Wenn nun also, fuhr sie fort, dies beständig der
Gegenstand der Liebe ist, auf welche Weise muß
man ihn denn verfolgen und welches Verfahren bei
seiner Mühe und Anstrengung einschlagen, um ihr
den Namen der Liebe im eigentlichen Sinne zu erwerben? Was für einer Tätigkeit gelingt dies?
Vermagst du mir das zu sagen?
Dann würde ich, liebe Diotima, warf ich ein,
dich doch wohl nicht wegen deiner Weisheit bewundern und zu dir gegangen sein, um eben dies zu
lernen.
So will ich es dir denn sagen, sprach sie. Es ist
dies die Zeugung im Schönen, dem Körper wie
dem Geiste nach.
Sehergabe gehört dazu, um zu wissen, was du
meinst, versetzte ich: ich fasse es nicht.
So will ich es dir denn deutlicher sagen, erwiderte sie. Alle Menschen nämlich tragen
Zeugungsstoff in sich, körperlichen sowie geistigen, und
wenn wir zu einem gewissen Alter gelangt sind, so
strebt unsere Natur zu erzeugen. Im Häßlichen aber
vermag sie nicht zu erzeugen, wohl aber im Schönen. Zeugung nämlich ist die Vereinigung des
Mannes und Weibes. Es ist dies aber ein göttlicher
Akt, und dies beides liegt in den sterblichen Wesen
als ein Unsterbliches, Schwangerschaft und Erzeugung. Es kann dieser Akt aber da nicht vor sich
gehen, wo es an Einklang fehlt. Im Widerspruch
mit allem, was göttlich heißt, steht nun aber das
Häßliche, und nur das Schöne im Einklang damit!
Eine leitende und entbindende Göttin ist daher die
Schönheit bei der Geburt. Wenn nämlich das, was
den Zeugungsstoff in sich trägt, dem Schönen sich
nähert, dann empfindet es Lust und zerfließt in
Wonne und gebiert und erzeugt; wenn es aber dem
Häßlichen sich nähert, dann zieht es sich finster
und traurig in sich selbst zurück und wendet sich
ab und rollt sich zusammen und erzeugt nicht, sondern hält mit Schmerzen seinen Zeugungsstoff an
sich. Darum trägt denn auch das Schwangere und
schon vom Zeugungstriebe Strotzende eine so heftige Leidenschaft zu dem Schönen, weil es durch
dieses großer Wehen entledigt wird. Es ist nämlich,
mein Sokrates, fuhr sie fort, die Liebe nicht, wie du
glaubst, auf das Schöne als solches gerichtet.
Auf was denn sonst?
Auf die Erzeugung und Geburt im Schönen.
Es mag sein, erwiderte ich.
Es ist so, versicherte sie.
Warum denn aber auf die Erzeugung?
Weil die Zeugung das Ewige und Unsterbliche
ist, soweit dies vom Sterblichen erreicht werden
kann. Daher muß denn nach dem Zugestandenen
die Liebe in und mit dem Guten auch zugleich auf
die Unsterblichkeit gerichtet sein, wenn anders sie
doch nach dem dauernden Besitze des Guten strebt.
So ist denn nach dieser Darlegung notwendig auch
die Unsterblichkeit Gegenstand der Liebe.
Dieses alles nun lehrte sie mich, sooft sie über
die Liebe mit mir redete, und einstmals fragte sie
mich: Was hältst du wohl für die Ursache dieser
Liebe und dieses Verlangens, mein Sokrates? Oder
siehst du nicht, in wie heftiger Aufregung die Tiere
sind, wenn der Trieb der Zeugung sie ergreift, die
vierfüßigen sowohl wie die Vögel, wie sie alle
krank sind vor Liebe, und wie dieser ihr Trieb nicht
bloß auf die gegenseitige Vermischung gerichtet
ist, sondern ebensogut darauf, das Erzeugte aufzuziehen, und wie die schwächsten Tiere mit den
stärksten für ihre Jungen zu kämpfen und für sie zu
sterben bereit sind, und wie sie sich selbst vom
Hunger verzehren lassen, um nur ihnen Nahrung zu
bieten, und überhaupt alles für sie tun? Von den
Menschen nun, fuhr sie fort, könnte man wohl
glauben, daß dies aus Überlegung geschehe; was
aber ist bei den Tieren der Grund, daß die Liebe sie
so mächtig treibt? Kannst du mir das sagen?
Und ich erklärte wiederum, daß ich es nicht
wisse, und sie erwiderte: Denkst du denn jemals
tüchtig in der Liebeskunde zu werden, wenn du das
nicht begreifst?
Aber eben deswegen ja, liebe Diotima, wie ich
eben schon sagte, komme ich zu dir, weil ich weiß,
daß ich der Lehrer bedarf. Darum gib du mir den
Grund hiervon und von allem anderen an, was sich
auf die Liebe bezieht!
Wenn du also glaubst, sprach sie, daß die Liebe
ihrer Natur nach sich auf dasjenige bezieht, worüber wir wiederholt übereingekommen sind, so laß
dich dies nicht wundernehmen. Denn auch hier (in
den unvernünftigen Tieren) sucht die sterbliche
Natur ganz nach eben dem obigen Grunde nach
Vermögen fortzudauern und unsterblich zu sein.
Sie vermag dies aber eben nur auf diese Weise,
durch die Zeugung, daß sie immer ein ebensolches
Junges an der Stelle des Alten zurückläßt. Denn
selbst solange man auch von jedem einzelnen unter
den lebenden Wesen sagt, es lebe und sei dasselbe
so wie man von Kindesbeinen auf derselbe genannt
wird bis zum Alter. - so wird ihm diese Bezeichnung doch nur dem zum Trotze gegeben, daß man
niemals dieselben Teile in sich faßt, sondern sie be-
ständig erneuert und wieder abwirft: so Haare,
Fleisch, Knochen, Blut und überhaupt den gesamten Körper. Und nicht bloß mit dem Körper steht
es also, sondern auch in der Seele bleiben der Charakter, die Gewohnheiten, Meinungen, Begierden,
Freude, Schmerz, Furcht, in einem jeden niemals
dieselben, sondern das eine von ihnen ist erst im
Entstehen, während das andere schon wieder im
Vergehen begriffen ist. Was aber noch viel merkwürdiger ist, - auch selbst von den Erkenntnissen
sind nicht etwa bloß die einen erst im Entstehen,
während die andern schon wieder verschwinden,
und wir sind nicht einmal in bezug auf die Erkenntnisse dieselben, sondern jede einzelne Erkenntnis
für sich erleidet den gleichen Wechsel. Denn was
man nachsinnen nennt, geschieht doch, weil eine
Erkenntnis im Entschwinden begriffen ist; Vergessen nämlich ist das Entschwinden der Erkenntnis,
das Nachsinnen aber setzt eine neue Erinnerung an
die Stelle der abgegangenen und erhält so die Erkenntnis, so daß sie dieselbe zu bleiben scheint.
Denn auf diese Weise erhält sich alles Sterbliche,
nicht dadurch, daß es beständig und überall dasselbe bleibt, wie das Göttliche, sondern dadurch, daß
das Abgehende und Veraltende stets ein anderes.
Neues von derselben Art zurückläßt, wie es selber
war. Durch dieses Mittel, mein Sokrates, fuhr sie
fort, hat das Sterbliche teil an der Unsterblichkeit,
der Körper sowohl wie alles andere, das Unsterbliche aber auf einem anderen Wege. Wundere dich
also nicht, wenn ein jedes von Natur seine Sprößlinge werthält; denn der Unsterblichkeit wegen
haftet dieses eifrige Streben und diese Liebe an einem
jeden.
Und ich ward verwundert, als ich diese Lehre
vernahm, und sprach: So weit wären wir denn;
aber, weise Diotima, verhält sich dies denn auch in
Wirklichkeit so?
Sie aber erwiderte mir in der Weise der rechten
Sophisten: Sei überzeugt davon, mein Sokrates!
