menschenbild
zugrunde legt, als es die heute gängige materialistische
Weltauffassung bieten kann. Diese reduziert den Menschen auf seinen
physischen Leib, und alles andere, selbst das menschliche Ich, wird
als bloße funktionelle Tätigkeit dieses physischen Leibes
aufgefasst. Man schürt, indem man so den Menschen auf seinen Körper
reduziert, zwangsläufig einen latenten Rassismus. Man bemüht sich
zwar, die physischen Unterschiede zwischen den Rassen
herunterzuspielen und sie gleichsam als bedeutungslose statistische
Schwankungen aufzufassen, aber damit wird das ganze Problem nicht gelöst,
sondern nur unter den Tisch gekehrt. Rudolf Steiner hat ein solches differenzierteres Menschenbild entwickelt, in
dem er neben dem physischen Leib noch weitere selbstständig
existierende feinere Wesensglieder unterscheidet, die erst
durch ihr geordnetes Zusammenwirken das ganze Menschenwesen ergeben.
In vielen alten Kulturen hatte man ein mehr oder weniger deutliches, für
den modernen Menschen aber nur mehr sehr schwer nachvollziehbares
Wissen von diesen Wesensgliedern des Menschen. Rudolf Steiner kommt
das Verdienst zu, dieses Wissen bis zur kristallklaren
wissenschaftlich exakten Klarheit gebracht zu haben. Diese
grundlegenden Wesenglieder sind: 1.
Physischer Leib 2.
Lebensleib (oft auch als Ätherleib bezeichnet) 3.
Trieb- und Empfindlungsleib (auch als Astralleib bezeichnet) 4.
Ich Der physische Leib kann sich aus eigener Kraft nicht selbst erhalten. Allein
auf sich gestellt folgt er den ehernen Gesetzen alles physischen
Daseins und zerfällt. Sobald das Leben den Körper verlässt, wird er
zum Leichnam. Was den Körper ständig regeneriert, ist der
Lebensleib. In ihm liegt die lebendig gestaltende Bildekraft, die ihn
tagein tagaus während des Erdenlebens erhält. Alle Lebewesen, also
auch die Pflanzen und Tiere, haben einen solchen Ätherleib. Die
sonnenlichtartigen ätherischen Bildekräfte sind ursprünglich
kosmischer Natur, sondern sich aber als eigenständiger Ätherleib ab
und durchdringen den physischen Leib als dessen den Sinnen verborgener
Erbauer. Nur eine begrenzte Lebenskraft steht so dem Menschen für
sein irdisches Dasein zur Verfügung, und ist diese aufgebraucht,
tritt unaufhaltsam der Alterstod ein. Der Ätherleib ist aber nicht
nur der unsichtbare Bildner unseres physischen Leibes, er bewahrt auch
die inneren Bilder, die tagtäglich unsere Seele durchziehen; er ist
damit der eigentliche Träger des Gedächtnisses. Und nicht nur diese
inneren Bilder werden im eingestaltet, sondern in ihm leben auch
unsere Gewohnheiten, unser Temperament, namentlich auch das uns
vererbte Volkstemperament. Während die Rasseeigentümlichkeiten an
den physischen Leib gebunden sind, prägen sich die Volkeigenschaften
dem Ätherleib ein. All das waltet zunächst für uns unbewusst in den
Tiefen unseres Wesens. Voraussetzung des Bewusstseins ist der Trieb-
und Empfindungsleib, den auch die Tiere, nicht aber die Pflanzen
haben. Pflanzen sind daher bewusstlose Lebewesen. Der Trieb- und
Empfindungsleib erst ermöglicht es uns, die sinnliche Welt bewusst
wahrzunehmen. In ihm sitzen alle unsere Triebe, Begierden und
Empfindungen. Ähnlich dem Ätherleib ist auch er kosmischen Ursprungs
und wird daher oft auch als Astralleib bezeichnet. Aber auch er wird
zum eigenständigen Astralleib erst dadurch, dass er sich aus dem
kosmischen Geschehen weitgehend absondert und dabei eine sehr starke
Eigensucht entwickelt. Aller Egoismus, der wohlgemerkt notwendig mit
dem irdischen Dasein verbunden ist, hat in diesem Trieb- und
Empfindungsleib seine Wurzeln. Er ist der Träger von Lust und Unlust,
von Sympathie und Antipathie usw. Alle persönlichen Vorlieben und
Abneigungen, auf die wir vorhin hingewiesen haben, leben sich in
diesem Astralleib aus und verdichten sich zu dem, was wir als unser
irdisches Ego bezeichnen können. Die drei genannten niederen
Wesensglieder – der physische Leib, der Ätherleib und der
Astralleib – sind notwendige Glieder des irdisch verkörperten
Menschen – mit seinem innersten geistigen Wesenskern, mit seinem
