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Episodische Betrachtung zum Erscheinen der neuen Auflage der Rudolf Steiner, Die Philosophie der Freiheit«Philosophie der Freiheit»

Dornach, 27. Oktober 1918

Rudolf Steiner

Ich habe Ihnen aus den verschiedensten Gesichtspunkten heraus über dasjenige gesprochen, was Impuls ist oder Impulse sind innerhalb des fünften nachatlantischen Kulturzeitraums. Sie ahnen - denn selbstverständlich konnte ich bisher nur einiges von diesen Impulsen Ihnen hier vor das Seelenauge führen -, daß es viele solche Impulse gibt, die man versuchen kann aufzugreifen, um gewissermaßen die Entwickelungsströmung der Menschheit in unserem Zeitalter zu erfassen. Ich habe dann vor, von den Impulsen, die seit dem 15. Jahrhundert innerhalb der zivilisierten Welt wirkten, in den nächsten drei Vorträgen noch insbesondere herauszugreifen die religiösen Impulse, so daß ich versuchen werde, eine Art Religionsgeschichte hier vor Ihnen zu entwickeln.

Heute möchte ich episodisch etwas besprechen, was vielleicht der eine oder der andere unnötig finden könnte, das mir aber doch naheliegt zu besprechen aus dem Grunde, weil es für das persönliche Dabeisein bei den Impulsen des gegenwärtigen Entwickelungszeitraumes der Menschheit doch auch von der einen oder anderen Seite her eine Wichtigkeit haben könnte. Ich möchte ausgehen von der Tatsache, daß sich mir persönlich in einem gewissen Zeitpunkte die Notwendigkeit ergab, die Impulse der Gegenwart zu ergreifen in den Ausführungen, die ich gegeben habe in meiner «Philosophie der Freiheit».

Sie wissen vielleicht, daß diese «Philosophie der Freiheit» vor fünfundzwanzig Jahren, also vor einem Vierteljahrhundert, erschienen ist, und daß sie jetzt eben ihre zweite Auflage erfahren hat. Die «Philosophie der Freiheit» schrieb ich, im Vollbewußtsein, aus der Zeit heraus zu schreiben, im Beginne der neunziger Jahre des vorigen Jahrhunderts. Wer damals die Art Vorrede gelesen hat, die ich geschrieben habe, wird fühlen, wie dieses Bestreben, aus dem Impulse der Zeit heraus zu schreiben, dazumal durch meine Seele zog. Ich habe diese Vorrede als zweiten Anhang diesmal ganz an den Schluß gesetzt. Selbstverständlich, wenn ein Buch nach einem Vierteljahrhundert wieder erscheint, so sind mancherlei andere Bedingungen eingetreten; aber ich wollte aus gewissen Gründen auch gar nichts unterdrücken von dem, was in der ersten Auflage dieses Buches gestanden hat.

Ich schrieb dazumal gewissermaßen als Devise meiner «Philosophie der Freiheit»: «Nur die Wahrheit kann uns Sicherheit bringen im Entwickeln unserer individuellen Kräfte. Wer von Zweifeln gequält ist, dessen Kräfte sind gelähmt. In einer Welt, die ihm rätselhaft ist, kann er kein Ziel seines Schaffens finden.» Diese Schrift «soll nicht <den einzig möglichen> Weg zur Wahrheit führen, aber sie soll von demjenigen erzählen, den einer eingeschlagen hat, dem es um Wahrheit zu tun ist.»

Ich war, als ich daranging, diese «Philosophie der Freiheit» zu schreiben, die in ihren Grundzügen aber schon seit einigen Jahren in meinem Kopfe fertig war, kurze Zeit in Weimar, das heißt, die Zeit zwischen meiner Ankunft in Weimar und dem Niederschreiben der «Philosophie der Freiheit» war noch eine kurze, im ganzen war ich ja sieben Jahre in Weimar. Ich war eigentlich schon mit den Ideen dieser «Philosophie der Freiheit» nach Weimar hingegangen. Wer da will, kann, ich möchte sagen, das ganze Programm dieser «Philosophie der Freiheit» in dem letzten Kapitel meiner kleinen Schrift «Wahrheit und Wissenschaft» finden, die ja auch meine Dissertation war. Aber in der Dissertation fehlte - selbstverständlich ließ ich es da für die Dissertation weg - dieses letzte Kapitel, welches das Programm der «Philosophie der Freiheit» enthält.

Im Grunde genommen hatte sich mir die Idee zur «Philosophie der Freiheit» gebildet beim Durchgehen, das ich ja seit langen Jahren zu pflegen hatte, durch die Goethesche Weltanschauung. Dieses Durchgehen der Goetheschen Weltanschauung und meine Publikationen auf dem Gebiete der Goetheschen Weltanschauung führten ja auch dazu, daß ich dann nach Weimar gerufen wurde zur Herausgabe und Mitarbeit an der großen Goethe-Ausgabe, die vom Ende der achtziger Jahre an inauguriert worden war durch das Goethe-Archiv in Weimar, das die Großherzogin Sophie von Sachsen-Weimar eingerichtet hatte.

Dasjenige, was man in Weimar dazumal erleben konnte - verzeihen Sie, wenn ich einige Nuancen persönlicher Art heute gebe, denn ich möchte eben, wie gesagt, die persönliche Anteilnahme an den Impulsen des fünften nachatlantischen Zeitraums charakterisieren -, war so, daß eigentlich gerade dazumal in den neunziger Jahren des vorigen Jahrhunderts in Weimar wie durcheinanderzogen die guten Traditionen einer reifen, bedeutungsvollen, inhaltsvollen Kultur, die sich anschloß an dasjenige, was ich Goetheanismus nennen möchte, und in dieses traditionelle Goetheanische hinein spielte dazumal in Weimar dasjenige, was übernommen worden war aus der Liszt-Zeit. Es war dazumal auch schon hineinspielend - da Weimar ja immer durch seine Kunstakademie Kunststadt geblieben ist - dasjenige, was geeignet gewesen wäre, wenn es nicht überströmt worden wäre von etwas anderem, wichtige Anregungen weitgehendster Art zu geben. Denn das Alte kann ja nur dann in gedeihlicher Weise sich fortentwickeln, wenn das Neue hineinströmt und es befruchtet. So daß neben dem Goetheanismus, der ja allerdings ein wenig mumienhaft im Goethe-Archiv sich verkörperte, das schadete aber nichts, man konnte ihn beleben, und ich habe ihn nur immer lebendig aufgefaßt, ein modernes Leben auf künstlerischem Gebiete sich entwickelte. Die Maler, die dort lebten, sie hatten alle gewisse Impulse neuester Art. Denjenigen, denen ich nahetrat, war allen anzumerken, welch tiefgehenden Einfluß ein neuer künstlerischer Impuls hatte, wie er zum Beispiel in dem Grafen Leopold von Kalckreuth lebte, der dazumal eine allerdings allzu kurze Zeit gerade das künstlerische Leben von Weimar in einer außerordentlichen Weise befruchtet hat. Es war im Weimarischen Theater auch noch dasjenige vorhanden, was ausgezeichnete, gute alte Traditionen waren. Wenn auch da oder dort das Philistertum hineinmurkste, es waren doch gute alte Traditionen da. Es war dasjenige, was man schon nennen kann eine Art Milieu, in dem gewissermaßen ein Zusammenströmen von allem Möglichen sich abspielte.