Denn auch wenn du auf den Ehrgeiz unter den
Menschen hinblicken willst, so müßtest du dich
über das Vernunftwidrige desselben wundern,
wenn du nicht eben das von mir Bemerkte in Betracht ziehst, sobald du erwägst, wie gewaltig die
Liebe zum Ruhme und das Streben sie mitnimmt,
sich einen großen und unsterblichen Namen für
ewige Zeiten zu begründen, und wie hierfür alle
noch mehr als für ihre Kinder bereit sind. Gefahren
zu bestehen und ihr Vermögen zu opfern und jegliche Mühsale zu ertragen, ja sogar dafür in den Tod
zu gehen. Denn glaubst du wohl, daß Alkestis für
Admetos gestorben oder Achilleus dem Patroklos
in den Tod gefolgt oder euer Kodros seinen Kindern in den Tod vorangegangen wäre, um ihnen die
Herrschaft zu erhalten, wenn sie nicht erwartet hätten, das Andenken ihres Heldenmutes würde ein
unsterbliches sein, wie wir es jetzt in der Tat ihnen
zollen? Weit gefehlt, fuhr sie fort, sondern für den
unsterblichen Ruhm ihres Heldenmutes und für ein
solches ehrenvolles Andenken tun, meine ich, alle
alles, um so mehr, je edler geartet sie sind: denn sie
lieben das Unsterbliche.
Diejenigen nun also, fuhr sie fort, welche dem
Leibe nach zeugungslustig sind, wenden sich mehr
zu den Weibern und suchen bei ihnen ihrer Liebe
Befriedigung, um sich durch die Zeugung von Kindern Unsterblichkeit, Andenken und Glückseligkeit
für alle Folgezeit, wie sie meinen, zu erwerben; die
aber, die es der Seele nach sind,... - es gibt nämlich auch solche, deren Seele noch zeugungslustiger
ist als ihr Körper, in dem, was der Seele zukommt,
zu erzeugen und fort und fort zu erzeugen. Was
aber kommt ihr zu? Weisheit und alle andere Tugend. Deren Erzeuger nun sind gewiß alle Dichter
und alle diejenigen Künstler, welche man als die
schaffenden bezeichnet. Der bei weitem höchste
und schönste Teil der Weisheit, sprach sie weiter,
ist aber der, welcher sich in der Verwaltung der
Staaten und des Hauswesens zeigt und dessen
Name maßhaltende Besonnenheit und Gerechtigkeit ist. Wenn also hier - mit wiederum jemand
von Jugend auf in seinem Geiste schwanger geht,
göttlicher Begeisterung voll, und wenn dann seine
Jahre kommen, in denen er bereits zu gebaren und
zu erzeugen begehrt, dann sucht auch dieser, wie
ich denke, nach dem Schönen, in welchem er
fruchtbar werde: denn in dem Häßlichen wird er es
niemals werden. Schöne Körper liebt er daher mehr
als häßliche in seiner Zeugungslust, und wenn er
eine schöne und edle und wohlbegabte Seele trifft,
dann umfaßt er beides in seiner Vereinigung mit
außerordentlicher Liebe, und für einen solchen
Menschen hat er sogleich eine Fülle von Reden bereit, über die Tugend und darüber, wie ein
wackerer Mann beschaffen sein und was er betreiben
müsse, und er sucht ihn zu bilden. Indem er nämlich mit dem Schönen in Berührung und
Gemeinschaft kommt, wie ich denke, gebiert und erzeugt
er, womit er schon lange schwanger ging, indem er
anwesend und abwesend sich seiner erinnert; und
in Gemeinschaft mit ihm zieht er das Erzeugte auf,
so daß solche Menschen eine viel engere Gemeinschaft als die auf den Kindern beruhende und eine
viel festere Freundschaft mit einander haben, weil
sie ja schönere und unsterblichere Kinder mit einander gezeugt haben. Und ein jeder möchte wohl
lieber solche Kinder hinterlassen wollen als die
leiblichen, wenn er auf Homeros hinblickt und den
Hesiodos und die übrigen vortrefflichen Dichter
glücklich preist, daß sie solche Sprößlinge hinterließen, welche, von gleicher Beschaffenheit wie
ihre Väter, ihnen unsterblichen Ruhm und ein ewig
dauerndes Andenken erhalten, oder, wenn du lieber
willst, sprach sie, solche Kinder, wie sie Lykurgos
in Lakedaimon hinterließ, als die Retter Lakedaimons und fast möchte ich sagen ganz
Griechenlands. Ebenso steht auch bei euch Solon in Ehren
wegen der Erzeugung seiner Gesetze, und andere
Männer an vielen anderen Orten unter Griechen
und Nichtgriechen, welche viele schöne Geisteswerke ans Licht förderten und so Tugenden aller
Art erzeugten; ja vielen von ihnen sind um solcher
Kinder willen sogar schon Heiligtümer errichtet
worden, wegen seiner leiblichen Kinder aber noch
keinem.
Bis so weit nun, mein Sokrates, magst auch du
wohl in die Mysterien der Liebe eindringen: ob du
aber den höchsten Grad der Weihe, auf welchen
auch das Bisherige bereits hinarbeitet, wenn man
nur den rechten Weg dabei einschlägt, zu erreichen
befähigt bist, weiß ich nicht. Ich für meinen Teil
wenigstens, sprach sie, will sie dir mitteilen und
will es an Bereitwilligkeit nicht fehlen lassen; ver-
suche du mir zu folgen, so gut du es vermagst! Es
muß nämlich, fuhr sie fort, der, welcher auf dem
richtigen Wege auf dies Ziel hinstrebt, in seiner Jugend sich allerdings den schönen Körpern
zuwenden, und zwar zuerst, wenn sein Führer ihn richtig
leitet, einen solchen schönen Körper lieben und an
diesem sich fruchtbar in schönen Reden erweisen;
dann aber muß er innewerden, daß die Schönheit
an jedem einzelnen Körper der an jedem anderen
Körper verschwistert ist; und wenn er doch überhaupt der Schönheit der Gestalt nachgehen soll, so
wäre es ja großer Unverstand, wenn er nicht endlich die Schönheit an allen Körpern für eine und
dieselbe erkennen würde. Wenn er aber zu dieser
Einsicht gelangt ist, dann muß er sich als Liebhaber aller schönen Körper darstellen und von seiner
gewaltigen Glut für einen einzigen nachlassen,
vielmehr sie gering schätzen und verachten. Hiernach aber muß er die geistige Schönheit für weit
schätzbarer achten lernen als die des Körpers, so
daß, wenn jemand nur eine liebenswürdige Seele
besitzt, mag auch dabei sein körperlicher Reiz nur
gering sein, dies ihm genügt und er sie liebt und
ihrer pflegt und Reden gebiert und aufzufinden
sucht, so wie sie geeignet sind, veredelnd auf Jünglinge zu wirken. Diese Stufe führt ihn aber
wiederum nur dazu, daß er gezwungen wird, das Schöne
in den Bestrebungen, Sitten und Gesetzen zu beachten, und einzusehen, daß dies alles mit einander
verwandt ist, und so das körperliche Schöne für
ganz geringfügig achten zu lernen. Von den Bestrebungen aber muß man ihn zu den Wissenschaften
führen, damit er wiederum die Schönheit der Wissenschaften erkenne und, indem er so bereits auf
das Schöne in seiner Fülle hinblickt, nicht mehr
mit sklavischem Sinne der Schönheit im Einzelnen,
sei es in Liebe zu einem Knäbchen oder einer
Menschenseele oder einer vereinzelten Bestrebung,
diene und sich so als unedel und kleinlich erweise,
sondern gleichsam auf die hohe See des Schönen
hinaussteuernd und es also mit einem Blicke überschlagend, viel schöne und herrliche Reden und
Gedanken in des Weisheitsstrebens Fülle gebäre,
bis er, dadurch gekräftigt und bereichert, alles in
eine einzige Erkenntnis von folgender Art zusammenfaßt, die auf ein Schönes gerichtet ist, wie ich
es jetzt dir beschreiben will. Suche du, sprach sie,
deine Aufmerksamkeit darauf gespannt zu halten,
so sehr du es nur immer vermagst!
