1890
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Verhältnis
zu Mystik und Naturwissenschaft
Am Ende dieses
meines ersten Lebensabschnittes stellte sich in meinem Innern
die Notwendigkeit ein, zu gewissen Orientierungen der
Menschenseele ein deutlich-sprechendes Verhältnis zu
gewinnen. Eine dieser Orientierungen war die Mystik. So wie
diese in den verschiedenen Epochen der geistigen Entwickelung
der Menschheit, in der orientalischen Weisheit, im
Neuplatonismus, im christlichen Mittelalter, in den
kabbalistischen Bestrebungen, mir vor das Seelenauge trat,
konnte ich, durch meine besondere Veranlagung, nur schwer ein
Verhältnis zu ihr gewinnen.
Der Mystiker
schien mir ein Mensch zu sein, der mit der Welt der Ideen, in
der sich für mich das Geistige darlebte, nicht zurecht kommt.
Ich empfand es als einen Mangel an wirklicher Geistigkeit,
wenn man mit den Ideen, um zur seelischen Befriedigung zu
gelangen, in das ideenlose Innere untertauchen will. Ich
konnte darinnen keinen Weg zum Lichte, sondern eher einen
solchen zur geistigen Finsternis sehen. Wie eine Ohnmacht im
Erkennen erschien es mir, wenn die Seele die geistige
Wirklichkeit, die in den Ideen zwar nicht selbst webt, die
sich aber durch die Ideen vom Menschen erleben läßt, durch
die Flucht vor den Ideen erreichen will.
Und dennoch zog
mich auch etwas zu den mystischen Bestrebungen der Menschheit
hin. Es ist die Art des inneren Erlebens der Mystiker.
Sie wollen mit den Quellen des menschlichen Daseins im Innern
zusammenleben, nicht bloß auf diese durch die ideengemäße
Beobachtung als etwas Äußerliches schauen. Aber mir war auch
klar, daß man zu der gleichen Art des inneren Erlebens kommt,
wenn man mit dem vollen, klaren Inhalt der Ideenwelt in
die Untergründe der Seele sich versenkt, statt diesen Inhalt
bei der Versenkung abzustreifen. Ich wollte das Licht der
Ideenwelt in die Wärme des inneren Erlebens einführen. Der
Mystiker kam mir vor wie ein Mensch, der den Geist in den
Ideen nicht schauen kann, und der deshalb an den Ideen
innerlich erfriert. Die Kälte, die er an den Ideen erlebt,
zwingt ihn, die Wärme, deren die Seele bedarf, in der
Befreiung von den Ideen zu suchen.
Mir ging die
innere Wärme des seelischen Erlebens gerade dann auf, wenn
ich das zunächst unbestimmte Erleben der geistigen Welt in
bestimmte Ideen prägte. Ich sagte mir oft: wie verkennen doch
diese Mystiker die Wärme, die Seelen-Intimität, die man
empfindet, wenn man mit geistdurchtränkten Ideen
zusammenlebt. Mir war dieses Zusammenleben stets wie ein
persönlicher Umgang mit der geistigen Welt gewesen.
Der Mystiker
schien mir die Stellung des materialistisch gesinnten
Naturbetrachters zu verstärken, nicht abzuschwächen. Dieser
lehnt eine Betrachtung der geistigen Welt ab, weil er eine
solche entweder überhaupt nicht gelten läßt, oder weil er
vermeint, daß die menschliche Erkenntnis nur für das
Sinnlich-Anschaubare tauglich ist. Er setzt der Erkenntnis
dort Grenzen, wo solche die sinnliche Anschauung hat. Der
gewöhnliche Mystiker ist in bezug auf die menschliche
Ideen-Erkenntnis gleichen Sinnes mit dem Materialisten. Er
behauptet, daß Ideen nicht an das Geistige heranreichen, daß
man deshalb mit der Ideen-Erkenntnis stets außerhalb des
Geistigen bleiben müsse. Da er aber nun doch zum Geiste
gelangen will, so wendet er sich an ein ideenfreies inneres
Erleben. So gibt er dem materialistischen Naturbetrachter
Recht, indem er das Ideen-Erkennen auf die Erkenntnis des
bloß Natürlichen einschränkt.
Geht man aber
in das seelische Innere, ohne die Ideen mitzunehmen, so
gelangt man in die innere Region des bloßen Fühlens. Man
spricht dann davon, daß das Geistige nicht auf einem Wege
erreicht werden könne, den man im gewöhnlichen Leben einen
Erkenntnisweg nennt. Man sagt, man müsse aus der
Erkenntnissphäre in die der Gefühle untertauchen, um das
Geistige zu erleben.
