Das
Gehirn als Bewußtseinsorgan
Durch Sinnesorgane und
Nerven ganz allgemein wird das Bewußtsein vermittelt.
Dabei liefert das diffuse vegetative Nervensystem, über
das die niederen Tiere allein verfügen, nur ein dumpfes
Einheitsbewußtsein. Je vielfältiger sich die äußeren
und inneren Sinne differenzieren, und je mehr das ZNS
diese Zersplitterung fortsetzt, desto vielgestaltiger
wird das Bewußtsein, desto mehr geht aber auch die
ursprüngliche Einheit verloren. Der lebendige
Zusammenhang der Welt wird durch die Sinne und durch das
Gehirn, zumindest was das bewußte Erleben betrifft,
zerstört der Abbauprozeß setzt sich also bis ins
Seelische fort!
Dieser
Zersplitterungsprozeß erreicht sein Maximum in der
"blutigen" Großhirnrinde, die beim Menschen am
stärksten ausgebildet ist. Das zeigt die anatomische
Struktur mit ihren verschiedenen spezifischen
Erregungsfeldern, die ganz bestimmten Sinnes- bzw.
Körperregionen zugeordnet sind, sehr deutlich:
Einzig das logische Vorderhirn, das umgewandelte und erweiterte
Riechhirn der Tiere, ist nicht bestimmten Körper- bzw.
Sinnesregionen zugeordnet. Was wird hier bewußt?
Jedenfalls weder die sinnliche Außenwelt, noch die
körperliche Innenwelt!
Durch die sensorische
hintere Großhirnrinde werden uns einzelne, unmittelbar
vor unseren Augen liegende Gegenstände, etwa diese ganz
bestimmte Rose, bewußt, wobei aber zunächst noch unklar
bleibt, wie die in das Bewußtsein tretenden einzelnen
Sinnesqualitäten (Farben, Formen etc.) zu einem
Gesamtbild zusammen gefügt werden. Immerhin, ein
bestimmter einzelner sinnlich gegebener Gegenstand wird
uns bewußt.
Durch das logische
Vorderhirn werden uns hingegen Allgemeinbegriffe (Universalien) bewußt: die
"Rose" schlechthin, oder weiter die
"Pflanze" usw. Diese können sinnlich nicht
wahrgenommen werden, woher kommen sie also? Sie
entstehen, so wird man heute wohl zunächst sagen, durch Abstraktion. Der Zersplitterungsprozeß,
verbunden mit einer eingrenzenden Selektion geht also
weiter. Aus dem sinnlich Wahrgenommenen wird nur das
Wesentliche herausgegriffen aber was ist
wesentlich? Verschiedene Rosen müssen miteinander
verglichen werden, um das Gleiche, das ihnen gemeinsam
ist, zu entdecken aber was ist wirklich gleich?
Was wird uns
durch das Gehirn eigentlich bewußt?
Physiologisch besehen
spielen sich im Gehirn elektrische und chemische Prozesse
ab; diese werden uns aber nicht bewußt! Diese
Prozesse werden entweder durch die Sinnesorgane, oder
durch unsere bewußte Denktätigkeit erregt, aber
nirgendwo im Gehirn finden wir Sinnesqualitäten oder
Gedanken. Im Gegenteil: auf dem Weg von den Sinnesorganen
zum Gehirn werden die Sinnesqualitäten vollständig
abgestreift, so daß eben nur elektrochemische Vorgänge
erscheinen. Nirgendwo im Gehirn erscheint eine Farbe oder
erklingt ein Ton. Und die Quelle der Gedanken selber ist
zunächst noch rätselhafter; der sinnlichen Wahrnehmung
entstammen sie nicht. Sie entsprechen eher einer,
wenngleich schattenhaften, geistigen Wahrnehmung, die
aber eng mit der Tätigkeit unseres Ich verbunden ist.
Damit ist aber klar:
Unser
Bewußtseinsinhalt ist mit den Gehirnprozessen nicht
identisch!
