Forum für Anthroposophie, Waldorfpädagogik und Goetheanistische Naturwissenschaft | ||||
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Zur HypnotismusfrageLiterarischer Merkur 1893, XIII. Jg., Nr. 14Rudolf SteinerDie Erscheinungen des Hypnotismus und der Suggestion, denen in der Gegenwart die Forschung ein reges Interesse entgegenbringt, sind von solcher Art, daß die Vertreter der verschiedensten geistigen Gebiete die Notwendigkeit fühlen, sich mit ihnen auseinanderzusetzen. Dem Arzt scheint mit der Hypnose ein Mittel an die Hand gegeben zu sein, um funktionelle von organischen Erkrankungen unterscheiden zu können, und zugleich die Möglichkeit, die ersteren durch suggestiven Eingriff zu heilen. Der Rechtsgelehrte wird nicht umhinkönnen, bei Fragen, in denen der freie Wille und die persönliche Verantwortlichkeit in Betracht kommen, auf die Wirkung Rücksicht zu nehmen, welche Auto- und Fremdsuggestionen auf den Menschen haben. Die juridische Praxis wird stets darauf bedacht sein müssen, daß durch suggestiven Einfluß die Aussagen der Angeklagten sowohl wie jene der Zeugen eine von der Wahrheit mehr oder weniger abweichende Gestalt annehmen können. Auf dem Gebiete der Religions- und Kulturgeschichte wird sich manches unter Berufung auf den Hypnotismus besser erklären lassen als ohne dieselbe. Daß von hier aus auch auf die Erscheinungen der künstlerischen Phantasietätigkeit ein erklärendes Licht fällt, scheint mir unzweifelhaft. Und damit komme ich in ungezwungener Weise zu jener Wissenschaft, die an der Hypnotismusfrage vor allen anderen Gebieten interessiert ist, zur Psychologie. Ich muß Hans Schmidkunz (Psychologie der Suggestion, S. 5) recht geben, wenn er hier eine wichtige Ergänzung unserer bisherigen Psychologie sucht. Und es ist im höchsten Grade zu bedauern, daß ein Forscher wie W. Wundt sich der unglaublichsten Verdrehungen einzelner Behauptungen des Schmidkunzschen Buches bei der Beurteilung desselben schuldig macht. Wundt hat sich durch seine experimentellen Untersuchungen um die Psychologie große Verdienste und bei den philosophierenden und philosophisch gebildeten Zeitgenossen ein hohes Ansehen erworben. Wir wollen die ersteren nicht bestreiten, gegen das letztere uns nicht auflehnen, wenn wir seine jüngst erschienene Schrift über «Hypnotismus und Suggestion» zu denjenigen zählen, die auf dem psychologischen Felde eher Verwirrung als Aufklärung schaffen. Die einseitige, in gewissem Sinne rein mechanische Art, wie Wundt das Seelenleben betrachtet, läßt ihn den Wert, den zum Beispiel die Annahme eines Doppelbewußtseins (Ober- und Unterbewußtseins) für die Aufhellung der fraglichen Tatsachen hat, vollständig verkennen. Er findet darinnen «ein ausgeprägtes Beispiel jener Art psychologischer Scheinserklärungen, die darin bestehen, daß man für die erklärenden Dinge einen neuen Namen einführt» (S. 36). Wundt übersieht, daß solche Theorien, wenn sie auch nicht berufen sind, das letzte Wort über die Tatsachen zu sprechen, doch die in der Wirklichkeit fortwährend ineinanderfließenden realen Momente begrifflich scharf auseinanderhalten, welches der erste Schritt ist zu einer wirklichen Erklärung. Wundts eigene Ansichten scheinen mir völlig unzureichend. Er will alle in Betracht kommenden Tatsachen aus einem von dem normalen nur graduell abweichenden Funktionieren des gewöhnlichen Vorstellungsmechanismus ableiten. Wie dadurch aber jenes Verhalten zur Außenwelt erklärlich werden soll, das wir in der Hypnose beobachten, vermag ich nicht einzusehen. Mir erscheint dieses nur begreiflich, wenn in der Hypnose eine solche Modifikation unserer Bewußtseinsfunktionen