1900-1913
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Berlin
Die «Theosophie»
Meine erste Vortragstätigkeit
innerhalb der Kreise, die aus der theosophischen Bewegung
hervorgewachsen waren, mußte sich nach den Seelenverfassungen
dieser Kreise richten. Man hatte da theosophische Literatur
gelesen und sich für gewisse Dinge eine gewisse Ausdrucksform
angewöhnt. An diese mußte ich mich halten, wenn ich
verstanden sein wollte.
Erst im Laufe der Zeit ergab
sich mit der vorrückenden Arbeit, daß ich immer mehr auch in
der Ausdrucksform die eigenen Wege gehen konnte.
Es ist daher dasjenige, was in
den Nachschriften der Vorträge aus den ersten Jahren der
anthroposophischen Wirksamkeit vorliegt, zwar innerlich,
geistig ein getreues Abbild des Weges, den ich einschlug, um
die Geist-Erkenntnis stufenweise zu verbreiten, so daß aus
dem Naheliegenden das Fernerliegende erfaßt werden sollte;
aber man muß diesen Weg auch wirklich nach seiner
Innerlichkeit nehmen.
Für mich waren die Jahre etwa
von 1901 bis 1907 oder 1908 eine Zeit, in der ich mit allen
Seelenkräften unter dem Eindruck der an mich herankommenden
Tatsachen und Wesenheiten der Geistwelt stand. Aus dem Erleben
der allgemeinen Geist-Welt wuchsen die besonderen Erkenntnisse
heraus. Man erlebt viel, indem man ein solches Buch wie die
«Theosophie» aufbaut. Es war bei jedem Schritte mein
Bestreben, nur ja im Zusammenhange mit dem wissenschaftlichen
Denken zu bleiben. Nun nimmt mit der Erweiterung und
Vertiefung des geistigen Erlebens dieses Streben nach einem
solchen Zusammenhang besondere Formen an. Meine «Theosophie»
scheint in dem Augenblicke, wo ich von der Schilderung der
Menschenwesenheit zur Darstellung der «Seelenwelt» und des
«Geisterlandes» komme, in einen ganz anderen Ton zu
verfallen.
Die Menschenwesenheit schildere
ich, indem ich von den Ergebnissen der Sinneswissenschaft
ausgehe. Ich versuche die Anthropologie so zu vertiefen, daß
der menschliche Organismus in seiner Differenziertheit
erscheint. Man kann ihm dann ansehen, wie er in seinen
unterschiedenen Organisationsweisen auch in
unterschiedener Art mit den ihn
durchdringenden geistig-seelischen Wesenhaftigkeiten verbunden
ist. Man findet die Lebenstätigkeit in einer
Organisationsform; da wird das Eingreifen des Ätherleibes
anschaulich. Man findet die Organe der Empfindung und
Wahrnehmung; da wird durch die physische Organisation auf den
Astralleib verwiesen. Vor meiner geistigen Anschauung standen
diese Wesensglieder des Menschen: Ätherleib, Astralleib, Ich
usw. geistig da. Für die Darstellung suchte ich sie an das
anzuknüpfen, was Ergebnisse der Sinneswissenschaft waren. -
Schwierig wird für den, der wissenschaftlich bleiben will,
die Darstellung der wiederholten Erdenleben und des sich durch
diese hindurch gestaltenden Schicksales. Will man da nicht
bloß aus der Geistschau sprechen, so muß man auf Ideen
eingehen, die sich zwar aus einer feinen Beobachtung der
Sinneswelt ergeben, die aber von den Menschen nicht gefaßt
werden. Der Mensch stellt sich vor eine solche feinere
Betrachtungsweise in Organisation und Entwickelung anders hin
als die Tierheit. Und beobachtet man dieses Anderssein, so
stellen sich aus dem Leben heraus die Ideen vom wiederholten
Erdenleben ein. Aber man beachtet es eben nicht. Und so
erscheinen dann solche Ideen nicht aus dem Leben geholt,
sondern willkürlich gefaßt oder einfach aus älteren
Weltanschauungen aufgegriffen.