Wer nämlich bis hierher in der Liebe geleitet
worden ist, indem er in richtiger Folge und Art das
viele Schöne betrachtete, der wird endlich, am
Ziele dieses Weges angelangt, plötzlich ein Schönes von wunderbarer Natur erblicken, und dies ist
gerade dasjenige, mein Sokrates, zu dessen Erreichung alle früheren Mühen verwandt wurden.
Zuvörderst ist es ein beständig Seiendes, was weder
wird noch vergeht und weder zunimmt noch abnimmt, sodann nicht nach der einen Seite betrachtet
schön, nach der andern unschön, noch auch bald
schön und bald nicht, noch in Vergleich mit dem
einen schön, mit dem andern aber häßlich, oder
teilweise schön und teilweise häßlich, oder nach
der Meinung einiger schön, nach der von anderen
aber häßlich ist. Ferner wird sich ihm dies Schöne
nicht darstellen als ein Gesicht oder Hände oder
was sonst zum Körper gehört, noch auch als eine
Rede oder Erkenntnis, noch überhaupt als etwas,
was an einem anderen ist, sei es an einem Einzelwesen oder auf der Erde und im ganzen
Weltenraume oder wenn es noch anderswo sein könnte,
sondern als rein in sich und für sich und ewig sich
selber gleich, alles andere Schöne aber als seiner
nur dergestalt teilhaftig, wie das Werdende und
Vergehende dessen, welches in nichts mehr oder
weniger wird oder irgend etwas erleidet. Wenn also
jemand von dem ersteren, und zwar zunächst von
der rechten Knabenliebe, ausgegangen ist und nun
das Urschöne selbst zu erblicken beginnt, dann
dürfte er seinem Ziele ziemlich nahe gekommen
sein. Denn dies eben heißt ja, den richtigen Weg
der Liebe einschlagen oder von einem anderen auf
diesem geleitet werden, wenn man um dieses Urschönen willen von jenem vielen Schönen ausgeht
und so stufenweise innerhalb desselben immer weiter vorschreitet, von einem zu zweien und von
zweien zu allen schönen Körpern, und von den
schönen Körpern zu den schönen Bestrebungen,
und von den schönen Bestrebungen zu den schönen
Erkenntnissen, - bis man innerhalb der Erkenntnisse bei jener Erkenntnis endigt, die von nichts
anderem als von jenem Urschönen selber die Erkenntnis ist, und so schließlich das allein wesenhafte
Schöne erkennt.
Auf diesem Höhepunkte des Lebens, o mein lieber Sokrates, fuhr die Fremde aus Mantineia fort,
auf welchem er das Ansichschöne betrachtet, hat
das Leben des Menschen, wenn irgendwo, einen
wahrhaften Wert. Wenn du dies Schöne einstmals
erblicken solltest, dann wird es dir nicht mit der
Schönheit des Goldes und der Kleidung und mit
schönen Knaben und Jünglingen vergleichbar erscheinen, bei deren Anblicke du jetzt außer dir
gerätst und, wie viele andere, bereit sein würdest, für
den steten Anblick des Lieblings und das stete Zusammenleben mit ihm, wenn es nur möglich wäre.
Essen und Trinken aufzugeben und ihn nur immerfort anzuschauen und mit ihm zu verkehren. Was
sollen wir also wohl gar von dem glauben, dem es
zuteil würde, das Ansichschöne lauter, rein und unvermischt zu erblicken und nicht verunreinigt mit
Fleische und Farben und allem übrigen irdischen
Tande, sondern der das Göttlichschöne selbst in
seiner ureigenen Gestalt zu erschauen vermöchte?
Glaubst du wohl, sprach sie, daß das Leben eines
Menschen gering erscheinen könnte, der dorthin
blickt und es mit den Werkzeugen anblickt und
sich mit ihm vereinigt, mit denen es betrachtet sein
und mit sich verkehren lassen will? Oder wirst du
vielmehr inne, so schloß sie, daß es ihm hier allein
gelingen wird, wenn er das Schöne mit dem Auge
anschaut, welchem es allein wahrhaft sichtbar ist,
nicht bloße Schattenbilder der Tugend zu gebären,
da er ja auch nicht an einem Schattenbilde haftet,
sondern die wahre Tugend, weil er sich mit der
Wahrheit verbunden; wenn er aber die wahre Tugend gebiert und auferzieht, daß es ihm dann
gelingt, ein Gottgeliebter zu werden, und, wenn irgend einem andern Menschen, so auch ihm
unsterblich zu sein?
Solches, mein Phaidros und ihr übrigen, sprach
Diotima, und mich hat sie davon überzeugt; und da
dies der Fall ist, so suche ich wiederum andere zu
überzeugen, das man zur Erreichung dieses Besitzes für das menschliche Geschlecht einen besseren
Mitarbeiter als den Eros nicht leicht finden kann.
Deshalb nun behaupte ich, daß jedermann den Eros
zu ehren hat, und ich selber ehre meinerseits seine
Kunst und übe sie vor allen und empfehle sie allen
andern und preise jetzt und immerdar, soweit ich es
vermag, die Macht und die mannhafte Tugend des
Eros.
Diese Rede nun also, mein Phaidros, laß, wenn
es dir gefällt, als Lobrede auf den Eros gelten;
wenn aber nicht, so nenne sie, wie und mit welchem Namen es dich gut dünkt!
Als nun Sokrates also gesprochen, hätten die übrigen ihn gelobt, Aristophanes aber habe im Begriff
gestanden, etwas zu erwidern, weil Sokrates in seinem Vortrage auf ihn mit der Erwähnung jener
umlaufenden Rede gezielt hatte; da sei plötzlich an die
Vordertüre geklopft und dabei ein gewaltiges Geräusch, wie es schien, von Nachtschwärmern
gemacht worden, und man habe die Töne einer Flötenspielerin gehört.
Da habe nun Agathon
befohlen: »Seht doch einmal nach, ihr Sklaven, und
wenn es ein Bekannter ist, so ruft ihn herein; wenn
aber nicht, so sagt ihm, daß wir nicht mehr trinken,
sondern schon aufgehört haben!« Und nicht lange
nachher habe man in der Vorhalle die Stimme des
Alkibiades gehört, welcher stark angetrunken war
und laut schrie: »Wo ist Agathon?« und verlangte,
man solle ihn zu Agathon führen. So wäre er denn
durch die Flötenspielerin, indem sie ihn unter dem
Arm faßte, und durch mehrere andere von seinen
Begleitern zu ihnen geführt worden, und er sei in
der Türe stehengeblieben, mit einem dichten Kranze von Efeu und Veilchen bekränzt und mit sehr
vielen Bändern auf dem Kopfe, und habe gerufen:
Ihr Leute, seid gegrüßt; wollt ihr einen sehr stark
angetrunkenen Mann als Mitzecher aufnehmen!
Oder sollen wir wieder von dannen gehen, nachdem
wir den Agathon bekränzt haben, zu welchem
Zweck wir gekommen sind? Denn ich, habe er fortgefahren, konnte gestern nicht kommen: nun aber
bin ich da mit den Bändern auf dem Kopfe, damit
ich sie von meinem Haupte nehme und das Haupt
des weisesten und schönsten Mannes, indem ich
ihn öffentlich als solchen ausrufe, mit ihnen umwinde. Ja, ihr lacht wohl über mich, daß ich wie
ein Angetrunkener rede? Wenn ihr aber auch
lacht, - ich weiß doch, daß ich die Wahrheit sage.
Aber nun sagt mir auf der Stelle: soll ich auf meine
Bedingungen eintreten oder nicht? Wollt ihr mit
mir zechen oder nicht?