eintritt, daß wir zu unserer Umgebung in eine Wechselwirkung treten, die der rein physikalischen Beziehung um eine Stufe nähersteht als die unseres gewöhnlichen Seelenlebens. Diese Wechselbeziehung wird durch unser höheres Geistesleben verdeckt wie ein schwächeres Licht durch ein stärkeres; sie macht sich aber geltend, wenn das normale Bewußtsein verdunkelt wird. Wir steigen im letzteren Falle auf der Leiter der Weltwirkungen um eine Stufe herab; wir stehen mit der rein physischen Natur in einem innigen Kontakt. Die Vorgänge der letzteren wirken, ohne durch unser höheres Bewußtsein hindurchzugehen, auf uns ein. Ohne der Sache diese Wendung in die universelle Naturphilosophie zu geben, kommen wir nicht weiter. Ich möchte meine Ansicht über Wundts Schrift in folgendem zusammenfassen. Wenn ich den Begriff, den dieser Psychologe vom Bewußtsein hat, betrachte, so scheint er durchaus dem nicht zu entsprechen, was sich aus einer erschöpfenden Vertiefung in das menschliche Seelenleben ergibt. Wäre der Wundtsche Begriff des Bewußtseins richtig, dann befände sich der Mensch immer in Hypnose, und unsere Bewußtseinszustände wären uns von dem mechanisch ablaufenden Vorstellungsmechanismus suggeriert. Nur weil sich die Wundtsche Psychologie gar nicht über jene Stufe des Bewußtseins erhebt, welches seinen Inhalt mehr oder weniger auf dem Wege der Suggestion erhält, deshalb sieht sie auch den tiefgreifenden Unterschied nicht zwischen einer suggerierten und einer vom Wachbewußtsein aufgenommenen Vorstellungsmasse. In physiologischer Beziehung finde ich die Erklärung am annehmbarsten, daß sie subkordikalen Hirnzentren zur Vermittlung jener Funktionen dienen, welche sich im Zustande der Hypnose abspielen, und zwar unter Ausschaltung der Großhirnrinde, die nur bei wachem Bewußtsein tätig ist. Außer der Wundtschen Schrift liegt eine Reihe von anderen desselben Gegenstandes vor mir. Wer einen leichtfaßlichen Leitfaden durch das Gesamtgebiet dieser Erscheinungen sucht, dem empfehle ich H. Schmidkunz: «Der Hypnotismus» (1). Erscheinungen, Anwendung, Auffassungen und Gefahren des Hypnotismus finden sich da von kundiger Hand übersichtlich dargestellt. Eine eingefügte somnambule Krankengeschichte und ein ausgezeichnetes Kapitel über Geschichte des Hypnotismus erhöhen noch den Wert des in jeder Hinsicht trefflichen Buches. Wer einen typischen Fall von Hypnose (mit vier Modifikationen des Bewußtseins) und die Ansichten eines bedeutenden Klinikers über dieses Gebiet kennenlernen will, der muß nach dem Buche von v. Krafft-Ebing (2) greifen. In den «Zeitfragen des christlichen Volkslebens» ist von C. Ziegler (3) eine Abhandlung erschienen, die auf dem Standpunkt des sogenannten «großen Hypnotismus» der Pariser Schule steht. Letztere (mit Charcot an der Spitze) sieht in den in Frage kommenden Erscheinungen nur spezielle Fälle von Hysterie. Der Blick des Verfassers ist dadurch etwas getrübt, gleichwohl erscheint mir das Schriftchen wegen der guten Zusammenstellung der Erscheinungen lesenswert. Ähnliches habe ich zu sagen über eine Broschüre von Dr. Karl Friedr. Jordan (4). Was hier verwirrend wirkt, ist der Umstand, daß der Verfasser ein Anhänger der Theorie vom Lebens-Agens des Prof. Gustav Jäger ist. Eine über das gewöhnliche Maß hinausgehende Menge dieses Agens strömt, nach Jordan, vom Hypnotiseur auf den zu Hypnotisierenden über und bewirkt in dem letzteren den somnambulen Zustand. Sieht man von dieser in der Beobachtung keine Stütze findenden Anschauung ab, so liefert auch diese Schrift eine gute Zusammenstellung dessen, was für den Hypnotismus in Betracht kommt. Verworren