Ich stand mit vollem
Bewußtsein diesen Schwierigkeiten gegenüber. Ich kämpfte
mit ihnen. Und wer sich die Mühe nehmen wollte, nachzusehen,
wie ich in aufeinanderfolgenden Auflagen meiner «Theosophie»
das Kapitel über die wiederholten Erdenleben immer wieder
umgearbeitet habe, gerade um dessen Wahrheiten an die Ideen
heranzuführen, die von der Beobachtung in der Sinneswelt
genommen sind, der wird finden, wie ich bemüht war, der
anerkannten Wissenschaftsmethode gerecht zu werden.
Noch schwieriger stellt sich
von diesem Gesichtspunkte aus die Sache bei den Kapiteln über
die «Seelenwelt» und das «Geisterland». Da erscheinen für
den, der die vorangehenden Ausführungen nur so gelesen hat,
daß er von dem Inhalte Kenntnis genommen hat, die
dargestellten Wahrheiten wie willkürlich hingeworfene
Behauptungen. Aber anders ist es bei dem, dessen Ideen-Erleben
durch das Lesen dessen, was an die Beobachtung der Sinneswelt
angeknüpft ist, eine Erkraftung erfahren hat. Für ihn haben
sich die Ideen zu selbständigem innerem Leben losgelöst von
dem Gebundensein an die Sinne. Und nun kann dann der folgende
Seelenvorgang in ihm sich ereignen. Er wird das Leben der
losgelösten Ideen gewahr. Sie weben und wirken in seiner
Seele. Er erlebt sie, wie er durch die Sinne Farben, Töne,
Wärme-Eindrücke erlebt. Und wie in Farben, Tönen usw. die
Naturwelt gegeben ist, so ist ihm in den erlebten Ideen die
Geist-Welt gegeben. - Wer allerdings so ohne inneren
Erlebnis-Eindruck die ersten Ausführungen meiner
«Theosophie» liest, daß er nicht ein Umwandeln seines
bisherigen Ideen-Erlebens gewahr wird, wer gewissermaßen an
die folgenden Ausführungen, trotzdem er das Vorangehende
gelesen hat, so herangeht, als ob er das Buch mit dem Kapitel
«Seelenwelt» zu lesen beginnen würde, der kann nur zu einem
Ablehnen kommen. Ihm erscheinen die Wahrheiten als unbewiesene
Behauptungen hingepfahlt. Aber ein anthroposophisches Buch ist
darauf berechnet, in innerem Erleben aufgenommen zu werden.
Dann tritt schrittweise eine Art Verstehen auf. Dieses kann
ein sehr schwaches sein. Aber es kann - und soll - da sein.
Und das weitere befestigende Vertiefen durch die Übungen, die
in «Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten?»
geschildert sind, ist eben ein befestigendes Vertiefen. Zum
Fortschreiten auf dem Geisteswege ist das notwendig; aber ein
richtig verfaßtes anthroposophisches Buch soll ein Aufwecker
des Geistlebens im Leser sein, nicht eine Summe von
Mitteilungen. Sein Lesen soll nicht bloß ein Lesen, es soll
ein Erleben mit inneren Erschütterungen, Spannungen und
Lösungen sein.
Ich weiß, wie weit das, was
ich in Büchern gegeben habe, davon entfernt ist, durch seine
innere Kraft ein solches Erleben in den lesenden Seelen
auszulösen. Aber ich weiß auch, wie bei jeder Seite mein
innerer Kampf darnach ging, nach dieser Richtung hin
möglichst viel zu erreichen. Ich schildere dem Stile nach
nicht so, daß man in den Sätzen mein subjektives
Gefühlsleben verspürt. Ich dämpfe im Niederschreiben, was
aus Wärme und tiefer Empfindung heraus ist, zu trockener,
mathematischer Stilweise. Aber dieser Stil kann allein
ein Aufwecker sein, denn der Leser muß Wärme und Empfindung
in sich selbst erwachen lassen. Er kann diese nicht in
gedämpfter Besonnenheit einfach aus dem Darsteller in sich
hinüberfließen lassen.
TB 636 (XXXIII.), S
323 ff
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