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Rudolf Steiner

Anthroposophische Leitsätze


Weitere Leitsätze, die für die Anthroposophische Gesellschaft vom Goetheanum ausgegeben werden

ZWEITER TEIL DER BETRACHTUNG: WAS OFFENBART SICH, WENN MAN IN DIE VORIGEN LEBEN ZWISCHEN TOD UND NEUER GEBURT ZURÜCKSCHAUT?

In einer zweiten Periode gelangt der Mensch aus dem Gebiet der Archai in das der Archangeloi. Mit diesen ist er aber nicht so körperlich-geistig verbunden, wie vorher mit den Archai. Seine Verbindung mit der Archangeloi-Hier-archie ist eine mehr geistige. Aber sie ist doch so innig, daß man für diese Zeit von einem Losgelöstsein des Menschen von der göttlich-geistigen Welt noch nicht sprechen kann. Die Erzengel-Hierarchie gibt dem Menschen das für seinen Ätherleib, was in diesem entsprechend ist der Gestalt im physischen Leib, die er den Archai verdankt. Wie der physische Leib durch die Gestalt der Erde angepaßt ist, um auf dieser Träger des Selbstbewußtseins zu sein, so der Ätherleib den außerirdischen kosmischen Kräfteverhältnissen. Im physischen Leib lebt die Erde, und im Ätherleib lebt die Sternenwelt. Was der Mensch an inneren Kräften in sich trägt, um auf der Erde so zu sein, daß er sich zugleich mit Haltung, Bewegung, Gebärde der Erde entreißt, das verdankt er der Schöpfung der Erzengel in seinem Ätherleib. Wie im physischen Leib die Erdenkräfte durch die Gestaltung leben können, so leben im Ätherleib die Kräfte, die aus dem Umkreis des Kosmos von allen Seiten auf die Erde zuströmen. Es sind die in der physisch erscheinenden Gestaltung lebenden Erdkräfte solche, die die Gestalt zu einer verhältnismäßig abgeschlossen-festen machen. Die Umrisse des Menschen bleiben mit untergeordneter Metamorphose für das Erdenleben fest; die Bewegungsfähig

keiten verfestigen sich in Gewohnheiten und so weiter. -Im Ätherleib herrscht fortwährende Beweglichkeit, die ein Spiegelbild ist der sich während des menschlichen Erdenlebens ändernden Sternenkonstellationen. Schon den Veränderungen des Himmels von Tag und Nacht entsprechend, gestaltet sich der Ätherleib; aber auch den Veränderungen, die zwischen der Geburt und dem Tode des Menschen vor sich gehen.

Diese Anpassung des Ätherleibes an die Himmelskräfte widerspricht nicht der allmählichen Loslösung des Sternen-, himmels von den göttlich-geistigen Mächten, von der in ändern Betrachtungen gesprochen worden ist. Es ist richtig, in ganz alten Zeiten lebte in den Sternen Götterwille und Götterintelligenz. In den späteren Zeiten sind diese in das «Berechenbare» übergegangen. Die Götter wirken nicht mehr durch das, was ihr Werk geworden ist, auf den Menschen. Aber der Mensch gerät allmählich durch seinen Ätherleib in ein eigenes Verhältnis zu den Sternen, wie er durch seinen physischen Leib in ein solches zur Erdenschwere gelangt.

Was der Mensch sich einfügt, wenn er zur Geburt auf Erden aus der Geistwelt herabsteigt, seinen Ätherleib, der in sich die außerirdischen kosmischen Kräfte aufnimmt, das wird in dieser zweiten Periode durch die Hierarchie der Archangeloi geschaffen.

Ein Wesentliches, das da der Mensch durch diese Hierarchie bekommt, ist die Zugehörigkeit zu einer Gruppe von Menschen auf Erden. Die Menschen sind über die Erde hin differenziert. Man hat, indem man in diese zweite Periode zurückschaut, nicht die heutige Rassen- und Völkerdifferenzierung vor sich, sondern eine etwas andere, eine mehr geistige. Eine solche, die davon herrührt, daß auf die verschiedenen Orte der Erde die Sternenkräfte in verschiedenen Konstellationen auftreffen. Auf der Erde, in Land- und Wasserverteilung, in Klima, in Pflanzenwuchs und so weiter lebt ja der Sternenhimmel. Insoferne sich der Mensch an diese Verhältnisse, die auf der Erde als Himmelsverhältnisse sind, anpassen muß, gehört diese Anpassung in den Ätherleib, und dessen Gestaltung ist eine Schöpfung des Chores der Archangeloi.

