1900-1913
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Berlin
Es hat für mich etwas
Schmerzliches, wenn ich in Betrachtungen, die heute über
Anthroposophie angestellt werden, immer wieder Gedanken von der
Art lesen muß: der Weltkrieg hat in den Seelen der
Menschen Stimmungen erzeugt, die dem Aufkommen von allerlei
«mystischen» und ähnlichen Geistesströmungen günstig
sind, und wenn dann unter diesen Strömungen auch die
Anthroposophie angeführt wird.
Dem steht gegenüber, daß die
anthroposophische Bewegung mit Beginn des Jahrhunderts
begründet wurde, und daß seit dieser Begründung in ihr nie
etwas Wesentliches getan worden ist, was nicht aus dem inneren
Leben des Geistes veranlaßt gewesen wäre. Ich hatte vor zwei
und einhalb Jahrzehnten einen Inhalt von geistigen
Impressionen in mir. Ich gab ihnen Gestalt in Vorträgen,
Abhandlungen und Büchern. Was ich tat, tat ich aus geistigen
Impulsen. Im wesentlichen ist jedes Thema aus dem Geiste
herausgeholt. Es sind während des Krieges von mir auch Themen
besprochen worden, die von den Zeitereignissen veranlaßt
waren. Aber dem lag nichts von einer Absicht zugrunde, die
Zeitstimmung für Verbreitung der Anthroposophie auszunutzen.
Es geschah, weil Menschen gewisse Zeitereignisse von den
Erkenntnissen beleuchtet haben wollten, die aus der
Geisteswelt kommen.
Für Anthroposophie ist nie
etwas anderes angestrebt worden, als daß sie den Fortgang
nehme, der aus ihrer inneren, ihr aus dem Geiste gegebenen
Kraft möglich ist. - Für sie ist es so unzutreffend wie nur
irgend möglich, wenn man sie so hinstellt, als ob sie aus den
dunklen Abgründen der Seelen während der Kriegszeit habe
etwas gewinnen wollen. Daß die Zahl derer, die sich für
Anthroposophie interessieren, sich nach dem Kriege mehrte,
daß die anthroposophische Gesellschaft an Mitgliederzahl
wuchs, ist richtig; allein man sollte bemerken, wie alle diese
Tatsachen nie etwas an der Fortführung der anthroposophischen
Sache im Sinne, wie diese seit dem Beginne des Jahrhunderts
sich vollzog, geändert haben.
Die Gestalt, die aus dem innern
Geisteswesen heraus der Anthroposophie zu geben war, hat
zunächst sich gegen allerlei Widerstände der Theosophen in
Deutschland durchringen müssen.
Da war vor allem die Frage nach
der Rechtfertigung der Geist-Erkenntnis vor der
«wissenschaftlichen» Denkart der Zeit. Daß diese
Rechtfertigung notwendig sei, davon habe ich in diesem
«Lebensgang» öfter gesprochen. Ich nahm die Denkart, die in
der Natur-Erkenntnis mit Recht als «wissenschaftlich» galt,
und bildete diese für die Geist-Erkenntnis aus. Dadurch wurde
die Art der Natur-Erkenntnis allerdings etwas anderes für die
Geist-Beobachtung, als sie für die Naturbeobachtung ist; aber
den Charakter, wodurch sie als «wissenschaftlich» anzusehen
ist, behielt sie bei.
Für diese Art von
wissenschaftlicher Gestaltung der Geist-Erkenntnis hatten
diejenigen Persönlichkeiten, die sich im Beginne des
Jahrhunderts als die Träger der theosophischen Bewegung
betrachteten, weder Sinn noch Interesse.
Dr.
Hübbe-Schleiden und der «spirituelle» Atomismus
Es waren die Persönlichkeiten,
die sich um Dr. Hübbe-Schleiden gruppierten. Dieser hatte
als persönlicher Freund von H. P. Blavatsky schon in den
achtziger Jahren eine theosophische Gesellschaft von Elberfeld
aus begründet. An dieser Begründung war H. P. Blavatsky
selbst beteiligt. Dr. Hübbe-Schleiden gab dann in der
«Sphinx» eine Zeitschrift heraus, in der die theosophische
Weltanschauung zur Geltung kommen sollte. — Die ganze
Bewegung versiegte, und zur Zeit, als die deutsche Sektion der
Theosophischen Gesellschaft begründet wurde, war nichts davon
da, als eine Anzahl von Persönlichkeiten, die aber mich doch
als eine Art von Eindringling in ihre Sphäre betrachteten.