Da hätten nun alle aufgejubelt und hätten ihn
aufgefordert, einzutreten und sich niederzulagern,
und Agathon habe ihn dazu eingeladen. Und so sei
er, von seinen Begleitern geführt, weiter vorgegangen, und zugleich habe er die Bänder abgenommen,
um den Agathon mit ihnen zu bekränzen, und habe
sie so in die Höhe gehalten, daß er vor ihnen den
Sokrates nicht sehen konnte, und so habe er sich
neben Agathon niedergelassen, mitten zwischen
ihm und dem Sokrates; denn der letztere sei zur
Seite gerückt, um ihm Platz zu machen. Indem er
sich nun also neben Agathon niederließ, habe er
ihn umarmt und bekränzt. Darauf habe Agathon geboten: Löset dem Alkibiades seine Sohlen ab, ihr
Sklaven, damit er sich zu dreien mit uns lagere!
Versteht sich, habe Alkibiades gesagt; aber wen
haben wir hier denn als dritten Trinkgesellen? Und
zugleich habe er sich umgedreht und den Sokrates
erblickt; bei seinem Anblick aber sei er aufgesprungen und habe ausgerufen: Beim Herakles,
was ist das? Sokrates schon wieder da? Hast du
dich schon wieder hier gegen mich auf die Lauer
gelegt, so wie du immer plötzlich da zu erscheinen
pflegst, wo ich dich am wenigsten vermute? Und
wozu bist du jetzt hier? Und wozu nimmst du wiederum gerade hier deinen Platz und nicht bei
Aristophanes oder wenn noch ein anderer da ist, der
ein Spaßmacher ist oder sein will? Sondern warum
hast du es wieder so einzurichten gewußt, daß du
neben dem Schönsten von allen Anwesenden deinen Platz bekamst?
Sokrates aber habe sich zu Agathon gewandt:
Sieh doch zu, lieber Agathon, ob du mir nicht die-
sen Menschen vom Leibe halten kannst; so viel
Not macht mir seine Liebe! Denn von der Zeit ab,
seit welcher ich ihn zu lieben begann, darf ich keinen einzigen schönen Mann mehr ansehen,
geschweige denn mit ihm sprechen, oder aber der da
begehrt aus Neid und Eifersucht die wunderlichsten
Dinge und schilt mich und hält sich kaum von
Handgreiflichkeiten zurück. Siehe du also zu, daß
er nicht auch jetzt wieder so etwas unternimmt,
sondern versöhne uns, oder, wenn er Gewalt gebrauchen will, so halte ihn zurück: denn ich habe
die größte Angst vor der Raserei, in welche ihn
seine Anhänglichkeit zu mir versetzt.
Nein, habe Alkibiades gesagt, zwischen mir und
dir gibt es keine Versöhnung. Doch ich will hierfür
dich später bestrafen; jetzt aber, Agathon, - mit
diesen Worten habe er sich zu dem letzteren gewandt - gib mir einige von deinen Bändern zurück,
damit wir auch dieses Mannes wunderbares Haupt
bekränzen und er nicht mich tadeln könne, daß ich
dich bekränzt, ihn aber, der mit seiner Rede Gewalt
allen Menschen, und nicht bloß gestern, wie du,
sondern immerdar, obsiegt, hinterher unbekränzt
gelassen habe!
Und zugleich habe er einige von den Bändern
genommen, mit ihnen den Sokrates bekränzt und
dann sich wieder niedergelassen.
Nachdem er sich aber niedergelassen, habe er
von neuem begonnen: Heda, ihr Leute! Ihr scheint
mir nämlich noch sehr nüchtern zu sein. Das darf
man euch nicht zulassen, sondern trinken müßt ihr;
denn dahin sind wir übereingekommen. Ich wähle
euch daher einen Präses, bis ihr gehörig getrunken
habt, und zwar mich selbst. Wenn also Agathon
einen recht großen Pokal hat, so lasse er ihn hereinbringen! Doch nein, ist gar nicht nötig, sondern
bringe du da, Bursche, rief er einem der Sklaven
zu, einmal die Kühlschale dort her! - Es fiel ihm
nämlich eine solche in die Augen, welche mehr als
acht Kotylen faßte. Diese habe er sich füllen lassen
und zuerst selber leer getrunken, dann aber befohlen, sie für den Sokrates voll zu schenken, und
dabei bemerkt: Gegen den Sokrates, liebe Leute,
hilft mir das Kunststück zu nichts: denn soviel ihm
einer auferlegt, so viel trinkt er aus und wird trotzdem doch niemals betrunken.
Sokrates nun habe ausgetrunken, nachdem ihm
der Sklave eingeschenkt; Eryximachos aber habe
sich mit der Frage an Alkibiades gewandt: Wie
wollen wir es aber nun machen? Sollen wir so gar
nichts beim Becher reden oder singen, sondern nur
so ohne weiteres wie die Durstigen trinken?
Alkibiades aber habe ihm erwidert: Ei, siehe da,
Eryximachos! Sei mir willkommen, du bester Sohn
des besten und verständigsten Vaters!
Ich danke dir, habe Eryximachos erwidert; aber
sprich: wie wollen wir es machen?
Ganz wie du es befiehlst, dir muß man ja gehorchen:
Denn ein bellender Mann ist wert wie viele zu achten.
Schreibe du uns also vor, was du willst!
So höre denn, habe Eryximachos entgegnet: Wir
haben, bevor du kamst, die Übereinkunft getroffen,
es solle ein jeder der Reihe nach rechts herum, sobald diese an ihn käme, eine so schöne Rede, als er
nur immer vermöchte, auf den Eros halten und ihn
verherrlichen. Wir andern nun haben alle bereits
gesprochen. Du aber, da du noch nicht geredet und
doch schon ausgetrunken hast, bist jetzt verpflichtet zu reden und sodann berechtigt, dem Sokrates
aufzugeben, was dich gut dünkt, der aber wieder
seinem Nachbar zur Rechten, und so alle übrigen.
Dein Vorschlag ist ganz schön, mein Eryximachos, habe Alkibiades eingewandt, wenn es nur
nicht unbillig wäre, daß ein trunkener Mann mit
den Reden Nüchterner wetteifern soll. Und überdies, du Hochehrenwerter, glaubst du dem Sokrates
irgend etwas von dem, was er soeben sagte? Und
weißt du nicht, daß vielmehr das gerade Gegenteil
davon wahr ist? Denn er vielmehr, wenn ich in seiner Gegenwart irgend jemanden, sei es einen Gott
oder einen anderen Menschen als ihn, loben wollte,
würde Hand an mich legen.
Frevle nicht! habe Sokrates gesagt.
Nein, beim Poseidon, wende mir nichts dagegen
ein, habe Alkibiades erwidert: ich werde doch in
deiner Gegenwart nie einen andern preisen.
Nun, dann mache es so, habe Eryximachos vorgeschlagen, wenn es dir recht ist: halte eine
Lobrede auf den Sokrates!
Ja, was sagst du dazu? habe Alkibiades versetzt;
meinst du, ich soll es tun, Eryximachos? Soll ich
mich an den Mann machen und mich hier in eurer
Gegenwart an ihm rächen?
He, Freund, habe da Sokrates begonnen, was
hast du denn eigentlich im Sinn? Willst du mich in
deiner Lobrede lächerlich machen, oder was willst
du sonst tun?
Die Wahrheit will ich sagen. Überlege also, ob
du mir das verstattest?
Gewiß, habe Sokrates erwidert: die Wahrheit
verstatte ich nicht bloß, ich gebiete sie dir auch zu
sagen.
Ich werde nicht zaudern. Und mache du es dabei
so: Wenn ich etwas Unwahres sage, dann unterbrich mich, wenn du willst, und strafe mich Lügen
dabei! Denn mit Absicht werde ich nichts Falsches
berichten. Wenn ich jedoch das eine hier und das
andere dort anführe, so wundere dich darüber nicht,
denn in meinem Zustande ist es nicht leicht, deine
Seltsamkeiten geläufig und in geordneter
Reihenfolge aufzuzählen.