Ich, haben sie aber nichts zu tun. Nur in unserem Ich sind wir ganz
wir selbst, in ihm wirkt unsere schöpferische geistige Kraft und
unsere eigenständige moralische Verantwortung; die unteren
Wesenglieder sind uns immer in gewisser Weise äußerlich angegliedert
und wesentlich durch Vererbung und Erziehung bestimmt. Was uns zum
Menschen macht, und dadurch von allen anderen Erdenwesen
unterscheidet, ist das menschliche Ich. Dieses allein ist nicht durch
Äußeres, sondern nur durch sich selbst bestimmt. Insofern wir als
irdischer Mensch einen physischen Leib, einen Ätherleib und einen
Astralleib an uns tragen, sind wir Geschöpf wie alle anderen
Erdenwesen auch; indem wir das Ich in uns tragen, sind wir Schöpfer
unserer selbst. Das Ich, der schöpferische geistige Funke, ist eine Gabe des Göttlichen,
ein Gnadengeschenk. Dass es aus einem göttlichen Ich zu einem
menschlichen werde, dazu ist der Aufenthalt in der irdischen Welt,
fern den Reichen des Göttlichen, unerlässlich. Nur auf Erden können
wir uns der göttlichen Gnade würdig erweisen und frei die uns
verliehene Schöpferkraft dazu verwenden, uns selbst zu erschaffen.
Denn das ist das Wesen des Geistes, dass er nichts Geschaffenes ist,
sondern beständig sich selbst erschafft und immer wieder von neuem
umschafft. Man kann den Geist an nichts anderem messen als an den
Taten, die er setzt. Und in dem Maße, in dem er tätig ist,
entwickelt er sich weiter. Nicht nur sich selbst erschafft der Geist
dabei stets von neuem, sondern er bringt auch immer neue Schöpfungen
hervor, die er nach und nach als selbstständiges Sein aus seinem
Wesen entlässt. Unermüdlich zu schaffen, ist die eine Seite des
geistigen Wirkens; sich beständig selbst zu verschenken, die andere.
Auf diese Art ist die ganze äußere Welt aus der schöpferischen Tätigkeit
der Gottheit entsprungen. Verglichen damit ist unsere menschliche Schöpferkraft
noch sehr klein. Die göttliche Schaffenskraft hat die ganze äußere
Welt substanziell hervorgebracht. Soweit sind wir noch lange
nicht. Was wir allein vermögen, ist, diese äußere Welt schöpferisch
umzugestalten. Wir gleichen darin dem Töpfer, der dem Ton seine schöpferischen
Ideen eingestaltet. Wenn es heißt, dass Gott den Menschen aus einem
Erdenkloß erschuf, dann sind wir nun so weit gekommen, dieses Werk
aus eigener Kraft weiterzuführen. Nur hat Gott nicht nur den Menschen
aus dem Erdenkloß geformt, er hat auch diesen Erdenkloß selbst
substanziell hervorgebracht – das können wir noch nicht. Wir
sind vorerst darauf angewiesen, die Substanzen umzuwandeln, die uns
die Gottheit geschenkt hat. Und damit ist nicht nur die physische
Substanz gemeint, sondern auch die ätherische Substanz, die unseren
Lebensleib aufbaut, und die Seelensubstanz, aus der unser Trieb- und
Empfindungsleib besteht. Der Begriff „Substanz“ darf eben nicht
materialistisch missverstanden werden, sondern bezeichnet alles, was
ein eigenständiges Sein hat – und das gilt eben auch für das Leben
als solches und für alles Seelische. Durch die schöpferische Tätigkeit
reift unser Ich genau so, wie sich der Künstler dadurch weiter
entwickelt, dass er immer weitere, neue Werke hervorbringt, in die er
all die Erfahrungen einbringen kann, die er in der Vergangenheit
gewonnen hat. Weil der Mensch zunächst darauf angewiesen ist, die
vorhandenen physischen, ätherischen und astralen Substanzen
umzuschaffen, kann er sein Ich, die Quelle seines menschenbildenden Künstlertums,
nur in dieser Erdenwelt weiterentwickeln. All das beginnt mit
der geistigen Arbeit an unseren eigenen Wesensglieder. Sie sind zwar
dem Ich nur äußerlich angegliedert, stehen ihm aber doch von allen
Erscheinungen der äußeren Welt am allernächsten. An ihnen kann das
Ich daher am intensivsten und fruchtbarsten arbeiten. Die
Wesensglieder, die zu Beginn der Menschheitsentwicklung noch ganz und
gar den Charakter hatten, der ihnen durch Vererbung und Erziehung
aufgeprägt wurde, bekommen so einen immer persönlicheren Ausdruck,
durch den sich die geistige Arbeit des Ich im äußeren Abbild
offenbart. Sehr deutlich müssen wir zwischen der vergänglichen