— Diese Persönlichkeiten warteten auf die
«wissenschaftliche Begründung» der Theosophie durch Dr.
Hübbe-Schleiden. Sie waren der Ansicht, daß, bevor diese
vorläge, innerhalb deutscher Gebiete auf diesem Felde
überhaupt nichts zu geschehen habe. Was ich zu tun begann,
erschien ihnen als Störung ihres «Wartens», als etwas
durchaus Schädliches. Aber sie zogen sich nicht ohne weiteres
zurück, denn Theosophie war doch «ihre» Sache; und wenn
etwas in ihr geschah, so wollten sie nicht abseits stehen.
Was verstanden sie unter der
«Wissenschaftlichkeit», die Dr. Hübbe-Schleiden begründen
sollte, durch die die Theosophie «bewiesen» werden sollte?
Auf Anthroposophie ließen sie sich gar nicht ein.
Sie verstanden darunter die
atomistische Grundlage des naturwissenschaftlichen
Theoretisierens und Hypothesenbildens. Die Erscheinungen der
Natur wurden «erklärt», indem man «Ur-Teile» der
Weltsubstanz sich zu Atomen, diese zu Molekülen gruppieren
ließ. Ein Stoff war dadurch da, daß er eine bestimmte
Struktur von Atomen in Molekülen darstellte.
Diese Denkart betrachtete man
als vorbildlich. Man konstruierte komplizierte Moleküle, die
die Grundlagen auch für Geist-Wirken sein sollten. Chemische
Vorgänge seien die Ergebnisse von Vorgängen innerhalb der
Molekularstruktur; für geistige Vorgänge müsse Ähnliches
gesucht werden.
Für mich war dieser Atomismus
in der Deutung, die er in der «Naturwissenschaft» bekommt,
schon innerhalb dieser etwas ganz Unmögliches; ihn ins
Geistige übertragen wollen, schien mir eine Denkverirrung,
über die man im Ernste nicht einmal sprechen kann.
Auf diesem Gebiete ist es für
meine Art, Anthroposophie zu begründen, immer schwierig
gewesen. Man versichert von gewissen Seiten her seit langer
Zeit, der theoretische Materialismus sei überwunden. Und in
dieser Richtung kämpfe Anthroposophie gegen Windmühlen, wenn
sie von Materialismus in der Wissenschaft rede. Mir war
dagegen immer klar, daß die Art von Überwindung des
Materialismus, von der man da spricht, gerade der Weg ist, ihn
unbewußt zu konservieren.
Mir kam immer wenig darauf an,
daß Atome in rein mechanischer oder sonst einer Wirksamkeit
innerhalb des materiellen Geschehens angenommen werden. Mir
kam es darauf an, daß die denkende Betrachtung von dem
Atomistischen — den kleinsten Weltgebilden — ausgeht und
den Übergang sucht zum Organischen, zum Geistigen. Ich sah
die Notwendigkeit, von dem Ganzen auszugehen. Atome oder
atomistische Strukturen können nur Ergebnisse von
Geistwirkungen, von organischen Wirkungen sein. — Von dem angeschauten
Urphänomen, nicht von einer Gedankenkonstruktion, wollte
ich im Geiste der Goethe'schen Naturbetrachtung den Ausgang
nehmen. Tief überzeugend war es mir immer, was in Goethes
Worten liegt, daß das Faktische schon Theorie sei,
daß man hinter diesem nichts suchen solle. Aber das
bedingt, daß man für die Natur das hinnimmt, was die Sinne
geben, und das Denken auf diesem Gebiete nur dazu benützt,
von den komplizierten, abgeleiteten Phänomenen
(Erscheinungen), die sich nicht übersehen lassen, zu den
einfachen, zu den Urphänomenen zu kommen. Da merkt man dann,
daß man es in der Natur wohl mit Farben- und anderen
Sinnesqualitäten zu tun hat, innerhalb deren Geist
wirksam ist; man kommt aber nicht zu einer atomistischen Welt
hinter der sinnenfälligen. Was von Atomismus Geltung haben
kann, gehört eben der Sinneswelt an.
