In
dieser Schrift habe ich vor mehr als zwanzig Jahren die Frage
beantworten wollen: Warum stoßen eine besondere Form der Mystik und
die Anfänge des gegenwärtigen naturwissenschaftlichen Denkens in der
Zeit vom dreizehnten bis zum siebzehnten Jahrhundert aufeinander.
Ich
wollte nicht eine «Geschichte» der Mystik dieser Zeit schreiben,
sondern nur diese Frage beantworten. Etwas an dieser Beantwortung zu
ändern, geben die Veröffentlichungen, die seit zwanzig Jahren über
den Gegenstand erfolgt sind, nach meiner Meinung, keine Veranlassung.
Die Schrift kann daher im wesentlichen unverändert wieder erscheinen.
Die
Mystiker, von denen hier gesprochen wird, sind letzte Ausläufer einer
Forschungs- und Denkungsart, die in ihren Einzelheiten dem gegenwärtigen
Bewußtsein fremd gegenübersteht. Nur die Seelenstimmung, die in
dieser Forschungsart gelebt hat, ist in innigen Naturen der Gegenwart
vorhanden. Die Art, die Dinge der Natur anzusehen, mit der vor dem
hier gekennzeichneten Zeitalter diese Seelenstimmung verbunden war,
ist nahezu verschwunden. Die gegenwärtige Naturforschung ist an ihre
Stelle getreten.
Die
Reihe der Persönlichkeiten, die hier charakterisiert werden,
vermochten nicht die einstmalige Forschungsart in die Zukunft hinüber
zu tragen. Sie entspricht nicht mehr den Erkenntniskräften, die sich
vom dreizehnten und vierzehnten Jahrhundert an in der europäischen
Menschheit entwickeln. Nur wie Reminiszenzen an Vergangenes sieht sich
an, was Paracelsus oder Jacob Böhme noch von dieser Forschungsart
bewahren. Im wesentlichen bleibt den sinnenden Menschen die
Seelenstimmung. Und für diese suchen sie einen Impuls in den
Neigungen der Seele selbst, während sie ehedem in der Seele
aufleuchtete, wenn diese die Natur beobachtete. Mancher, der heute zur
Mystik neigt, wird die mystischen Erlebnisse nicht in Anlehnung an das
entzünden wollen, was die gegenwärtige Naturforschung sagt, sondern
an das, was die Schriften der hier geschilderten Zeit enthalten.
Dadurch aber wird er ein Fremdling gegenüber dem, was die Gegenwart
am meisten beschäftigt.
Es könnte
nun scheinen, als ob die gegenwärtige Naturerkenntnis, in ihrer
Wahrheit gesehen, keinen Weg anzeigte, der so die Seele stimmen könnte,
daß sie in mystischem Schauen das Licht des Geistes findet. Warum
finden mystisch gestimmte Seelen zwar Befriedigung bei dem Meister
Eckhart, bei Jacob Böhme usw.; nicht aber in dem Buche der Natur,
soweit dieses heute durch die Erkenntnis aufgeschlagen vor dem
Menschen liegt?
Die
Gestalt, in der über dieses Buch heute zumeist gesprochen wird, kann
allerdings nicht in die mystische Seelenstimmung führen.
Daß
aber so nicht gesprochen werden muß, darauf will diese Schrift
hinweisen. Es wird dies dadurch versucht, daß auch von solchen
Geistern gesprochen wird, die aus der Seelenstimmung der alten Mystik
ein Denken entwickeln, das auch die neueren Erkenntnisse in sich
aufnehmen kann. Das ist bei Nikolaus von Kues der Fall.
An
solchen Persönlichkeiten zeigt sich, daß auch die gegenwärtige
Naturforschung einer mystischen Vertiefung fähig ist. Denn ein
Nikolaus von Kues könnte sein Denken in diese Forschung hinüberführen.
Man hätte zu seiner Zeit die alte Forschungsart ablegen, die
mystische Stimmung bewahren, und die moderne Naturforschung annehmen können,
wenn sie schon dagewesen wäre.
Was
aber die Menschenseele mit einer Forschungsart verträglich findet,
das muß sie auch aus ihr gewinnen können, wenn sie stark genug dazu
ist.
