Das Polaritätsprinzip
Die
Geschlechtertrennung eine Urpolarität
Die Geschlechtertrennung
ist die unmittelbare Folge der luziferischen Versuchung,
die dem Menschen die Sinne für die physische Welt
geöffnet hat. Die Menschheit wird in Mann und Frau
gespalten, die gleichsam die zwei Ur-Rassen darstellen. Polarität ist aber
überhaupt die Grundvoraussetzung jeder sinnlichen
Erscheinung. So
erscheint beispielsweise das übersinnliche Licht nur an
der ihr polar entgegengesetzten untersinnlichen
Finsternis. Erst wo diese beiden nichtsinnlichen
Qualitäten zusammenwirken erscheint die Farbe. In der
Menschheitsentwicklung zeigt sich ebenso zuerst die
Ur-Polarität der Geschlechter und später die
verschiedenen Rassen.
Nur jene Wesensglieder,
die mit der raum-zeitlichen Welt zusammenhängen,
unterliegen der Geschlechtertrennung, also der physische
und der ätherische Leib. Beide zusammen spiegeln diese
Polarität deutlich wieder: dem männlichen physischen
Leib ist ein weiblicher Ätherleib zugehörig, während
umgekehrt dem weiblichen physischen Leib ein männlicher
Ätherleib entspricht. Bezüglich dieser beiden unteren
Wesensglieder ist jeder auf Erden inkarnierte Mensch
unvollständig und bedarf der Ergänzung durch einen
andersgeschlechtlichen Partner. Erst Mann und Frau
gemeinsam nähern sich dem übersinnlichen Menschenideal.
Auf Erden kann man sich diesem nur annähern, im Leben
zwischen dem Tod und einer neuen Geburt ist es Realität;
wenn nach dem Tode der physische und der ätherische Leib
abgestreift sind, kann von einer Geschlechtertrennung
nicht mehr gesprochen werden. Im Laufe der verschiedenen
Inkarnationen geht der Mensch dann wiederholt durch
männliche und weibliche Inkarnationen hindurch, so daß
insgesamt alle Einseitigkeiten ausgeglichen werden.
Ohne die luziferische
Versuchung und die darauffolgende Geschlechtertrennung
wäre die Menschheit niemals zum sinnlichen Bewußtsein
erwacht und damit auch nicht zum Ich-Bewußtsein. Denn Bewußtsein entsteht nur
dort, wo sich das einheitliche geistige Wesen in der
Polarität erscheint. Nicht nur wird der Mann der Frau
gegenübergestellt, sondern das Ich muß nun auch der
sinnlichen Welt entgegentreten. In dem der Mensch nun
allmählich beginnt räumlich zu erleben, wird er sich
langsam seines Ich bewußt: das Subjekt fühlt sich dem
Objekt, der Natur gegenübergesetzt.
Zum räumlichen
Bewußtsein fügt sich das zeitliche Erleben hinzu.
Zunächst fühlt sich das gegenwärtige Ich als
beständige Wiederholung des früheren Ich; die
ursprüngliche Zeitauffassung ist also zyklisch und geht erst allmählich, weil
sie sich mit der räumlichen Anschauung durchdringt, in
den linear
fortschreitenden Zeitbegriff über. Das geschichtliche Bewußtsein
beginnt, wodurch das gegenwärtige Ich auf seine
Vergangenheit zurückblickt und seine Zukunft plant. Die
mythologische Welterfahrung geht so allmählich in das
Verstandesdenken über. (siehe insbes. GA 138 / 92ff)
Das räumliche Erleben
hängt eng mit dem Bau des physischen Leibes zusammen,
die zeitliche Erfahrung mit dem Ätherleib. Daher
dominiert naturgemäß beim Mann ursprünglich das
räumliche Erleben, bei der Frau die anfängliche
zyklische Zeitauffassung. Das männliche Bewußtsein ist
daher nach außen hin auf die räumliche Umwelt
orientiert und drängt zur Ortsveränderung. Das
Nomadenwesen der frühen Menschheit liegt darin
begründet. Der Mann will in die Welt hinaus, um sich mit
ihr zu vereinen um so wieder heil, d.h. ein Ganzes zu
werden. Daß Ich und Welt voneinander geschieden werden,
ist die Voraussetzung für jede bewußte Erkenntnis; die
aktiv herbeigeführte Wiedervereinigung bedeutet ihren
Vollzug. Dem entspricht auf leiblicher Ebene vollkommen
der Zeugungsakt, wie es schon die Bibel treffend
erzählt: "Und Adam erkannte sein Weib." Jeder Erkenntnisakt
ist ein vergeistigter Zeugungsakt.