Vielmehr gilt:
Die untersinnlichen
elektrochemischen Gehirnprozesse spiegeln die sinnlichen Qualitäten und die
geistigen Gesetzmäßigkeiten in unser Bewußtsein, d.h.
in unsere Seele.
Das Gehirn ist
ein stark differenzierter Spiegelungsapparat
Die hinteren Teile der
Großhirnrinde spiegeln die einzelnen Sinnesqualitäten
wider, wobei, wie wir gesehen haben, jeweils bestimmte
Gehirnpartien auch nur ganz bestimmte Qualitäten
widerspiegeln können. Verletzungen in diesem Bereich
führen zu ganz spezifischen Verlusten der sinnlichen
Wahrnehmungsfähigkeit, die mehr oder weniger irreparabel
sind. Diese analytische Gehirntätigkeit könnte uns
allerdings nur einzelne freischwebende Töne, Farben etc.
bewußt machen. Daß wir die sinnliche Welt auch
gegenständlich wahrnehmen, ist damit noch nicht
erklärt. Zwar finden sich in der hinteren Gehirnrinde
auch Bereiche, die ganz bestimmte Formen, etwa aufrechte,
schräge oder krumme Linien widerspiegeln, die entstehen,
wenn verschiedene Farbbereiche aneinandergrenzen, aber
auch diese würden bloß chaotisch chaotisch
durcheinander wirbeln. Wie daraus unser gegenständliches
Weltbild entsteht, ist für die Gehirnforschung zunächst
äußerst rätselhaft:
"Das
Sehvermögen stellt die erstaunlichste unter unseren
Wahrnehmungserfahrungen dar. Die Sehrinde unterzieht das
invertierte Bild auf der Netzhaut des Auges einer
Vielzahl von sequentiellen und parallelen
Analyseverfahren. Merkmale wie Neigung, Richtung,
Bewegung, Form, Kontrast, Intensität und Farbe werden
zur Analyse ausgewählt, aber nirgendwo im Gehirn findet
ein Wiederaufbau des ursprünglichen Netzhautbildes statt
außer einem vereinzelten groben Echo für Gesicht
oder Hände in einigen Neuronen des unteren
Schläfenlappens. Und doch wird das ursprüngliche
Bild stereoskopisch im Geist erfahren."
John C.
Eccles, Wie das Selbst sein Gehirn steuert, Serie Piper
2286, München (1994), S 258)
Wie wir gesehen haben,
verfügt kein Tier über eine wirklich gegenständliche
räumliche Wahrnehmung, und auch der Mensch erwirbt sie
sich erst in allmählich in den ersten Lebensjahren. Und
das ist nur möglich, weil er sich durch seine aufrechte
Haltung vollständig in den Raum hinein orientiert,
namentlich auch, weil er mit seinen Händen geschickt
Gegenstände zu ergreifen und vielseitig zu manipulieren
vermag, wohingegen das Tier nur wenige arttypische
Tätigkeiten ausführen kann (Biberbau, Nüsse knacken,
Nestbau etc.). So wie der Vogel sein Nest baut, oder
überhaupt wie die ganze Natur etwa den Vogel, die
Pflanze oder die Mineralien baut, d.h. ihnen die typische
unverwechselbare Form verleiht, so baut sich der Mensch
aus den Sinnesqualitäten die gegenständliche Welt auf.
Und wie das Tier ist er sich des "Bauplanes",
den er dabei befolgt, zunächst nicht bewußt; er
erlebt nur das fertige Ergebnis.
Es ist die selbe
"natürliche Intelligenz", es sind die selben Bildekräfte, die draußen die Naturformen
weisheitsvoll gestalten, die, insofern sie sich im
Menschenwesen verinnerlicht haben, hier deren seelisches
Abbild erzeugen.