Ich
habe die Wesensart der mittelalterlichen Mystik darstellen wollen, um
darauf hinzuweisen, wie sie sich losgelöst von ihrem Mutterboden, der
alten Vorstellungsart, als selbständige Mystik ausbildet, sich aber
nicht erhalten kann, weil ihr die seelische Impulsivität nunmehr
fehlt, die sie in alten Zeiten durch die Forschung gehabt hat.
Das führt
zu dem Gedanken, daß die zur Mystik führenden Elemente der neueren
Forschung gesucht werden müssen. Aus dieser kann dann die seelische
Impulsivität wieder gewonnen werden, die nicht bei dem dunklen
mystischen, gefühlsverwandten Innenleben stehen bleibt, sondern von
dem mystischen Ausgangspunkte aus zur Geisterkenntnis aufsteigt. Die
mittelalterliche Mystik verkümmerte, weil sie den Untergrund der
Forschung verloren hatte, der den Seelenkräften hinauf die Richtung
zum Geiste gibt. Anregen will dies Büchlein dazu, die nach der
geistigen Welt richtunggebenden Kräfte aus der rechtverstandenen
neueren Forschung zu gewinnen.
Was
ich in dieser Schrift darstelle, bildete vorher den Inhalt von Vorträgen,
die ich im verflossenen Winter in der theosophischen Bibliothek zu
Berlin gehalten habe. Ich wurde von Gräfin und Grafen Brockdorff
aufgefordert, über die Mystik vor einer Zuhörerschaft zu
sprechen, der die Dinge eine wichtige Lebensfrage sind, um die es sich
dabei handelt. - Vor zehn Jahren hätte ich es noch nicht wagen dürfen,
einen solchen Wunsch zu erfüllen. Nicht als ob damals die Ideenwelt,
die ich heute zum Ausdruck bringe, noch nicht in mir gelebt hätte.
Diese Ideenwelt ist schon ganz in meiner «Philosophie der Freiheit»
enthalten. Um aber diese Ideenwelt so
auszusprechen, wie ich es heute tue, und sie so zur Grundlage
einer Betrachtung zu machen, wie es in dieser Schrift geschieht, dazu
gehört noch etwas ganz anderes, als von ihrer gedanklichen Wahrheit
felsenfest überzeugt sein. Dazu gehört ein intimer Umgang mit dieser
Ideenwelt, wie ihn nur viele Jahre des Lebens bringen können. Erst
jetzt, nachdem ich diesen Umgang genossen habe, wage ich, so zu
sprechen, wie man es in dieser Schrift wahrnehmen wird.
Wer
nicht unbefangen auf meine
Ideenwelt eingeht, entdeckt in ihr Widerspruch über Widerspruch. Ich
habe erst kürzlich ein Buch über die Weltanschauungen des
neunzehnten Jahrhunderts Berlin 1900) dem großen Naturforscher Ernst
Haeckel gewidmet, und es in eine Rechtfertigung seiner
Gedankenwelt ausklingen lassen. Ich spreche in den folgenden Ausführungen
voll zustimmender Hingebung über die Mystiker vom Meister
Eckhart bis Angelus
Silesius. Von anderen «Widersprüchen», die mir der oder jener
noch vorzählt, will ich gar nicht sprechen. - Ich bin nicht
verwundert darüber, wenn ich von der einen Seite als «Mystiker»,
von der anderen als «Materialist» verurteilt werde. - Wenn ich
finde, daß der Jesuitenpater Müller eine schwierige chemische
Aufgabe gelöst hat, und ich ihm deshalb rückhaltlos in dieser
Sache zustimme, so darf man mich wohl nicht als Anhänger des
Jesuitismus verurteilen, ohne bei Einsichtigen als Tor zu gelten.
Wer
gleich mir seine eigenen Wege wandelt, muß manches Mißverständnis
über sich ergehen lassen. Er kann das aber im Grunde leicht ertragen.