Das weibliche
zyklisch-zeitliche Bewußtsein ist nach innen zu
orientiert und sucht den Augenblick als Ewigkeit zu
bewahren. Die Frau will die ganze Welt in sich aufnehmen
um dadurch wieder heil zu werden: zu erkennen
bedeutet daher auch immer eine vergeistigte Empfängnis. Das heißt aber nicht weniger,
als daß in jedem wirklichen Erkenntnisakt die Ehe zwischen den vergeistigten
männlichen und weiblichen Kräften vollzogen werden
muß. Jeder Mann muß sich daher geistig erringen, was
ihm physisch-ätherisch mangelt, und umgekehrt jede Frau.
Nur so können wir überhaupt einmal künftig der Auferstehungsleiblichkeit teilhaftig werden, denn diese ist
rein geistiger Natur und daher notwendig ungeschlechtlich
männlich-weiblich zugleich; durch sie wird der für die
Ich-Entwicklung notwendig gewesene Sündenfall
überwunden und die Geschlechtertrennung aufgehoben. Die
christliche Ein-Ehe
ist die dazu nötige Vorübung.
In vorchristlicher Zeit
war die Polygamie weit verbreitet und durchaus
berechtigt, noch hatten wir es ja mit dem Gruppen-Ich und
noch nicht mit einzelnen individuellen Menschen zu tun.
Heute hingegen kann sie nur als eine der freien
Individualität widerstrebende Kraft angesehen werden,
die aber von dem immer stärker heranwachsenden Egoismus
heftig geschürt wird. Tatsächlich wird dadurch die
Beziehung zwischen den Geschlechtern vielfältig
durcheinandergebracht. Single-Dasein, Homosexualität,
Emanzentum, aber auch das kirchlich verordnete
unfreiwillige Zölibat haben eines gemeinsam: sie sind
entscheidende Impulse die das freie Individuum an seiner
notwendigen Entfaltung hindern. Alle diese sog.
"alternativen Lebensformen" halten in Wahrheit
die fruchtbringende künftige Entwicklung auf!
Gerade deshalb kann sich
die moderne christliche Ein-Ehe aber auch nicht in dem
viel zitierten "traditionellen Rollenbild"
erschöpfen, denn dann hält man nur krampfhaft den alten
Ur-Gegensatz fest, der aber gerade geistig immer mehr
überwunden werden muß. Jeder freie Mensch muß selbst
entscheiden können, was ihm mangelt und was er geistig
hinzu gewinnen muß. Nicht grundlos üben sich in den
Waldorfschulen Buben und Mädchen gemeinsam im Werken und
Handarbeiten. So müßte im Grunde jede Ehe für sich
eine "alternative Lebensform" darstellen, in
der einander die Partner je nach ihren individuellen
Bedürfnissen ergänzen; eine "genormte"
Rollenverteilung kann es künftig nicht mehr geben.
Die
Ur-Familie als Quelle der Menschheit
Die Partnerschaft zwischen
Mann und Frau erschöpft sich nicht in ihrer
wechselseitigen Ergänzung, sie führt auch zur Zeugung
der Nachkommenschaft. Für die Familie gilt also das
mathematische Paradoxon 1 + 1 = 3 (oder mehr). Diese
Vervielfältigung ist aber das Grundprinzip jeder
schöpferischen Tätigkeit. Auf geistiger Ebene
entspricht ihr die kreative Erkenntnistätigkeit, die
nicht bloß bereits vorhandene Ideen kombiniert, sondern
schöpferisch neue erschafft. Aufgabe der Familie ist es,
das Ich in die Erdenwelt hereinzuführen; Aufgabe der
Erkenntnis ist es, Geistiges im wachen Erdenbewußtsein
aufleuchten zu lassen.