und unklar erscheint mir eine Studie über Hypnotismus von Otto von Berlin (5). Sie ist aber bei alledem ernster zu nehmen als die neueste Publikation von Dr. F. Wollny (6). Wir haben es hier mit einem ganz sonderbaren Herrn zu tun. Wollny wittert geheime Gesellschaften, welche durch besonders eingerichtete Apparate die Macht haben, auf das Individuum sowohl wie auf ganze Menschenmassen einen magnetischen Einfluß auszuüben und sie zu allen möglichen Handlungen zu veranlassen. Der Verfasser hat ein Gleiches auch bereits früher in einer Anzahl von Schriften ausgesprochen, sogar eine Eingabe an die Reichsbehörden wegen Verfolgung des vermeintlichen Unfugs gemacht. Ich glaube, Wollny leidet an jener Art von partiellem Wahnsinn, die wir öfter zu beobachten Gelegenheit haben. Seine Schrift hat daher nur pathologisches Interesse. Im Anschluß an diese Bemerkungen möchte ich ein paar Worte hierhersetzen über eine Frage, die im Hinblick auf die Erfahrungen des Hypnotismus den philosophischen Denker vor allen anderen Dingen interessiert. Ich meine die nach dem Verhältnis der Suggestion zu der auf logischem Wege gewonnenen Überzeugung. Es kann ja kein Zweifel darüber bestehen, daß bei aller qualitativen Verschiedenheit des hypnotischen von dem normalen Bewußtsein, Auto- und Fremdsuggestionen auch in dem letzteren eine große Rolle spielen und ein großer Teil dessen, was wir glauben und für wahr halten, auf suggestive Weise sich in uns festgesetzt hat. Niemals darf aber ein durch Suggestion zustande gekommener Vorstellungskomplex den Wert einer Überzeugung in Anspruch nehmen. Um so wichtiger ist es, die bezeichneten Gebiete streng auseinanderzuhalten. Wissenschaftliche Bedeutung kann ja doch nur dasjenige haben, was logisch erworbene Überzeugung ist. Wie kommt ein Urteil zustande? Wir kämen nie in die Lage, Vorstellungen logisch zu verbinden, wenn uns nicht die reale Einheit des Universums auseinandergelegt in eine Vielheit von Vorstellungen erschiene. Der Grund für das letztere liegt in unserer geistigen Organisation. Wären wir anders organisiert, dann würden wir etwa den ganzen (physischen und geistigen) Kosmos mit einem einzigen Blicke überschauen. Es gäbe kein wissenschaftliches Denken. Das letztere besteht eben darinnen, die getrennten Elemente der Welt durch bewußte Tätigkeit zu vereinigen. Durch Entwickelung dieser Tätigkeit nähern wir uns immer mehr jenem Überschauen der Welt mit einem Blicke. Soll dieses Vereinigen ein wirklich logisches sein, dann ist zweierlei dazu notwendig. Erstens müssen wir die Elemente der Welterscheinungen im abgesonderten Zustande ihrem Inhalte nach genau durchschauen; zweitens aus diesem Inhalte die Art und Weise finden, wie wir die getrennten Einzelheiten in objektiver Weise dem einheitlichen Weltganzen einzufügen haben. Nur dann, wenn sich die uns gegebenen Weltelemente ganz passiv bei dieser Vereinigung verhalten und diese lediglich durch unser «Ich» zustande kommt, dann ist das Ergebnis mit dem Namen einer Überzeugung zu belegen. Es ist aber ohne Frage, daß dieselbe Verbindung von Vorstellungen, die durch unser «Ich» bewirkt wird, auch sich unabhängig von demselben bloß durch die Anziehungskraft der Vorstellungen selbst vollziehen kann. Dies wird geschehen, wenn das «Ich» auf irgendeine Weise ausgeschaltet, in Untätigkeit versetzt wird. Die menschliche Psyche vereinigt ja zwei Momente: sie nimmt die Welt als Mannigfaltigkeit auf, als eine Summe von Einzelheiten, und sie verbindet dieselben auf höherer Stufe wieder zu jener Einheit, der sie entstammen. Weil sie einer solchen Einheit angehören, so werden sie nach Vereinigung auch