Dazu kam dann eben gerade das Leben durch das Goethe-Archiv, das später erweitert wurde zu dem Goethe- und Schiller-Archiv. Dieses Leben im Goethe-Archiv war ein solches, daß trotz aller philologischen Unterlagen, die ja dem Geiste der Zeit nach, und namentlich dem Schererschen Geiste nach, der Arbeit im Goethe-Archiv zugrunde lag, daß trotz dieser philologischen Grundlage sich doch ein gewisses reges Hineinleben in bessere Impulse der neueren Zeit geltend machen ließ, vor allen Dingen dadurch, daß gewissermaßen durch das Goethe-Archiv alles strömte an internationaler Gelehrsamkeit. Und wenn auch unter den internationalen Gelehrten, die da kamen von Rußland, von Norwegen, von Holland, von Italien, von England, von Frankreich, von Amerika, manches war, was ihnen gewissermaßen schon als das Üble des gegenwärtigen Zeitalters an den Rockschößen anhaftete, so war doch auch immer die Möglichkeit vorhanden, das Abfärben des Besseren gerade an diesem internationalen Gelehrtenpublikum innerhalb Weimars namentlich in jener Zeit, den neunziger Jahren, zu erleben. Man konnte alles mögliche erleben, von jenem amerikanischen Professor, der eine eingehende, sehr interessante Studie über den «Faust» bei uns machte, an den ich mich noch lebhaft erinnere, wie er da saß auf dem Fußboden, die beiden Beine übereinander verschränkt, auf dem Fußboden, weil er das bequemer fand, so neben dem Bücherregal zu sitzen und alles gleich herausfischen zu können, ohne erst zum Stuhl gehen zu müssen, von diesem Professor bis zum Beispiel zu dem polternden Treitschke, den ich einmal bei einem Mittagsmahl traf und der - man mußte ihm ja alles auf Zettel schreiben, weil er nicht hörte -von mir zu wissen verlangte, woher ich käme. Und als ich ihm antwortete, daß ich aus Österreich käme, sagte er darauf gleich, in seiner Art charakterisierend - man weiß, wie man Treitschkes Art zu nehmen hat -: Nun, aus Österreich kommen entweder sehr gescheite Leute oder Schufte! - Man hatte nun die Wahl, entweder zu dem einen oder zu dem ändern sich zu rechnen. Aber ich könnte Ihnen unendliche Variationen dieses Themas des Hereinspielens des Internationalen in das Weimarische Getriebe hier vorerzählen.

Manches lernte man auch dadurch recht genau kennen, daß ja auch Leute kamen, die bloß mehr oder weniger eben anschauen wollten, was sich erhalten hat, was geblieben war aus der Goethe-Zeit. Es kamen auch andere Leute, bei denen man ein reges Interesse hatte namentlich für die Art und Weise, wie sie dem Goetheanismus nähertreten wollten und so weiter. Man braucht nur zu erwähnen, daß in Weimar ja auch Richard Strauß seine Anfänge durchgemacht hat, die er dann so sehr verschlimmbessert hat. Aber dazumal gehörte er tatsächlich zu denjenigen Elementen, bei denen man das musikalische Streben der neueren Zeit in der, ich möchte sagen, anmutigsten Weise kennenlernen konnte. Denn Richard Strauß war in seiner Jugend ein reger Geist, und ich gedenke noch mit vieler Liebe an jene Zeit, als Richard Strauß immer wieder und wieder kam und einen der anregenden Sätze aufgefangen hatte, die in den Gesprächen Goethes mit seinen Zeitgenossen zu finden sind. Die Gespräche Goethes mit seinen Zeitgenossen sind von Woldemar Freiherr von Biedermann herausgegeben. Da sind wirklich Goldkörner von Weisheit zu finden. Das alles, um Ihnen das Milieu des damaligen Weimar, insofern ich Anteil nehmen konnte, zu charakterisieren.

Immerzu kam wiederum eine vornehme Gestalt, bewahrend die Tradition der allerbesten Zeit, ganz abgesehen von allem Fürstlichen, in das Goethe- und Schiller-Archiv, der damalige Großherzog von Weimar, Karl Alexander, der nur als Mensch genommen zu werden brauchte, um ihn lieb zu haben, um ihn zu schätzen. Er war ja auch etwas von einer lebendigen Tradition, denn er war 1818 geboren, hatte also noch vierzehn Jahre hindurch in Weimar die Jugend-, die Knabenzeiten gemeinschaftlich mit Goethe verlebt. Es war etwas von einem außerordentlichen inneren Charme gerade in dieser Persönlichkeit. Und außerdem konnte man einen wirklich unbegrenzten Respekt gewinnen vor der Art und Weise, wie diese Oranierin, die Großherzogin Sophie von Sachsen, den Goethe-Nachlaß pflegte, wie sie sich widmete allen Einzelheiten, die eingerichtet wurden, um den Goethe-Nachlaß wirklich zu pflegen. Daß später an die Spitze der Goethe-Gesellschaft ein gewesener Finanzminister gerufen worden ist, das lag ganz gewiß nicht in den Intentionen, die dazumal in Weimar walteten, und ich glaube, daß eine ganz große Anzahl von Nichtphilistern, die schon dazumal auch mit dem verbunden waren, was man Goetheanismus nennt, es ebenso, im Spaße selbstverständlich, ganz freudig begrüßen würden, daß vielleicht doch etwas Symptomatisches in dem Vornamen jenes gewesenen Finanzministers liegt, der jetzt Präsident der Goethe-Gesellschaft wurde. Er heißt nämlich mit seinem Vornamen Kreuzwendedich.

Nun, recht stark hineingestellt in dieses Milieu, verfaßte ich meine «Philosophie der Freiheit», diese «Philosophie der Freiheit», von der ich allerdings glaube, daß sie einen notwendigen Impuls der Gegenwart erfaßte. Ich rede das nicht aus persönlicher Albernheit, sondern um zu charakterisieren, was ich eigentlich wollte, und was ich auch heute noch wollen muß mit dieser «Philosophie der Freiheit». Ich schrieb diese «Philosophie der Freiheit», um auf der einen Seite die Idee der Freiheit, den Impuls der Freiheit, der im wesentlichen der Impuls des fünften nachatlantischen Zeitalters sein muß - er muß sich herausentwickeln aus den mancherlei anderen versplitterten Impulsen-, rein vor die Menschheit hinzustellen. Dazu war ein Doppeltes notwendig. Erstens war notwendig, den Impuls der Freiheit stark zu verankern in dem, was man wissenschaftliche Begründung einer solchen Sache nennen kann. Daher ist der erste Teil meiner «Philosophie der Freiheit» derjenige, welchen ich überschrieben habe «Wissenschaft der Freiheit». Selbstverständlich war dieser Teil «Wissenschaft der Freiheit» für viele etwas Abstoßendes, etwas Unbequemes, denn nun sollte man sich zu dem Impuls der Freiheit hinbequemen in der Art, daß man ihn solid verankert fühlen soll in streng wissenschaftlichen Betrachtungen, die allerdings auf der Freiheit des Gedankens fußten, die nicht verankert waren in demjenigen, was oftmals heute als naturwissenschaftlicher Monismus sich geltend macht. Es hat vielleicht dieser Abschnitt «Wissenschaft der Freiheit» einen kampfartigen Charakter. Der ist zu erklären aus der ganzen Geistesstimmung der damaligen Zeit heraus. Auseinanderzusetzen hatte ich mich mit der Philosophie des 19. Jahrhunderts, mit dem, was die Philosophie des 19. Jahrhunderts über die Welt gedacht hatte. Denn ich wollte den Freiheitsbegriff als Weltbegriff entwickeln, wollte zeigen, daß nur derjenige die Freiheit verstehen kann und sie auch nur in der richtigen Weise erfühlen kann, der einen Sinn dafür hat, daß im menschlichen Inneren sich nicht etwas abspielt, was nur irdisch ist, sondern daß der große kosmische Weltprozeß hindurchflutet durch das menschliche Innere und aufgefaßt werden kann im menschlichen Inneren. Und nur, wenn dieser große kosmische Weltprozeß im menschlichen Inneren aufgefangen wird, wenn er im menschlichen Inneren durchlebt wird, dann ist es möglich, durch eine Erfassung des menschlichen Innersten als etwas Kosmischem zu einer Philosophie der Freiheit zu kommen. Zu einer Philosophie der Freiheit kann derjenige nicht kommen, welcher nach der Anleitung der modernen naturwissenschaftlichen Erziehung sein Denken bloß am Gängelbande der äußeren Sinnenfälligkeit hinführen will. Das ist gerade das Tragische in unserer Zeit, daß die Menschen überall auf unsern Hochschulen dazu erzogen werden, ihr Denken am Gängelbande der äußeren Sinnlichkeit zu führen. Dadurch sind wir in ein Zeitalter hineingeraten, welches mehr oder weniger hilflos ist in allen ethischen, sozialen und politischen Fragen. Denn nimmermehr wird dasjenige Denken, das sich nur am Gängelbande der äußeren Sinnlichkeit führen läßt, in der Lage sein, sich innerlich so zu befreien, daß es zu den Intuitionen aufsteigt, zu denen es aufsteigen muß, wenn dieses Denken sich betätigen will innerhalb der Sphäre des menschlichen Handelns. Daher ist der Impuls der Freiheit geradezu ausgeschaltet worden durch dieses am Gängelbande geführte Denken.

