Der Wiener Kongreß und
die Gründung des Deutschen Bundes

“Die Stadt Wien bietet gegenwärtig einen überraschenden Anblick dar; alles was Europa an erlauchten Persönlichkeiten umfaßt, ist hier in hervorragender Weise vertreten. ... Die politischen Angelegenheiten, welche der Hintergrund dieses Bildes sind, haben indessen noch keinen wirklichen Fortschritt gemacht.” Der Verfasser dieser Zeilen mußte es wissen, gehörte er doch als Erster Sekretär Metternichs, des österreichischen Außenministers und eigentlichen Regisseurs des Wiener Kongresses, zum engeren Zirkel der Kongressteilnehmer. Und im Gegensatz zu den Hundertschaften der Könige, Prinzen, Fürsten und Verhandlungsdelegierten, die sich in Festsälen und Salons zu Bällen, Empfängen und Abendgesellschaften trafen, zählte Friedrich von Gentz nicht nur zum ‘tanzenden Kongress’, sondern auch zum verhandelnden. Doch selbst die Delegierten der Großmächte ließen im Glamour dieser Wochen und Monate nichts anbrennen: Metternichs amouröse Eskapaden waren fast ebenso sprichwörtlich wie das kapriziöse Liebesleben des russischen Zar Alexander I.; politische Intrigen waren an der Tagesordnung und die höchstbezahlten Spitzel fanden sich unter den Maitressen und Kurtisanen. Um des eigenen Vorteils willen verstieß damals so mancher Staatsmann gegen die Etikette und den guten Ton. Obwohl bei weitem nicht alle Betroffene auch Gelegenheit bekamen, auf den Kongressverlauf Einfluß zu nehmen. Die wesentlichen Entscheidungen trafen die Siegermächte - Österreich, England, Preußen, Rußland - gemeinsam mit dem besiegten Frankreich mehr oder weniger unter sich. Das war nicht nur pragmatische Verhandlungstechnik. Das war Programm: Nach zwei Jahrzehnten der Unruhe, der Kriege und ständigen Grenzverschiebungen, sollte Europa zu einer stabilen Ordnung zurückkehren, die vielleicht nicht alle zufrieden stellen, aber doch zumindest nicht zu viele Unzufriedenheiten bestehen lassen sollte. Die Sicherung eines dauerhaften Gleichgewichts der großen Mächte, das gegenseitige Kontrolle ermöglichte, die Übermacht eines Einzelstaates oder Übergriffe auf die kleineren Staaten jedoch verhinderte, war deshalb das übergeordnete Ziel, das Gentz und Metternich verfolgten. Vor diesem Hintergrund war es eben sinnvoll, daß auch der Kriegsverlierer Frankreich fast gleichberechtigt mit am Tisch saß und daß die europäischen Karten zunächst einmal im exklusiven ‘Club der großen Fünf’, von den fünf Großmächten der sog. ‘Pentarchie’, gemischt wurden.

In einem solchen Europa des Gleichgewichtes gab es für die Wünsche und Vorstellungen der jeweiligen Bevölkerungen keinen Platz. Zumal der Kongress gegenüber nationalen Argumenten taub, ja geradezu allergisch war; ging es doch um die Wiederherstellung einer legitimen, allseits respektierten Ordnung, und das hieß nach damaliger Auffassung ‘Restauration’ der von Napoleon vertriebenen und abgesetzten Herrscher und Herrschaftsverhältnisse. Die Vorstellung einer nationalen Selbstbestimmung hingegen gehörte zu den revolutionären Gedanken, deren Bekämpfung gerade für die Errichtung eines stabilen Gleichgewichtes sozusagen Voraussetzung war.

Dabei gehört es zu den Eigentümlichkeiten des Wiener Kongresses, daß die Neuordnung Europas einerseits mit vornapoleonischen ‘legitimen’ Ansprüchen von früheren Dynastien und Monarchen gerechtfertigt wurde, andererseits einige dieser Ansprüche aber überhaupt erst napoleonischen Ursprungs waren. So hätte die polnisch-sächsische Frage fast zum Scheitern des Kongresses geführt, weil Rußland das von Napoleon eingerichtete Großherzogtum Warschau besetzt hielt und nun nicht mehr freigeben wollte und Preußen für diesen Fall das Königreich Sachsen als Entschädigung verlangte, was Österreich nicht hinnehmen konnte. Ein Kuhhandel über die Köpfe der betroffenen Völker hinweg beendete den Konflikt: Rußland erhielt ein erheblich verkleinertes ‘Kongreßpolen’, Preußen im Gegenzug nur die nördliche Hälfte Sachsens, zusätzlich aber das seit der französischen Niederlage herrenlose Rheinland plus Westfalen - ein Gebiet, das an das preußische Kernland im Osten Deutschlands nicht einmal angrenzte und im übrigen vor Napoleon durchaus von ‘legitimen’ Herrschern regiert worden war !

Auch die deutsche Frage fand ihre Lösung vor dem Hintergrund der von Napoleon geschaffenen Rahmenbedingungen - schließlich war die deutsche Staatenwelt seit 1803 erheblich übersichtlicher geworden. Weder wurde das alte Reich ‘restauriert’, noch mußten die Staaten in der Mitte und im Süden Deutschlands ihre Gebietsgewinne abtreten, und schon gar nicht wurde ein nationalstaatlicher Zusammenschluß erwogen. Das magere Ergebnis langer Verhandlungen, vornehmlich zwischen Preußen und Österreich, schlug sich in der Deutschen Bundesakte nieder, die am 8. Juni 1815 unterzeichnet wurde und den ‘Deutschen Bund’ ins Leben rief. Um was es sich bei diesem Staatenbund handelt, wird bereits in den ersten beiden Artikeln seiner Statuten deutlich: Ein Bündnis von 41 unterzeichnenden “souveränen Fürsten und freien Städten Deutschlands” (Art. 1), unter denen sich drei nichtdeutsche Könige finden (der englische König für Hannover, der dänische König für Holstein und der niederländische König für Luxemburg), zum Zwecke der “Erhaltung der äußeren und inneren Sicherheit Deutschlands und der Unabhängigkeit und Unverletzbarkeit der einzelnen deutschen Staaten.” (Art. 2). Lediglich ein Verteidigungsbündnis war also zustande gekommen, das zudem die Verteidigung der einzelstaatlichen Souveränitäten zum Ziel hatte. Eine nationale Perspektive zur Überwindung der staatlichen Zersplitterung und zur Bildung einer gesamtdeutschen Souveränität war dies gewiß nicht. Schon gar nicht, wenn man das einzige Organ dieses Bundes betrachtete: ein Gesandtenkongreß in Frankfurt, auf dessen Zusammensetzung die Bevölkerung keinen Einfluß hatte und der ohnehin vom Einvernehmen Österreichs und Preußens abhängig war. Das konnte die nationalbewußten Kreise der deutschen Öffentlichkeit, die im Zuge der Befreiungskriege erheblich angewachsen waren, keinesfalls zufriedenstellen, so daß sich schon bald nach Abschluß des Wiener Kongresses die nationale Opposition regte. Jener “revolutionäre Geist, geboren aus jener ordnungswidrigen Unruhe, welche die Umwälzungen der Epoche der heutigen Generation aufgeprägt haben,” der dem ‘spiritus rector’ der Restauration, Metternich, so zuwider war. 

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Last updated 17 Februar 2002 -- 15:44
© 2001 Elisabeth Albenberger