irdischen Persönlichkeit und der geistigen Individualität
unterscheiden. Die persona, das ist die Maske, die äußere Hülle,
durch die sich die geistige Individualität zugleich verhüllt und
offenbart. Nichts anderes ist damit gemeint, als unsere drei niederen
Wesensglieder. Nach und nach verlieren sie im Laufe der
Menschheitsentwicklung ihren bloß vererbten oder anerzogenen
arttypischen Charakter und erscheinen immer mehr als persönlicher äußerer
Ausdruck des dahinter verborgenen Ichs. Das menschliche Ich wird seine
volle Erdenreife dann erlangen, wenn es alle Wesensglieder zum
vollkommenen Abdruck seiner selbst umgewandelt hat. Dass das in einem
einzigen Erdenleben gelingen könnte, ist mehr als unwahrscheinlich;
der Wiedergeburtsgedanke, wie er für die altorientalischen Völker
selbstverständlich war, erscheint dadurch nicht nur sehr plausibel,
sondern geradezu dringend gefordert, wie es etwa Gotthold Ephraim
Lessing in seiner Erziehung des Menschengeschlechts
ausgesprochen hat. Neu dabei ist, dass man in der allmählichen
Entwicklung der Persönlichkeit nicht mehr, wie noch die alten
Kulturen, ein schreckliches Verhängnis sieht, das uns dem Schoß der
göttlichen Welt entreißt, sondern dass darin die eigentliche
geistige Aufgabe des Menschen liegt, nämlich ein auf sich selbst gegründetes
eigenständiges freies geistiges Wesen zu werden. In scheuer Demut
muss man erkennen, dass sich darin das unendliche Vertrauen der Göttlichen
Welt äußert, die durch ihre unermessliche Gnade dem Menschen den Weg
zur Gottwerdung, die freilich noch in fernster Zukunft liegt, eröffnet.
Und untrennbar verbunden mit diesem Weg des Menschen ist die
Gegenbewegung der geistigen Welt: die Menschwerdung Gottes – das ist
der eigentliche Kern der Weihnachtsmysterien. Vermag man diesen
Gedanken aus tiefstem Herzen ernst zu nehmen, erscheint jede
zwischenmenschliche Begegnung in einem völlig neuen Licht, denn nun
kann ich wissen: in jedem Menschen, dem ich begegne, egal welcher
Abstammung er auch immer sei, stehe ich einem werdenden Gott gegenüber;
und mit jedem Menschen, dem ich Übles tue, schlage ich einen
werdenden Gott ans Kreuz. Das führt uns nun weiter zu einem anderen, mit dem Weihnachtsgeschehen untrennbar verbundenen, aber zumeist völlig missverstandenen Begriff, nämlich dem von der unbefleckten Empfängnis. Meist wird das heute als Unsinn abgetan oder bloß symbolisch aufgefasst, oder abergläubisch dahingehend fehlinterpretiert, als wäre das Jesuskind auf wundersame Weise ohne physischen Zeugungsakt empfangen worden. Dabei legt das Evangelium eine derartige Missdeutung gar nicht nahe, denn dort wird minutiös das Geschlechtsregister des Jesusknaben aufgezählt, das nach dem Lukasevangelium in einer langen Reihe über Josef bis hinauf zu Adam führt „und dieser war Gottes“ (Lk 3,38), was ja nur einen Sinn macht, wenn man damit auf eine reale physische Vererbung hinweisen will, der bekanntlich innerhalb des Judentums eine ganz besondere Bedeutung zugemessen wird. Dass uns das Matthäusevangelium eine ganz andere Abstammungsreihe zeigt, ist allerdings eine sehr auffällige Merkwürdigkeit, die aber hier nicht näher besprochen werden kann und für unsere jetzige Betrachtung auch nicht entscheidend ist. Um zu verstehen, was mit der unbefleckten Empfängnis eigentlich gemeint ist, sind ganz andere Dinge wichtig, und diese ergeben sich unmittelbar aus dem, was vorhin über die Wesensglieder gesagt wurde. Die niederen Wesensglieder, die unser Ich umhüllen, werden uns durch Vererbung verliehen und durch die Erziehung geformt. Sie sind zunächst nicht reiner Ausdruck des individuellen menschlichen Ichs. In ihnen sitzen viele Talente, die unserem Ich nützliche Werkzeuge sein können, aber auch viele Hindernisse, die das Ich im Zuge seiner Entwicklung überwinden muss. Sie verunreinigen in gewissem Sinn das Menschenwesen. Rein kommt dieses nur im Ich zur Geltung. Dieses menschliche Ich, unser geistiger Wesenskern, hat mit Vererbung und Erziehung nichts zu tun. Es wird in jedem Fall und bei jedem Menschen jungfräulich empfangen. Insofern wir Ich-Menschen sind, kommen wir alle durch unbefleckte Empfängnis in diese Welt. Bei dem Jesuskind war das in ganz besonderer, herausragender Weise der Fall, aber indem wir als Ich-Wesen geboren werden, zieht bei allen Menschen ein göttlicher Funke in das Erdenleben ein. Zwar ist die geistige Kraft unseres individuellen Ichs noch winzig gegenüber dem göttlichen Ich – aber es ist grundsätzlich von gleicher Art. Im Menschen, insofern er Kraft seines Ichs sein Leben selbst gestaltet, erneuert sich immer wieder von neuem das Weihnachtsfest. So gemahnt uns auch Angelus Silesius: Jch
