Rudolf Steiner
FÜR DIE TAGE DER
WOCHE
Der Mensch muß auf gewisse
Seelenvorgänge Aufmerksamkeit und Sorgfalt verwenden, die er
gewöhnlich sorglos und unaufmerksam ausführt. Es gibt acht solche
Vorgänge.
Es ist natürlich am besten, auf
einmal nur eine Übung vorzunehmen, zum Beispiel während acht
oder vierzehn Tagen, dann die zweite usw., dann wieder von vorne
anfangen. Übung acht kann indessen am besten täglich gemacht werden.
Man erreicht dann nach und nach richtige Selbsterkenntnis und sieht
auch, welche Fortschritte man gemacht hat. Später kann dann
vielleicht - mit Samstag beginnend - täglich eine Übung vorgenommen
werden neben der achten, zirka fünf Minuten dauernden, so daß dann
jeweils auf denselben Tag die nämliche Übung fällt. Also Samstags
die Gedankenübung, Sonntags die Entschlüsse, Montags das Reden,
Dienstags das Handeln, Mittwochs die Taten usw.
SAMSTAG
Auf seine Vorstellungen (Gedanken)
achten. Nur bedeutsame Gedanken denken. Nach und nach lernen, in
seinen Gedanken das Wesentliche vom Unwesentlichen, das Ewige vom
Vergänglichen, die Wahrheit von der bloßen Meinung zu scheiden.
Beim Zuhören der Reden der
Mitmenschen versuchen, ganz still zu werden in seinem Innern und auf
alle Zustimmung, namentlich alles abfällige Urteilen (Kritisieren,
Ablehnen), auch in Gedanken und Gefühlen, zu verzichten.
Dies ist die sogenannte
«richtige Meinung».
SONNTAG
Nur aus begründeter voller
Überlegung heraus selbst zu dem Unbedeutendsten sich entschließen.
Alles gedankenlose Handeln, alles bedeutungslose Tun soll von der
Seele ferngehalten werden. Zu allem soll man stets wohlerwogene
Gründe haben. Und man soll unbedingt unterlassen, wozu kein
bedeutsamer Grund drängt.
Ist man von der Richtigkeit eines
gefaßten Entschlusses überzeugt, so soll auch daran festgehalten
werden in innerer Standhaftigkeit.
Dies ist das sogenannte
«richtige Urteil»,
das nicht von Sympathie und Antipathie
abhängig gemacht wird.
MONTAG
Das Reden. Nur was Sinn und Bedeutung hat, soll von den Lippen
desjenigen kommen, der eine höhere Entwickelung anstrebt. Alles Reden
um des Redens willen - zum Beispiel zum Zeitvertreib - ist in diesem
Sinne schädlich.
Die gewöhnliche Art der Unterhaltung, wo alles bunt durcheinander
geredet wird, soll vermieden werden; dabei darf man sich nicht etwa
ausschließen vom Verkehr mit seinen Mitmenschen. Gerade im Verkehr
soll das Reden nach und nach zur Bedeutsamkeit sich entwickeln. Man
steht jedem Rede und Antwort, doch gedankenvoll, nach jeder Richtung
hin überlegt. Niemals ohne Grund reden! Gerne schweigen. Man
versuche, nicht zu viel und nicht zu wenig Worte zu machen. Zuerst
ruhig hinhören und dann verarbeiten.
Man heißt diese Übung auch:
«das richtige Wort».
DIENSTAG
Die äußeren Handlungen. Diese sollen nicht störend sein für
unsere Mitmenschen. Wo man durch sein Inneres (Gewissen) veranlaßt
wird zu handeln, sorgfältig erwägen, wie man der Veranlassung für
das Wohl des Ganzen, das dauernde Glück der Mitmenschen, das Ewige,
am besten entsprechen könne.
Wo man aus sich heraus handelt - aus eigener Initiative -, die
Wirkungen seiner Handlungsweise im voraus auf das Gründlichste
erwägen.
Man nennt das auch
«die richtige Tat».
MITTWOCH
Die Einrichtung des Lebens. Natur- und geistgemäß leben,
nicht im äußeren Tand des Lebens aufgehen. Alles vermeiden, was
Unruhe und Hast ins Leben bringt.
Nichts überhasten, aber auch nicht träge sein. Das Leben als ein
Mittel zur Arbeit, zur Höherentwickelung betrachten und demgemäß
handeln.
Man spricht in dieser Beziehung auch vom
«richtigen Standpunkt».
DONNERSTAG
Das menschliche Streben. Man achte darauf, nichts zu tun, was
außerhalb seiner Kräfte liegt, aber auch nichts zu unterlassen, was
innerhalb derselben sich befindet.
Über das Alltägliche, Augenblickliche hinausblicken und sich
Ziele (Ideale) stellen, die mit den höchsten Pflichten eines Menschen
zusammenhängen, zum Beispiel deshalb im Sinne der angegebenen
Übungen sich entwickeln wollen, um seinen Mitmenschen nachher um so
mehr helfen und raten zu können, wenn vielleicht auch nicht gerade in
der allernächsten Zukunft.
Man kann das Gesagte auch zusammenfassen in:
«Alle vorangegangenen Übungen zur Gewohnheit
werden lassen»
FREITAG
Das Streben, möglichst viel vom Leben
zu lernen.
Nichts geht an uns vorüber, das nicht
Anlaß gibt, Erfahrungen zu sammeln, die nützlich sind für das
Leben. Hat man etwas unrichtig oder unvollkommen getan, so wird das
ein Anlaß, ähnliches später richtig oder vollkommen zu machen.
Sieht man andere handeln, so
beobachtet man sie zu einem ähnlichen Ziele (doch nicht mit lieblosen
Blicken). Und man tut nichts, ohne auf Erlebnisse zurückzublicken,
die einem eine Hilfe sein können bei seinen Entscheidungen und
Verrichtungen.
Man kann von jedem Menschen, auch von
Kindern, viel lernen, wenn man aufpaßt.
Man nennt diese Übung auch
«das richtige
Gedächtnis»
das heißt sich erinnern an das
Gelernte, an die gemachten Erfahrungen.
ZUSAMMENFASSUNG
Von Zeit zu Zeit Blicke in sein
Inneres tun, wenn auch nur fünf Minuten täglich zur selben Zeit.
Dabei soll man sich in sich selbst versenken, sorgsam mit sich zu Rate
gehen, seine Lebensgrundsätze prüfen und bilden, seine Kenntnisse -
oder auch das Gegenteil - in Gedanken durchlaufen, seine Pflichten
erwägen, über den Inhalt und den wahren Zweck des Lebens nachdenken,
über seine eigenen Fehler und Unvollkommenheiten ein ernstliches
Mißfallen haben, mit einem Wort: das Wesentliche, das Bleibende
herauszufinden trachten und sich entsprechende Ziele, zum Beispiel zu
erwerbende Tugenden, ernsthaft vornehmen. (Nicht in den Fehler
verfallen und denken, man hätte irgend etwas gut gemacht, sondern
immer weiter streben, den höchsten Vorbildern nach.) Man nennt diese
Übung auch
«die richtige
Beschaulichkeit».
aus GA 245 (1968), S 26 ff.
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