In der Natur bildet diese
"natürliche Intelligenz" unmittelbar die
physische Welt, die Mineralien, Pflanzen, Tiere und
letztlich auch den physischen Leib des Menschen. Und
erst, wenn diese Kräfte ihre körperbildende Aufgabe
erfüllt haben und dadurch frei geworden sind, können
sie nun auch die Seele bilden. Und das ist in höchstem
Maße beim Menschen der Fall, gerade weil er seinem
physischen Leibe nach weniger vollkommen ist als die
Tiere; nur dadurch gehen die Bildekräfte nicht
vollkommen in der Körperbildung auf. Außerdem ist nur
der Mensch ein wirklicher Mikrokosmos, der den ganzen
Umfang der natürlichen Bildekräfte ihrem Wesen nach in
sich vereinigt, wohingegen die Tiere nur über einseitig
orientierte Bildekräfte verfügt. Das Bewußtsein des
Tieres ist daher immer stark eingeengt, wohingegen das
menschliche Bewußtsein allseitig veranlagt ist. Nur dem
Menschen kann daher die ganze physische Welt so
erscheinen, wie sie als physische Welt wirklich ist.
Namentlich kann sie nur dem Menschen durch seine
Aufrichtekraft, die kein Tier besitzt, gegenständlich
bewußt werden.
Nur weil der Menschen die
physische Welt gegenständlich erfährt, weil er sich ihr
dadurch gegenüberstellen kann, erlebt er sich als von
der Welt getrenntes Ich.
In die Gehirnprozesse
greifen nun diese Bildekräfte derart ein, daß sie die
einzelnen Sinnesfelder in ihrer Tätigkeit aufeinander
abstimmen, sie synchronisieren. Wiederholen sich
ähnliche Prozesse häufiger, so führt das dazu, daß
verschiedene Bezirke der Hirnrinde dauerhaft durch
Nervenfasern verbunden werden. Bestimmte einfache
Strukturen der Sinneswelt, bestimmte typische
Verbindungen von Sinnesqualitäten können so auch dann
ins Bewußtsein gespiegelt werden, ohne daß die
Bildekräfte engagiert werden müßten. Besonders in den
ersten Lebensjahren werden viele dieser grundlegenden
Nervenverbindungen aufgebaut, soferne das Kind in einer
entsprechend reich strukturierten Sinnesumgebung
aufwächst. Einzig der Mensch besitzt dann in seinem
Gehirn einen Spiegelungsapparat, der die ganze Welt
widerspiegeln kann.
Daß das Gehirn wirklich
wie ein Spiegel funktioniert, wird auch dadurch klar,
daß das Bewußtsein eben nicht im Gehirn, oder, soweit
es die sinnliche Außenwelt betrifft, im Körper erwacht,
sonder vielmehr an den äußeren Gegenständen selbst. Es
wäre ganz falsch, zu glauben, das Bewußtsein sei etwas,
das in unserem Körper eingeschlossen ist; vielmehr
verbreitet es sich über unseren gesamten
Wahrnehmungshorizont. Nur weil jede sinnliche Wahrnehmung
zugleich von dem Bewußtsein unserer selbst begleitet
ist, und dieses zunächst tatsächlich in unserem
Inneren, namentlich im Bereich des Vorderhirns
aufleuchtet, kann der Irrtum entstehen, das das
Bewußtsein überhaupt in unserem Schädel lokalisiert
sei. Aber weder etwa das sinnliche Rot, noch das
Bewußtsein des Roten ist in unserem Gehirn zu finden.
Nirgendwo leuchtet, wenn man das Gehirn anatomisch
untersucht, die rote Farbe auf, und niemals wird uns das
Rot seelisch in unserem Gehirn bewußt, sondern vielmehr
draußen an den Gegenständen selbst. Nur wenn wir uns in
der Erinnerung das Rot vergegenwärtigen, erscheint es
seelisch bis zu einem gewissen Grade in uns.
So wie die hinteren
Gehirnpartien die sinnliche Umwelt widerspiegeln, so
reflektieren die mittleren Partien unsere gesamte
Körperoberfläche ins Bewußtsein (Körperfühlsphäre).