muß MARIA seyn und GOTT
aus mir gebähren Damit wird auch der Unterschied zur altorientalischen, namentlich zur
buddhistischen Auffassung deutlich. Wird dort das Heil des Menschen
darin gesucht, dass er lernt, das irdische Dasein zu überwinden, um
in den Schoß des göttlichen Ichs zurückzukehren, so deutet uns das
Weihnachtsfest umgekehrt auf die Menschwerdung Gottes, also auf den
Einzug des Göttlichen in die irdische Welt, das von nun an, wenn
wir es aus freiem Willen zulassen, durch den Menschen in dieser
Welt wirkt und das menschliche Schicksal nicht mehr von außen gesetzmäßig
bestimmt. Waren die göttlichen Gebote dem Moses noch von außen
gegeben worden, so liegt es nun immer mehr am Menschen selbst, sich
die Gesetze seines Handelns aus dem eigenen Ich heraus, im
freiwilligen Einklang mit dem göttlichen Ich, zu geben. Oder anders
ausgedrückt: Gott hat sich seiner Allmacht, die die ganze Schöpfung
durchdringt, entäußert, um von nun an nur mehr durch den Menschen zu
wirken. Um es wieder in den Worten Angelus Silesius zu sagen: Jch
weiß daß ohne mich Gott nicht ein Nun kan leben Wie ein reales Symbol steht die Geburt des Jesuskindes in einem einfachen
Stall, fern den großen Zentren des historischen Geschehens, für
diesen Gang der Gottheit von der alles durchdringenden Allmacht in die völlige
Ohnmacht eines eben erst in bitterer Armut geborenen Kindes. Den Edlen
Wahrheiten des Buddha wird dadurch nichts an Gültigkeit genommen, es
wird nur etwas völlig neues hinzugefügt. Alles irdische Dasein ist
leidvoll – an dieser Tatsache kommen wir nicht vorbei. Damit sich
das menschliche Ich so verwirklichen kann, dass durch dieses das göttliche
Ich wirkt, muss aber der Mensch diese Leid freiwillig ertragen,
darin dem Christus folgend, der das Kreuz aus freiem Willen auf sich
genommen hat. Das scheint viel, vielleicht zuviel verlangt; aber eines
muss uns klar sein: Entfliehen werden wir einem gewissen Maß des
Leidens so oder so nicht können. Nehmen wir es nicht freiwillig auf
uns, wird es uns in der einen oder anderen Form notwendig gegen
unseren Willen heimsuchen, und alles wird dadurch noch viel schlimmer
werden. Der wesentliche Unterschied besteht vielmehr darin, ob wir
dieses irdische Dasein benützen wollen, unser selbstständiges Ich zu
entwickeln um dadurch ein individuelles geistiges Wesen zu werden, was
im Sinne des göttlichen Willens gelegen ist, oder ob wir auf eine
solche Entwicklung verzichten und als bloßes Geschöpf in den Schoß
der Gottheit zurückkehren. Dass
sich der Christus als überragendes kosmisches göttliches Wesen
einmal in das irdische Dasein begeben würde, hatte man schon in ältesten
Zeiten geahnt, wenn man ihn damals auch noch mit einem anderen Namen
bezeichnete. Vishva Karman, so wurde er im alten Indien
genannt, was wörtlich übersetzt soviel heißt wie: Der All-Tuende
– also der Allmächtige, der als großer göttlicher Weltenkünstler
die ganze äußere Schöpfung hervorgebracht hat. Von ihm wird uns im Rigveda
10, 82 erzählt, einer Hymne
in sieben Strophen oder Langversen, die aus jeweils vier Elfsilblern
bestehen. Es ist dies die erste der beiden hochphilosophischen
Vishvakarman-Hymnen; mit inhaltlich bewußt gegliederter
Siebener-Symmetrie des Ganzen, wie auch in anderen philosophischen
Hymnen. Weltschöpfung und Selbstopfer spiegeln sich dabei an der
kosmisch-selbstversenkten Mitte des vierten Verses, darin eng verwandt
der berühmten Schöpfungshymne aus Rigveda 10,129. Sehr deutlich wird
in dieser Hymne auch das Heilandsprinzip angesprochen: 1.