Daß nach dieser Richtung ein
Fortschritt im Natur-Begreifen geschehen ist, kann
anthroposophische Denkart nicht zugeben. Was sich etwa in
Ansichten wie der Mach'schen, oder was sich neuerdings auf
diesem Gebiete zeigt, sind zwar Ansätze zum Verlassen des
Atom- und Molekülkonstruierens; sie zeigen aber, daß sich
dieses Konstruieren in die Denkweise so tief eingegraben hat,
daß man mit seinem Verlassen alle Realität verliert. Mach
hat nur noch von Begriffen als von ökonomischen
Zusammenfassungen der Sinneswahrnehmungen, nicht mehr von
etwas gesprochen, was in einer Geist-Realität lebt. Und den
Neueren geht es nicht anders.
Deshalb ist, was da als
Bekämpfung des theoretischen Materialismus auftritt, nicht
weniger weit von dem geistigen Sein, in dem Anthroposophie
lebt, entfernt, als es der Materialismus vom letzten Drittel
des neunzehnten Jahrhunderts war. Was damals von
Anthroposophie gegen die naturwissenschaftlichen
Denkgewohnheiten vorgebracht worden ist, gilt heute nicht in
abgeschwächtem, sondern in verstärktem Maße.
Die Darstellungen dieser Dinge
könnten wie theoretisierende Einschübe in diesen
«Lebensgang» erscheinen. Für mich sind sie es nicht; denn
was in diesen Auseinandersetzungen enthalten ist, das war für
mich Erlebnis, stärkstes Erlebnis, viel bedeutsamer,
als was von außen je an mich herangetreten ist.
«Luzifer» und «Lucifer-Gnosis»
Sogleich bei der Begründung
der deutschen Sektion der Theosophischen Gesellschaft erschien
es mir als eine Notwendigkeit, eine eigene Zeitschrift zu
haben. So begründeten denn Marie von Sivers und ich die
Monatsschrift «Luzifer». Der Name wurde damals
selbstverständlich in keinen Zusammenhang gebracht mit der
geistigen Macht, die ich später als Luzifer, den Gegenpol von
Ahriman, bezeichnete. So weit war damals der Inhalt der
Anthroposophie noch nicht ausgebildet, daß von diesen
Mächten schon hätte die Rede sein können. — Es sollte der
Name einfach «Lichtträger» bedeuten.
Obwohl es zunächst meine
Absicht war, im Einklang mit der Leitung der Theosophischen
Gesellschaft zu arbeiten, hatte ich doch vom Anfange an die
Empfindung: in Anthroposophie muß etwas entstehen, das aus seinem
eigenen Keim sich entwickele, ohne irgendwie sich, dem
Inhalte nach, abhängig zu stellen von dem, was die
Theosophische Gesellschaft lehren ließ. - Das konnte ich nur
durch eine solche Zeitschrift. Und aus dem, was ich in dieser
schrieb, ist ja in der Tat das herausgewachsen, was heute
Anthroposophie ist.
So ist es gekommen, daß
gewissermaßen unter dem Protektorate und der Anwesenheit von
Mrs. Besant die deutsche Sektion begründet wurde. Damals hat
Mrs. Besant auch einen Vortrag über Ziele und Prinzipien der
Theosophie in Berlin gehalten. Wir haben Mrs. Besant dann
etwas später aufgefordert, Vorträge in einer Reihe von
deutschen Städten zu halten. Es kamen solche zustande in
Hamburg, Berlin, Weimar, München, Stuttgart, Köln. — Trotz
alldem ist nicht durch irgend welche besondere Maßnahmen
meinerseits, sondern durch eine innere Notwendigkeit der Sache
das Theosophische versiegt, und das Anthroposophische in einem
von inneren Bedingungen bestimmten Werdegang zur Entfaltung
gekommen.
Marie von Sivers hat das alles
dadurch möglich gemacht, daß sie nicht nur nach ihren
Kräften materielle Opfer gebracht, sondern auch ihre gesamte
Arbeitskraft der Anthroposophie gewidmet hat. - Wir konnten
wirklich anfangs nur aus den primitivsten Verhältnissen
heraus arbeiten. Ich schrieb den größten Teil des
«Luzifer». Marie von Sivers besorgte die Korrespondenz. Wenn
eine Nummer fertig war, dann besorgten wir selbst das Fertigen
der Kreuzbänder, das Adressieren, das Bekleben mit Marken und
trugen beide persönlich die Nummern in einem Waschkorbe zur
Post.