Sind ihm solche Mißverständnisse Zumeist doch selbstverständlich,
wenn er sich die Geistesart seiner Beurteiler vergegenwärtigt. Ich
sehe nicht ohne humoristische Empfindungen auf manche «kritische»
Urteile zurück, die ich im Laufe meiner Schriftstellerlaufbahn
erfahren habe. Im Anfange ging die Sache. Ich schrieb über Goethe und
in Anknüpfung an diesen. Was ich da sagte, klang manchem so, daß er
es in seine Denkschablonen unterbringen konnte. Man tat das, indem man
sagte: Es «darf eine Arbeit wie Rudolf
Steiners Einleitungen zu den naturwissenschaftlichen Schriften
Goethes geradezu als das beste bezeichnet werden, was in dieser Frage
überhaupt geschrieben worden ist». Als ich später eine selbständige
Schrift veröffentlichte, war ich schon um ein gut Teil dümmer
geworden. Denn nun gab ein wohlmeinender Kritiker den Rat: «Bevor er
weiter fortfährt, zu reformieren und seine ,Philosophie der Freiheit'
in die Welt setzt, ist ihm dringend anzuraten, sich erst zu einem
Verständnisse jener beiden Philosophen (Hume und Kant)
hindurchzuarbeiten.» Der Kritiker kennt leider bloß, was er in Kant
und Hume zu lesen versteht; er rät mir also im Grunde nur, mir bei
diesen Denkern auch nichts weiter vorzustellen wie er: Wenn ich das
erreicht haben werde, wird er mit mir zufrieden sein. - Als nun meine
«Philosophie der Freiheit» erschien, war ich einer Beurteilung wie
der unwissendste Anfänger bedürftig. Sie ließ mir ein Herr zuteil
werden, den wohl kaum etwas anderes zum Bücherschreiben nötigt, als
die Tatsache, daß er unzählige fremde - nicht verstanden hat. Er
belehrt mich tiefsinnig, daß ich meine Fehler bemerkt hätte, wenn
ich «tiefere psychologische, logische und erkenntnistheoretische
Studien gemacht hätte»; und er zählt mir gleich die Bücher auf,
die ich lesen soll, damit ich so klug werde wie er: «Mill, Sigwart,
Wundt, Riehl, Paulsen, B. Erdmann». - Besonders ergötzlich war mir
der Rat eines Mannes, dem es so sehr imponiert, wie er Kant «versteht»,
daß er sich gar nicht denken kann, jemand habe Kant gelesen
und urteile doch anders als er. Er gibt mir dabei gleich die
betreffenden Kapitel in Kants Schriften an, aus denen ich ein ebenso
tiefgründiges Kantverständnis schöpfen könne, wie er es hat.
Ich
habe ein paar typische Beurteilungen
meiner Ideenwelt hieher gesetzt. Obwohl sie an sich unbedeutend sind.
scheinen sie mir doch geeignet zu sein, als Symptome auf Tatsachen Zu
weisen, die heute als schwere Hindernisse sich dem in den Weg stellen,
der sich in den höherer Erkenntnisfragen schriftstellerisch betätigt.
Ich muß schor meinen Weg gehen, gleichgültig, ob der eine mir der
guten Rat gibt, Kant zu lesen; oder ob der andere mich verketzert,
weil ich Haeckel zustimme. Und so habe ich denn auch über die Mystik
geschrieben, gleichgültig dar über, was ein gläubiger Materialist
auch urteilen mag. ich möchte bloß - damit nicht ganz unnötig
Druckerschwärze verschwendet werde - denjenigen, die mir vielleicht
jetzt raten, Haeckels «Welträtsel» zu lesen, mitteilen, daß ich in
den letzten Monaten etwa dreißig Vorträge über dieses Buch gehalten
habe.
Ich
hoffe in meiner Schrift gezeigt zu haben, daß man ein treuer Bekenner
der naturwissenschaftlichen Weltanschauung sein und doch die Wege nach
der Seele aufsuchen kann, welche die richtig
verstandene Mystik führt. Ich gehe sogar noch weiter und sage:
Nur wer den Geist im Sinne der wahren
Mystik erkennt, kann ein volles Verständnis der Tatsachen in der
Natur gewinnen. Man darf wahre Mystik nur nicht verwechseln mit dem «Mystizismus»
verworrener Köpfe. Wie die Mystik irren kann, habe ich in meiner «Philosophie
der Freiheit» S. 141 ff. gezeigt.