Forum für Anthroposophie, Waldorfpädagogik und Goetheanistische Naturwissenschaft
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Rudolf Steiner

IST ANTHROPOSOPHIE PHANTASTIK?

Das Goetheanum, II 37, 22. April 1923

Für die Entwickelung des menschlichen Geisteslebens liegt ein in sich abgeschlossener Zeitabschnitt zwischen der aus dem griechischen Erkenntnisstreben herauftönenden Forderung: «Erkenne dich selbst» und dem im letzten Drittel des neunzehnten Jahrhunderts aus der naturwissenschaftlichen Weltbetrachtung abgelegten Bekenntnis: «Ignorabimus».

Der griechische Weltweise fand die Seelenverfassung des Menschen erst dann mit dem Leben selbst im Einklang, wenn die Erkenntnis der Welt in der Erkenntnis der Menschenwesenheit gipfelte, die im Selbstbewußtsein sich offenbart.

Der moderne Denker, der vermeint, zu seinem Bekenntnis durch die Naturwissenschaft gedrängt zu werden, spricht dem Menschen gerade diese Gipfelung seiner Seelenverfassung ab. Als Du Bois-Reymond sein «Ignorabimus» sprach, da lebte in ihm der Glaube: alles Wissen des Menschen könne sich nur zwischen den beiden Polen bewegen, der Materie und der Bewußtheit. Diese beiden Pole aber entziehen sich der menschlichen Erkenntnis. Man wird die Offenbarungen der Materie erkennen können, insofern sie sich in Maß, Zahl und Gewicht bestimmen lassen; man wird aber nie erfahren können, was hinter diesen Offenbarungen selbst als «Materie im Räume spukt». Ebensowenig wird man zu erkennen vermögen, wie in der eigenen Seele das Erlebnis entsteht: «ich sehe rot», «ich rieche Rosenduft» und so weiter, also dasjenige, was im bewußten Leben sich abspielt. Denn wie sollte man begreifen, daß es einer Summe sich bewegender Kohlenstoff-, Stickstoff-, Sauerstoff- und Wasserstoffatome im Gehirne nicht gleichgültig sei, wie sie sich bewegten, wie sie sich bewegt haben, wie sie sich bewegen werden. Man kann erfassen, wie sich der Stoff im Gehirn bewegt, man kann diese Bewegung nach den mathematischen Begriffen bestimmen; man kann sich aber keine Vorstellung davon machen, wie aus dieser Bewegung die bewußte Empfindung aufsteigt gleich dem Rauch aus der Flamme.

Sollte der Mensch diese «Grenzen seines Erkennens» überschreiten, so müßte er von der Naturerkenntnis zur Geisteserkenntnis fortschreiten. Und wo das Reden vom Geiste beginnt, da hört das Wissen auf, und es muß dem Glauben Platz machen. Das ist das Ignorabimus- («Wir werden nicht wissen») Bekenntnis.

Man kann nicht sagen, daß die moderne Seelenverfassung über dieses Ignorabimus-Bekenntnis in den anerkannten Erkenntnisbestrebungen hinausgekommen wäre. Gewiß, es sind allerlei Versuche dazu gemacht worden; aber diese beschränken sich doch darauf, auf diesen oder jenen Erkenntnisweg hinzuweisen; sie bringen aber nicht die Energie auf, diese Wege mit dem wirklichen Erkennen auch praktisch zu beschreiten. Der eine oder der andere sieht ein, daß der Mensch in seiner Ideenbildung etwas erlebt, das eine selbständige, nicht materielle Wesenheit in sich trägt; aber man bringt nicht die Tatkraft auf, sich in diese geistige Art des Ideenerlebens so energisch hineinzuleben, daß man von der Erkenntnis «die Ideen sind Geist» zu dem Erfassen der wirklichen Geisteswelt durchdringt, die sich in den Ideen nur wie an ihrer Oberfläche offenbart.

Man gelangt nur zu dem Erlebnisse: Wenn die Naturerscheinungen an den Menschen herantreten, dann antwortet er ihnen aus seinem Innern mit den Ideen. Aber man erfaßt nicht das Leben in den Ideen selbst. Man sieht darauf hin, wie man von der Natur zu Ideen angeregt wird; aber man versetzt sich nicht in dasjenige innere Erleben, das in Ideen selbst webt.