Der «Luzifer» erfuhr bald
insofern eine Vergrößerung, als ein Herr Rappaport in Wien,
der eine Zeitschrift «Gnosis» herausgab, mir den Vorschlag
machte, diese mit der meinigen zu einer zu gestalten. So
erschien denn der «Luzifer» dann als «Lucifer-Gnosis».
Rappaport trug auch eine Zeitlang einen Teil der Ausgaben.
«Lucifer-Gnosis» nahm den
allerbesten Fortgang. Die Zeitschrift verbreitete sich in
durchaus befriedigender Weise. Es mußten Nummern, die schon
vergriffen waren, sogar zum zweiten Male gedruckt werden. Sie
ist auch nicht «eingegangen». Aber die Verbreitung der
Anthroposophie nahm in verhältnismäßig kurzer Zeit die
Gestalt an, daß ich persönlich zu Vorträgen in viele
Städte gerufen wurde. Aus den Einzelvorträgen wurden in
vielen Fällen Vortragszyklen. Anfangs suchte ich das
Redigieren von «Lucifer-Gnosis» neben dieser
Vortragstätigkeit noch aufrecht zu erhalten. Aber die Nummern
konnten nicht mehr zur rechten Zeit erscheinen, manchmal um
Monate zu spät. Und so stellte sich denn die merkwürdige
Tatsache ein, daß eine Zeitschrift, die mit jeder Nummer an
Abonnenten gewann, einfach durch Überlastung des Redakteurs
nicht weiter erscheinen konnte.
In der Monatsschrift «Lucifer-Gnosis»
konnte ich zur ersten Veröffentlichung bringen, was die
Grundlage für anthroposophisches Wirken wurde. Da erschien
denn zuerst, was ich über die Anstrengungen zu sagen hatte,
die die menschliche Seele zu machen hat, um zu einem eigenen
schauenden Erfassen der Geist-Erkenntnis zu gelangen. «Wie
erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten?» erschien in
Fortsetzungen von Nummer zu Nummer. Ebenso ward der Grund
gelegt zur anthroposophischen Kosmologie durch die
fortlaufenden Aufsätze «Aus der Akasha-Chronik».
Aus dem hier Gegebenen, und
nicht aus irgend etwas von der Theosophischen Gesellschaft
Entlehntem erwächst die anthroposophische Bewegung. Dachte
ich bei meinen Niederschriften der Geist-Erkenntnisse an die
in der Gesellschaft üblichen Lehren, so war es nur, um dem
oder jenem, das mir in diesen Lehren irrtümlich erschien,
korrigierend gegenüberzutreten.
Aufnahme in die «Esoterische
Schule» der Theosophischen Gesellschaft
In diesem Zusammenhang muß ich
etwas besprechen, das von gegnerischer Seite, in einen Nebel
von Mißverständnissen gehüllt, immer wieder vorgebracht
wird. Aus inneren Gründen brauchte ich gar nicht darüber zu
reden, denn es hat weder auf meinen Entwickelungsgang noch auf
meine öffentliche Wirksamkeit einen Einfluß gehabt. Und
gegenüber allem, was ich hier zu schildern habe, ist es eine
rein «private» Angelegenheit geblieben. Es ist meine
Aufnahme in die innerhalb der Theosophischen Gesellschaft
bestehende «Esoterische Schule».
Diese «Esoterische Schule»
ging auf H. P. Blavatsky zurück. Diese hatte für einen
kleinen inneren Kreis der Gesellschaft eine Stätte
geschaffen, in der sie mitteilte, was sie in der allgemeinen
Gesellschaft nicht sagen wollte. Sie hielt es wie andere
Kenner der geistigen Welt nicht für möglich, gewisse tiefere
Lehren der Allgemeinheit mitzuteilen.
Nun hängt all das zusammen mit
der Art, wie H. P. Blavatsky zu ihren Lehren gekommen ist. Es
gab ja immer eine Tradition über solche Lehren, die auf alte
Mysterien-Schulen zurückgehen. Diese Tradition wird in
allerlei Gesellschaften gepflegt, die streng darüber wachen,
daß von den Lehren aus den Gesellschaften nichts
hinausdringe.
