Forum für Anthroposophie, Waldorfpädagogik und Goetheanistische Naturwissenschaft | ||||
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Rudolf SteinerGOETHE, DER SCHAUENDE, UND SCHILLER, DER SINNENDEDas Goetheanum, I 14, 9. April 1922Zu den schönsten Blüten des menschlichen Geisteslebens gehört, was Goethe und Schiller in der Zeit ihres Freundschaftsbundes geschaffen haben. Dieser Bund ist aber nur dadurch zustande gekommen, daß beide Geister schwerwiegende innere Hindernisse überwanden, die ihre Seelen auseinanderhielten. Man sieht diese Hindernisse wirksam, wenn man das von Goethe berichtete Gespräch ins Auge faßt, das die beiden führten, als sie einmal aus einem Vortrag über die Pflanzenwelt gekommen waren, der in der Naturforscher-Gesellschaft in Jena stattgefunden hatte. Schiller fand, daß der Vortrag unbefriedigend sei, weil die einzelnen Pflanzenformen nebeneinandergestellt wurden, ohne daß in der Betrachtung der Zusammenhang ersichtlich geworden sei. Goethe erwiderte, daß ihm ein solcher Zusammenhang in seiner Urpflanze vorschwebe, die das enthalte, was als das Wesen in allen einzelnen Pflanzen lebe. Es gleiche diese «Urpflanze» nicht einer einzelnen Pflanze; aber es werde eine jede aus dieser dem ganzen Pflanzenreich zugrunde liegenden Urform verständlich. Goethe zeichnete mit einigen charakteristischen Strichen diese Urform vor Schillers Augen hin. Dieser erwiderte: das sei aber keine Erfahrung, das sei eine Idee. Goethe aber bestand darauf, daß für ihn eine solche Idee zugleich Erfahrung (Beobachtung) sei, und daß, wenn man dergleichen als Idee bezeichne, er seine Ideen mit den Augen wahrnehme. Aus der Schilderung des Gespräches durch Goethe geht hervor, daß die beiden damals zu einem Ausgleich ihrer Meinungen noch nicht haben kommen können. Goethe fühlte sich berechtigt, dasjenige, was sich ihm über die Dinge der Natur in Ideen formte, so als ein Beobachtungsergebnis anzusprechen, wie er das etwa der roten Farbe der Rose gegenüber tat. Für ihn war Wissenschaft geisterfüllt und doch zugleich objektives Beobachtungsergebnis. Schiller konnte mit einer solchen Anschauung nicht zurecht kommen. Für ihn stand fest, daß der Mensch erst aus sich heraus die Ideen formen müsse, wenn er die nur als Einzelheiten gegebenen Beobachtungsergebnisse zusammenfassen wolle. Goethe fühlte sich mit seinem Geistesinhalte in der Natur drinnen stehend, Schiller empfand sich mit demselben außer der Natur. Wer aus dem Briefwechsel Goethes und Schillers das Leben ihrer Freundschaft verfolgt, der findet, wie diese sich dadurch immer mehr vertieft, daß Schiller sich in Goethes Anschauungsart hineinfindet. Er geht dazu über, das objektive Walten des Geistes in den Naturschöpfungen gelten zu lassen, das für Goethes Vorstellungsart etwas Selbstverständliches war. Man darf sagen, Schiller trennte von Goethe zuerst die Ansicht, daß der Mensch außer der Natur stehe, und daß, wenn er sich über die Natur ausspricht, er zu dieser etwas hinzufüge. Goethe war sich nie darüber im Unklaren, daß in dem Menschen die Natur ihr Wesen als geistigen Inhalt selbst ausspreche, wenn sich der Mensch nur in das rechte Verhältnis zu ihr setze. Für Goethe lebt das Wesen der Natur im Menschen als Wissen. Und Menschenwissen ist ihm Offenbarung des Naturwesens. Der Erkenntnisvorgang ist für Goethe nicht bloß ein formales Abbilden eines in der Natur verborgenen Wesens, sondern das reale Offenbarwerden dessen, was ohne den Menschengeist in der Natur gar nicht vorhanden wäre. Trotzdem ist ihm der Geist der wahre Naturgehalt selbst, weil er sich die Erkenntnis als ein Versenken der Menschenseele in die Natur denkt. Schiller konnte das anfangs mit seinem Kantianismus nicht in Einklang bringen. Und diesen Kantianismus hatte er angenommen; Goethe fand in der Kantschen Anschauung nie etwas, das seiner Vorstellungsart nahe kommen könne. In der Empfindung der Goetheschen Kunstschöpfungen fand sich Schiller aus seiner Denkart heraus und näherte sich immer mehr Goethe. In den «Briefen über die ästhetische Erziehung des Menschen» sieht man Schillers Streben, das künstlerische Erleben Goethes sich zum vollen Verständnis zu bringen. Er kommt, nachdem er nach dieser Richtung sich umbildet, dazu, in dem künstlerischen Welterleben den einzigen menschlichen Seelenzustand anzuerkennen, in dem man im vollen Sinne des Wortes wahrer Mensch sein könne. Und so wurde ihm Wissenschaft ein Welterleben, in dem der Mensch sich nicht in seinem ganzen Wesen offenbaren könne. Goethe wollte, im Gegensatz dazu, eine Wissenschaft, die in ihrer Art ebenso den ganzen Menschen zum Ausleben bringt wie die Kunst in der ihrigen. Zu einer solchen Anschauung mußte sich Schiller erst hindurcharbeiten. Er tat es; und dadurch wurde seine Seelengemeinschaft mit Goethe auf den rechten Grund gestellt. Goethe näherte sich seinerseits Schiller dadurch, daß ihm dieser die denkerische Rechtfertigung seiner Sinnesart gab. Er selbst hätte zu dieser nicht kommen können, denn er lebte in derselben vor dem Freundschaftsbund als in etwas Selbstverständlichem, das ihm gar nicht als ein Problem zum Bewußtsein gekommen war. Schiller konnte Goethes Seele dadurch bereichern, daß er ihr vorführte, wie sie sich selbst bewußtes Rätsel werden und nach der Lösung desselben suchen könne. Schiller hat Goethe die Anregung gegeben, seinen Faust fortzusetzen. Unmittelbar aus dieser Anregung entstand der «Prolog im Himmel». Vergleicht man diesen mit einer der ältesten Faustszenen, mit der, wo sich Faust von dem Geiste der großen Welt ab- und dem Erdgeiste zuwendet, so sieht man den Umschwung bei Goethe. Vorher die Abwendung von dem Geistgehalt der großen Welt; nachher die bildhafte Darstellung desselben. In der Gedankenanregung, die Schiller gegeben hatte, lag für Goethe der Keim, auch im künstlerischen Bilde des Menschen Leben im Weltenwesen sich vor das Seelenauge zu stellen. Vorher vermochte er dieses nicht, weil er dieses Leben wie etwas nur selbstverständlich Gefühltes hinnahm, ohne es sich im Innern zu gestalten. Für die Nachwelt wird es immer bedeutsam sein können: mit Schillers Seelenauge Goethes Wesen schauen zu lernen; Goethes Wesen sich in einer gewissen Lebensepoche voll entfalten zu sehen in den Anregungen, die von Schiller ausgehen. Die Empfindung von den Hemmungen, die beide zu überwinden hatten, um zueinander zu kommen, und die andere von der Art, wie sie zuletzt sich ergänzten, bildet einen Impuls für tiefste Seelenbeobachtungen. Er dringt damit aber auch an einem der wichtigsten Punkte in das Walten des Geistes in der Menschheitsentwickelung ein.
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