Auszug aus:
http://www.iue.it/Personal/Researchers/mueller/Academica/Deutsche_Geschichte_in_der_Neu/Streifzuge_I/body_streifzuge_i.html

Die Leipziger Völkerschlacht

Am Abend des 18. Oktober 1813 gab ein völlig übermüdeter Napoleon Bonaparte den 320.000 überlebenden Soldaten seines noch wenige Tage zuvor 440.000 Mann starken Heeres den Befehl zum fluchtartigen Rückzug. Seit Wochen schon war er gezwungen gewesen, mit seinen Truppen im sächsischen Raum von einem strategischen Krisenherd zum anderen zu eilen, wobei er bereits manchen schweren Hieb hatte einstecken müssen. Am 16. Oktober hatte er vollends die Kontrolle über die militärische Situation verloren und mußte sich bei Leipzig einer Entscheidungsschlacht stellen. Drei Armeen standen seinen Truppen gegenüber, angeführt von vier Feldherren, die darauf brannten, die dem Gegner abgeschauten Strategien und Taktiken nun gegen die Franzosen selbst einsetzen zu können. Die preußischen Generäle Gneisenau und Blücher, der schwedische General Bernadotte und der österreichische Oberkommandierende Schwarzenberg ließen Napoleon keine Chance: Nach 48 Stunden hatte Napoleon nicht nur die Schlacht und ein Drittel seiner Soldaten verloren, sondern auch seinen politischen Einfluß in Deutschland - mehr noch: Leipzig bedeutete den Todesstoß für das napoleonische ‘Grande Empire’, das wenige Monate später mit der militärisch erzwungenen Abdankung Napoleons sein Ende fand. Was war geschehen ?

Der langsame Untergang des genialen Korsen, der ebenso stetig und unaufhaltsam erfolgte wie sein Aufstieg, setzte bereits fünf Jahre zuvor ein. Und er hatte die gleiche Wurzel, auf die sich auch sein phänomenaler Erfolg stützte - nämlich die nationale Begeisterung. Etwa gleichzeitig zu Napoleons größter Machtausdehnung in den Jahren 1807/1808 regte sich erstmals der Widerstand der eroberten Völker. 1808 flammte in Spanien eine Volksbewegung auf, die aufgrund ihrer Guerilla-ähnlichen Taktik nicht zu ersticken war. Hier hatte es Napoleon nicht mit bezahlten Söldnerheeren zu tun, sondern mit einer aufbegehrenden Bevölkerung, die sich nicht länger vom fernen Paris kontrollieren lassen wollte. 1809 erhob sich Österreich, wo in den patriotisch gesonnenen Kreisen die antifranzösische Propaganda von Publizisten wie Friedrich von Gentz Verbreitung gefunden hatte. Zwar konnte Napoleon den österreichischen Befreiungskampf schnell niederschlagen, doch zeigte der hartnäckige Kleinkrieg der Tiroler Bevölkerung unter Andreas Hofer, daß der erzwungene Frieden von Schönbrunn nur die Zünduhr einer tickenden Zeitbombe zurückstellte. Auch in Preußen gärte es: 1807 hielt der Philosoph Johann Gottlieb Fichte in Berlin seine “Reden an die deutsche Nation” und rief darin zum nationalen Widerstand auf. Ende des darauffolgenden Jahres flog die Beteiligung des Freiherrn vom Stein an einer antinapoleonischen Verschwörung auf, was zu dessen Entlassung und Verbannung führte. Und nicht zuletzt dienten auch die innerpreußischen Reformen, die Stein maßgeblich geprägt hatte, einer nationalen Rückbesinnung, die zwangsläufig ein um so größeres Unbehagen gegenüber der französischen Abhängigkeit hervorrufen mußte. Entscheidend ist dabei nicht nur die antinapoleonische Haltung nach außen, sondern vor allem auch die nationale Emphase nach innen, die als erster Impuls der deutschen Nationalbewegung gelten muß.

Endgültig zum Durchbruch fanden diese Tendenzen nach dem ersten großen Mißerfolg Napoleons, dem katastrophal gescheiterten Rußlandfeldzug von 1812, der dem Heerführer den Ruf der Unbesiegbarkeit nahm. Nun gab es kein Halten mehr - allenthalben mischten sich Volkszorn und nationale Gesinnung, wie in den Flugschriften des Schriftstellers Ernst Moritz Arndt, der den nationalen Aufbruch in nationalistische Parolen voller Franzosenhaß ummünzte. Ihm und seinesgleichen ist es anzulasten, daß mit dem deutschen Nationalgeist zugleich auch der unsägliche Gedanke der deutsch-französischen Erbfeindschaft in die Welt trat, selbst wenn die Umstände dies erklären mögen. Trotz dieser Volksbewegung ist der eigentliche Ausbruch der Befreiungskriege dann doch wieder nur dem Engagement von wenigen Einzelnen zu verdanken, vor allem dem geschaßten Freiherr vom Stein. Aus dem Exil, als Berater des Zaren Alexander I., zog er die Fäden und setzte seinen ungebrochenen Einfluß ein, um über den Kopf seines Königs hinweg die nationale Erhebung in Gang zu bringen - mit Erfolg. Friedrich Wilhelm III. von Preußen blieb schließlich nichts anderes übrig als dem Druck der Ereignisse zu folgen und sich mit einem einzigartigen Appell an seine Landsleute an die Spitze der Bewegung zu setzen. “An mein Volk” titelte der König, und rief zum gemeinsamen Kampf auf, “wenn wir nicht aufhören wollen, Preußen und Deutsche zu sein.” So weit war der nationale Gedanke in Preußen bereits gediehen.

Als der antinapoleonischen Koalition neben Preußen und Rußland auch Österreich, Schweden und England beitraten, zeichnete sich die Niederlage Napoleons bereits ab - und umso greifbarer ein Sieg über den französischen Kaiser schien, umso leichter fiel es auch den Rheinbundstaaten, gegen ihren Vormund aufzubegehren. Die Internationalisierung des Krieges nahm ihm aber auch den Charakter einer nationalen Volkserhebung und drückte ihn auf den Rang eines Kabinettskrieges früherer Zeiten herab; eine Entwicklung, die vor allem der ebenso geschickten wie mäßigenden Kriegsdiplomatie Österreichs zu verdanken war. Dort nämlich hatte mit Fürst Clemens Wenzel von Metternich ein Mann die Zügel der Staatsführung ergriffen, der wegen seiner politischen Umsicht, aber auch wegen seines konservativen Starrsinns noch europaweit von sich reden machen sollte. 

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Last updated 17 Februar 2002 -- 15:44
© 2001 Elisabeth Albenberger