Bild und Aufgabe der
Familie haben sich im Laufe der menschheitlichen
Entwicklung bedeutsam gewandelt. Anfangs gab es noch kein
individuelles Ich, das sich in einem einzelnen Menschen
hätte verkörpern können. Ein gemeinsames Gruppen-Ich
durchgeistigte die ganze Familie. Fruchtbare Familien
konnten ihr gemeinsames Ich durch die Fülle der
Nachkommenschaft intensiver in die irdische Welt
hereinführen als solche, die nur wenige Nachkommen
hervorgebracht hatten. Fruchtbarkeit war also nötig, um das irdische
Ich-Bewußtsein zu entwickeln: "Seid fruchtbar und
mehret euch!"
Das Gruppen-Ich weilt
zunächst noch fast ganz in der geistigen Welt und ist
kaum für die Sinneswelt erwacht; es ist noch beinahe
träumend in sie verwoben, Sinnliches und Geistiges
durchdringen einander beinahe ungeschieden. Je mehr sich
die Familie zur Sippe erweitert, um so enger wird das
Gruppen-Ich an die Erdenwelt gebunden und um so stärker
erwacht das sinnliche Bewußtsein. Das Familienoberhaupt
ist der herausragende Sprecher dieses Gruppen-Ichs und
diese Fähigkeit geht allmählich auf den erstgeborenen Sohn über. Da alle Sippenmitglieder
einem einzigen gemeinsamen Ich angehören, ist die
Blutsliebe selbstverständlich. Anders als in dem
bekannten Christuswort gilt hier: "Liebe deinen
Nächsten als dich selbst."
Wie der einzelne Mensch,
so durchläuft auch die Sippe verschiedene
Entwicklungsstadien von der Jugendzeit über die Reife
bis hin zum Alter, um endlich auszusterben oder in
anderen jugendkräftigeren Sippen aufzugehen. Das sonst
unverständliche "biblische" Alter eines
Methusalem oder anderer erklärt sich dadurch: nicht der
einzelne Mensch, sonder die ganze Sippe mit ihrem
gemeinsamen Gruppen-Ich ist gemeint.
Von einer Reinkarnation des einzelnen individuellen Ichs
kann in diesem frühen Zeitalter streng genommen nicht
gesprochen werden. Solange die Sippe auf Erden existiert,
strömt das gemeinsame Ich durch die aufeinanderfolgenden
Generationen; es ist an die Vererbungsströmung gebunden, in denen die
Mondenkräfte Jahves wirken. Sie verhindern, daß das
leibliche Gefäß durch den luziferischen Einfluß
verdorben wird. Auch gab es damals noch nicht die persönliche
Unsterblichkeit; das
gemeinsame Ich lebte in den Nachkommen fort. Eine
Anschauung, an der die Sadduzäer noch in
nachchristlicher Zeit festhalten wollten. In weiterer
Konsequenz wird daraus die materialistische Auffassung,
die Geist und Seele überhaupt leugnet und bloß an das
leibliche Fortleben glaubt, das durch die Generationen
vererbt wird. Dazu werden Traditionen und Gebräuche,
also mehr oder weniger abstrahierte Bildekräfte
weitergegeben. Der Mensch wird damit auf seine
physisch-ätherische Leiblichkeit reduziert, was noch
zusätzlich durch jene puritanische Lebensauffassung verschärft wird, die die astralen
Triebkräfte nicht verwandeln, sondern ausschalten
möchte.