Nun aber treten gerade während dieser zweiten Periode die luziferischen und ahrimanischen Mächte in einer besonderen Art in das Menschenleben herein. Dieses Hereintreten ist notwendig, trotzdem es zunächst so erscheint, als ob es den Menschen unter seine Wesenheit herabdrücken würde.

Der Mensch muß, wenn er im Erdenleben Selbstbewußtsein entwickeln soll, von der göttlich-geistigen Welt, aus der er ursprünglich hervorgegangen ist, in einem stärkeren Maße loskommen, als dies durch diese Welt selbst geschehen kann. Es geschieht in der Zeit, da die Erzengel an ihm wirken, weil da die Verbindung mit der Geistwelt nicht mehr eine so feste ist, wie sie während des Wirkens der Archai an ihm war. Den mehr geistigen Kräften, die von den Erzengeln ausgehen, sind Luzifer und Ahriman mehr gewachsen als den stärkeren der Archai.

Es wird von den luziferischen Mächten die Äthergestaltung mit einer stärkeren Neigung für die Sternenwelt durchsetzt, als sie haben würde, wenn nur die ursprünglich mit dem Menschen verbundenen göttlich-geistigen Mächte wirken würden. Und es wird durch die ahrimanischen Mächte die physische Gestaltung stärker in die Erdenschwere verstrickt, als es geschehen würde, wenn diese Mächte nicht wirken könnten.

Dadurch wird in den Menschen der Keim des vollen Selbstbewußtseins und des freien Willens gelegt. Wenn auch die ahrimanischen Mächte den freien Willen hassen: im Menschen bewirken sie, da sie ihn losreißen von seiner göttlichgeistigen Welt, die Keimanlage dieses freien Willens.

Zunächst aber, in dieser zweiten Periode, wird, was die verschiedenen Hierarchien von den Seraphim bis zu den Erzengeln in dem Menschen bewirkt haben, mehr in den physischen und Ätherleib hineingedrückt, als es ohne luzi-ferischen und ahrimanischen Einfluß geschehen könnte. Ohne diesen Einfluß bliebe die Wirkung der Hierarchien mehr im Astralleib und im Ich.

Dadurch entsteht nicht jene mehr geistige, von den Erzengeln angestrebte Gruppierung der Menschheit über die Erde hin.

In seinem Eingedrücktsein in den physischen und Ätherleib werden die geistigen Kräfte in ihr Gegenteil gewandelt. Es entsteht statt der mehr geistigen Differenzierung die nach Rassen und Völkern.

Ohne den luziferischen und ahrimanischen Einfluß sähen sich die Menschen auf Erden vom Himmel herunter differenziert. Die Gruppen verhielten sich zueinander in ihrem Leben wie Wesen, die Geistiges willig in Liebe einander geben und voneinander nehmen. In Rassen und Völkern erscheint die Erdenschwere durch den Leib des Menschen; in der geistigen Gruppierung wäre ein Spiegelbild der göttlich-geistigen Welt erschienen.

Mit alle dem mußte die spätere volle Selbstbewußtheit in der menschlichen Entwickelung schon vorher veranlagt werden. Das bedingte wieder, daß zwar gemildert, aber doch in einer gewissen Form die uralte Menschendifferenzierung erhalten blieb, die bestand, als der Mensch einst überging von der Hierarchie der Exusiai an diejenige der Archai.

Der Mensch hat wie in einer kosmischen Schule dieses Entwickelungsstadium empfindend-anschauend erlebt. Er hat zwar noch nicht ein Wissen davon entwickelt, daß dies eine wesentliche Vorbereitung für seine spätere Selbstbewußtheit sei. Aber das empfindende Anschauen seiner Entwickelungskräfte damals war doch wichtig für die Eingliederung der Selbstbewußtheit in Astralleib und Ich.