Mit einer
solchen Anschauung kann sich der materialistische
Naturbetrachter dann einverstanden erklären, wenn er nicht
alles Reden vom Geiste als ein phantastisches Spiel mit Worten
ansieht, die nichts Wirkliches bedeuten. Er sieht dann in
seiner auf das Sinnenfällige gerichteten Ideenwelt die
einzige berechtigte Erkenntnisgrundlage und in der mystischen
Beziehung des Menschen zum Geiste etwas rein Persönliches, zu
dem man neigt oder nicht neigt, je nachdem man veranlagt ist,
von dem man aber
jedenfalls nicht so sprechen dürfe wie von dem Inhalt einer
«sicheren Erkenntnis». Man müsse eben das Verhältnis des
Menschen zum Geistigen ganz dem «subjektiven Fühlen»
überlassen.
Indem ich mir
dieses vor das Seelenauge stellte, wurden die Kräfte in
meiner Seele, die zur Mystik in innerer Opposition standen,
immer stärker. Die Anschauung des Geistigen im inneren
Seelen-Erlebnis war mir viel sicherer als diejenige des
Sinnenfälligen; Erkenntnisgrenzen gegenüber diesem
Seelen-Erlebnis zu setzen, war mir eine Unmöglichkeit. Den
bloßen Gefühlsweg zum Geistigen lehnte ich mit aller
Entschiedenheit ab.
Und dennoch -
wenn ich darauf blickte, wie der Mystiker erlebt, so
empfand ich wieder ein entfernt Verwandtes mit meiner eigenen
Stellung zur geistigen Welt. Ich suchte das Zusammensein mit
dem Geiste durch die vom Geiste durchleuchteten Ideen auf
dieselbe Art wie der Mystiker durch Zusammensein mit einem
Ideenlosen. Ich konnte auch sagen: Meine Anschauung beruhe auf
«mystischem» Ideen-Erleben.
Diesem
Seelenkonflikt im eigenen Innern diejenige Klarheit zu
schaffen, die schließlich über ihn erhebt, bestand keine
große Schwierigkeit. Denn die wirkliche Anschauung des
Geistigen wirft Licht auf den Geltungsbereich der Ideen, und
sie weist dem Persönlichen seine Grenzen. Man weiß als
Beobachter des Geistigen, wie im Menschen das Persönliche zu
wirken aufhört, wenn das Wesen der Seele sich zum
Anschauungsorgan der geistigen Welt umwandelt.
Die
Schwierigkeit ergab sich aber dadurch, daß ich die
Ausdrucksformen für meine Anschauungen in meinen Schriften zu
finden hatte. Man kann ja nicht sogleich eine neue
Ausdrucksform für eine Beobachtung finden, die den Lesern
ungewohnt ist. Ich hatte die Wahl: was ich zu sagen für
notwendig fand, entweder mehr in Formen zu bringen, die auf
dem Felde der Naturbetrachtung gewohnheitsmäßig angewendet,
oder in solche, die von mehr nach dem mystischen Empfinden
neigenden Schriftstellern gebraucht werden. Durch das letztere
schienen sich mir die sich ergebenden Schwierigkeiten nicht
hinwegräumen zu lassen.
Ich kam
zu der Meinung, daß die Ausdrucksformen auf dem Gebiete der
Naturwissenschaft in inhaltsvollen Ideen bestanden, wenn auch
zunächst der Inhalt ein materialistisch gedachter war. Ich
wollte Ideen bilden, die in ähnlicher Art auf das Geistige
deuten, wie die naturwissenschaftlichen auf das sinnlich
Wahrnehmbare. Dadurch konnte ich den Ideen-Charakter für das
beibehalten, was ich zu sagen hatte. Ein gleiches schien mir
bei dem Gebrauch von mystischen Formen unmöglich. Denn diese
weisen im Grunde nicht auf das Wesenhafte außer
dem Menschen,
sondern sie beschreiben nur die subjektiven Erlebnisse im
Menschen. Ich wollte nicht menschliche Erlebnisse beschreiben,
sondern zeigen, wie eine geistige Welt durch Geistorgane im
Menschen sich offenbart.
Aus solchen
Untergründen heraus bildeten sich die Ideengestalten, aus
denen dann später meine «Philosophie
der Freiheit» erwuchs. Ich wollte keine mystischen
Anwandlungen in mir beim Bilden dieser Ideen walten lassen,
trotzdem mir klar war, daß das letzte Erleben dessen, was in
Ideen sich offenbaren sollte, von der gleichen Art im Innern
der Seele sein mußte wie die innere Wahrnehmung des
Mystikers. Aber es bestand doch der Unterschied, daß in
meiner Darstellung der Mensch sich hingibt und die äußere
Geistwelt in sich zur objektiven Erscheinung bringt, während
der Mystiker das eigene Innenleben verstärkt und auf diese
Art die wahre Gestalt des objektiven Geistigen auslöscht.
TB 636 (XI.), S
127 ff
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