An der Blutsbindung hielt
im allerhöchsten Maße das jüdische Volk fest, und das mit gutem Grund: es bereitete
den Weg zu jener Leiblichkeit, die fähig war den
Christus, das Menschheits-Ich vollkommen in sich aufzunehmen. Darin
bestand geradezu die Aufgabe der gesamten vorchristlichen
Zeit. Wird dieser Weg aber noch in nachchristlicher Zeit
beschritten, muß die Menschheit im Materialismus
versinken. Daher hat sich der Christus von Anfang an
energisch gegen die bloße Blutsbindung ausgesprochen.
Das beginnt bereits mit der Hochzeit zu Kana und wird in
dem scheinbar paradoxen Ausspruch deutlich: "Wer
nicht verläßet Vater und Mutter, kann nicht mein
Jünger sein!" Anstelle der Blutsverwandtschaft muß
immer mehr die seelisch-geistig begründete Wahlverwandtschaft treten.
Es war die Mondenkraft
Jahves, die das leibliche Gefäß so durchformt hatte,
daß dadurch der Astralleib und das Ich immer stärker
individualisiert wurden. Auf untergeordneter Ebene wird
schon der Astralleib im Tierreich individualisiert: jede
einzelne Tierart verfügt über ihren eigenen typischen
Astralleib, der jedoch in unzähligen Exemplaren
vorliegt. Erst die Menschenbildung schließt diesen
Prozeß ab, indem nun jeder einzelne Mensch über seinen
eigenen in sich geschlossenen Astralleib verfügt, der
überdies ein Abbild des ganzen Tierkreises, also ein
vollständiger Mikrokosmos ist, was bei keiner einzigen
Tierart der Fall ist. Der Mensch ist in diesem Sinne das
höchste aller Tiere, er vollendet die tierische
Entwicklung und ist damit zugleich das Urbild, aus dem
sich alle Tiergattungen ableiten lassen und dessen
jeweils einseitige Ausprägung sie darstellen. Zugleich
weist der Mensch über das Tierreich hinaus, denn durch
seinen allseitig veranlagten, den ganzen Kosmos
umfassenden Astralleib wird er fähig das Ich in sich
aufzunehmen, was dem Tier ewig verwehrt bleiben muß. Es
kann sich daher niemals individualisieren, sondern muß
stets Gruppen-Ich bleiben.
Nur in der Sinneswelt kann
der Mensch zur freien Individualität heranreifen. Und
doch wirkt dieselbe Sinnlichkeit auch wiederum der
Individualisierung des Astralleibes entgegen, denn dieser
neigt gleichsam dazu, durch die Sinne davonzufließen und
sich in der allgemeinen Weltenastralität aufzulösen.
Was wir im Erdenleben an sinnlichen Begierden in uns
erwecken, das muß im nachtodlichen Leben im
Läuterungsfeuer abgestreift und unserem Astralleib
entrissen werden. Nur der wirklich individualisierte Teil
des Astralleibes kann in der geistigen Welt selbständig
erhalten bleiben und auch weitergegeben werden. In
diesem Sinne kann man in vorchristlicher Zeit von Seelenwanderung sprechen, nicht aber von echter
Reinkarnation, denn diese bezieht sich auf das
individuelle Ich und nicht auf die astralen
Seelenkräfte. Von Reinkarnation im weiteren Sinne kann
man nur bezüglich des Gruppen-Ichs der einzelnen Sippen
sprechen: stirbt eine Familie physisch aus, so kann sich
ihr Gruppen-Ich später in einer anderen Familie
wiederverkörpern.
Die durch die nachtodliche
Läuterung ausgeschiedenen Splitter des Astralleibes
wirken gestaltend an der äußeren Natur mit; auf die
Tiere von innen, auf die Pflanzen und sogar die
Mineralien von außen. Das diese Astralkräfte sich auf
die sinnliche Welt beziehen, sind sie auch mit den
sinnlich verkörperten Naturreichen eng verwandt. Der
Mensch kann sich zwar niemals in einem Tier oder gar in
einer Pflanze wiederverkörpern, aber die von ihm
ausgeschiedenen astralen Kräfte sind in ihnen sehr wohl
wirksam. Von diesem Standpunkt aus besehen wird auch die
Seelenwanderungslehre des Pythagoras verständlich.