Diesen Schritt macht erst die Anthroposophie. Und man erkennt an ihr, daß sie ihn macht, dadurch, daß in ihrem Ideen-Erleben die Ideen nicht Ideen bleiben, sondern zu einer geistigen Wahrnehmungsform werden. Wer nur die geistige Wesenheit der Ideen durchschaut, der muß dabei stehen bleiben, in ihnen geistartige Bilder des Naturwesens zu sehen, bei denen er als dem einzigen unbegreiflichen Geistesinhalt sich zu beruhigen hat. Nur wer die im Ideenbilden unbewußt wirkende Seelentätigkeit zum inneren Erleben bringt, der steht dann durch dieses Erleben vor einer geistigen Wirklichkeit. Und dieses Erleben kann mit einer vollen Besonnenheit geführt werden, geradeso wie sie dem Mathematiker eignet, wenn er seine Probleme verfolgt. Aus den Denkgewohnheiten heraus, die man sich aus der Sinnen-Beobachtung, dem Experimentieren heraus angeeignet hat, fürchtet man heute, sofort in das Nebulose, Phantastische zu verfallen, wenn man mit der Ideenbildung nicht die Anlehnung an das hat, was die Sinne sagen, was die Meßmethoden, was die Waage ergeben. Man kommt dadurch nicht dazu, diejenige innere Seelenkraft bewußt in Tätigkeit überzuführen, die durch das Ideen-Buden strömt, und in deren Erleben man ebenso an das Geistige stößt, wie durch die Tastorgane an das räumlich Ausgedehnte.

Was durch die Anthroposophie als Gedankenübung beschrieben wird, führt zu diesem Erleben. Und weil da jeder Schritt dieses Erlebens in ebensolcher Besonnenheit vollführt wird wie im Gebiete der Naturforschung das Messen und die Gewichtsbestimmung, so darf sich die Anthroposophie als die exakte Geistesforschung bezeichnen. Nur wer auf diesen exakten Charakter ihres Strebens nicht eingeht, wird sie mit den nebulosen Formen der Mystik zusammenwerfen, die heute so manchen Menschen betören.

Es behaupten nun auch manche, gerade weil Anthroposophie vom Erleben ausgehe, dürfe sie sich nicht den Charakter einer Erkenntnis zuschreiben. Denn Erkenntnis sei erst vorhanden, wo vom Erleben zum Herleiten des Einen aus dem Ändern, zum logischen Verarbeiten und so weiter übergegangen wird.

Wer dies sagt, hat nicht beachtet, wie alle die Seelenbetätigungen, durch welche der moderne Mensch seine Wissenschaftlichkeit begründet, durch die Anthroposophie eben in das Erleben übergehen. Man verläßt in diesem Erleben nicht die Wissenschaftlichkeit, um zu einer phantastischen Seelentätigkeit überzugehen; sondern man nimmt eben die volle Wissenschaftlichkeit in das Erleben mit hinein.

In jedem Schritte der in dieser Wochenschrift öfter von den verschiedenen Gesichtspunkten aus beschriebenen geistigen Erkenntnisarten, der Imagination, Inspiration und echten Intuition lebt die Wissenschaftlichkeit mit ihrem vollen Grundcharakter weiter, nur auf dem Geistgebiete statt auf dem Naturgebiete.

Als Du Bois-Reymond sein Bekenntnis «Wir werden nicht wissen» ablegte, da stand vor seiner Seele, wie der Mensch innerlich erlebt: «ich sehe rot», «ich rieche Rosenduft» und wie jenseits dieses Erlebens «die Materie im Räume spukt» und der Mensch nicht an sie herankann. Auf diesem Wege kann er es auch nicht. Aber wenn er das Ideenbilden zum bewußten Erleben in der Imagination bringt, dann öffnet er das geistige Wahrnehmungsvermögen dem Geiste, dieser offenbart sich dann in der Inspiration, und der Mensch vereinigt sich als Geist mit dem Geiste in der Intuition. So findet der Mensch auf diesem Wege den Geist. Erlebt er sich aber in diesem, so gelangt er zwar nicht durch das Erlebnis «ich sehe rot», «ich rieche Rosenduft» durch die Oberfläche der Rose in die Rose hinein; aber er kommt zu dem Erleben dessen, was ihm von der Rose aus als Rot entgegenleuchtet, als Rosenduft entgegenströmt; er findet, daß er an die andere Seite des Rotleuchtens, des Rosenduftens gekommen ist; die Materie hört auf «im Räume zu spuken»; sie offenbart ihren Geist, und es wird eingesehen, daß der Glaube an die Materie nur ein Vorstadium ist für die Erkenntnis, daß auch im Räume nicht Materie spukt, sondern Geist waltet. Und die Vorstellung «Materie» ist nur eine provisorische, die so lange ihre Berechtigung hat, als ihr Geistcharakter nicht durchschaut ist. Man muß aber doch von dieser «Berechtigung » sprechen. Denn die Annahme der Materie ist begründet, solange man mit den Sinnen wahrnehmend der Welt gegenübersteht. Wer in dieser Lage den Versuch macht, irgend welche geistige Wesenheit hinter den Sinneswahrnehmungen statt der Materie anzunehmen, der phantasiert von einer Geisteswelt. Wer erst im inneren Erleben zum Geiste vordringt, dem verwandelt sich nicht träumerisch, sondern exakt anschaulich das, was hinter den Sinneseindrücken zuerst als Materie « spukt», in eine Form der Geisteswelt, der er selbst mit dem Ewigen seines Wesens angehört.

 

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