Der Mensch erfährt sich dadurch als von der Welt relativ
abgesondertes Wesen. Wenn etwa der Mensch einen
Gegenstand betastet, was im Grunde das Tier nicht kann,
so erfährt er sich dadurch am Gegenstand als davon
unterschiedenes, körperlich eigenständiges Wesen. Das
wird noch dadurch verstärkt, daß der Mensch auch seinen
eigenen Körper betasten kann, wodurch er sich noch mehr
seiner selbst bewußt wird. Dieses
oberflächenorientierte Körperbewußtsein muß streng
unterschieden werden von jenem Bewußtsein, das sich auf
die innere organische Tätigkeit richtet, und das viel
dumpfer und bei den Tieren wesentlich stärker als beim
Menschen ist. Das Tier, das noch dazu durch sein Fell
geschützt ist, macht diese Erfahrung seiner
körperlichen Begrenzung viel weniger. Innenwelt und
Außenwelt verschwimmen daher viel mehr in eins.
Das Vorderhirn, das beim
Menschen wesentlich stärker entwickelt ist als bei den
Tieren, spiegelt weder die sinnliche Umwelt, noch die
Körperoberfläche, vielmehr werden hier die abstrakten,
d.h. die der inneren und äußeren Sinnlichkeit
entkleideten logischen Gedanken bewußt gemacht. Das Denken ist der Prozeß, der die Gedanken
hervorbringt:
Gedanken
sind die seelisch erscheinenden Produkte des Denkens.
Das Denken selbst, das die
abstrakten Gedanken hervorbringt, wird uns normalerweise
ebensowenig bewußt, wie jene Bildekräfte, die aus den
Sinnesempfindungen das in sich zusammenhängende
Wahrnehmungsbild aufbauen.
Während den ins
Bewußtsein gespiegelten Sinnesqualitäten jeweils genau
umgrenzte Gehirnpartien entsprechen, lassen sich die
Gedanken nicht einzelnen gesonderten Abschnitten des
Vorderhirns zuordnen. Selbst relativ erhebliche
Verletzungen des Vorderhirns führen nicht dazu, daß uns
dann etwa bestimmte Gedanken nicht mehr bewußt werden
könnten. Auch insgesamt wird unsere intellektuelle
Fähigkeit durch derartige organische Beeinträchtigungen
nicht notwendig wesentlich verringert, höchstens wird
die Gedankenbildung etwas mühsamer und die Gedanken
etwas unschärfer.
Das menschliche Denken,
insofern es uns in Gedankenform durch das Gehirn
gespiegelt wird, ist mit dem Gehirn nur sehr lose
verbunden.
Wie unser ganzer
Organismus, so wird auch unser Gehirn durch die in der
Natur waltende Intelligenz, durch die natürlichen
Bildekräfte, das Weltendenken, aufgebaut. Mit dem
Vorderhirn wurde uns ein physisches Instrument verliehen,
durch das uns die die Welt durchziehende geistige
Schöpfertätigkeit als Gedankenschatten bewußt werden
kann. So wie sich durch die hinteren Gehirnpartien die
Sinneswelt spiegelt, so spiegelt sich durch das
Vorderhirn schemenhaft die geistige Welt.
So wie sich in den
Sinnesqualitäten die sinnliche Welt seelisch ausdrückt,
so erscheint zunächst in den Gedanken der seelische
Ausdruck der geistigen Welt.
So wie die Farben die
Taten und Leiden des Lichtes sind (Goethe), so sind die
Gedanken Taten und Leiden individueller geistiger Wesen. Es wäre ganz absurd, von einem
freischwebenden Weltendenken zu sprechen; das Denken ist
immer wesenhaft.
