Forum für Anthroposophie, Waldorfpädagogik und Goetheanistische Naturwissenschaft | ||||
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Rudolf SteinerGOETHE UND GOETHEANUMDas Goetheanum, II 33, 25. März 1923Wer die Formen betrachtet hat, aus denen sich die Gesamtgestaltung des Goetheanums in lebendiger Gliederung zusammenfügte, konnte ersehen, wie Goethes Metamorphosenideen in den Baugedanken eingegangen sind. Diese Metamorphosenideen sind Goethe einleuchtend geworden, als er die Mannigfaltigkeit der Pflanzenwelt in geistiger Einheit umspannen wollte. Er suchte, um dieses Ziel zu erreichen, nach der Urpflanze. Diese sollte eine ideelle Pflanzengestalt sein. In ihr konnte ein Organ zu besonderer Größe und Vollkommenheit entwickelt, andere klein und unansehnlich sein. Auf diese Art konnte man auch der ideellen Urpflanze spezielle Gestalten in unermeßlicher Zahl ersinnen; und dann konnte man den Blick über die äußeren Formen der Pflanzenwelt schweifen lassen. Man fand in der einen Form dies, in der ändern jenes aus der Urpflanze abgeleitete Gedankenbild verwirklicht. Die ganze Pflanzenwelt war gewissermaßen eine Pflanze in den allerverschiedensten Formen. Damit aber war von Goethe angenommen, daß in der Mannigfaltigkeit der Organisationen ein Gestaltungsprinzip waltet, das vom Menschen in der innerlichen Beweglichkeit der Gedankenkräfte nachgebildet wird. Er hatte damit der menschlichen Erkenntnis etwas zugeschrieben, wodurch diese nicht bloß eine äußere Betrachtung der Weltwesen und Weltvorgänge ist, sondern mit diesen zu einer Einheit zusammenwächst. Goethe hatte dasselbe für das Verständnis auch der einzelnen Pflanze geltend gemacht. In dem Blatte sah er auf die einfachste Art schon ideell eine ganze Pflanze. Und in der vielgestalteten Pflanze sah er ein Blatt auf komplizierte Weise ausgebildet; gewissermaßen viele Blatt-Pflanzen wieder nach dem Blattprinzip zur Einheit verbunden. - Ebenso waren ihm die verschiedenen Organe der tierischen Bildung Umformungen eines Grundorgans; und das ganze Tierreich die mannigfaltigsten Ausgestaltungen eines ideellen «Urtiers». Goethe hat den Gedanken nicht allseitig ausgebildet. Die Gewissenhaftigkeit ließ ihn - insbesondere gegenüber der Tierwelt - auf unvollendeten Wegen Halt machen. Er gestattete sich nicht, in der bloßen Gedankenbildung allzu weit fortzuschreiten, ohne das ideell Gebildete sich immer wieder von den sinnenfälligen Tatsachen bestätigen zu lassen. Man kann nun zu diesen Goetheschen Metamorphosen-Ideen ein zweifaches Verhältnis haben. Man kann sie als interessante Eigenart des Goetheschen Geistes betrachten und dabei stehen bleiben. Man kann aber auch den Versuch machen, die eigene Ideentätigkeit in die Goethesche Richtung zu bringen. Da wird man finden, daß sich dadurch in der Tat Naturgeheimnisse offenbaren, zu denen man auf eine andere Art keinen Zugang gewinnt. Ich habe, als ich dies vor nun mehr als vierzig Jahren zu bemerken glaubte (in meinen Einleitungen zu Goethes naturwissenschaftlichen Schriften in Kürschners Deutscher National-Literatur), Goethe den Kopernikus und Keppler der Wissenschaft vom Organischen genannt. Ich ging dabei von der Anschauung aus, daß für das Leblose die Kopernikus-Tat in dem Bemerken eines vom Menschen unabhängigen Sachzusammenhanges besteht; daß aber die entsprechende Tat für das Lebendige in dem Entdecken der rechten Geistesbetätigung liegt, durch die das Organische von dem Menschengeiste in seiner lebendigen Beweglichkeit erfaßt werden kann. Goethe hat diese Kopernikus-Tat dadurch verrichtet, daß er die Geistesbetätigung, durch die er künstlerisch wirkte, in das Erkennen einführte. Er suchte den Weg vom Künstler zum Erkenner und fand ihn. Der Anthropologe Heinroth hat Goethes Denken deshalb ein gegenständliches genannt. Goethe hat sich darüber tief