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VON DEM «HÜTER DER SCHWELLE» UND EINIGEN EIGENHEITEN DES ÜBERSINNLICHEN BEWUSSTSEINS

Mit seinem Erleben in der Sinneswelt steht der Mensch außerhalb der geistigen Welt, in welcher im Sinne der vorangehenden Betrachtungen seine Wesenheit wurzelt. Welchen Anteil dieses Erleben an der menschlichen Wesenheit hat, ersieht man, wenn man bedenkt, daß das übersinnliche Bewußtsein, welches die übersinnlichen Welten betritt, einer Verstärkung eben der Seelenkräfte bedarf, die in der Sinneswelt erworben werden. Ist diese Verstärkung nicht vorhanden, so fühlt die Seele eine gewisse Scheu, in die übersinnliche Welt einzutreten. Sie will sich sogar vor diesem Eintritte dadurch retten, daß sie sich «Beweise» sucht für die Unmöglichkeit eines solchen Eintrittes.

Findet sich aber die Seele stark genug zum Eintritte, erkennt sie in sich die Kräfte, welche ihr gestatten, nach dem Eintritte ihre Wesenheit als selbständige zu behaupten und in dem Felde ihres Bewußtseins nicht nur Gedanken, sondern auch Wesenheiten zu erleben, wie sie es muß in der elementarischen und in der geistigen Welt: so erfühlt sie auch, daß sie diese Kräfte nur innerhalb des Lebens in der Sinneswelt hat sammeln können. Sie sieht die Notwendigkeit ein, in ihrem Weltenlaufe durch die Sinneswelt geführt zu werden.

Insbesondere ergibt sich diese Einsicht durch die Erlebnisse, welche das übersinnliche Bewußtsein mit dem Denken hat. Beim Eintritte in die elementarische Welt erfüllt sich das Bewußtsein mit Wesenheiten, die in Bildform wahrgenommen werden. Es kommt gar nicht in die Lage, innerhalb dieser Welt gegenüber deren Wesenheiten eine ähnliche innere Seelentätigkeit zu entwickeln, wie sie im Gedankenleben innerhalb der Sinneswelt entwickelt wird. — Dennoch wäre es unmöglich, sich innerhalb dieser elementarischen Welt als menschliches Wesen zurechtzufinden, wenn man sie nicht denkend beträte. Man würde ohne denkende Betrachtung wohl die Wesenheiten der elementarischen Welt schauen; man würde aber von keiner in Wahrheit wissen können, was sie ist. Man gliche einem Menschen, der eine Schrift vor sich hat, die er nicht lesen kann; ein solcher sieht mit seinen Augen genau dasselbe, was auch derjenige sieht, der die Schrift lesen kann; Bedeutung und Wesenheit hat sie aber doch nur für diesen.

Dennoch übt das übersinnliche Bewußtsein während seines Verweilens in der elementarischen Welt keineswegs eine solche denkerische Tätigkeit aus, wie sie in der Sinneswelt sich vollzieht. Es ist vielmehr so, daß ein denkendes Wesen — wie der Mensch — im richtigen Schauen der elementarischen Welt die Bedeutung ihrer Wesen und Kräfte mit-wahrnimmt, und daß ein nicht-denkendes Wesen die Bilder ohne deren Bedeutung und Wesenheit wahrnehmen würde.

Wird die geistige Welt betreten, so würden zum Beispiel die ahrimanischen Wesenheiten für etwas ganz anderes gehalten werden, als was sie sind, wenn sie nicht von der Seele als einer denkenden Wesenheit geschaut würden. Ebenso ist es mit den luziferischen und anderen Wesenheiten der geistigen Welt. Die ahrimanischen und luziferischen Wesenheiten werden von dem Menschen als das geschaut, was sie sind, wenn er sie von der geistigen Welt aus mit dem hellsichtigen Blicke betrachtet, der durch das Denken erkraftet ist.