Die
menschliche Intelligenz
Es ist zunächst das
wesenhafte Weltendenken, das dem Menschen vermittels
seines Vorderhirns in Gedankenform bewußt wird. Der
Mensch ist an ihrer Produktion nicht bewußt beteiligt,
sondern er ist ihnen ähnlich passiv hingegeben wie den
Sinneseindrücken. Man darf daher von einer Gedankenwahrnehmung sprechen. Die griechische
Philosophie hat wesentlich daraus geschöpft, und Platons
"Ideen" sind durchaus noch etwas geistig
Wahrgenommenes. In den Platonischen Ideen erscheinen die
Taten der weltschöpferischen geistigen Wesenheiten in
Gedankenform.
Der Mensch ist aber selbst
auch ein geistiges Wesen, und daher können sich auch
seine eigenen geistigen Taten als Gedanken widerspiegeln.
Er ist dann den Gedanken nicht mehr passiv hingegeben,
sonder er bringt sie selbst aktiv hervor. Seit
Aristoteles ist dieses aktive menschliche Denken immer
stärker hervorgetreten. Und in diesem Denken, das zwar
gleicher Art wie das Weltendenken, aber wesenhaft von ihm
geschieden ist, liegt auch zunächst das menschliche Ich
beschlossen. Allerdings wird dem Menschen normalerweise
nicht das Denken selbst bewußt, sonder nur seine
Produkte, die Gedanken. Und so kennt der Mensch vorerst
auch nur den Gedanken des Ich, nicht aber das denkende
Ich selbst. Nur letzteres ist aber eine geistige
Realität, während der Ich-Gedanke nur sein wesenloser
Schatten ist. Daher entspricht etwa Descartes Ausspruch: "Ich denke,
also bin ich"
zwar einer richtigen Empfindung, aber das reale geistige
Ich vermochte er nicht zu fassen, sondern nur dessen
gedanklichen Schatten.
Sehr wesentlich
unterscheiden sich das Weltendenken und das menschliche
Denken darin, wie sie auf das Gehirn einwirken. Das
Weltendenken, die "natürliche Intelligenz",
baut das menschliche Gehirn auf. Das geschieht vorallem
in den ersten drei Lebensjahren des heranwachsenden
Kindes. Allerdings ist diesem Aufbauprozeß auch ein
geradezu dramatischer Absterbensprozeß beigefügt; denn
die endgültig Gehirngestalt entsteht dadurch, daß
unzählige der zunächst wild wuchernden Gehirnzellen
gezielt abgetötet werden; das Gehirn stirbt gleichsam in
seine Form hinein. Das gilt, wenngleich auch in
geringerem Maße, für den ganzen physischen Leib. Seine
differenzierte Struktur entsteht dadurch, daß die
überschäumenden Wachstumskräfte eingedämmt werden. Am
meisten von ihnen bleibt noch in der Stoffwechselregion
tätig, während sie aus dem Gehirn weitgehend
herausgedrängt werden. Was beim Neugeborenen noch der
Lebenspol war, aus dem das ganze Kind herauswächst, wird
nun zum Todespol. Weil aber hier nun die Bildekräfte aus
dem Gehirn herausgestoßen, von ihm geradezu
zurückgeworfen werden, können sie sich seelisch als
Gedanken spiegeln. Immerhin wirkt das Weltendenken aber
ein Leben lang derart auf das Gehirn ein, das immer
wieder neue Verbindungsfasern zwischen den einzelnen
Gehirnregionen ausgebildet bzw. erneuert werden. Das
menschliche Denken wirkt überhaupt nur abbauend auf das
Gehirn ein, es drängt die Gehirnorganisation geradezu
zurück. Bezüglich des Denkens sagt Rudolf Steiner in
seiner Philosophie der Freiheit:
"Dem
Wesenhaften, das im Denken wirkt, obliegt ein Doppeltes:
Erstens drängt es die menschliche Organisation in deren
eigener Tätigkeit zurück, und zweitens setzt es sich
selbst an deren Stelle."