Das war das erste, was natürlich den Zeitgenossen unbequem war an meiner «Philosophie der Freiheit», daß sie sich hätten bequemen müssen, nun wirklich zunächst sich durchzuringen in einem sich selbst in Zucht nehmenden Denken zu einer Wissenschaft von der Freiheit.

Der zweite größere Abschnitt handelt dann von der Wirklichkeit der Freiheit. Da kam es mir darauf an zu zeigen, wie die Freiheit im äußeren Leben sich ausgestalten muß, wie die Freiheit wirklicher Impuls des menschlichen Handelns, des sozialen Lebens werden kann. Da handelte es sich mir darum zu zeigen, wie der Mensch aufsteigen kann dazu, sich in seinem Handeln wirklich als freier Geist zu fühlen. Und diejenigen Dinge, die ich dazumal schrieb, sie sind, wie ich meine, etwas, was gerade heute, fünfundzwanzig Jahre hinterher, sehr wohl von den Seelen aufgefaßt werden könnte gegenüber dem, was in der äußeren Welt uns entgegentritt.

Das, was ich niedergeschrieben hatte, war zunächst ein ethischer Individualismus. Das heißt, ich hatte zu zeigen, daß der Mensch nimmermehr frei werden könne, wenn nicht sein Handeln entspringe aus jenen Ideen, die in den Intuitionen der einzelnen menschlichen Individualität wurzeln. So daß dieser ethische Individualismus als letztes ethisches Entwickelungsziel des Menschen nur anerkannte den sogenannten freien Geist, der sich herausarbeitet sowohl aus dem Zwang der Naturgesetze wie auch aus dem Zwang von allen konventionellen sogenannten Sittengesetzen, der auf dem Vertrauen fußt, daß der Mensch im Zeitalter, in dem das Böse so anrückt in seinen Neigungen, wie ich das gestern charakterisiert habe, in der Lage ist, wenn er sich zu Intuitionen erhebt, umzuwandeln die bösen Neigungen in dasjenige, was gerade für die Bewußtseinsseele das Gute, das wirklich Menschenwürdige werden soll. So schrieb ich dazumal:

«Erst die hierdurch gewonnenen Gesetze verhalten sich zum menschlichen Handeln so wie die Naturgesetze zu einer besonderen Erscheinung. Sie sind aber durchaus nicht identisch mit den Antrieben, die wir unserem Handeln zugrunde legen. Will man erfassen, wodurch eine Handlung des Menschen dessen sittlichem Wollen entspringt, so muß man zunächst auf das Verhältnis dieses Wollens zu der Handlung sehen.»

In mir entsprang eine Idee des freien menschlichen Zusammenlebens, wie ich es Ihnen von einem anderen Gesichtspunkte aus gerade in diesen Tagen hier charakterisiert habe, des freien menschlichen Zusammenlebens, wo nicht nur der einzelne für sich auf seine Freiheit pocht, sondern wo durch das gegenseitige Verständnis der Menschen im sozialen Leben die Freiheit als Impuls dieses Lebens auch realisiert werden könnte. So schrieb ich dazumal rückhaltlos:

«Leben in der Liebe zum Handeln und Lebenlassen im Verständnisse des fremden Wollens ist die Grundmaxime der freien Menschen. Sie kennen kein anderes Sollen als dasjenige, mit dem sich ihr Wollen in intuitiven Einklang versetzt; wie sie in einem besonderen Falle wollen werden, das wird ihnen ihr Ideenvermögen sagen.»

Ich hatte selbstverständlich mit diesem ethischen Individualismus den ganzen Kantianismus dazumal wider mich, denn meine kleine Schrift «Wahrheit und Wissenschaft» beginnt in der Vorrede mit dem Satze: Wir müssen über Kant hinaus. - Ich wollte dazumal den Goetheanismus, der aber der Goetheanismus vom Ende des 19. Jahrhunderts war, durch die sogenannten Intellektuellen, durch diejenigen, die sich die Intellektuellsten nennen, an das Zeitalter heranbringen. Daß ich damit nicht besondere Erfahrungen gemacht habe, das kann Ihnen ja mein Aufsatz, den ich jüngst im «Reich» geschrieben habe, besonders meine Beziehungen zu Eduard von Hartmann, zeigen. Aber wie mußten auch diese Zeitgenossen, die nach und nach in das volle Philistertum hineinzusegeln die Absicht hatten, sich abgestoßen fühlen von einem Satze, der jetzt auf Seite 176 der «Philosophie der Freiheit» steht: «Wenn Kant von der Pflicht sagt: «Pflicht! du erhabener, großer Name, der du nichts Beliebtes, was Einschmeichelung bei sich führt, in dir fassest, sondern Unterwerfung verlangst), der du <ein Gesetz aufstellst.. ., vor dem alle Neigungen verstummen, wenn sie gleich im geheimen ihm entgegenwirken), so erwidert der Mensch aus dem Bewußtsein des freien Geistes: «Freiheit! du freundlicher, menschlicher Name, der du alles sittlich Beliebte, was mein Menschentum am meisten würdigt, in dir fassest, und mich zu niemandes Diener machst, der du nicht bloß ein Gesetz aufstellst, sondern abwartest, was meine sittliche Liebe selbst als Gesetz erkennen wird, weil sie jedem nur aufgezwungenen Gesetze gegenüber sich unfrei fühlt.>»

So im Empirischen die Freiheit zu suchen, die zugleich auf einer solid wissenschaftlichen Grundlage auferbaut sein sollte, das war eigentlich das Bestreben, welches der «Philosophie der Freiheit» zugrunde lag. Freiheit ist dasjenige, was als Wort einzig und allein einen unmittelbaren Wahrheitsklang in unserer Zeit haben kann. Wenn man Freiheit so verstehen würde, wie es dazumal gemeint war, so würde ein ganz anderer Ton hineinkommen in all das, was heute über die Weltordnung über den Erdball hin gesprochen wird. Heute redet man von allen möglichen anderen Sachen. Wir reden von Rechtsfrieden, von Gewaltfrieden und so weiter. Alle diese Dinge sind Schlagworte, weil weder Recht noch Gewalt mit ihren ursprünglichen Bedeutungen noch zusammenhängen. Recht ist heute ein vollständig verworrener Begriff. Freiheit allein wäre dasjenige, welches, wenn es die Zeitgenossen angenommen hätten, diese Zeitgenossen zu elementaren Impulsen, zur Auffassung der Wirklichkeit hätte bringen können. Würde man statt von den Schlagworten Rechtsfriede, Gewaltfriede, einigermaßen auch reden können von Freiheitsfriede, dann würde das Wort durch die Welt rollen, welches in diesem Zeitalter der Bewußtseinsseele einige Sicherheit in die Seelen hineinbringen könnte. Selbstverständlich ist auch dieses zweite größere Kapitel in gewisser Beziehung ein Kampf-Kapitel geworden, denn es mußte alles abgewehrt werden, was aus der philiströsen Welt heraus, aus dem billigen Schablonentum heraus, aus der Anbeterei aller möglichen Autoritäten sich gegen diese Auffassung des freien Geistes wenden konnte.

Trotzdem sich nun einzelne Menschen fanden, die gespürt haben, welcher Wind eigentlich durch die «Philosophie der Freiheit» weht, ist es außerordentlich schwierig gewesen und eigentlich gar nicht gegangen, irgendwie die Zeitgenossen für das gestimmt zu finden, was in der «Philosophie der Freiheit» geschrieben war. Zwar schrieb dazumal, aber das sind eben vereinzelte Vögel geblieben, ein Mann in der «Frankfurter Zeitung» von diesem Buche: Klar und wahr, das sei die Devise, die man diesem Buche auf die erste Seite schreiben könnte. Aber die Zeitgenossen verstanden wenig von dieser Klarheit und Wahrheit.

Nun fiel dieses Buch - und das hat gar nicht auf seinen Inhalt, wohl aber auf die Tendenz gewirkt, daß der Glaube hätte bestehen können, doch bei einigen Zeitgenossen Verständnis zu finden - hinein in die Zeit, als gerade, man kann schon sagen, durch die ganze zivilisierte Welt dazumal die Nietzsche-Welle ging. Und zwar war dies, was ich jetzt meine, die erste Nietzsche-Welle, jene erste Nietzsche-Welle, wo man verstand, wie durch Nietzsches oftmals gewiß krank wirkenden Geist große, bedeutsame Zeitimpulse hindurch wallten. Und man konnte hoffen, bevor es Leuten wie dem Grafen Keßler oder ähnlichen, auch Nietzsches Schwester im Verein mit solchen Menschen wie etwa dem Berliner Kurt Breysig oder dem schwätzenden Horneffer gelungen ist, das Bild zu verzerren, daß durch die Vorbereitung, welche ein gewisses Publikum durch Nietzsche gefunden hatte, auch solche Freiheitsideen einigermaßen sich einleben könnten. Allerdings konnte man das nur so lange hoffen, bis durch die angeführten Leute Nietzsche in das moderne Dekadententum, man könnte sagen, in das literarische Gigerltum, Snobturn - ich weiß nicht, wie ich, um verstanden zu werden, den Ausdruck wählen soll - hineingesegelt worden ist.