befriedigt ausgesprochen. Er nahm das Wort auf und nannte auch sein Dichten ein gegenständliches. Er sprach damit aus, wie nah in seiner Seele die künstlerische und die erkennende Betätigung wohnten. Das Einleben in die Goethesche Geisteswelt konnte Mut dazu geben, gerade die Metamorphosenanschauung wieder in das Künstlerische zurückzuführen. Das half zu dem Baugedanken des Goetheanums. Die Natur schafft da, wo sie sich in der Lebendigkeit entfaltet, in Formen, die auseinander herauswachsen. Man kann in der künstlerisch-plastischen Gestaltungskraft dem Schaffen der Natur nahe kommen, wenn man liebevoll nachfühlend ergreift, wie sie in Metamorphosen lebt. Man wird nun einen Bau «Goetheanum» nennen dürfen, der in seiner Architektonik und Plastik so entstanden ist, daß in seinen Formen das Einleben in die Goethesche Metamorphosenanschauung den Versuch gewagt hat, zur Verwirklichung zu kommen. Und in der gleichen Art ist ja auch die Anthroposophie selbst in gerader Fortentwickelung der Goetheschen Anschauungen gelegen. Wer den Gedanken der Umbildung nicht nur der sinnlich-anschaulichen Formen - bei der Goethe in Gemäßheit seines besonderen Seelencharakters stehen geblieben ist -, sondern auch des seelisch und geistig Erfaßbaren sich zugänglich macht, der ist bei der-Anthroposophie angelangt. Hier soll nur auf etwas ganz Elementares gedeutet werden. - Man beobachtet in der menschlichen Seelenbetätigung Denken, Fühlen und Wollen. Wer diese drei Formen des Seelenlebens nur nebeneinander, oder in ihrem Zusammenwirken zu sehen vermag, der kann nicht tiefer in das Wesen des Seelischen dringen. Wer aber Klarheit darüber gewinnt, wie das Denken eine Metamorphose des Fühlens und Wollens, das Fühlen eine solche des Denkens und Wollens, das Wollen eine Umformung des Denkens und Fühlens ist, der verbindet sich im Seelischen mit dem Wesen des Seelischen. Wenn Goethe, der auf das Sinnlich-Anschauliche vorzüglich orientiert sein wollte, es höchst befriedigend vernahm, daß sein Denken ein gegenständliches genannt wurde, so kann ein Geistesforscher eine ähnliche Befriedigung finden, wenn er gewahr wird, wie durch die Metamorphosenanschauung sein Denken ein «geistbelebtes» wird. «Gegenständlich» ist das Denken, wenn es so mit dem Wesen der Sinneserscheinungen verwachsen kann, daß dieses Wesen in ihm nachklingend erlebt wird. «Geistbelebt» wird das Denken, wenn es in sein eigenes Strömen und Wehen den Geist aufzunehmen vermag. Dann wird das Denken geisttragend, wie die auf die Sinneswelt gerichtete Vorstellung Farben- oder Tontragend wird. Das Denken metamorphosiert sich dann zur Anschauung. Mit dieser Metamorphose ist aber das Denken leibbefreit geworden. Denn der Leib kann das Denken nur mit sinnlichem Inhalt durchtränken. Man erobert sich durch die Metamorphosenanschauung das Lebendige. Man belebt damit das eigene Denken. Es wird aus einem toten zu einem lebendigen. Dadurch aber wird es fähig, das Leben des Geistes anschauend in sich aufzunehmen. Wer auf der Grundlage dessen, was Goethes Schriften enthalten, sich das Urteil bilden will: Goethe selbst würde die Anthroposophie abgelehnt haben, der mag äußerliche Gründe dafür ins Feld führen können. Und man mag ihm zugeben, daß Goethe im entsprechenden Falle sich sehr zurückhaltend würde verhalten haben, weil er selbst es unbehaglich würde empfunden haben, die Metamorphose in Gebiete zu verfolgen, in denen sie der Kontrolle der sinnlichen Erscheinungen entbehrt. Allein die Goethesche Weltanschauung läuft ohne Künstelei in die Anthroposophie ein. Deshalb durfte das, was auf Goethes Weltanschauung sich sicher ruhend fühlt, in einem Bau gepflegt werden, der im Gedenken Goethes den Namen Goetheanum trug.
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Wolfgang
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