(TB 627, S
117)
Tatsächlich ist, wie
Rudolf Steiner ausdrücklich betont, gerade das Gehirn
des scharfen energischen Denkers verhältnismäßig
einfach strukturiert! Und die Anthropologie liefert uns
Befunde, die vermuten lassen, daß die Gehirnentwicklung
seit etwa 20.000 Jahren, d.h. bereits seit der späteren
atlantischen Zeit, leicht rückläufig ist. Der
Entfaltung des menschlichen Denkens, das ja erst in der
griechisch-lateinischen Zeit so richtig einsetzt, geht
also bereits ein gewisser Gehirnabbau voraus! Die Größe
des Gehirns allein ist, wie der Anthropologe Robert D.
Martin, Leiter des Anthropologischen Instituts und
Museums der Universität Zürich, ausführt, für die
Intelligenz nicht maßgebend:
"Bislang
gibt es aber kein Indiz für eine unmittelbare
Korrelation zwischen irgendeinem Maß für Intelligenz
und der relativen Hirngröße bei heutigen menschlichen
Individuen."
Ganz im Gegenteil, gerade
jene Vormenschen, die im Zuge der Evolution aus der
menschheitlichen Entwicklung ausgeschieden wurden,
verfügten über ein größeres Gehirn als der moderne
Mensch:
"Seit
langem ist bekannt, daß der Neandertaler (Homo
neanderthalensis) im Durchschnitt ein absolut größeres
Gehirn hatte als heutige Menschen... Mittlerweile mehren
sich sogar die Belege dafür, daß auch die frühen
Vertreter unserer eigenen Art Homo Sapiens uns darin
übertrafen. Es sieht ganz danach aus, als ob ungefähr
im Laufe der letzten 20 000 bis 30 000 Jahre das
Gehirnvolumen im europäischen Raum abgenommen habe -
ohne gleichzeitige Verringerung der Körpergröße,
soweit sich diese überhaupt aus dem vorhandenen
Knochenmaterial ersehen läßt. Daß diese Reduktion
ausgerechnet in der Epoche der bedeutendsten
kulturellen Errungenschaften mit einer Abnahme in
der Komplexität des Werkzeuggebrauchs oder des
Sozialverhaltens einhergegangen sei, wird wohl niemand
behaupten mögen."
(Robert D.
Martin, Spektrum der Wissenschaft 9/1995, S 55)
Damit können wir auf den
Denkakt selber zurück kommen. Jeder Denkakt besteht also
aus zwei Schritten, von denen uns allerdings
normalerweise nur der letztere bewußt wird, und der dann
als Gedanke erscheint. Wer genau beobachtet "... kann
verfolgen, wie er zuerst, wenn er irgend etwas denken
will, notwendig hat, nicht bloß den Gedanken zu fassen,
sondern ihn vorzubereiten; das heißt, er hat sein Gehirn
zu präparieren. Hat er es präpariert soweit, daß es
spiegelt, dann hat er den Gedanken...Zuerst ergreift
diese Denkertätigkeit das Gehirn, respektive das
Zentralnervensystem irgendwo, übt eine Tätigkeit aus,
bewegt, sagen wir meinetwillen die atomistischen Teile in
irgendeiner Weise, bringt sie in irgendwelche Bewegungen.
Dadurch werden sie zum Spiegelapparat, und der Gedanke
wird reflektiert und der Seele als solcher Gedanke
bewußt. Wir haben also zwei Phasen zu unterscheiden:
Erst vom Geistig-Seelischen aus die Gehirnarbeit; dann
kommt die Wahrnehmung zustande, nachdem für diese
Wahrnehmung durch die Seele die vorbereitende
Gehirnarbeit getan ist. Beim gewöhnlichen Menschen
bleibt die Gehirnarbeit ganz im Unterbewußten; er nimmt
nur die Spiegelung wahr. Beim okkult forschenden Menschen
ist wirklich das vorhanden, daß man zunächst die
Vorbereitung erleben muß. Man muß erleben, wie man die
Seelentätigkeit hineingießen muß und das Gehirn erst
zubereiten muß, damit es sich herbeiläßt, einem den
Gedanken vorzustellen."