Dann hatte ich ja, nachdem die «Philosophie der Freiheit» geschrieben war, zunächst zu studieren, wie sich da oder dort das weiter entwickelte. Ich meine nicht die Ideen der «Philosophie der Freiheit», denn ich wußte sehr gut, daß in der ersten Zeit sehr wenige Exemplare des Buches verkauft worden sind, sondern ich meine diejenigen Impulse, aus denen herausgegriffen waren die Ideen der «Philosophie der Freiheit». Ich hatte das zunächst noch eine Anzahl von Jahren von Weimar aus zu studieren, was aber einen guten Gesichtspunkt schon abgab.

Ein Publikum, auf das vielleicht viele als auf ein bängliches zurückschauen, ein Publikum fand ja die «Philosophie der Freiheit». Sie war erst kurze Zeit erschienen, da fand sich gewissermaßen eine Art von bis zu einer gewissen Grenze gehender Zustimmung zur «Philosophie der Freiheit» innerhalb derjenigen Kreise, welche am besten vielleicht charakterisiert sind durch die beiden Namen des Amerikaners Benjamin Tucker und des schottischen Deutschen oder deutschen Schotten John Henry Mackay. Es war dies in dem nun immer mehr und mehr hereinbrechenden Philisterium selbstverständlich nicht gerade ein Empfehlungsschein, weil diese Leute zu den radikalsten Erstrebern einer auf freie Geistigkeit aufgebauten sozialen Ordnung gehörten, und weil man, wenn man gewissermaßen protegiert wurde von diesen Leuten, wie es ja eine Zeitlang der «Philosophie der Freiheit» geschah, sich dadurch höchstens das Anrecht erwarb, daß nicht nur die «Philosophie der Freiheit», sondern auch andere meiner später erscheinenden Schriften zum Beispiel nach Rußland von der Zensur nie durchgelassen worden sind. Das «Magazin für Literatur», das ich später, nach Jahren herausgegeben habe, ist aus diesem Grunde auf seinen meisten Spalten schwarz angestrichen nach Rußland gewandert, und so weiter. Nur war diese Bewegung, um die es sich da handelte und die man durch Namen wie Benjamin Tucker und John Henry Mackay charakterisieren kann, allmählich, ich möchte sagen, versandet in dem heraufkommenden Philisterium des Zeitalters. Und im Grunde genommen war auch die Zeit dem Verständnisse der «Philosophie der Freiheit» nicht besonders günstig. Ich konnte ruhig diese «Philosophie der Freiheit» vorläufig liegen lassen. Jetzt scheint mir aber allerdings die Zeit gekommen zu sein, wo diese «Philosophie der Freiheit» wenigstens wieder da sein muß, wo von den verschiedensten Seiten doch vielleicht die Seelen kommen werden, die Fragen stellen, welche in der Richtung dieser «Philosophie der Freiheit» liegen.

Gewiß, Sie können sagen, es wäre immerhin möglich gewesen die ganzen Jahre her, die «Philosophie der Freiheit» neu aufzulegen. Ich zweifle ja auch nicht daran, daß man im Laufe der Jahre viele Auflagen hätte absetzen können. Aber es wäre eben dabei geblieben, daß die «Philosophie der Freiheit» verkauft worden wäre. Und darum handelt es sich mir bei meinen wichtigsten Büchern wahrlich nicht, daß sie in so und so viel Exemplaren durch die Welt wandeln, sondern darum handelt es sich mir, daß sie verstanden und in ihrem eigentlichen inneren Impuls aufgenommen werden.

Dann, im Jahre 1897, kam ich von Weimar nach Berlin. Ich trat aus jenem Milieu heraus, von dem aus ich gewissermaßen von außen die Entwickelung der Zeit zu verfolgen hatte. Ich kam nach Berlin. Ich hatte, als Neumann-Hofer das «Magazin» aufgegeben hatte, es erworben, um eine Tribüne zu haben, Ideen, welche ich für wirklich im wahren Sinne des Wortes zeitgemäß halte, vor der Welt vertreten zu können. Allerdings, schon als bald nach meinem Eintreten in das «Magazin» mein Briefwechsel mit John Henry Mackay erschien, tanzte das frühere Philisterium, aus dem die Abonnenten des «Magazin» bestanden, durchaus nicht freudig, und ich bekam von allen Seiten die Vorwürfe: Ja, was macht denn der Steiner eigentlich aus diesem alten «Magazin», was soll das werden? - Die ganze Berliner Professorenschaft, die dazumal, soweit sie für Philologisches oder für Literatur interessiert war, noch das «Magazin» abonniert hatte - es war im Jahre 1832, also schon in Goethes Sterbejahr begründet worden, was unter anderm auch einer der Gründe war, warum die Professorenwelt es abonniert hatte -, diese Professorenwelt bestellte nun bald nach und nach das «Magazin» ab. Und ich hatte auch bei der Herausgabe des «Magazin» eben durchaus das Talent, die Leute vor den Kopf zu stoßen, nicht das Zeitalter, aber die Leute vor den Kopf zu stoßen.

Ich möchte nur an eine kleine Episode dabei erinnern. Unter denjenigen Männern innerhalb der zeitgenössischen Geisteskultur, die sich am allerintensivsten einsetzten für dasjenige, was ich auf dem Gebiete des Goetheanismus geleistet hatte, befand sich ein Professor an einer Universität. Ich erzähle nur eine Tatsache. Diejenigen, die mich kennen, werden es mir nicht als eine Albernheit auslegen, wenn ich Ihnen sage, daß mir jener Professor im «Russischen Hof» in Weimar einmal gesagt hat: Ach, gegenüber dem, was Sie über Goethe geschrieben haben, ver-Jblaßt doch alles, was wir irgendwie Unbedeutendes in Anknüpfung an Goethe sagen können. - Ich erzähle eine Tatsache, und ich sehe nicht ein, warum unter den Verhältnissen, wie sie geworden sind, man just solche Dinge verschweigen soll. Denn schließlich bleibt ja doch auch der zweite Teil des Goetheschen Ausspruchs wahr - der erste Teil ist ja nicht von Goethe -: Eitel Eigenlob stinkt, aber wie fremder ungerechter Tadel duftet, darüber unterrichten sich die Leute eben seltener.

Nun, jener selbige Literaturprofessor, der mir dieses gesagt hatte, war auch Abonnent des «Magazin». Sie wissen ja, welche weltgeschichtlichen Fragen dazumal der Dreyfus-Prozeß aufgewirbelt hat. Ich hatte im «Magazin» nicht nur über den Dreyfus-Prozeß selber eine Mitteilung gemacht, die eigentlich nur von mir gemacht werden konnte, sondern ich war auch mit aller Energie eingetreten für die berühmte Rede, welche dazumal als «J'accuse-Rede» Emile Zola für Dreyfus gehalten hat. Ich bekam darauf von jenem Literaturprofessor, der mir früher manches Anbeterische in allerlei Briefen geschrieben hat, es auch hat drucken lassen, ich könnte es heute noch zeigen, auf einer Postkarte die Nachricht: Hierdurch bestelle ich das «Magazin für Literatur» ein für allemal ab, da ich ein Organ, das für den sein Vaterland verratenden Judensöldling Emile Zola eintritt, nicht in meiner Bibliothek dulden mag. - Das ist nur eine solche Episode, die ich, ich darf schon sagen in diesem Falle, ins Hundertfache vermehren könnte. Es würde sich manches Charakteristische ergeben, wenn ich Ihnen erzählen würde, in welche Kenntnis erweckenden Zusammenhänge mich dann die Redaktion des «Magazin für Literatur» gebracht hat. Sie brachte mich ja auch in Zusammenhang mit alledem, was jung aufstrebte im modernen Kunst- und Literatentum. Nun ja, auch das ist ein Kapitel, ich möchte sagen, das sich anschließt an die Geschichte der «Philosophie der Freiheit».