In bezug auf das Denken ist damals dies geschehen, daß der Mensch durch die luziferischen Mächte mit der Neigung ausgestattet wurde, sich in die alten Formen des Geistigen auch weiter zu versenken und sich den neuen Formen nicht anzupassen. Denn Luzifer hat ja stets das Bestreben, für den Menschen die früheren Formen des Lebens zu bewahren.

Und dadurch bildete sich das Denken des Menschen so aus, daß er allmählich in den Leben zwischen Tod und neuer Geburt diejenige Fähigkeit ausgestaltete, die in uralten Zeiten Gedanken in ihm bildete. Damals konnte diese Fähigkeit das Geistige schauen, trotzdem sie so war wie gegenwärtig die bloße Sinnesauffassung. Denn das Physische trug damals das Geistige an seiner Oberfläche. Jetzt aber kann die von damals bewahrte Denkfähigkeit nurmehr als Sinneswahrnehmung wirken. Allmählich nahm die Fähigkeit, denkend sich zum Geistigen zu erheben, ab. Und voll trat dies erst zutage, als im Zeitalter der Bewußtseinsseele die geistige Welt für den Menschen in gänzliche Dunkelheit gehüllt wurde. Da kam es, daß im neunzehnten Jahrhundert die besten Naturforscher, die nicht Materialisten werden konnten, sagten: uns bleibt nichts übrig, als bloß die Welt zu erforschen, die sich nach Maß, Zahl und Gewicht und durch die Sinne erforschen läßt; aber wir haben kein Recht, eine geistige Welt zu leugnen, die sich hinter dieser sinnlichen verbirgt. Also der Hinweis darauf, daß eine dem Menschen unbekannte helle Welt sein könne, wo er nur in die Finsternis starrt.

Wie durch Luzifer das Denken im Menschen verschoben wurde, so durch Ahriman der Wille. Der wurde mit einer Tendenz zu einer Art von Freiheit begabt, in die er erst später hätte eintreten sollen. Diese Freiheit ist keine wirkliche, sondern die Illusion der Freiheit. In dieser Freiheits-Illusion lebte die Menschheit lange. Das gab ihr keine Möglichkeit, geistgemäß die Idee der Freiheit zu entwickeln. Man pendelte hin und her zwischen den Meinungen, der Mensch sei frei, oder auch, er sei in eine starre Notwendigkeit eingesponnen. Und als dann mit dem heraufziehenden Bewußtseinszeitalter die wirkliche Freiheit kam, da konnte man sie nicht erkennen, weil man das Erkennen allzu lange in die Illusion der Freiheit eingesponnen hatte.

Alles, was sich in diesem zweiten Stadium der Entwickelung der Leben zwischen dem Tode und einer neuen Geburt in das Wesen des Menschen eingesenkt hat, das trug er als kosmische Erinnerung in das dritte Stadium hinein, in dem er noch gegenwärtig lebt. Er steht in diesem Stadium zu der Hierarchie der Angeloi in einem ähnlichen Verhältnis, wie er während des zweiten zu derjenigen der Archangeloi gestanden hat. Nur ist das Verhältnis zu den Angeloi so, daß durch sie die volle selbständige Individualität zustande kommt. Denn die Angeloi - jetzt nicht der Chor, sondern einer für einen Menschen - beschränken sich darauf, das rechte Verhältnis der Leben zwischen Tod und neuer Geburt und der Erdenleben zu bewirken.

Eine zunächst merkwürdige Tatsache ist diese, daß für den einzelnen Menschen im zweiten Stadium seiner Entwickelung der Leben zwischen Tod und neuer Geburt die ganze Hierarchie der Archangeloi wirkt. Später fällt dieser Hierarchie die Lenkung der Volksstämme zu. Und da ist für ein Volk ein Erzengel als Volksgeist. In den Rassen bleiben die Urkräfte tätig. Und wieder wirkt für eine Rasse ein Wesen aus der Hierarchie der Urkräfte als Rassengeist.

So enthält der gegenwärtige Mensch auch in dem Leben zwischen Tod und neuer Geburt die kosmische Erinnerung an vorangehende Stadien dieses Erlebens. Und auch da, wo in der physischen Welt Geistgeleitetes in der Art auftritt, wie in Rassen und Völkern, ist diese kosmische Erinnerung deutlich da.

Goetheanum, Jahreswende 1925.

 

Lit.: GA 26

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