Indem ich den Sokrates zu loben versuche, ihr
Männer, will ich dies vermittelst eines Gleichnisses
tun. Und er freilich wird vielleicht glauben, es geschehe dies, um ihn lächerlich zu machen; in der
Tat aber soll das Gleichnis der Wahrheit und nicht
dem Spotte dienen. Ich behaupte nämlich, daß er
ganz ähnlich jenen Silenen sei, welche man in den
Werkstätten der Bildhauer findet, so wie diese
Künstler sie mit Hirtenpfeifen oder Flöten darzustellen pflegen; wenn man sie aber nach beiden
Seiten hin auseinandernimmt, dann zeigt es sich, daß
sie Götterbilder einschließen. Und wiederum vergleiche ich ihn mit dem Satyr Marsyas. Daß du
zunächst in deinem Äußern diesen allen ähnlich bist,
lieber Sokrates, wirst du selber nicht bestreiten;
daß du aber auch in allen andern Stücken ihnen
gleichst, das will ich dir sofort beweisen. Du bist
ein übermütiger Schalk. Oder bist du es nicht?
Wenn du es leugnest, will ich dir Zeugen beibringen. Und ferner: du wärest kein Flötenspieler? Ja,
sogar ein noch viel bewundernswürdigerer als Marsyas. Denn vermittelst fremder Werkzeuge nur
bezauberte er die Menschen durch die Gewalt seines
Mundes, und so auch jetzt noch ein jeder, welcher
seine Weisen spielt. Nämlich die Tonstücke des
Olympos nenne ich zugleich die des Marsyas, da
dieser sein Lehrer war. Mag nun jene ein guter Flötenspieler oder eine schlechte Flötenspielerin
vortragen, immer fesseln sie vor allen und machen,
weil sie selber göttlich sind, diejenigen kund, welche nach den Göttern und nach den Weihen
Verlangen tragen. Du aber unterscheidest dich von ihm
nur darin, daß du ohne Instrumente durch deine
bloßen Reden das bewirkst. Von uns wenigstens
geht es einem jeden, wenn wir einen andern und
auch noch so guten Redner hören, fast gar nicht zu
Herzen; wenn wir aber dich oder den Vortrag deiner Reden durch einen andern hören, mag dann der
Vortrag auch noch so schlecht, und mögen Mann,
Weib oder Knabe die Zuhörer sein, so fühlen wir
uns hingerissen und gefesselt. Ich wenigstens, ihr
Männer, wenn ich nicht fürchtete, ganz betrunken
zu erscheinen, könnte es euch beschwören, was ich
bei des Sokrates Reden empfunden habe und noch
jetzt empfinde. Denn wenn ich ihn höre, dann
pocht mir das Herz weit stärker, als wenn ich vom
Korybantentaumel ergriffen wäre, und Tränen entströmen meinen Augen bei seinen Reden. Ich sehe
aber, daß auch seht vielen anderen dasselbe widerfährt. Wenn ich dagegen den Perikles und andere
gute Redner hörte, so schienen sie mir zwar wohl
gesprochen zu haben, - so etwas jedoch habe ich
nie dabei empfunden, noch war meine Seele dabei
in Aufregung oder klagte mein eigenes Herz mich
an, daß ich mich in einem Zustande befinde, wie er
eines freien Mannes unwürdig ist; aber von diesem
Marsyas ward ich oftmals in eine solche Stimmung
versetzt, so daß mir das Leben unerträglich erschien, wenn ich so bliebe, wie ich bin. Und hierin,
Sokrates, wirst du mich nicht der Unwahrheit zeihen können. Und auch jetzt noch bin ich mir dessen
bewußt, daß, wollte ich ihm mein Ohr leihen, ich
nicht Kraft genug zum Widerstande haben, sondern
daß mir von neuem dasselbe widerfahren würde.
Denn er würde mich zwingen zu gestehen, daß ich,
während mir selber noch so vieles fehlt, doch
meine eigenen Angelegenheiten vernachlässige und
stattdessen die der Athener betreibe. Mit Gewalt
verstopfe ich mir daher die Ohren wie vor den Sirenen und fliehe schnell von dannen, damit ich nicht
zur Stelle bei ihm sitzenbleibe und so bei ihm zum
alten Manne werde. Und was mir niemand zutrauen
würde, daß ich mich nämlich vor irgend jemandem
schäme, - das ist mir auch in der Tat bei ihm allein
unter allen Menschen begegnet: denn vor ihm allein
schäme ich mich wirklich. Denn ich bin mir bewußt, daß ich ihm nicht darin zu widersprechen
vermag, als ob ich das unterlassen dürfte, wozu er
mich ermahnt, sondern daß ich nur, wenn ich ihn
verlassen habe, den Ehrenbezeugungen der Menge
unterliege. Daher entlaufe ich ihm und fliehe ihn,
und wenn ich ihn erblicke, dann schäme ich mich
meines Abfalls von seinen Vorschriften. Und oft
möchte ich wünschen, ihn gar nicht mehr unter den
Lebenden zu erblicken; wenn aber dies einträte,
dann bin ich überzeugt, daß ich einen noch viel
größeren Schmerz darüber empfinden würde, und
so weiß ich nicht, was ich diesem Mann gegenüber
beginnen soll.
Solches nun haben ich und viele andere von dem
Flötenspiele dieses Satyrs erlitten. Vernehmt aber
noch andere Dinge von mir, um zu erfahren, wie
ähnlich er denen ist, mit welchen ich ihn verglichen
habe, und welche wunderbare Gewalt er ausübt.
Denn dessen seid gewiß, daß niemand von euch
diesen Mann wirklich kennt; ich aber will ihn euch
kundmachen, da ich nun einmal dies zu tun begonnen habe. Ihr seht nämlich, wie sehr Sokrates in
schöne Jünglinge verliebt ist und sie beständig umschwärmt und außer sich ist vor Entzücken über
sie, und ferner, daß er sich das äußere Ansehen
eines Unwissenden und Unkundigen in allen Dingen gibt. Ist dies nun nicht ganz silenenhaft?