Ich war nach Berlin gekommen, vielleicht naiverweise, um zu beobachten, wie durch solch eine Tribüne wie das «Magazin» sich Zukunftsideen einleben könnten bei einigen Menschen, wenigstens solange die materiellen Mittel vorhielten, die das «Magazin» zur Verfügung hatte, und solange das alte Ansehen, das ich allerdings gründlich untergrub, vorhielt. Aber ich konnte ja naiverweise zusehen, wie sich solche Ideen unter derjenigen Bevölkerung ausbreiteten, die sich ihre Weltanschauung auf den die Menschen so sehr vergründlichenden Bierphilister Wilhelm Bölsche und ähnliche Helden aufbaute. Das alles waren außerordentlich interessante Studien, die man machen konnte und die nach den verschiedensten Richtungen hin mancherlei Aufschlüsse gaben über dasjenige, was in der Zeit steckt und nicht steckt.

Durch meine Freundschaft mit Otto Erich Hartleben kam ich dann eigentlich mit allen oder wenigstens mit einer großen Zahl der jung aufstrebenden Literaten, die zum großen Teil jetzt schon wieder abgewirtschaftet haben, gerade in der damaligen Zeit zusammen. Ob ich nun in diese Gesellschaft hineinpaßte oder nicht, das habe ich nicht zu entscheiden. Eines der Mitglieder dieser Gesellschaft hat jüngst einen Artikel in der «Vossischen Zeitung» geschrieben, worin er mit einer gewissen Pedanterie zu beweisen versucht, daß ich allerdings in diese Gesellschaft nicht hineingepaßt hätte und mich ausgenommen hätte wie ein «freischweifender unbesoldeter Gottesgelehrter» innerhalb von Leuten, die eben allerdings nicht freischweifende unbesoldete Gottesgelehrte waren, aber die wenigstens junge Literaten waren.

Vielleicht interessiert Sie auch das als eine Episode, wie ich gerade zu der wirklich eine Zeitlang anhänglichen Freundschaft Otto Erich Hartlebens gekommen bin. Es war noch während meiner Weimarer Zeit. Er kam zwar immer nach Weimar zu den Goethe-Versammlungen, die er aber regelmäßig verschlief, denn er hatte es zu seiner Lebensgewohnheit gemacht, erst um zwei Uhr nachmittags aufzustehen, und um zehn Uhr fingen die Goethe-Versammlungen an. Wenn die Goethe-Versammlungen aus waren, besuchte ich ihn und traf ihn dann regelmäßig noch im Bette. Dann saßen wir aber abends noch zuweilen zusammen. Und seine besondere Anhänglichkeit, die dauerte, bis die ja viel Staub aufwirbelnde, sich um mich herumspinnende Nietzsche-Affäre auch diesen Otto Erich Hartleben von mir wegbrachte. Wir saßen zusammen, und ich weiß, wie er Freundschaftsfunken fing, als ich dazumal mitten im Gespräch epigrammatisch die Worte hinwarf: Schopenhauer ist eben ein borniertes Genie gewesen. - Das gefiel Otto Erich Hartleben. Es gefiel ihm an demselben Abend, als ich noch manches andere sprach, so daß der später bekannt gewordene Max Martersteig über meine Reden aufsprang und sagte: Reizen Sie mich nicht, reizen Sie mich nicht!

Nun ja, an einem der Abende, die dazumal im Kreise des hoffnungsvollen Otto Erich Hartleben und des hoffnungsvollen Max Martersteig und anderer Leute zugebracht worden waren, entstand ja auch die erste Serenissimus-Anekdote, von der ja alle Serenissimus-Anekdoten ihren Ausgangspunkt genommen haben. Ich möchte dieses nicht unerwähnt lassen, es gehört ganz gewißlich zu dem Milieu der «Philosophie der Freiheit», denn die Stimmung der «Philosophie der Freiheit» lag doch wenigstens über dem Kreise, in dem ich verkehrte, und ich weiß heute noch, welche Anregung - wenigstens hat er es so gesagt - Max Halbe gerade von der «Philosophie der Freiheit» empfangen hat. Also diese Leute haben sie schon gelesen, und es ist manches aus der «Philosophie der Freiheit» an Impulsen eingeflossen in manches, was immerhin in der Welt weht. Diese Ur-Serenissimus-Anek-dote, von der dann alle anderen Serenissimus-Anekdoten Kinder sind, ist also durchaus nicht hervorgegangen aus einer Stimmung, um, sagen wir, sich bloß lustig zu machen über irgendeine Persönlichkeit, sondern sie ist hervorgegangen aus jener Stimmung, die auch verknüpft sein muß mit dem, was der Impuls der «Philosophie der Freiheit» ist: mit einer gewissen humoristischen Lebensauffassung, oder, wie ich oftmals sage, mit einer gewissen unsentimentalen Lebensauffassung, die insbesondere dann notwendig ist, wenn man sich auf den Standpunkt des intensivsten geistigen Lebens stellt. Diese Ur-Anekdote, sie ist ja diese.

Serenissimus besucht das Zuchthaus seines Landes, und er will sich einen Sträfling vorführen lassen, worauf ihm ein Sträfling wirklich vorgeführt wird. Er stellt dann eine Reihe von Fragen an diesen Sträfling: Wie lange halten Sie sich hier auf? - Bin schon zwanzig Jahre hier. - Schöne Zeit das, schöne Zeit, zwanzig Jahre, schöne Zeit das! Was hat Sie denn veranlaßt, mein Lieber, hier Ihren Aufenthaltsort zu nehmen? - Ich habe meine Mutter ermordet. - Ach so, so! Merkwürdig, höchst merkwürdig, Ihre Frau Mutter haben Sie ermordet? Merkwürdig, höchst merkwürdig! Ja, sagen Sie mir, mein Lieber, wie lange gedenken Sie sich noch hier aufzuhalten? - Bin lebenslänglich verurteilt. - Merkwürdig! Schöne Zeit das! Schöne Zeit! Na, ich will Ihre kostbare Zeit nicht weiter mit Fragen in Anspruch nehmen. Mein lieber Direktor, diesem Manne werden die letzten zehn Jahre seiner Strafe in Gnaden erlassen.

Nun, das war die Ur-Anekdote. Sie war durchaus nicht hervorgegangen aus einer niederträchtigen Stimmung, sondern sie war hervorgegangen aus einem Humoristisch-Nehmen desjenigen, was, wenn es not tut, durchaus auch in allen seinen ethischen Werten genommen werden konnte und so weiter. Ich bin überzeugt davon, daß, wenn es je hätte vorkommen können, daß die Persönlichkeit, auf die, vielleicht mit Unrecht, diese Anekdote vielfach gemünzt wurde, diese Anekdote selber gelesen hätte, sie herzlichst darüber gelacht hätte.

Dann konnte ich, wie gesagt, in Berlin beobachten, sehen, wie in dem Kreise, den ich Ihnen eben angegeben habe, versucht wurde, etwas von der neuen Zeit heraufzuführen. Aber es spielte ja schließlich in alles ein wenig Bölsche hinein, und ich meine damit natürlich nicht den in Friedrichshagen wohnhaften dicken Bölsche allein, sondern ich meine die ganze Bölscherei, die ja in der Philisterwelt unserer Zeit eine außerordentlich breite Rolle spielt. Schon die ganze saftige Art der Darstellungen des Bölsche ist ja für unsere Zeitgenossen so ganz besonders geeignet. Nicht wahr, wer Bölsches Aufsätze liest, muß alle Augenblicke irgend etwas von Exkrementen oder dergleichen in die Hand nehmen. So ist sein Stil: Man nehme nur ja recht das und das in die Hand -, und es sind nicht immer bloß Quallen, die man in die Hand zu nehmen hat, wozu er einen einladet, daß man es in die Hand nehmen soll, sondern es ist wahrhaftig noch manches andere, was man da in die Hand zu nehmen hat. Aber diese Bölscherei ist so recht ein Leckerbraten für das in dieser Zeit heraufkommende Philistertum geworden.