Der alle Schöpfung dargebracht, der Seher, / 2.
Doch wo ließ er sich nieder? Welchen Ursprung / 3.
Das Auge aller: Er; und aller Mund: Er; / 4.
Was war das Holz? Was war der Baum, woraus sie / 5.
Die ältesten, die jüngsten deiner Welten, / 6.
Gestärkt dann durch dein Eigen-Opfer, All-Tat, / 7.
Den Herrn der Rede, All-Tat, der Gedanken / Im innersten Wesenkern des Menschen, in seinem Ich, verwirklicht sich das
Heilandsprinzip, das uns die göttliche Welt geschenkt hat. Dass der
Mensch sein Ich in dieser Welt entwickeln kann, wurde erst dadurch möglich,
dass der Christus in einem sterblichen Menschen die irdische Welt
betreten und durch den qualvollen Kreuzestod wieder verlassen hat.
Dadurch hat sich nicht nur unsere Erdenwelt grundlegend verändert,
dadurch ging auch ein Ruck durch die ganze geistige Welt, mit dem die
Gottheit im oben angedeuteten Sinne ihre Allmacht aufgegeben hat. Nur
dadurch konnte dem Menschen die Chance gegeben werden, ein freies
selbstständiges geistiges Wesen zu werden. So frei sind wir
mittlerweile geworden, dass wir sogar die Gottheit verleugnen können.
Nichts äußeres kann uns nun mehr das Göttliche beweisen, wir müssen
es in uns selbst finden. Wer sich selbst, und sei es auch nur in
wenigen kurzen Augenblicken, als freies geistig schöpferisches Wesen
zu erleben vermag, der findet in sich dieses Göttliche und zugleich
sich selbst, und der hat darin zugleich den vollgültigen Beweis für
das einstige historisch reale Erdenleben des Christus – völlig
unabhängig von aller äußeren Überlieferung, wie sie uns etwa durch
die Evangelien gegeben ist. In dem wir das Weihnachtsfest so in
uns erleben, beginnen wir erst die Größe des historischen
Weihnachtsfestes zu ahnen. Und so uns das gelingt, dürfen wir
ehrlichen Herzens das Weihnachtsfest begehen und daraus Kraft für die
Zukunft schöpfen, die uns noch vor viele ungeahnte Probleme stellen
wird. Nichts könnte falscher sein, wenn wir angesichts dieser
Probleme dem heute oft gehörten Spruch glauben wollten: „Was
kann der einzelne schon tun?“ Nein! Wenn wir in uns das
Weihnachtsfest zu erleben vermögen, dann wissen wir: Nur mehr
der einzelne individuelle Mensch kann heute etwas tun! Er kann die
Welt in den Abgrund reißen – aber er kann sich auch zum Besseren
verändern. Ewigen Frieden im Sinne behaglicher Bequemlichkeit werden
wir dadurch nicht gewinnen, aber wir haben gute Chancen für die
Zukunft. Beherzigen wir als die Worte von Angelus Silesius: Wird
Christus tausendmahl zu Bethlehem gebohrn [1] Grundsteinspruch, z.B. in GA 260 (1985), S 282 [2] Johann Wolfgang von Goethe: West-östlicher Divan, Goethe-BA Bd. 3, S. 12) [3] Mahavaggo I,9 [4] Johann Wolfgang von Goethe: Faust. Eine Tragödie, Goethe-HA Bd. 3, S. 348 [5] Johann
Wolfgang von Goethe: Gedichte (Ausgabe letzter Hand. 1827),
Goethe-BA Bd. 1, S. 712 [6] Angelus Silesius, Cherubinischer Wandersmann, 1. Buch, 23, (http://www.gutenberg2000.de/angelus/cherub/cheru101.htm) [7] Ebd. 1.Buch, 8 [8] Ebd. 1.Buch, 61
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