Wenigstens ist dies durchaus nur die äußere Hülle an
ihm, gerade wie jene geschnitzten Silenen; wenn
man ihn aber öffnet, so glaubt ihr es gar nicht,
meine Tischgenossen, von wie großer
Besonnenheit sein Inneres voll ist. Denn wißt, daß
er in Wahrheit nicht das geringste Gewicht darauf
legt, ob jemand schön oder reich ist oder irgend
eine andere Auszeichnung von allen denen an sich
trägt, die von der Menge gepriesen werden, sondern
dies alles so sehr verachtet, wie niemand es glauben sollte. Alle diese Besitztümer hält er für
wertlos, und uns alle achtet er gering; das hütet er sich
aber freilich zu sagen, vielmehr Ironie und Verstellung übt er sein ganzes Leben hindurch gegen alle
Menschen aus und treibt mit ihnen sein Spiel. Ob
daher irgend ein anderer, wenn er Ernst macht und
sein Inneres aufschließt, die in ihm verborgenen
Götterbilder erblickt hat, weiß ich nicht; aber ich
habe sie gesehen, und sie erschienen mir so göttlich
und golden, so reizend schön und bewundernswert,
daß ich ohne Zaudern tun zu müssen glaubte, was
Sokrates von mir verlangte. Da ich nun wähnte,
daß er ernstlich nach dem Genüsse meiner Reize
strebte, so hielt ich dies für einen herrlichen Fund
und einen wunderbaren Glücksfall für mich, da ich
glauben durfte, daß mir, wenn ich dem Sokrates zu
Willen wäre, alles zu Gebote stehen würde, was er
selber wüßte; ich bildete mir nämlich eben auf
meine Reize wunder wieviel ein. Während ich
daher bisher nicht ohne Gegenwart eines Dieners
allein mit ihm zu bleiben pflegte, schickte ich jetzt
in dieser Erwägung jenen fort und blieb mit ihm
ganz allein. Denn ihr sollt jetzt die volle Wahrheit
hören: drum merkt auf, und wenn ich irgend etwas
Unwahres sage, Sokrates, so erhebe du dagegen
Einspruch! Ich blieb also ganz allein mit ihm,
Freunde, und erwartete nun, daß er sofort zu mir
sprechen würde, wie wohl ein Liebhaber zu seinem
Geliebten, wenn sie ohne Zeugen sind, zu sprechen
pflegt, und freute mich schon darauf. Aber es geschah von alledem gar nichts, sondern er sprach
mit mir ganz wie sonst gewöhnlich; und nachdem
er den Tag mit mir zugebracht hatte, ging er nach
Hause. Darauf lud ich ihn ein, meine Leibesübungen zu teilen, und ich teilte sie auch wirklich mit
ihm, um dabei zum Ziele zu kommen. Er übte sich
also und rang mit mir ohne jemandes Beisein. Und
was bedarf es weiterer Worte? Auch hierbei richtete ich ebensowenig etwas aus. Da ich nun auf
keinem dieser Wege meinen Zweck erreichte, so
glaubte ich dem Manne stärker zusetzen zu müssen
und nicht nachlassen zu dürfen, da ich einmal angefangen; sondern ich wollte nun erfahren, wie es
denn eigentlich mit der Sache stände. Ich lade ihn
also ein, mit mir zu Abend zu speisen, indem ich
ihm gerade wie ein Liebhaber seinem Geliebten
nachstellte. Er aber sagte mir dies nicht einmal sogleich zu; mit der Zeit indessen ließ er sich
überreden. Als er nun das erste Mal zu mir kam,
wollte er nach dem Essen wieder weggehen, und
ich ließ ihn diesmal aus Scham auch noch wirklich
fort. Das zweite Mal aber machte ich so meinen
Angriff: nachdem er gegessen hatte, hielt ich ihn
mit Gesprächen bis in die Nacht hinein auf, und als
er endlich gehen wollte, stellte ich ihm vor, daß es
schon zu spät wäre, und nötigte ihn zu bleiben. So
legte er sich denn auf dem Lager zur Ruhe, das an
das meine stieß, und auf dem er auch zu Tische gelegen hatte, und kein anderer schlief in dem
Zimmer als wir. Bis hierher nun könnte ich die Sache
wohl noch jedermann erzählen; was aber nun folgt,
würdet ihr schwerlich sobald von mir hören, wenn
nicht erstens der Wein die Wahrheit sagte, selbst
um die Gegenwart oder Nichtgegenwart der Sklaven unbekümmert, und wenn es mir ferner nicht
ungerecht erschiene, eine stolze Tat des Sokrates zu
verschweigen, nachdem ich es einmal übernommen, ihm eine Lobrede zu halten. Endlich geht es
mir überdies hierbei wie den von einer Natter Gebissenen: Denn man sagt, daß der, welcher einen
solchen Biß erlitt, es keinem andern zu beschreiben
geneigt sei, was er infolge desselben empfand, als
den selber einmal Gebissenen, weil diese allein imstande sein dürften, es zu begreifen und verzeihlich
zu finden, wenn er vor Schmerz im Reden wie im
Tun zum Äußersten getrieben ward. Ich aber bin
von etwas gebissen, was noch weit größere
Schmerzen macht, und bin es gerade an dem empfindlichsten Teile. Denn ins Herz oder in die Seele
- oder wie soll ich es sonst nennen? - hinein bin
ich getroffen und gebissen worden von den Worten
der Weisheit, welche, wenn sie ein jugendliches,
nicht unbegabtes Gemüt ergreifen, sich grimmiger
in ihm festbeißen als die Natter, und es zum Äußersten forttreiben in Rede und Tat. Indem ich nun
also einen Phaidros, Agathon, Eryximachos, Pausanias, Aristophanes vor mir sehe... was bedarf's
noch den Sokrates selber zu nennen und alle anderen, die hier zugegen sind? Kurz, ihr alle seid (wie
einst ich) von dem Wahnsinn und der Schwärmerei
der Liebe ergriffen; darum sollt ihr alle es hören,
denn ihr werdet mir verzeihen, was ich damals tat,
und daß ich jetzt es erzähle. Die Dienerschaft aber,
und wenn sonst ein Ungeweihter und Ungebildeter
unter uns ist, die mögen recht starke Schlösser vor
ihre Ohren legen.
Als nun nämlich, ihr Freunde, das Licht ausgelöscht war und die Sklaven das Zimmer verlassen
hatten, da glaubte ich ohne weitere Umschweife
gegen ihn gerade heraus mit der Sprache über
meine Absichten gehen zu müssen. Ich stieß ihn
daher an und fragte ihn: Sokrates, schläfst du?
Nein, erwiderte er.
Weißt du, was ich beabsichtige?
Nun, was denn? fragte er.
Es will mir scheinen, erwiderte ich, als ob du der
einzige meiner Liebhaber bist, der es zu sein verdient, und als ob du dich scheust, mir deine
Wünsche zu gestehen. Ich aber denke so: Es wäre, wie
ich meine, töricht, wollte ich dir hierin nicht ebensowohl zu Willen sein, als wenn du sonst
irgendwie meiner bedarfst, sei es in bezug auf mein Vermögen oder auf meine Freunde. Denn mir liegt
nichts mehr am Herzen als dies: ein möglichst
tüchtiger Mann zu werden; hierzu aber glaube ich
eine geeignetere Beihilfe nicht finden zu können als
die deinige; und ich scheue daher den Tadel, der
mich bei allen Verständigen treffen müßte, wenn
ich einem solchen Manne seine Wünsche versagte,
mehr als den, welchen der große Haufe der Unverständigen wegen ihrer Gewährung erheben wird.
Er aber, als er dies vernommen, antwortete wiederum ganz mit seiner gewohnten Ironie: Mein
guter Alkibiades, du scheinst mir wirklich gar nicht
dumm zu sein, wenn es in der Tat so mit dir steht,
wie du meinst, und ich wirklich eine solche Kraft in
mir habe, dich zu veredeln; denn wahrlich, eine
wunderbare Schönheit würdest du dann in mir erblicken, welche die Wohlgestalt an dir weit
übertrifft. Wenn du also infolge dieses Anblickes
an ihr teilzunehmen und den Genuß deiner Schönheit gegen den der meinigen auszutauschen
wünschest, so merkst du dabei recht wohl, daß du mich
nicht etwa bloß um ein geringes übervorteilst, sondern du suchst vielmehr um den Preis eines bloßen
Scheines von Schönheit dir die wahre Schönheit zu
erwerben und in der Tat eine goldene Rüstung für
eine eherne einzutauschen. Aber, mein Verehrter,
siehe doch erst genauer zu, damit dir meine Wertlosigkeit nicht entgehe! Beginnt doch das Auge des
Geistes erst dann scharfblickend zu werden, wenn
das des Leibes seine Schärfe zu verlieren anfängt;
davon aber bist du noch weit entfernt.
Wie es meinerseits steht, entgegnete ich, hast du
nun gehört, und ich habe dabei kein Wort anders
gesagt, als ich denke; überlege du also nun, was dir
für mich und dich das Beste zu sein scheint!
Wohlgesprochen, versetzte er. Laß uns also in
der Folge nach dieser Erwägung so handeln, wie es
uns beiden in diesem Stücke und in allen andern als
das Beste erscheint!
Nachdem ich nun in dieser Wechselrede gleichsam meine Pfeile gegen ihn abgeschossen hatte,
glaubte ich ihn getroffen zu haben. Ich stand daher
auf und ließ ihn nicht weiter sprechen, sondern
warf mein eigenes Oberkleid über ihn - es war
nämlich gerade Winter - und legte mich unter seinen Mantel und schlang meine Arme um diesen
wahrhaft dämonenbeseelten und wunderbaren
Mann, und so lag ich die ganze Nacht neben ihm.