Aber von irgend einer Seite
wurde es für angemessen gehalten, an H. P. Blavatsky solche
Lehren mitzuteilen. Sie verband dann, was sie da erhielt, mit
Offenbarungen, die ihr im eigenen Innern aufgingen. Denn sie
war eine menschliche Individualität, in der das Geistige
durch einen merkwürdigen Atavismus wirkte, wie es einst bei
den Mysterien-Leitern gewirkt hat, in einem
Bewußtseinszustand, der gegenüber dem modernen von der
Bewußtseinsseele durchleuchteten ein ins Traumhafte
herabgestimmter war. So erneuerte sich in dem «Menschen
Blavatsky» etwas, das in uralter Zeit in den Mysterien
heimisch war.
Für den modernen Menschen gibt
es eine irrtumsfreie Möglichkeit, zu entscheiden, was von dem
Inhalte des geistigen Schauens weiteren Kreisen mitgeteilt
werden kann. Mit Allem kann das geschehen, das der Forschende
in solche Ideen kleiden kann, wie sie der Bewußtseinsseele
eigen und wie sie ihrer Art nach auch in der anerkannten
Wissenschaft zur Geltung kommen.
Nicht so steht die Sache, wenn
die Geist-Erkenntnis nicht in der Bewußtseinsseele lebt,
sondern in mehr unterbewußten Seelenkräften. Diese sind
nicht genügend unabhängig von den im Körperlichen wirkenden
Kräften. Deshalb kann für Lehren, die so aus unterbewußten
Regionen geholt werden, die Mitteilung gefährlich werden.
Denn solche Lehren können ja nur wieder von dem
Unterbewußten aufgenommen werden. Und Lehrer und Lernender
bewegen sich da auf einem Gebiete, wo das, was dem Menschen
heilsam, was schädlich ist, sehr sorgfältig behandelt werden
muß.
Das alles kommt für
Anthroposophie deshalb nicht in Betracht, weil diese ihre
Lehren ganz aus der unbewußten Region heraushebt.
Der innere Kreis der Blavatsky
lebte in der «Esoterischen Schule» fort. — Ich hatte mein
anthroposophisches Wirken in die Theosophische Gesellschaft
hineingestellt. Ich mußte deshalb informiert sein über
alles, was in derselben vorging. Um dieser Information willen
und darum, weil ich für Vorgeschrittene in der
anthroposophischen Geist-Erkenntnis selbst einen engeren Kreis
für notwendig hielt, ließ ich mich in die «Esoterische
Schule» aufnehmen. Mein engerer Kreis sollte allerdings einen
ändern Sinn als diese Schule haben. Er sollte eine höhere
Abteilung, eine höhere Klasse darstellen für diejenigen, die
genügend viel von den elementaren Erkenntnissen der
Anthroposophie aufgenommen hatten. — Nun wollte ich überall
an Bestehendes, an historisch Gegebenes anknüpfen. So wie ich
dies mit Bezug auf die Theosophische Gesellschaft tat, wollte
ich es auch gegenüber der «Esoterischen Schule» machen.
Deshalb bestand mein «engerer Kreis» auch zunächst in
Zusammenhang mit dieser Schule. Aber der Zusammenhang lag nur
in den Einrichtungen, nicht in dem, was ich als
Mitteilung aus der Geist-Welt gab. So nahm sich mein engerer
Kreis in den ersten Jahren äußerlich wie eine Abteilung der
«Esoterischen Schule» von Mrs. Besant aus. Innerlich war er
das ganz und gar nicht. Und 1907, als Mrs. Besant bei uns am
theosophischen Kongreß in München war, hörte nach einem
zwischen Mrs. Besant und mir getroffenen Übereinkommen auch
der äußere Zusammenhang vollständig auf.
Daß ich innerhalb der
«Esoterischen Schule» der Mrs. Besant hätte etwas
Besonderes lernen können, lag schon deshalb außer dem
Bereich der Möglichkeit, weil ich von Anfang an nicht an
Veranstaltungen dieser Schule teilnahm, außer einigen
wenigen, die zu meiner Information, was vorgeht, dienen
sollten.
Es war ja in der Schule damals
kein anderer wirklicher Inhalt als derjenige, der von H. P.