Es war ja nicht gerade eine richtige Art, das «Magazin» zu lancieren, was ich eines Tags in einer Nummer des «Magazins» tat. Der Max Halbe hatte eben seinen «Eroberer» aufführen lassen, der sicherlich das Stück mit dem besten Halbe-Wollen ist, das aber deshalb grandios durchgefallen ist in Berlin, und ich habe eine Kritik geschrieben, über die Max Halbe in heller Verzweiflung war, denn ich habe alle Berliner Zeitungen durchgenommen und einem nach dem anderen der Berliner Theaterkritiker das Nötige gesagt über ihren Verstand. Es war nicht gerade die richtige Art, das «Magazin» zu lancieren. Und so, nicht wahr, wurde das eine schöne Studienzeit. Man konnte wiederum in vieles von einem anderen Gesichtspunkte aus hineinschauen als von Weimar aus. Immer stand bei mir im Hintergrunde die Frage: Wie könnte die Zeit so etwas aufnehmen, wie es die Ideen der «Philosophie der Freiheit» sind? - Man wird schon, wenn man will, durch alles das, was ich in dem «Magazin für Literatur» geschrieben habe, den Geist der «Philosophie der Freiheit» wehen sehen. Doch das «Magazin für Literatur» wurde nicht in das moderne Philistertum hineinlanciert. Ich aber wurde selbstverständlich unter diesen verschiedenen Einflüssen nach und nach durch das moderne Philistertum herauslanciert.

Da bot sich gerade Gelegenheit, eine andere Tribüne zu finden angesichts der großen Fragen, welche um die Jahrhundertwende alle Welt bewegten und mit denen ich ja schon in so innige Beziehungen getreten war durch John Henry Mackay, durch Tucker, der von Amerika nach Berlin gekommen war und mit dem sehr interessante Abende zugebracht worden waren. Es bot sich mir die Gelegenheit, eine andere Tribüne zu finden. Es war die Tribüne der sozialistischen Arbeiterschaft. Und ich habe Jahre hindurch den Unterricht auf den verschiedensten Gebieten geleitet in der Berliner Arbeiterbildungsschule, von da ausgehend dann in allen möglichen Vereinigungen der sozialistischen Arbeiterschaft Vorträge gehalten, da ich nach und nach aufgefordert worden bin, nicht nur diese Vorträge zu halten, sondern mit den Leuten auch Redeübungen zu treiben. Die Leute waren ja nicht nur darauf aus, dasjenige klar kennenzulernen, was ich Ihnen in diesen Tagen auseinandergesetzt habe, sondern sie waren immer darauf aus, wirklich auch reden zu können, das vertreten zu können, was sie als das Richtige glaubten vertreten zu müssen. Da gab es selbstverständlich über alle möglichen Gebiete die eingehendsten Diskussionen in allen möglichen Kreisen. Es war wiederum ein anderer Gesichtspunkt, die Weltentwickelung der neueren Zeit kennenzulernen.

Nun, gerade innerhalb dieser Kreise konnte man interessant finden, wie eines nicht hineinspielen durfte, und das ist dasjenige, was für die heutige Zeit und ihr richtiges Verständnis von so unendlicher Wichtigkeit ist. Ja, ich konnte von allem möglichen sprechen - denn wenn man sachlich spricht, kann man heute, ganz abgesehen von Standpunkten der proletarischen Bevölkerung, von allem möglichen sprechen -, just nicht von Freiheit. Von Freiheit zu sprechen, das erschien als das außerordentlich Gefährliche. Ich hatte nur einen einzigen Anhänger, der immer aufstand, wenn ich meine Freiheitstiraden, wie sie selbstverständlich die anderen nannten, gehalten hatte und der hierbei an meiner Seite stand. Ich weiß nicht, was aus ihm geworden ist. Es war der Pole Siegfried Nacht, der immer an meine Seite getreten ist, wenn es sich darum handelte, gerade die Freiheit gegenüber dem Sozialismus mit seinem absolut unfreien Programm zu betrachten.

Wer die heutige Zeit betrachtet mit alledem, was heraufzieht, der wird finden, daß in dem, was heraufzieht, gerade dasjenige fehlt, was die «Philosophie der Freiheit» will. Die «Philosophie der Freiheit» begründet in einer freien, geistigen Denkerarbeit eine zwar mit der Naturwissenschaft völlig im Einklang stehende, aber über die Naturwissenschaft eben frei hinausgehende Wissenschaft von der Freiheit. Dieser Teil, der macht es möglich, daß wirklich freie Geister sich innerhalb der heutigen sozialen Ordnung ausbilden könnten. Denn würde die Freiheit bloß als Wirklichkeit der Freiheit ergriffen ohne die solide Grundlage der Wissenschaft von der Freiheit, so würde im Zeitalter, in dem sich das Böse so einnistet, wie ich es gestern charakterisiert habe, die Freiheit notwendigerweise nicht führen müssen zu freien Geistern, sondern zu zuchtlosen Geistern. Einzig und allein in der strengen inneren Zucht, welche in dem nicht am Gängelbande der Sinne lebenden Denken gefunden werden kann, in wirklich denkerischer Wissenschaft ist dasjenige zu finden, was für das gegenwärtige Zeitalter, das die Freiheit realisieren muß, eben notwendig ist.

Aber was dem, was sich als radikale Partei herauferhebt, was schon seine Impulse geltend machen wird auch gegen die ihre Zeit gründlich mißverstehenden Nationalisten aller Schattierungen, was diesem Sozialismus fehlt, das ist die Möglichkeit, zu einer Wissenschaft der Freiheit zu kommen. Denn wenn es eine für die Gegenwart wichtige Wahrheit gibt, so ist es die: Von dem Vorurteil des alten Adels, des alten Bürgertums, der alten militaristischen Ordnungen hat sich der Sozialismus freigemacht. Dagegen ist er um so mehr verfallen dem Glauben an die unfehlbare materialistische Wissenschaft, an den Positivismus, wie er heute gelehrt wird. Dieser Positivismus, von dem ich Ihnen zeigen konnte, daß er nichts anderes ist als die Fortsetzung des Beschlusses vom achten ökumenischen Konzil von Konstantinopel, 869, dieser Positivismus ist dasjenige, welches wie ein unfehlbarer abstrakter Papst gerade die radikalsten Parteien bis zum Bolschewismus hin mit eisernen Fangklammern umgibt und sie hindert, irgendwie ins Reich der Freiheit hereinzukommen.

Das ist auch der Grund, warum, auch wenn er noch so sehr sich geltend machen wird, dieser Sozialismus, der nicht begründet ist in der Entwickelung der Menschheit, nichts anderes kann, als vielleicht lange Zeit die Welt erschüttern, aber niemals kann er sie erobern. Dies ist auch der Grund, warum er nicht selber die Schuld hat an dem, was er schon verschuldet hat, sondern warum die anderen die Schuld haben, jene, die ihn nicht zu einem Druckproblem, wie ich gezeigt habe, sondern zu einem Saugproblem werden ließen, werden lassen wollen.

Gerade diese Unmöglichkeit, aus der Umklammerung der positivisti-schen Wissenschaft, der materialistischen Wissenschaft loszukommen, das ist das Charakteristische der modernen Arbeiterbewegung von dem Standpunkte aus, der seinen Gesichtspunkt bei der Entwickelung der Menschheit sucht und nicht bei den, seien es veralteten Ideen des Bürgertums, oder seien es oftmals neue Ideen genannte sozialen Ideen, oder dem Wilsonismus und so weiter.

Nun, ich habe öfter erwähnt, daß es ja sehr gut ginge, in die Arbeiterschaft geistiges Leben hineinzubringen. Aber die Führerschaft der Arbeiterschaft will das nicht haben, was nicht auf marxistischem Boden gewachsen ist. Und so wurde ich ja auch da nach und nach herauslanciert. Ich lancierte Geist, versuchte es, es gelang auch bis zu einem gewissen Grade, aber mich lancierte man nach und nach heraus. Als ich das einmal geltend machte in einer Versammlung, wo alle meine Schüler waren, die nach Hunderten zählten, und nur vier Leute waren, die von der Parteileitung gegen mich hineingeschickt waren, aber die doch bewirkten, daß ich natürlich nicht bleiben konnte - ich höre noch lebhaft, wie ich sagte: Nun, wenn man schon will, daß der Sozialismus irgendwie etwas zu tun habe mit der Entwickelung nach der Zukunft hin, so muß er doch die Freiheit des Lehrens, die freien Ideen gelten lassen -, da rief einer der abgeschickten Trabanten der Parteileitung: Es kann sich innerhalb unserer Partei und deren Schulen nicht handeln um Freiheit, sondern um einen vernünftigen Zwang. - Solche Dinge charakterisieren, ich möchte sagen, tief symptomatisch dasjenige, was pulst und west in unserer Zeit.