(GA 151, S
74f)
Die Zubereitung des
Gehirns als Spiegelungsapparat durch das Ich trifft aber
verschiedene Hirnpartien in unterschiedlichem Maße. In
der sensorischen Hirnrinde werden während der ersten
Lebensjahre die Nervenverbindungen so ausgebildet, daß
die gegenständliche Welt schließlich unmittelbar
gespiegelt wird. Sie springt daher im späteren Leben wie
von selbst in unser Bewußtsein, ohne daß unser Ich
daran unmittelbar beteiligt ist. Wir sind uns deshalb im
allgemeinen nicht bewußt, wie die Wahrnehmung eigentlich
zustande kommt. Nur unter ungünstigen Verhältnissen,
wie etwa in der Dämmerung, wird die Wahrnehmung unsicher
tastend; wir müssen dann erst bewußt überlegen, was
wir eigentlich sehen. Dann kann uns klar werden, daß in
jeder gegenständlichen Wahrnehmung neben den bloßen
Sinnesqualitäten auch ein gedankliches Element mit
enthalten ist, das die Farben, Töne, Gerüche usw. erst
zu einem sinnvollen, identifizierbaren Ganzen zusammen
ordnet. Die Nervenverbindungen, die sich in den hinteren
Gehirnbereichen ausbilden, sind ein physisches Abbild der
weisheitsvollen Beziehungen, die in der Sinneswelt
walten, und sie sind viel umfangreicher als die
abstrakten Überlegungen, die wir etwa in den
Naturwissenschaften anstellen. Da aber die Wahrnehmung
durch unsere Gehirnstruktur weitgehend automatisiert ist,
entgehen uns all die weisheitsvollen Gestaltungskräfte,
die die Naturwelt prägen. Das war selbst noch bei den
Griechen nicht in diesem Maße der Fall; sie hatten daher
noch ein dumpfes Bewußtsein von den Bildekräften, die
die sinnliche Natur gestalten. Die ganze griechische
Kunst schöpft aus dieser Quelle. Niemals arbeitete der
Grieche bloß nach einem äußeren Modell, sondern er
schöpfte noch viel unmittelbarer aus diesen natürlichen
Gestaltungskräften. Gerade dadurch bereitete er aber das
Gehirn zum automatisierten Spiegel der gegenständlichen
Welt zu, die wir deshalb heute so selbstverständlich
erleben. Schon die Renaissancekünstler waren daher auf
das Modell angewiesen, bis die ganze bildende Kunst
schließlich zum bloß nachahmenden Naturalismus
vertrocknete. Zugleich konnte mit der beginnenden Neuzeit
die moderne Naturwissenschaft entstehen, die die fertige
gegenständliche Welt als gegeben voraussetzte und nur
mehr deren abstrakte mechanische Gesetzmäßigkeiten
verfolgte.
Die tierische
Gehirnentwicklung gipfelte darin, daß das Gehirn zum
Spiegelungsapparat der Sinnesqualitäten zubereitet
wurde. Der Mensch setze diese Entwicklung derart fort,
daß seine sensorische Hirnrinde zu einem Abbild der
gesetzmäßigen Beziehungen der Sinnesqualitäten
zueinander wurde; die gegenständliche Wahrnehmung wurde
dadurch automatisiert. Im Zuge der
griechisch-lateinischen Kulturepoche erfuhr der Mensch
dadurch die sinnliche Welt immer mehr als eine fix und
fertig seiende, nicht mehr aber als eine werdende. Da das Bewußtsein am Aufbau der
Wahrnehmungswelt nicht mehr beteiligt ist, fühlt er sich
dieser Welt zugleich entfremdet. Er sieht sich als
Subjekt den fertigen Objekten gegenüber gestellt. Seine
bewußte seelische Aktivität wendet sich daher immer
mehr der abstrakten Gedankenbildung zu, die die Beziehung
der fertigen Gegenstände zueinander zu erfassen sucht,
deren eigentliche sinnliche Qualitäten sie aber als
uninteressant ansieht und durch Abstraktion abstreift.