Blavatsky herrührt, und der war ja schon gedruckt. Außer
diesem Gedruckten gab Mrs. Besant allerlei indische Übungen
für den Erkenntnisfortschritt, die ich aber ablehnte.
So war bis 1907 mein engerer
Kreis in einem auf die Einrichtung bezüglichen Sinne in einem
Zusammenhang mit dem, was Mrs. Besant als einen solchen Kreis
pflegte. Aber es ist ganz unberechtigt, aus diesen Tatsachen
heraus das zu machen, was Gegner daraus gemacht haben. Es
wurde geradezu die Absurdität behauptet, ich wäre zu der
Geist-Erkenntnis überhaupt nur durch die esoterische Schule
von Mrs. Besant geführt worden.
1903 nahmen dann Marie von
Sivers und ich wieder an dem Theosophischen Kongreß in London
teil. Da war denn auch aus Indien Colonel Olcott, der
Präsident der Theosophischen Gesellschaft, erschienen. Eine
liebenswürdige Persönlichkeit, der man noch ansah, wie sie
durch Energie und eine außerordentliche organisatorische
Begabung der Blavatsky Genösse sein konnte in der
Begründung, Einrichtung und Führung der Theosophischen
Gesellschaft. Denn nach außen hin war diese Gesellschaft in
kurzer Zeit zu einer großen Körperschaft mit einer
vorzüglichen Organisation geworden.
Marie von Sivers und ich traten
für kurze Zeit Mrs. Besant dadurch näher, daß diese in
London bei Mrs. Bright wohnte und wir für unsere späteren
Londoner Besuche auch in dieses liebenswürdige Haus
eingeladen wurden. Mrs. Bright und deren Tochter, Miß Esther
Bright, waren die Hausleute. Persönlichkeiten wie die
verkörperte Liebenswürdigkeit. Ich denke an die Zeit, die
ich in diesem Hause verbringen durfte, mit innerlicher Freude
zurück. Brights waren gegenüber Mrs. Besant treu-ergebene
Freunde. Ihr Bestreben war, das Band zwischen dieser und uns
enge zu knüpfen. Als es dann unmöglich wurde, daß ich mich
an die Seite von Mrs. Besant in gewissen Dingen — von denen
einige hier schon besprochen sind — stellte, da war das auch
zum Schmerze von Brights, die mit eisernen Banden kritiklos an
der geistigen Leiterin der Theosophischen Gesellschaft
festhielten.
Für mich war Mrs. Besant durch
gewisse Eigenschaften eine interessante Persönlichkeit. Ich
bemerkte an ihr, daß sie ein gewisses Recht habe, von der
geistigen Welt aus ihren eigenen inneren Erlebnissen zu
sprechen. Das innere Herankommen an die geistige Welt mit der
Seele, das hatte sie. Es ist dies nur später überwuchert
worden von äußerlichen Zielen, die sie sich stellte.
Für mich mußte ein Mensch
interessant sein, der aus dem Geiste heraus vom Geiste redete.
— Aber ich war andrerseits streng in meiner Anschauung, daß
in unserer Zeit die Einsicht in die geistige Welt innerhalb
der Bewußtseinsseele leben müsse.
Ich schaute in eine alte
Geist-Erkenntnis der Menschheit. Sie hatte einen traumhaften
Charakter. Der Mensch schaute in Bildern, in denen die
geistige Welt sich offenbarte. Aber diese Bilder wurden nicht
durch den Erkenntniswillen in voller Besonnenheit entwickelt.
Sie traten in der Seele auf, ihr aus dem Kosmos gegeben wie
Träume. Diese alte Geist-Erkenntnis verlor sich im
Mittelalter. Der Mensch kam in den Besitz der
Bewußtseinsseele. Er hat nicht mehr Erkenntnis-Träume. Er
ruft die Ideen in voller Besonnenheit durch den
Erkenntniswillen in die Seele herein. — Diese Fähigkeit
lebt sich zunächst aus in den Erkenntnissen über die
Sinneswelt. Sie erreicht ihren Höhepunkt als
Sinnes-Erkenntnis innerhalb der Naturwissenschaft.