Und auch hierin, Sokrates, wirst du mich wiederum
nicht der Unwahrheit beschuldigen können. Als ich
nun dies alles tat, da zeigte dieser Mann seine
Überlegenheit in einem staunenswerten Grade und
verachtete und verspottete, ja verhöhnte meine blühende Schönheit, auf welche ich mir doch wunder
wieviel eingebildet hatte, ihr Richter, - denn Richter sollt ihr mir sein über des Sokrates Hochmut.
Denn bei allen Göttern und Göttinnen, ihr könnt es
glauben, nachdem ich mein Lager mit Sokrates geteilt hatte, stand ich wieder auf, ohne daß irgend
etwas Weiteres vorgegangen wäre, ganz so, als ob
ich bei meinem Vater oder einem älteren Bruder
geschlafen hätte.
Wie glaubt ihr aber wohl, daß jetzt meine Stimmung war, da ich mich für verschmäht hielt, aber
zugleich den Charakter dieses Mannes und seine
Besonnenheit und Seelenstärke bewunderte, so daß
ich jetzt zuerst einen solchen Mann gefunden, wie
ich ihn an Weisheit und Festigkeit niemals zu finden erwartet hatte? So vermochte ich ihm denn
weder zu zürnen und seinen Umgang zu entbehren,
noch bot sich mir andererseits ein Mittel dar, ihn an
mich zu fesseln. Denn das wußte ich wohl, daß er
durch Gold noch viel unverwundbarer sei als Aias
durch Eisen, und das einzige Mittel, durch das ich
ihn in meine Gewalt zu bringen hoffte, hatte er soeben vereitelt. Ratlos also blieb ich und in der
Gewalt dieses Mannes, wie wohl niemals sonst ein
Mensch in der eines andern. Dies alles hatte sich
nämlich schon unter uns zugetragen, bevor wir gemeinsam den Feldzug nach Poteidaia mitmachten
und dort Tischgenossen waren.
Dort nun war er zuvörderst in der Ertragung
aller Strapazen nicht bloß mir, sondern auch allen
andern überlegen. So, wenn uns irgendwo, wie es
im Felde zu geschehen pflegt, die Zufuhr abgeschnitten war, vermochte bei weitem niemand so
gut als er, den Mangel an Speise auszuhalten.
Wenn dagegen reichliche Lebensmittel vorhanden
waren, so verstand er wiederum am besten zu genießen, wie in allen andern Stücken, so namentlich
auch darin, daß er, ohne alle eigentliche Neigung
zum Zechen, trotzdem, wenn er dies mitzumachen
genötigt ward, es allen darin zuvortat, und, was das
Wunderbarste ist, kein Mensch hat jemals den Sokrates betrunken gesehen. Und hiervon, glaube ich,
werdet ihr auch bald selber eine Probe sehen. Wiederum die Beschwerden des Winters - und es war
damals ein sehr rauher Winter - ertrug er nicht
bloß im übrigen mit der wunderbarsten Leichtigkeit: sondern eines Tages, als die Kälte gerade am
stärksten war, wo sich alle entweder gar nicht hinauswagten oder, wenn dies ja einer tat, so doch in
wunder wie dichter Bekleidung und so, daß die
Füße nicht bloß mit untergebundenen Sohlen versehen, sondern auch in Filz und Schafpelz
eingewickelt waren, - da ging er dagegen mit derselben
Bekleidung hinaus, wie er sie auch sonst zu tragen
pflegte, und schritt barfuß leichter über den gefrorenen Erdboden hin als die andern mit ihren
Sohlen, und die Krieger sahen ihn scheel an, als wollte
et sich über sie erheben.
Das wäre nun eins. Doch
Wie er auch jenes vollbracht' und bestand, der gewaltige Krieger,
auf jenem Feldzuge, auch das ist der Mühe wert
zu hören. Nämlich in tiefes Nachdenken über irgend einen Gegenstand versenkt, blieb er von
frühmorgens an auf demselben Flecke stehen und wich,
da er das Gesuchte nicht finden konnte, nicht von
der Stelle, sondern verharrte in unablässigem
Nachsinnen. Inzwischen war es bereits mittags geworden, als die Leute es merkten und staunend
einander darauf aufmerksam machten, daß Sokrates
nun schon vom frühen Morgen her im Nachforschen über irgend einen Gegenstand begriffen
dastände. Endlich aber, als es schon Abend war,
brachten einige Ionier, nachdem sie zu Abend gegessen, ihre Matratzen heraus, teils um im Kühlen
zu schlafen, denn es geschah dies im Sommer, teils
aber auch um ihn zu beobachten, ob er auch wohl
in der Nacht dort stehenbleiben würde. Er aber
blieb wirklich stehen, bis der Morgen graute und
die Sonne aufging; dann aber ging er von dannen,
nachdem er zuvor noch sein Morgengebet an den
Sonnengott verrichtet hatte.
Wollt ihr ihn aber auch in der Schlacht geschildert hören? Denn auch hier ziemt es sich, ihm
meine Schuld abzutragen. In jener Schlacht nämlich, infolge deren die Feldherrn mir sogar den
Kampfpreis zuerteilten, hat vielmehr kein anderer
mich gerettet als er, indem er den Verwundeten
nicht verlassen wollte; sondern er brachte meine
Waffen und mich selber in Sicherheit. Und ich für
mein Teil bat daher damals auch die Feldherren,
dir, mein Sokrates, den Preis zuzuerkennen, und du
wirst auch hier meine Darstellung nicht tadeln,
noch sie der Unwahrheit zeihen können. Als aber
die Feldherrn aus Rücksicht auf meinen höheren
militärischen Rang mir diese Auszeichnung zudachten, da war er noch bereitwilliger als sie, mir
sie zuzuwenden, anstatt sich. Der Mühe wert war
es ferner, meine Freunde, den Sokrates zu sehen,
als das Heer sich nach der Schlacht bei Delion auf
der Flucht befand. Ich war nämlich gerade bei
derselben als Reiter, er aber als Schwerbewaffneter
tätig. Wie also sich alle bereits zerstreut hatten, befand er sich noch Seite an Seite mit Laches auf dem
Rückzuge. Ich nun komme dazu, und als ich sie er-
blicke, rufe ich sofort ihnen zu, guten Mutes zu
sein, und versprach ihnen, daß ich sie nicht verlassen würde. Bei dieser Gelegenheit nun konnte ich
den Sokrates noch besser als bei Poteidaia in seiner
ganzen Größe beobachten, da ich selbst, als Berittener, weniger in Furcht war, zunächst, wie sehr er
dem Laches an besonnener Ruhe überlegen war;
sodann aber schien er mir, um deine allbekannten
Worte, Aristophanes, zu gebrauchen, auch dort, so
wie hier in der Stadt, einherzustolzieren und die
Blicke stier nach allen Seiten zu werfen und so in
voller Ruhe Freund und Feind im Auge zu behalten, so daß es einem jeden auch schon aus der
Ferne klar werden mußte, er werde einen heißen
Kampf zu bestehen haben, wenn er diesen Mann
angreifen wollte. Deshalb kam er denn auch unversehrt davon samt seinem Gefährten; denn in der
Regel pflegt man die nicht anzugreifen, welche sich
also gerüstet zeigen, sondern die zu verfolgen, die
kopflos davonfliehen.
Viel andere wunderbare Eigenschaften und
Handlungen könnte man noch an Sokrates lobend
hervorheben; allein in allen übrigen Bestrebungen
möchte man auch wohl von andern etwas Ähnliches berichten können: daß er aber keinem von
allen Menschen weder aus alter noch aus gegenwärtiger Zeit vergleichbar ist, das verdient alle
mögliche Bewunderung. Denn so wie Achilleus
einst war, ähnlich, könnte man sagen, seien neuerdings Brasidas und viele andere gewesen, und so
wie neuerdings Perikles, also einst Nestor und Antenor und manche andere; und auf dieselbe Weise
kann man auch alle übrigen mit einander vergleichen. Sowie aber dieser Mann ist mit seinen
Seltsamkeiten, sowohl an sich selbst, als in seinen
Reden, möchte man so leicht keinen ähnlichen finden, weder unter den Zeitgenossen, noch unter den
Altvorderen, - man müßte ihn denn, wie ich es
getan habe, mit keinem Menschen, sondern mit Satyrn und Silenen vergleichen, ihn selbst sowie seine
Reden.
