Rudolf Steiner über Denken
und Geist
Auszug aus GA 119
Wien, 19. März 1910
Der Kreislauf des Menschen durch die Sinnen-, Seelen- und
Geisteswelt
Wenn Sie um sich
sehen und begreifen wollen die Welt, wenn Sie verstehen wollen
dasjenige, was um Sie herum ist, dann tun Sie das dadurch, daß Sie
denken, daß Sie sich Vorstellungen bilden von den Dingen, die um
Sie herum sind. Es wäre nun eine logisch absurde Vorstellung, wenn
jemand denken würde, man könne Wasser aus einem Glas herausschöpfen, in dem keines drinnen ist. Genau so wäre es, wenn Sie
sich vorstellen würden, daß Sie aus einer Welt Gedanken, Gesetze
herausholen, herausschöpfen könnten, in der keine Gedanken,
keine Gesetze darin sind. Alles menschliche Wissen, alle menschliche
Erkenntnis wäre eitel Träumerei, wäre nichts anderes als eine
Phantastik, wenn die Gedanken, die wir zuletzt in unserem Geist ausformen, nicht als Gedanken den Dingen schon zugrunde lägen, daß
also die Dinge aus Gedanken herausgesprossen sind. Alle diejenigen,
welche da glauben, daß die Gedanken nur etwas sind, was der
menschliche Geist bildet, was nicht den Dingen zugrunde liegt als
eigentliche Wirkensund Schaffenskräfte der Dinge, die sollten nur gleich überhaupt alles Denken aufgeben; denn die Gedanken, die
so gebildet würden, ohne daß sie einer äußeren Gedankenwelt
entsprechen, die wären eitel Hirngespinste. Einzig und allein derjenige
denkt real, der weiß, daß sein Denken der äußeren Gedankenwelt
entspricht und wie in einem Spiegel in unserem Innern die äußere
Gedankenwelt wiederum auferweckt; er weiß, daß aus dieser Gedankenwelt alle Dinge ursprünglich hervorgesprossen sind.
So also ist zwar für uns Menschen der Gedanke das letzte, das wir
ergreifen von den Dingen, den Dingen aber liegt er als ihr erstes
zugrunde. Der schöpferische Gedanke liegt den Dingen zugrunde,
aber die Gedanken der Menschen, durch die der Mensch zuletzt er
kennt, unterscheiden sich doch in einer gewissen, sehr bedeutungsvollen Beziehung von den schöpferischen Gedanken draußen.
Wenn Sie in die menschliche Seele hineinzublicken versuchen, dann
werden Sie sich sagen: Wie auch dieses menschliche Denken herum
schweifen mag in dem Horizont der Gedanken und Vorstellungen,
solange der Mensch denkt, solange er durch seine Gedanken die Geheimnisse der Dinge zu ergründen versucht, so lange nehmen sie sich
aus wie etwas, dem ferne liegt alles Schöpferische. Das ist das
Eigenartige der menschlichen Gedanken, daß sie das produktive, das
schöpferische Element, das in den Gedanken, die die Welt draußen
durchweben und durchleben, enthalten ist, verloren haben. Diejenigen Gedanken, die die Welt draußen durchsetzen, werden
durchzogen mit dem Element, das im menschlichen Inneren erst herauf
sprießt wie ein geheimnisvoller Untergrund unseres Daseins. Das
wissen Sie ja, daß Ihre Vorstellungen, wenn sie umgegossen sein
sollen in den Willen, dann untertauchen müssen in die Untergründe
des menschlichen Wesens, daß der Gedanke selber noch nicht
durchzogen ist von dem Willen. Der Gedanke aber, der draußen in
der Welt wirkt, der ist durchzogen und durchwebt vom Willen.
Und das eben ist das eigenartige des Geistes, der objektiv draußen
die Dinge durchwirkt, daß er schöpferisch ist. Dadurch ist er aber
nicht mehr nur Gedanke, dadurch ist er Geist. Der Gedanke der
menschlichen Natur ist dadurch zustande gekommen, daß der Wille
aus dem Geist herausgepreßt ist und daß dieser wie ein Reflex erst
aus dem Menschen heraus erscheint. Für den geistigen Blick zeigt er
sich draußen nirgends von dem Schöpferischen getrennt.
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