Darauf beruht die moderne Naturwissenschaft.
Einen ganz anderen Weg
geht die goetheanistische Naturwissenschaft. Sie versetzt sich gleichsam mit
dem wachen Ich-Bewußtsein des erwachsenen Menschen in
jene Phase der kindlichen Entwicklung zurück, in der das
Gehirn noch kein fertiger Spiegelungsapparat für die
sinnlich-gegenständliche Welt war. Oder anders
ausgedrückt: der Goetheanist löst nach und nach die
fertig verdrahteten Gehirnverbindungen wieder auf, oder
benützt sie wenigstens nicht. Er taucht dadurch bewußt
in jene Gesetzmäßigkeiten ein, die die Naturformen erst
hervorbringen. Der moderne Naturwissenschafter analysiert
die gegenständliche Welt, löst sie in Einzelheiten auf,
verwirft von ihnen den aller größten Teil und behält
nur wenige "Daten" für sein abstraktes
Weltbild zurück. Der Goetheanist versucht die
Naturformen mit künstlerischem Sinn nachzugestalten; er
übt sich in aktiver Gestaltwahrnehmung oder Morphologie.
Er steigt von hier zur exakten sinnlichen Phantasie auf,
d.h. er versucht rein innerlich die sinnliche Erfahrung
so konkret als irgend möglich zu rekonstruieren. Er
steigt dadurch allmählich etwa von den einzelnen
Pflanzen zu der ihnen zugrunde liegenden Urpflanze auf,
aus der sich die einzelnen erscheinenden Pflanzen erst
ableiten. Die Urpflanze selbst ist nicht mehr sinnlicher,
sondern übersinnlicher Natur, und sie ist reicher,
beweglicher und umfassender als jede einzelne sinnlich
erfahrene Pflanze und viel wirklicher als diese. Jede
sinnliche Pflanze ist ihr gegenüber nur eine ärmere,
abstraktere Erscheinung. Die übersinnliche Urpflanze
wird dann als die höhere Wirklichkeit erfahren, die ihre
Schatten in Form der einzelnen Pflanzen in die Sinneswelt
wirft.
zunehmende
Abstraktion |
Urpflanze
Einzelne sinnliche Pflanze
Abstrakter Begriff "Pflanze" |
Goethanismus
abstrakte Naturwissenschaft |
So wie im Laufe der
griechisch-lateinischen Kulturperiode das Gehirn zu einem
physischen Abbild der gegenständlichen Welt zubereitet
wurde, so wird gegenwärtig das logische Vorderhirn zu
einem automatisierten Werkzeug des abstrakten Denkens
geformt. Dieser Prozeß ist allerdings noch nicht sehr
weit fortgeschritten; das Vorderhirn muß daher im Zuge
des Denkens stets wieder von neuem als Spiegel für das
abstrakten Denken hergerichtet werden. Gerade dadurch
aber werden uns die logischen Gedanken bewußt. Nur wenn
bestimmte abstrakte Gedankenprozesse regelmäßig
eingeübt werden, entstehen allmählich entsprechende
neuronale Verknüpfungen, die die Gedankenspiegelung
automatisieren. Ein aktives Denken ist dann nicht mehr
nötig, um derartige Gedanken vor unser Bewußtsein zu
bringen. Die Gedankenbildung selbst sinkt dabei aber
immer mehr ins Unbewußte ab. Die Intelligenz wird
automatisiert und schablonenhaft; das Denken wird in
den Gehirnstrukturen mumifiziert, das Gehirn wird dem
Computer ähnlich. Im
Gegensatz zu den lebendigen Bildekräften, die die
Sinneswelt gestalten und die in die sensorische Hirnrinde
eingeschrieben werden, bilden sich im vorderen
Hirnbereich nur mehr tote abstrakte Gedanken ab, die
sklerotisierend auf den ganzen Organismus zurückwirken.
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