Denn das habe ich nämlich zuvor noch zu bemerken vergessen, daß auch seine Reden ganz den
auseinandergenommenen Silenen gleichen. Denn
höre jemand nur die Reden des Sokrates an, so
werden sie ihm zuerst sehr lächerlich vorkommen;
in solche Ausdrücke und Bezeichnungen hüllen sie
sich äußerlich ein, wie in das teil eines neckischen
Satyrs. Denn von Lasteseln stricht er und von
Schmieden und Schustern und Gerbern, und über
denselben Gegenstand scheint er immer dasselbe zu
wiederholen, so daß jeder Unkundige und Gedankenlose darüber lachen muß. Wenn man sie aber
erschlossen sieht und in ihr Inneres hineindringt,
dann wird man zunächst finden, daß sie allein unter
allen Reden einen wahrhaften Inhalt haben, bald
aber auch, daß sie die göttlichsten von allen sind
und die mannigfaltigsten Gestalten der Tugend
gleich Götterbildern umfassen, und daß sie sich
über das reichhaltigste Gebiet ausdehnen, ja alles
in sich schließen, was dem zu bedenken ziemt, welcher ein geistig und sittlich durchgebildeter Mann
werden will.
Solches ist es, ihr Freunde, was ich zum Lobe
des Sokrates vorzubringen habe, und ebenso habe
ich den Tadel eingemischt, den ich gegen ihn führen muß, und habe euch erzählt, wie übermütig er
mich behandelt hat. Und doch ist er nicht mit mir
allein so umgegangen, sondern auch mit Charmi
des, dem Sohne des Glaukon, und mit Euthydemos,
dem Sohne des Diokles, und mit gar vielen anderen. Diesen allen hat er vorzuspiegeln gewußt, daß
er ihr Liebhaber wäre, während er sich vielmehr
selbst immer aus dem Liebhaber zum Geliebten zu
machen weiß. Das laß nun auch dir gesagt sein, lieber Agathon, damit du dich nicht von ihm täuschen
läßt, sondern, durch unseren Schaden belehrt, auf
deiner Hut bist und nicht erst nach dem Sprichworte, wie die Toren, durch eigenen Schaden klug
wirst.
Als nun Alkibiades so gesprochen, sei ein allgemeines Gelächter über seine Offenherzigkeit
entstanden, zumal daraus hervorzugehen schien, daß
er noch immer in den Sokrates verliebt sei. Sokrates aber habe gemeint: Du scheinst mir ganz
nüchtern zu sein, Alkibiades. Denn sonst würdest du es
wohl nicht so geschickt durch allerlei Winkelzüge
zu verbergen versucht haben, zu welchem Zwecke
du dies alles gesagt hast, und nur zu Ende sowie im
Vorbeigehen darauf gekommen sein, als ob du
nicht auch schon alles Vorige bloß deshalb gesagt
hättest, um mich mit Agathon zu entzweien, in dem
Wahne, ich dürfe bloß dich allein lieben und keinen anderen, Agathon aber dürfe bloß von dir
allein geliebt werden und von keinem anderen. Aber
du bist nicht damit durchgekommen, sondern dein
Satyr- und Silenendrama ist entlarvt worden.
Darum, lieber Agathon, laß ihn keinen Gewinn
davon haben, sondern sorge, daß niemand uns
beide entzweie!
Agathon aber habe ihm erwidert: Ich glaube, du
hast ganz recht, mein Sokrates; ich schließe dies
auch daraus, daß er sich zwischen uns beiden niedergelassen hat, um uns so auch räumlich zu
trennen. Das soll ihm aber nichts helfen, sondern ich
werde zu dir herüberkommen.
Vortrefflich, habe Sokrates gesagt; nimm hier
unterhalb von mir dicht an meiner Seite Platz!
O Zeus, habe Alkibiades ausgerufen, was habe
ich schon wieder von diesem Menschen auszustehen! Überall will er mir seine Überlegenheit
zeigen. O nein doch, du Lieber, wenn es nicht anders
geht, so laß wenigstens den Agathon in der Mitte
zwischen uns Platz nehmen!
Das geht nicht, habe Sokrates versetzt, denn du
hast eben eine Lobrede auf mich gehalten; ich muß
also wieder eine solche auf meinen Nachbar zur
Rechten halten; wenn nun Agathon unterhalb von
dir Platz nimmt, so kann er mich doch wahrlich
nicht noch einmal preisen, bevor er vielmehr von
mir gepriesen worden ist. Darum laß ihn gewähren,
du Vortrefflicher, und mißgönne dem jungen
Manne meine Lobrede nicht, zumal da ich selber
höchst begierig darauf bin, sie ihm zu halten!
Juchhe! habe da Agathon ausgerufen: Alkibia
des, nun hält mich nichts mehr zurück, sondern
nichts ist mir jetzt angelegentlicher als meinen
Platz zu wechseln, damit ich von Sokrates verherrlicht werde.
Ja, da haben wir wieder das alte Spiel, sei die
Antwort des Alkibiades gewesen: wenn Sokrates
da ist, dann kann kein anderer zum Mitbesitze
eines Schönen gelangen. Und wie leicht hat er auch
jetzt wieder einen so scheinbaren Vorwand gefunden, weshalb Agathon neben ihm sich niederlassen
muß!
Agathon sei hierauf aufgestanden, um neben Sokrates Platz zu nehmen: da sei plötzlich eine
Menge von Nachtschwärmern vor der Tür erschienen, und da sie diese geöffnet fanden, weil gerade
jemand hinausging, so seien sie zu ihnen eingedrungen und hätten sich bei ihnen niedergelassen.
So hätte sich alles mit Lärm erfüllt, alle Ordnung
habe sich aufgelöst, und man sei genötigt worden,
sehr vielen Wein zu trinken. Eryximachos, Phaidros und mehrere andere hätten sich deshalb, wie
Aristodemos erzählte, davongemacht; ihn selbst
aber habe der Schlummer überwältigt, und er habe
recht lange geschlafen, indem ja damals die Nächte
lang waren, und er sei erst mit Tagesanbruch erwacht, als schon die Hähne krähten. Da habe er
denn nun bemerkt, daß alle anderen teils schliefen,
teils fortgegangen waren, und daß nur Agathon,
Aristophanes und Sokrates noch wach waren und
aus einer großen Schale nach rechts herum einen
Umtrunk hielten. Sokrates aber habe mit den beiden andern ein Gespräch geführt. Der übrige Inhalt
desselben, sagte Aristodemos, sei ihm nicht mehr
gegenwärtig, denn er habe den Anfang noch nicht
gehört und sei auch zwischendurch wieder eingenickt. In der Hauptsache aber, erzählte er, sei es
darauf hinausgelaufen, daß Sokrates sie einzuräumen gezwungen habe, es sei Sache eines und
desselben, des Komödien - und Tragödienschreibens
kundig zu sein, und der kunstgerechte Tragödiendichter müsse auch zugleich Komödiendichter sein.
Während er sie nun dies einzuräumen nötigte, und
da sie ihm dabei nicht ganz zu folgen vermochten,
seien sie eingenickt. Und zwar zuerst sei Aristophanes eingeschlafen, dann aber, als es schon
heller Tag war, auch Agathon. Sokrates aber sei,
nachdem er sie so in den Schlaf geredet, aufgestanden und fortgegangen, und er selber sei, wie er zu
tun pflegte, ihm gefolgt. Dann habe jener sich in
das Lykeion begeben und, nachdem er ein Bad genommen, ganz wie sonst dort den ganzen Tag
verweilt und sei erst nach so verbrachtem Tage nach
Hause und zur Ruhe gegangen.
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