Umgekehrt verliert der
menschliche Astralleib durch diese Läuterung seine
Ganzheitlichkeit. Er hat Teile seines Wesens an die
sinnliche Welt abgegeben und kann sie daher auch nur dort
wiederfinden. So entsteht im nachtodlichen Leben
schließlich ein brennender Durst nach irdischem Dasein,
der nur dadurch dauerhaft gelöscht werden kann, daß die
sinnlichen Begierden im Erdensein immer mehr vergeistigt
werden. Das ist der Kern der buddhistischen Lehre.
Durch die Jahve-Strömung
wurden allmählich alle Leibesglieder so durchformt, daß
sie ein geeignetes Gefäß für das herabsteigende Ich
werden konnten. Niemals wurde aber in vorchristlicher
Zeit die Ich-Kraft vollständig in den Erdenleib
aufgenommen. Ein Teil verblieb stets im Schoße der
geistigen Welt, noch völlig unbedarft vom irdischen
Ich-Bewußtsein. Damit ist auf jene Seele hingedeutet,
die sich zur Zeitenwende in dem nathanischen Jesusknaben
verkörpern sollte.
Die
beiden Jesus-Knaben eine Entwicklungsnotwendigkeit
Die vorchristliche
irdische Entwicklung diente dazu, das leibliche Gefäß
zu bereiten, das fähig war, das Menschheits-Ich
vollkommen in sich aufzunehmen. Physischer Leib und
Ätherleib wurden durch die Jahve-Kräfte so durchformt,
daß das Ich einmal in ihnen leben konnte. Durch die
physischen Vererbungskräfte und durch die von den
Ätherkräften getragene Tradition wurden sie davor
bewahrt, von den Widersachern vorzeitig zerstört zu
werden. Trotzdem machte sich der luziferische Einfluß,
die Erbsünde, immer stärker bemerkbar. Luzifer ergreift
den Astralleib, der zunächst in dem
physisch-ätherischen Gefäß individualisiert werden
sollte. Und eben dieser immer stärker und
eigenständiger werdende und von luziferischen Kräften
durchsetzte Astralleib begann den Leib immer mehr zu
deformieren und eröffnete dadurch den ahrimanischen
Mächten die Möglichkeit den Ätherleib und indirekt
auch den Physischen Leib zu ergreifen.
In der ur-persischen
Epoche ist der
Astralleib weitgehend individualisiert, und konsequent
spricht Zarathustra nun von der drohenden ahrimanischen Gefahr,
die in das physisch-ätherische Gefäß Jahves einzieht,
wenn der Astralleib selbst nicht reinster Ausdruck der
geistigen Sonnenkräfte, der Großen Aura (Ahura Mazdao)
wird. Der Astralleib des Zarathustra selbst erstrahlte in
diesem lautersten geistigen Sonnengold, er ist der
Goldstern (Zoro-aster). So wie die Sternenwelt insgesamt,
d.h. der Tierkreis, sichtbarer Abglanz der
Weltenastralität ist, so ist ein spezieller Stern,
nämlich unsere Sonne, das Zentrum von dem die
individualisierten Astralkräfte ausstrahlen.
Wie aber steht es mit dem
Ich in vorchristlicher Zeit? Es ist zunächst ein
Gruppen-Ich, das an den Sippenzusammenhang gebunden ist.
Kein einzelner Mensch kann das Ich noch vollkommen
verkörpern. Nicht einmal die Sippe als ganzes vermag
das, denn weil das Ich in mehrere Menschen hineinragt und
sie zugleich miteinander verbinden muß, bleibt notwendig
ein Teil seines Wesens in der geistigen Welt. Und da
dieser Teil überhaupt noch keine irdische
Individualisierung durchgemacht hat, umspannt er die
ganze Menschheit. Dieses vom irdischen Sündenfall
unberührt gebliebene Wesen wurde zur Zeitenwende als nathanischer
Jesusknabe geboren.
