Auszug aus:
http://www.iue.it/Personal/Researchers/mueller/Academica/Deutsche_Geschichte_in_der_Neu/Streifzuge_I/body_streifzuge_i.html
Als sich am 17. Juni 1789 die Vertreter der Bürger und Bauern in den französischen Generalständen in Paris zur Nationalversammlung erklärten, weil ihre Mitglieder die einzigen öffentlich und gesetzlich anerkannten und in ihrer Wahl bestätigten Repräsentanten des Volkes sind und weil sie auf direktem Wege von der überwiegenden Mehrheit der Nation entsandt sind, wurde erstmals ein politisches Prinzip zur Anwendung gebracht, das die Geschicke Europas bis heute prägen sollte: das Konzept der modernen Nation. Eigentlich hätte dieser spektakuläre Vorgang sofort zum beherrschenden Skandalthema an allen europäischen Fürstenhöfen werden müssen, denn die Forderung nach politischer Gleichberechtigung aller Staatsbürger im Rahmen einer demokratisch ausgerichteten Verfassung stand nicht nur im Widerspruch zur bisherigen politischen Praxis des Absolutismus, sondern setzte zwangsläufig die völlige Umgestaltung der gesellschaftlichen Strukturen voraus. Vor allem die Vorzugsstellung des Adels, dessen ständische Privilegien, hätten in einer Gesellschaft der Rechtsgleichen keinen Platz mehr haben können - die politische Revolutionierung war kaum losgelöst von der sozialen Revolutionierung zu denken. Die bürgerliche Gesellschaft, die sich im Begriff der modernen Nation wiederspiegelte, konnte nur errichtet werden, wenn zuvor die ständische Gesellschaft, die Grundlage des Ancien Régime, beseitigt war.
Europas Fürstenhöfe blickten zwar durchaus besorgt auf die Pariser Entwicklungen, die ihrem bourbonischen Standesgenossen, König Ludwig XVI., das Leben und vor allem das Regieren erheblich versauerten, doch zunächst wurde ihre Tagesordnung noch von den üblichen diplomatischen Winkelzügen im Umfeld des zweiten russisch-türkischen Krieges (1787-1792) beherrscht. Die gebildeten bürgerlichen Schichten in ganz Europa hingegen erfassten sofort die epochale Bedeutung der Ideen von 1789, die ja auch in Deutschland lange von der Aufklärungsbewegung mit vorbereitet worden waren. Dichter wie Klopstock, Hölderlin oder Schiller, Philosophen wie Kant, Fichte und Hegel und mit ihnen ein Großteil der zumeist bürgerlichen Repräsentanten des Geisteslebens begrüßten begeistert den Ausbruch der Revolution als bürgerliche Selbstbefreiung, als Impuls auch für die eigenen nationalpolitischen Hoffnungen. Diese Hoffnungen auf Reform und Veränderung, vielleicht auch gar Revolution der gesellschaftlichen und politischen Verhältnisse, die sich zunächst noch in der traditionellen Spannung zwischen übergeordnetem Reichspatriotismus, bezogen auf das Heilige Römische Reich Deutscher Nation, und kleinstaatlichem Landespatriotismus bewegten, wurden massiv verunsichert, als die revolutionäre Entwicklung in Frankreich 1791 in die jakobinische Phase trat und Freiheit-Gleichheit-Brüderlichkeit nunmehr mit den brutalen Mitteln des Terreur durchgesetzt werden sollten. Einige ehemals begeisterte Anhänger der Revolution gingen daraufhin - wie Friedrich Schiller - enttäuscht auf Distanz; andere nahmen auch diesen neuen Impuls auf und bekannten sich zum jakobinischen Radikalismus.
Regelrecht entsetzt von der Radikalisierung der Revolution in Frankreich waren nun aber auch die europäischen Fürsten. Bereits 1791 hatten Preußen und Österreich in der Pillnitzer Erklärung eine internationale Intervention zur Rettung der Monarchie in Frankreich in Aussicht gestellt; diese antirevolutionäre Allianz kam aber erst nach der Hinrichtung Ludwigs XVI. im Januar 1793 tatsächlich zustande und umfasste neben Österreich und Preußen auch England, Holland, Spanien, Sardinien, Portugal sowie einen Großteil der kleineren deutschen und italienischen Staaten. Zu diesem Zeitpunkt hatte Frankreich bereits bewiesen, daß es seine Errungenschaften nicht nur erbittert verteidigen würde, sondern in Form eines revolutionären Expansionskrieges auch zu verbreiten gedachte. Schon im April 1792 hatte Frankreich seinen Hauptgegnern Österreich und Preußen den Krieg erklärt und wenig später eine Kriegsmaschinerie in Gang gesetzt, die bis dato ohne Beispiel war: Statt eines der üblichen Söldnerheere in die Schlacht zu schicken, mobilisierte die Pariser Revolutionsleitung unter Hinweis auf das gefährdete Vaterland gewaltige Bevölkerungsmassen, verfügte die allgemeine Wehrpflicht (levée en masse) und demonstrierte damit eindrucksvoll, zu welchen Leistungen das neue Gesellschaftskonzept der Nation fähig war. Da zudem dieses nationale Volksheer zu weiten Teilen nationalistisch aufgeheizt und ideologisiert war, konnten die französischen Generäle über eine hochmotivierte Armee verfügen. Binnen zweier Jahre hatten die Franzosen nicht nur ihre Umzinglung durchbrochen, sondern auch das gesamte linke Rheinufer erobert. Anfang 1795 gab Preußen als erste der alten Mächte nach. Friedrich Wilhelm II. hatte sich soeben mit Rußland über die zweite polnische Teilung verständigt und dadurch das ohnehin schlechte Verhältnis zum Koalitionspartner Österreich auf einen neuen Tiefpunkt gebracht. Im Zuge dieser politischen Interessensverschiebung gen Osten schloß er einen Separatfrieden mit Frankreich, den Basler Frieden (5. April 1795), der Frankreich zum Entsetzen Österreichs und der süddeutschen Länder die linksrheinischen Eroberungen bestätigte. Doch die Dynamik des
Revolutionskrieges war nicht zu kontrollieren, auch Österreich mußte dem Druck der französischen Generäle - vor allem dem in Italien operierenden Napoleon Bonaparte - nachgeben und im Frieden von Campo Formio (19. Oktober 1797) der Annexion des linken Rheinlandes zustimmen. Daß damit das alte Reich, das heilige römische deutscher Nation, bereits erheblich zu bröckeln begann, wurde auf dem Ende 1797 einberufenen Rastatter Kongreß bereits allzu deutlich. Im zweiten antifranzösischen Koalitionskrieg raffte es sich noch einmal auf, bis ihm der Mann, der die zweite Phase der Revolutionskriege wie kein anderer überschatten sollte, den Todesstoß versetzte: Napoleon Bonaparte.
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Last updated 17 Februar 2002 -- 15:44
© 2001 Elisabeth Albenberger