Man muß die Zeit auch an ihren bedeutungsvollen Symptomen erfassen. Man soll ja nicht glauben, daß das moderne Proletariat nicht nach geistiger Nahrung drängt. Es drängt furchtbar und intensiv darnach. Aber die Nahrung, die geboten wird, sie ist zum Teil diejenige, auf die ohnedies das moderne Proletariat schwört, nämlich die positivistische Wissenschaft, die materialistische Wissenschaft, oder zum Teil ist es unverdauliches Zeug, das den Leuten eben Steine statt Brot gibt.

Sie sehen, die «Philosophie der Freiheit» mußte sich auch da stoßen, weil gerade ihr Fundamentalimpuls, der Freiheitsimpuls, keinen Platz hat in dieser modernsten Bewegung.

Dann, noch ehe dieses gewissermaßen zu Ende gegangen war, kam das andere. Ich wurde aufgefordert, in der Berliner «Theosophischen Gesellschaft» einen Vortrag zu halten, der dann dazu führte, daß ich einen ganzen Winter hindurch Vorträge zu halten hatte. Ich habe das erzählt in der Vorrede zu meiner «Mystik im Aufgange des neuzeitlichen Geisteslebens». Und das Ganze brachte dann das von verschiedenen Seiten her Ihnen ja erzählte Verhältnis zur sogenannten theosophischen Bewegung. Es muß immer wieder betont werden, weil das immer wieder verkannt wird, daß ich niemals irgendwie gesucht habe Anschluß an die Theosophische Gesellschaft. So albern es klingt: die «Theosophische Gesellschaft» hat Anschluß an mich gesucht. Und als mein Buch «Die Mystik im Aufgange des neuzeitlichen Geisteslebens» erschienen ist, wurde es nicht nur in vielen Kapiteln für die «Theosophical Society» in England übersetzt, sondern Bertram Keightley und George Mead, die dazumal eine hohe Stellung einnahmen in der «Theosophical Society», sagten mir: Da steht eigentlich alles das schon drin, und zwar in einer richtigen Weise, was wir zu verarbeiten haben. - Ich hatte dazumal überhaupt noch nichts von den Büchern der «Theosophical Society» gelesen, und las es dann - ich hatte immer einen kleinen Horror davor - mehr oder weniger «amtlich».

Aber es handelte sich darum, gewissermaßen den Zuschnitt, den Impuls auch da aus dem Wirken und Wesen und Weben der Zeit heraus zu ergreifen. Man hatte mich aufgefordert einzutreten. Ich konnte mit Fug und Recht eintreten, folgend meinem Karma, weil ich vielleicht eine Tribüne rinden konnte, um das, was ich zu sagen hatte, vorzubringen. Allerdings, man mußte viel Plackereien übernehmen. Ich möchte wiederum einiges nur symptomatologisch andeuten. So zum Beispiel versuchte ich, als ich das erstemal teilnahm an einem Kongreß der «Theosophical Society» in London, einen gewissen Gesichtspunkt hineinzubringen. Ich hielt eine ganz kurze Rede. Es war in der Zeit, als eben die Entente cordiale geschlossen worden war, und als alles unter dem Eindrucke der eben abgeschlossenen Entente cordiale stand. Ich hatte versucht zu charakterisieren, daß es sich in der Bewegung, die die «Theosophical Society» darstellen will, nicht darum handeln kann, von irgendeinem Zentrum aus irgend etwas als theosophische Weisheit zu verbreiten, sondern daß es sich lediglich darum handeln kann, daß das, was die neuere Zeit von allen Seiten der Welt heraufbringt, gewissermaßen an einer gemeinsamen Stätte eine Art Vereinigungspunkt hat. Und ich hatte dazumal geschlossen mit den Worten: Wenn wir auf den Geist bauen, wenn wir geistige Gemeinschaft in wirklich konkreter, positiver Weise suchen, so daß der Geist, der da und dort erzeugt wird, nach einem gemeinsamen Zentrum der «Theosophical Society» getragen wird, dann bauen wir eine andere Entente cordiale.

Von dieser anderen Entente cordiale sprach ich dazumal in London. Es war meine erste Rede, die ich in der «Theosophical Society» gehalten habe, und ganz in aller Absicht sprach ich von dieser anderen Entente cordiale. Mrs. Besant fand ja, wie sie sich ausdrückte - sie fügte immer zu all den Dingen, die gesprochen wurden, solche obrigkeitlichen Schwänze hinzu -, daß der «german Speaker» elegant gesprochen hatte. Aber die Sympathien waren durchaus nicht auf meiner Seite, sondern es war dasjenige, was ich sagte, eben so, daß es ertrank in der Flut von Redensarten und von Worten, während das, was die Leute wollten, doch mehr bei dem Buddhistengigerl Jinarajadasa war. Und auch das nahm ich dazumal symptomatologisch: Nachdem ich von etwas doch welthistorisch Wichtigem, der anderen Entente cor-diale, gesprochen hatte, setzte ich mich wieder nieder, und von seinem etwas erhöhten Platze wankte, trippelte herab - ich muß sagen trippelte, um die Sache ganz genau zu bezeichnen -, sein Spazierstöckchen auf den Boden stampfend, das Buddhistengigerl Jinaradjadasa, welches die Sympathien hatte, während vielleicht bei mir dazumal einiger Wortschwall hängenblieb.

Ich habe vom Anfange an betont - Sie brauchen nur meine «Theosophie» in die Hand zu nehmen, lesen Sie die Vorrede -, daß dasjenige, was da kommen wird auf theosophischem Gebiete, in der Linie laufen wird, welche durch die «Philosophie der Freiheit» eröffnet worden ist. Ich habe vielleicht es manchem schwierig gemacht, die geradlinige Fortsetzung zu finden zwischen den Impulsen, die in der «Philosophie der Freiheit» lagen und demjenigen, was ich später geschrieben habe und was so genommen worden ist, daß sich die Leute doch außerordentlich schwer bequemt haben, gerade und wahr das zu nehmen, was ich zu sprechen versuchte, was ich drucken zu lassen versuchte. Man mußte Plackereien auf sich nehmen. Man wurde ja keineswegs innerhalb der Gesellschaft, in die man sich nicht selbst hineingestellt hatte, die einen in sich hineingestellt hatte, nach dem genommen, was man gab, sondern nach Schlagworten, nach Schablonen. Und das dauerte ja ziemlich lange, bis, wenigstens in einer Art von Kreis, man nicht mehr bloß nach Schablonen, nach Schlagworten genommen wurde. Im Grunde genommen war es ziemlich gleichgültig, u äs ich selber sagte, war es ziemlich gleichgültig, was ich selber drucken ließ. Gewiß, die Leute lasen es, aber daß man etwas liest, das besagt ja noch nicht, daß man etwas aufgenommen hat. Die Leute lasen es; es erlebte sogar Auflagen, immer wieder und wiederum neue Auflagen. Die Leute lasen es, aber dasjenige, wonach sie es beurteilten, war nicht das, was aus meinem Munde kam, was in meinen Büchern stand, sondern es war das, was sich der eine ausgebildet hatte als das Mystische, der andere als das Theosophische, der dritte als das, der vierte als das, und in einen Nebel von Anschauungen, die sich die Leute selber zusammenbrauten, kam dann dasjenige, was als Urteil in der Welt figurierte. Es war keineswegs außerordentlich reizvoll und ideal, danach die «Philosophie der Freiheit» wieder auflegen zu lassen. Diese «Philosophie der Freiheit» wollte herausgeschrieben sein - wenn sie auch natürlich nur einseitig und nur unvollkommen, manchmal ungeschickt darstellt einen kleinen Impuls aus dem fünften nachatlantischen Zeitraum -, sie wollte herausgeschrieben sein aus dem, was das Wesentliche, das Bedeutungsvolle, das eigentlich Wirksame in dieser fünften nachatlantischen Kulturperiode ist.

So möchte ich jetzt, wo nach einem Vierteljahrhundert diese «Philosophie der Freiheit» wieder erscheint, eben betont haben, daß sie erst hervorgegangen ist aus einem intensiven Miterleben mit der Zeit, wirklich aus einem Hineinschauen in die Zeit, aus dem Versuch zu erlauschen, was die Zeit an Impulsen braucht. Und jetzt, nachdem diese Katastrophe über die Menschheit gekommen ist, nach fünfundzwanzig Jahren, sehe ich, daß - man möge mir das zur Albernheit auslegen -dieses Buch ein wahrhaft im wahrsten Sinne des Wortes zeitgemäßes ist, allerdings in jenem absonderlichen Sinne zeitgemäß, daß die Zeitgenossen alles dasjenige nicht haben und oftmals nichts davon wissen wollen, was in diesem Buche steht.