Bewaffnete sich die Seele nicht mit der genügenden denkerischen Kraft, so würden die luziferischen Wesenheiten, wenn sie von der geistigen Welt aus geschaut würden, der hellsichtigen Bilderwelt sich bemächtigen und in der betrachtenden Seele die Illusion hervorrufen, daß sie tiefer und immer tiefer in die eigentlich gesuchte geistige Welt hineindringe, während sie in Wahrheit in die Welt immer tiefer versinkt, welche die luziferisehen Kräfte als eine ihrer Wesenheit gleiche zubereiten wollen. Die Seele würde sieh zwar immer selbständiger fühlen; aber sie würde sieh in eine Geisteswelt einleben, die nicht ihrer Wesenheit und ihrem Urquell entspricht. Sie liefe in eine ihr fremde geistige Umgebung ein. — Die Sinneswelt verbirgt solche Wesenheiten, wie die luziferischen sind. Daher können diese innerhalb der Sinneswelt das Bewußtsein nicht beirren. Sie sind für dasselbe einfach nicht vorhanden. Und das Bewußtsein hat die Möglichkeit, sich unbeirrt von ihnen, genügend — denkerisch — zu erkraften. Es gehört zu den instinktiven Eigenheiten des gesunden Bewußtseins, daß es die geistige Welt nur in dem Maße betreten will, als es sich für das Durchschauen derselben in der Sinneswelt genügend erkraftet hat. Das Bewußtsein hängt an der Art, wie es sich in der Sinneswelt erleben kann. Es fühlt sich in seinem Elemente, wenn es mit den Gedanken, Gefühlen, Affekten usw. sich in sich erleben kann, die es der Sinneswelt verdankt. Wie stark das Bewußtsein an diesem Erleben hängt, das zeigt sich ganz besonders in dem Augenblicke, in welchem der Eintritt in die übersinnlichen Welten wirklich erfolgt. Wie man an lieben Erinnerungen in besonderen Augenblicken seines Lebens sich festklammert, so kommen beim Eintritt in die übersinnlichen Welten alle die Neigungen mit Notwendigkeit wie aus den Seelentiefen herauf, deren man nur überhaupt fähig ist. Man wird da gewahr, wie man im Grunde an dem Leben hängt, das den Menschen mit der Sinneswelt verbindet. Dieses Hängen zeigt sich da in seiner vollen Wahrheit, ohne alle Illusionen, die man sich sonst im Leben über diese Tatsache macht. Es kommt beim Eintritte in die übersinnliche Welt — gewissermaßen als eine erste übersinnliche Errungenschaft — ein Stück Selbsterkenntnis zustande, von der man vorher kaum eine Ahnung haben konnte. Und es zeigt sich, was man alles hinter sich lassen muß, wenn man wirklich wissend in die Welt eintreten will, in welcher man doch tatsächlich fortwährend darinnen ist. Was man als Mensch bewußt und unbewußt in der Sinneswelt aus sich gemacht hat, das tritt mit höchster Deutlichkeit vor den Seelenblick. — Es kann dieses Erleben oftmals die Folge haben, daß man alle weiteren Versuche des Eindringens in die übersinnlichen Welten fallen läßt. Denn es kommt hinzu, daß man Klarheit darüber gewinnt, wie man anders fühlen, empfinden lernen muß, wenn der Aufenthalt in der geistigen Welt erfolgreich sein soll. Man muß zu dem Entschluß kommen, eine ganze andere innere Seelenverfassung auszubilden, als man vorher gehabt hat, oder — anders gesagt: — man muß zu der vorher errungenen eine andere hinzugewinnen.

Und doch — was geschieht denn in einem solchen Augenblicke des Eintrittes in die übersinnliche Welt eigentlich? Man schaut das Wesen, das man immer gewesen ist; aber man schaut es jetzt nicht von der Sinneswelt aus, von der aus man es vorher stets angeschaut hat; man schaut es, ohne Illusion, in seiner Wahrheit von der geistigen Welt aus. Man schaut es so, daß man sich voll durchdrungen fühlt von den Erkenntniskräften, die es in seinem geistigen Wert zu bemessen imstande sind. Wenn man sich so betrachtet, so zeigt sich auch, warum man in die übersinnliche Welt nicht ohne Scheu bewußt eintreten will; es zeigt sich der Grad der Stärke, den man zu diesem Eintritte hat. Man sieht, wie man sich selbst als wissendes Wesen von ihr ferne hält. Und je genauer man sich so durchschaut, desto stärker treten auch die Neigungen auf, durch welche man in der Sinneswelt mit seinem Bewußtsein verbleiben will. Wie aus den Schlupfwinkeln der Seelentiefen lockt das erhöhte Wissen diese Neigungen herauf. Man muß sie erkennen; denn nur dadurch werden sie überwunden. Aber im Erkennen bezeugen sie noch ganz besonders ihre Kraft. Sie wollen die Seele überwältigen; diese fühlt sich von ihnen wie in unbestimmte Tiefen hinuntergezogen. Der Augenblick der Selbsterkenntnis ist ein ernster. Es wird in der Welt viel zuviel von der Selbsterkenntnis philosophiert und theoretisiert. Dadurch wird der Seelenblick eher von dem Ernste abgelenkt, der mit ihr verbunden ist, als zu ihm hingetrieben. Und trotz all dieses Ernstes: welche Befriedigung gewährt es, wenn man bedenkt, wie die Menschennatur so eingerichtet ist, daß sie von ihren Instinkten veranlaßt wird, in die geistige Welt nicht einzutreten, bevor sie ihren Reifegrad als Selbsterlebnis in sich entwickeln kann. Welche Befriedigung, daß die zunächst bedeutsamste Begegnung mit einem Wesen der übersinnlichen Welt die ist mit der eigenen Wesenheit in ihrer Wahrheit, die man in der Menschheitentwickelung weiterführen soll! Man kann sagen, in dem Menschen stecke ein Wesen, das sorgsame Wache hält an der Grenzscheide, die beim Eintritte in die übersinnliche Welt überschritten werden muß. Diese im Menschen steckende geistige Wesenheit, die man selbst ist, die man aber so wenig durch das gewöhnliche Bewußtsein erkennen kann, wie das Auge sieh selbst sehen kann, ist der «Hüter an der Schwelle» in die geistige Welt. Man lernt ihn erkennen in dem Augenblicke, in welchem man er selber nicht nur tatsächlich ist, sondern sich ihm, wie außer ihm stehend, wie ein anderer gegenüber stellt.