Die Aufgabe einer
Geist-Erkenntnis ist nun, in Besonnenheit durch den
Erkenntniswillen Ideen-Erleben an die geistige Welt
heranzubringen. Der Erkennende hat dann einen Seelen-Inhalt,
der so erlebt wird wie der mathematische. Man denkt wie ein
Mathematiker. Aber man denkt nicht in Zahlen oder
geometrischen Figuren. Man denkt in Bildern der Geist-Welt. Es
ist, im Gegensatz zu dem wachträumenden alten
Geist-Erkennen, das vollbewußte Drinnenstehen in der
geistigen Welt.
Zu diesem neueren
Geist-Erkennen konnte man innerhalb der Theosophischen
Gesellschaft kein rechtes Verhältnis gewinnen. Man war
mißtrauisch, sobald das Vollbewußtsein an die geistige Welt
heranwollte. Man kannte eben nur ein Vollbewußtsein für die
Sinnenwelt. Man hatte keinen rechten Sinn dafür, dieses bis
in das Geist-Erleben fortzuentwickeln. Man ging eigentlich
doch darauf aus, mit Unterdrückung des Vollbewußtseins, zu
dem alten Traumbewußtsein wieder zurückzukehren. Und dieses
Rückkehren war auch bei Mrs. Besant vorhanden. Sie hatte kaum
eine Möglichkeit, die moderne Art der Geist-Erkenntnis zu
begreifen. Aber was sie von der Geist-Welt sagte, war doch aus
dieser heraus. Und so war sie für mich eine interessante
Persönlichkeit.
Weil auch innerhalb der ändern
Führerschaft der Theosophischen Gesellschaft diese Abneigung
gegen vollbewußte Geist-Erkenntnis vorhanden war, konnte ich
mich in bezug auf das Geistige in der Gesellschaft nie mit der
Seele heimisch fühlen. Gesellschaftlich war ich gerne in
diesen Kreisen; aber deren Seelenverfassungen gegenüber dem
Geistigen blieben mir fremd.
Ich war deswegen auch
abgeneigt, auf den Kongressen der Gesellschaft in meinen
Vorträgen aus meinem eigenen Geist-Erleben heraus zu reden.
Ich hielt Vorträge, die auch jemand hätte halten können,
der keine eigene Geist-Anschauung hatte. Diese lebte sofort
auf in den Vorträgen, die ich nicht innerhalb des Rahmens der
Veranstaltungen der Theosophischen Gesellschaft hielt, sondern
die herauswuchsen aus dem, was Marie von Sivers und ich von
Berlin aus einrichteten.
Da entstand das Berliner, das
Münchener, das Stuttgarter usw. Wirken. Andere Orte schlossen sich an. Da verschwand allmählich das Inhaltliche
der Theosophischen Gesellschaft; es erstand, was seine
Zustimmung fand durch die innere Kraft, die im
Anthroposophischen lebte.
Ich arbeitete, während in
Gemeinschaft mit Marie von Sivers die Einrichtungen für die
äußere Wirksamkeit getroffen wurden, meine Ergebnisse der
geistigen Schauung aus. Ich hatte ja auf der einen Seite zwar
ein vollkommenes Drinnenstehen in der Geist-Welt; aber ich
hatte etwa 1902, und für vieles auch noch die folgenden Jahre
zwar Imaginationen, Inspirationen und Intuitionen. Doch
schlössen sich diese erst allmählich zu dem zusammen, was
dann in meinen Schriften vor die Öffentlichkeit trat.
Durch die Tätigkeit, die Marie
von Sivers entfaltete, entstand ganz aus dem Kleinen heraus
der philosophisch-anthroposophische Verlag. Eine kleine
Schrift aus Nachschriften von Vorträgen zusammengestellt, die
ich in der hier erwähnten Berliner freien Hochschule hielt,
war ein erstes Verlagswerk. Die Notwendigkeit, meine
«Philosophie der Freiheit», die durch ihren bisherigen
Verleger nicht mehr verbreitet werden konnte, zu erwerben und
selbst für die Verbreitung zu sorgen, gab ein zweites. Wir
kauften die noch vorhandenen Exemplare und die Verlagsrechte
des Buches auf. — Das alles war für uns nicht leicht. Denn
wir waren ohne erhebliche Geldmittel.
Aber die Arbeit ging vorwärts,
wohl gerade deshalb, weil sie sich auf nichts Äußerliches,
sondern allein auf den inneren geistigen Zusammenhang stützen
konnte.
TB 636 (XXXII.), S
311 ff
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