Würde man verstehen, was mit diesem Buche gewollt war für die Grundlegung des ethischen Individualismus, für die Grundlegung eines sozialen und eines politischen Lebens, würde man richtig verstanden haben, was mit diesem Buche gemeint war, dann würde man wissen: Es gibt Mittel und Wege, die Menschheitsentwickelung heute in fruchtbare Bahnen zu leiten, andere Mittel und Wege, als es der falscheste wäre, den man nur einschlagen könnte: bloß zu schimpfen über die radikalen Parteien, bloß zu schimpfen und Anekdoten zu erzählen über den Bolschewismus. - Es wäre traurig, wenn das Bürgertum nicht darüber hinauskäme, sich nur dafür zu interessieren, was die Bolschewiken da und dort gemacht haben, wie sie sich gegen diese und jene Leute benehmen; denn das trifft nichts in Wirklichkeit. Dasjenige, um was es sich handelt, ist, daß man wirklich studiert, welche in einem gewissen Sinne berechtigte Forderungen sich da von einer Seite erheben. Und kann man eine Weltanschauung und eine Lebensauffassung finden, welche zu sagen wagen darf: Dasjenige, was ihr wollt mit euren unvollkommenen Mitteln, erlangt ihr, wenn ihr den Weg, der hier verzeichnet wird, geht, und noch vieles andere -, wenn man wagen darf, das zu sagen - und ich bin überzeugt davon, daß, wenn man durchdrungen ist von der «Philosophie der Freiheit», man das sagen darf -, dann würde sich ein Licht finden. Dazu ist das Einleben einer wirklichen Weltanschauung der Freiheit aber dringend notwendig. Dazu ist notwendig, daß man den ethischen Individualismus in seiner Wurzel zu erfassen vermag, wie er sich aufbaut auf der Einsicht, daß der Mensch den geistigen Intuitionen des Weltengeschehens gegenübersteht, daß der Mensch, indem er in sich erfaßt nicht den Hegeischen Gedanken, sondern das freie Denken, tatsächlich, wie ich es einmal populär auszudrücken versuchte in meiner kleinen Schrift «Grundlinien einer Erkenntnistheorie der Goetheschen Weltanschauung», mit dem in Zusammenhang steht, was man nennen kann das Durchpulsieren der kosmischen Impulse durch das menschliche Innere.

Von da aus aber allein ist der Freiheitsimpuls zu fassen, von da aus aber allein ist es möglich, an eine Regeneration derjenigen Impulse heranzutreten, die jetzt alle in Sackgassen enden. Der Tag, der da bringen wird die Einsicht, was es für ein Wortgepränge ist, wenn man diskutiert über solche Begriffe, die nur noch Worthülsen sind, wie Recht, Gewalt und so weiter, der Tag, der die Einsicht bringen wird, daß man es da mit Worthülsen zu tun hat, und der die Einsicht bringen wird, daß die durch geistige Erlebnisse erfaßte Idee der Freiheit allein zur Wirklichkeit führen kann, der Tag allein wird eine neue Morgenröte über die Menschheit heraufbringen können. Dazu muß überwunden werden der Bequemlichkeitssinn, der jetzt tief eingewurzelt ist in den Menschen. Gewöhnen müssen sich die Menschen, nicht herumzureden, wie es heute in der landläufigen Wissenschaft geschieht, über alles mögliche Soziale, über alle möglichen Quacksalbereien zur Verbesserung der sozialen, der politischen Ordnung, gewöhnen müssen sich die Menschen, zu verankern dasjenige, was sie auf diesem Felde suchen, in einer gediegenen, soliden geisteswissenschaftlichen Weltanschauung. Der Freiheitsgedanke muß in einer Wissenschaft der Freiheit verankert sein.

Daß man der durchbölschten Bourgeoisie nicht leicht das beibringen kann, wohl aber dem Proletariat, das hat sich mir manchmal gezeigt. Unter anderem auch, als ich in Spandau einmal aus den Reihen der dort versammelten Arbeiter, zunächst um ein paar Worte zu sagen, was aber dann eine fünf Viertelstunden lange Rede geworden ist, nachdem Rosa Luxemburg - sie ist ja hinlänglich bekannt - ihre große Rede gehalten hatte, vor einer Arbeiterschaft, die aber nicht nur eine Arbeiterschaft war, sondern die Weib und Kind mitgebracht hatte, Wickel- und kleine Kinder, die geschrien hatten, Hunde und alles mögliche war im Saal - als ich hinterher, nachdem die Rosa Luxemburg ihre Rede über «die Wissenschaft und die Arbeiter» gehalten hatte, gerade daran anknüpfte, daß ein wirkliches Fundament schon daläge: das wäre, Wissenschaft geistig zu erfassen, das heißt, aus dem Geiste heraus nach einer neuen Lebensgestaltung zu suchen, da fand ich mit solchen Dingen immer einige Zustimmung. Aber es riß eben bis heute alles ab an der Indolenz derjenigen, welche Wissenschaft treiben und von denen ja die Arbeiter schließlich auch die Wissenschaft haben, an der Indolenz der Naturforscher, der Ärzte, der Juristen, der Philosophen, der Philologen und so weiter. Wir hatten alle möglichen Leute erlebt; wir haben erlebt den Hertzka mit seinem «Freiland», wir haben Michael Flürscheim erlebt, wir hatten manchen anderen erlebt, der große soziale Ideen verwirklichen wollte, alle scheiterten an dem, woran gescheitert werden muß: daß diese Ideen nicht aufgebaut sind auf einer geisteswissenschaftlichen Grundlage, auf der Grundlage eines freien wissenschaftlichen Denkens, sondern eines am Gängelbande der äußeren sinnen fälligen Welt sich korrumpierenden Denkens, wie das Denken der modernen positivistischen Wissenschaft ist. Der Tag, der brechen wird mit jener Verleugnung des Geistes, die der modernen positivistischen Wissenschaft eignet, der Tag, an dem man erkennen wird, daß gebaut werden muß auf dem von der Sinnlichkeit emanzipierten Denken und den Untersuchungen der geistigen Welt, an Stelle alles desjenigen, was auf ethischem, sozialem und politischem Gebiete als sogenannte Wissenschaft aufgerufen wird, der Tag wird wirklich die Morgenröte einer neuen Menschheit sein. Der Tag wird die Morgenröte einer neuen Menschheit sein, der solche Worte, wie ich sie höchst unvollkommen heute zu prägen versuchte, nicht mehr finden wird als die Worte eines Predigers in der Wüste, sondern als die Worte, die den Weg finden zu den Herzen, zu den Seelen der Zeitgenossen. Alles mögliche, sogar Woodrow Wilson hören sich die Leute an, und noch viel mehr tun sie, als ihn anhören; aber dasjenige, was herausgeholt ist aus dem Geiste der Entwickelung der Menschheit, das findet schwer Zugang zu den Herzen und zu den Seelen der Menschen. Das aber muß den Zugang finden! Ergreifen muß es die Herzen und die Seelen der Menschen, was durch die Welt gehen würde, wenn Freiheit verstanden würde, Freiheit verstanden aber nicht aus zuchtlosem Geiste, sondern aus freiem, aus solides! denkendem Geiste. Wenn verstanden würde, was Freiheit und ihre Ordnung in der Welt bedeuten würde, dann würde in das Dunkel Licht hineinkommen, das heute vielfach angestrebt wird.

Das wollte ich auch einmal gerade im Anschluß an historische Ideen zu Ihnen sprechen. Die Zeit ist um. Ich hätte noch vieles andere auf dem Herzen, darüber kann ein andermal gesprochen werden. Wenn ich es ein wenig durchsetzt habe mit allerlei symptomatischen persönlichen Dingen aus der Zeit, die ich in dieser Inkarnation selbst durchlebt habe, so nehmen Sie mir das nicht übel, denn ich wollte Ihnen dadurch zeigen, daß es stets mein Bestreben war, die Dinge, die auch persönlich an mich herantreten, nicht persönlich zu nehmen, sondern selbst als Symptome, die dasjenige offenbaren, was die Zeit und der Zeitgeist von uns wollen.

 

aus GA 185, Sechster Vortrag, Dornach, 27. Oktober 1918

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