Wie andere Erlebnisse der übersinnlichen Welten machen auch den «Hüter der Schwelle» die verstärkten, in sich erkrafteten Seelenfähigkeiten schaubar. Denn abgesehen davon, daß die Begegnung mit dem «Hüter» für den hellsichtigen Geistesblick zum Wissen erhoben wird, ist diese Begegnung durchaus nicht ein Ereignis, das etwa nur für den geist-schauend gewordenen Menschen einträte. Genau derselbe Tatbestand, in dem diese Begegnung besteht, tritt für jeden Menschen jedesmal beim Einschlafen ein, und es dauert das Sich-selbst-Gegenüberstehen, das ganz gleich dem Stehen vor dem «Hüter der Schwelle» ist, so lange als der Schlaf dauert. Im Schlafe erhebt sich die Seele zu ihrer übersinnlichen Wesenheit. Ihre Innenkräfte sind dann aber nicht stark genug, um ein Bewußtsein ihrer selbst hervorzurufen. —Für das Verständnis des übersinnlichen Erlebens, besonders in seinen zarten Anfängen, ist auch von besonderer Wichtigkeit, das seelische Augenmerk darauf zu lenken, daß die Seele bereits begonnen haben kann, Übersinnliches zu erleben, ohne daß sie ein nennenswertes Wissen davon sich zu bilden vermag. Es tritt die Hellsichtigkeit zuerst in sehr zarter Art auf. So, daß man oft in der Erwartung, fast Greifbares zu schauen, der hinhuschenden hellseherischen Eindrücke nicht achtet. Sie durchaus nicht als solche anerkennen will. Sie treten dann so auf, daß sie ihr Vergessen-Werden schon vorbereiten, indem sie auftreten; sie kommen dann so schwach in das Bewußtseinsfeld herein, daß sie wie leichte Seelenwölkchen ganz unbeachtet bleiben. Weil dieses so ist, und weil man zumeist von der Geistes-Anschauung ganz anderes erwartet, als was sie zunächst ist, deshalb wird sie von vielen ernsten Suchern nach der geistigen Welt nicht gefunden. — Auch in dieser Beziehung ist die Begegnung mit dem «Hüter der Schwelle» wichtig. Wenn man die Seele gerade nach der Richtung der Selbsterkenntnis hin erkraftet hat, dann mag diese Begegnung selbst nur wie ein erstes zartes Vorüberhuschen einer geistigen Schau sein; man wird sie doch nicht so leicht dem Vergessen überliefern wie andere übersinnliche Eindrücke, weil man an der eigenen Wesenheit stärker als an anderem interessiert ist. — Es besteht aber durchaus keine Notwendigkeit, daß die Begegnung mit dem «Hüter» zu den ersten übersinnlichen Erlebnissen gehört. Die Erkraftung der Seele kann nach verschiedenen Richtungen hin erfolgen. Die ersten Richtungen, welche die Seele nimmt, können ihr auch vor dieser Begegnung andere Wesenheiten oder Vorgänge in den geistigen Blickekreis führen. Doch aber wird verhältnismäßig bald nach dem Eintritt in die übersinnliche Welt diese Begegnung stattfinden.


 

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