dann streben, wenn sie im Bewußtsein anwesend sind und ihnen das «Ich» nicht als regelnder Faktor entgegentritt. Ist das der Fall, so haben wir es hier mit der Suggestion im weitesten Sinne zu tun. Für eine monistische Weltauffassung ist die letztere völlig verständlich. Was in einer Einheit wurzelt, strebt nach Verbindung, wenn es irgendwo als Vielheit auftritt. Da nun die Gesamtheit der Lebenserscheinungen eines Menschen immer das Ergebnis der in seinem Bewußtsein tätigen Kräfte ist, so wird sich dieselbe in zweifacher Weise geltend machen können. Ist der Vorstellungsablauf geregelt von dem «Ich», so werden die Erscheinungen der Persönlichkeit auch nur aus der Tätigkeit desselben abzuleiten sein; wird hingegen das «Ich» ausgelöscht, so muß die Ursache dessen, was sich in und mit der Persönlichkeit vollzieht, außerhalb derselben gesucht werden. Jeder Vorstellungskomplex oder jede Handlung der letzteren Art ist nur als Suggestion aufzufassen. Zwischen dem in tiefer Hypnose Handelnden und dem Schulgelehrten, dessen Methode nicht auf Erwägungen seines eigenen «Ich», sondern auf solchen des Schulhauptes beruht, ist nur ein gradueller Unterschied. Erst derjenige, der die Weltzusammenhänge so durchschaut, daß sein Urteil völlig unabhängig wird von jeglichem äußeren Einflüsse, erhebt seinen Vorstellungsinhalt über eine Summe von Suggestionen. Wir können deshalb bei so vielen Menschen sagen, wie sie in einem gegebenen Falle handeln oder denken werden, weil wir die Suggestionen kennen, unter deren Einfluß sie stehen. Ein unter Wirkung einer Suggestion lebender Mensch gliedert sich ein in die Kette niederer Naturvorgänge, wo ja auch immer die Ursachen zu einer Erscheinung nicht in derselben, sondern außer ihr gesucht werden müssen. Nur das «Ichbewußtsein» hebt uns heraus aus dieser Kette, zerreißt die Verbindung mit der übrigen Natur, um sie innerhalb des Bewußtseins wieder zu schließen. Diese zentrale Stellung dem «Ich» im Gebiete der Wissenschaft gegeben zu haben, ist ein gar nicht genug zu schätzendes Verdienst Joh. Gottlieb Fichtes. In diesem Denker hat die Entwickelung der menschlichen Vernunft einen Sprung vorwärts gemacht, der mit nichts zu vergleichen ist. Es ist bezeichnend für die deutsche Philosophie der Gegenwart, daß sie keine Ahnung von diesem Sprunge hat. Der Mensch, der sich zum Verständnis Fichtes erhebt, muß eine Veränderung an sich erfahren, wie ein Blindgeborener, dem durch eine Operation das Sehen geschenkt wird. Alle Verirrungen, sowohl die des Spiritismus wie die der physiologischen Psychologie, können nur von dem beurteilt werden, der Fichte kennt. Du Prel würde es nie einfallen, die Handlung einer somnambulen Person höher zu stellen als die vom «Ichbewußtsein» bedingte, wenn er das letztere in intimerer Anschauung erfaßt hätte. Er wüßte dann, daß alles, was nicht vom «Ich» bedingt ist, um eine Stufe der physikalischen Natur nähersteht als dasjenige, bei dem das der Fall ist. Indem die Spiritisten die Suggestionen des dem «Ich» entfremdeten Bewußtseins zum Inhalte ihrer Lehren machen, sprechen sie der Wissenschaft Hohn, da diese nur aus den vom «Ich» vollzogenen Urteilen bestehen kann. Sie stellen sich auf die gleiche Stufe mit den Offenbarungsgläubigen, die auch die suggerierten Vorstellungsinhalte von außen zum Inhalt ihrer Anschauungen machen. Es ist recht charakteristisch für die Stumpfheit und Feigheit der denkenden Vernunft in unserer Zeit, daß alle Augenblicke die Tendenz auftritt, mit Ausschluß des Gedankens eine Weltansicht zu gewinnen.
aus GA 30 (1961), S 333 ff Anmerkungen
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