Wir müssen also in
vorchristlicher Zeit zwei getrennte Entwicklungslinien
annehmen: eine irdische, durch die die drei Leibesglieder
vollendet werden und dadurch dem Ich-Bewußtsein den Weg
bahnen, und eine himmlische, die das eigentliche Ich
umfaßt, das aber zunächst noch ein Gruppen-Ich ist.
Durch das leibliche Gefäß werden Astralleib und Ich
immer mehr individualisiert. Das rein geistige Ich taucht
dabei immer stärker in den Leib ein und erwacht
allmählich zum Bewußtsein seiner selbst; der größte
Teil menschlicher Ich-Kraft verbleibt aber noch in den
geistigen Welten. Noch ist das Ich nicht wirklich
verkörpert, sonder bloß inkorporiert. Das
Leibesgefäß, das den physischen, den ätherischen und
den astralischen Leib umfaßt, ist von der Ich-Kraft
gleichsam nur "besessen" aber nicht von ihr
voll durchgestaltet. Von Reinkarnation kann zu diesen
Zeiten, wie bereits erwähnt, nicht wirklich gesprochen
werden. Dafür aber bleiben in sich vollendete
Leibesglieder erhalten, was der Seelenwanderung
entspricht. Das gilt allerdings nur für sehr hoch
entwickelte Erdenmenschen wie beispielsweise Zarathustra.
Er kann daher seinen Astralleib an Hermes, den großen Eingeweihten der
ägyptisch-chaldäischen Zeit weitergeben und seinen
Ätherleib an Moses.
Indem das Ich den
Astralleib ergreift und zu durchformen beginnt, wird nach
und nach die Empfindungsseele herausgebildet. Eine ganz neue Phase in der
menschheitlichen Entwicklung beginnt damit in der
ägyptisch-chaldäischen Zeit. Die Rassenbildung, die auf
der alten Atlantis begonnen hatte wird endgültig
abgelöst durch die Völkerentwicklung. Die individuelle
Seele reift im Schoße der Volksseele heran. Die ersten beiden
nachatlantischen Kulturen, in denen der Äther- und der
Astralleib ausreifen, bilden die Übergangsphase, die von
den Rassen zu den Völkern führt. Eine individuelle
Seele ist um so reifer, je mehr sie von der Volksseele in
sich aufzunehmen vermag.
Der Astralleib, der
bislang durch das leibliche Gefäß individualisiert
wurde, wird nun zunehmend durch das Ich geprägt, das
aber noch im Schoße des Volksgeistes ruht. Und der
Volksgeist selbst wirkt gestaltend bis in den Ätherleib
hinein, kaum aber in den physischen Leib. Ein typischer
Vertreter seines Volksgeistes ist der jüdisches Prophet
Elias, der später als Johannes der Täufer wiedergeboren
wurde.
Je länger eine Sippe auf
Erden gelebt hat, desto mehr irdische Erfahrungen hat das
Gruppen-Ich gesammelt. Wenn sich die Lebenskraft der
Sippe zu erschöpfen beginnt und sie allmählich
ausstirbt, umfaßt sie auch immer weniger einzelne
Mitglieder. Das irdische Bewußtsein des Gruppen-Ich wird
dadurch zwar immer weniger umfassend, aber auch immer
wacher und individueller. Seinen Höhepunkt erreicht es
im letzten männlichen Nachkommen, nach dem die Sippe
endgültig ausstirbt. Die Betonung liegt hier deswegen
auf dem männlichen Prinzip, weil der starre physische
Leib des Mannes zunächst am stärksten das
Ich-Bewußtsein prägen konnte, wohingegen der weich
bildsame weibliche Leib in vorchristlicher Zeit vor allem
den Geburtskräften diente. Es ist der (unverheiratete) Sohn der Witwe, in dem sich das Ich-Bewußtsein
am allerstäksten individualisieren konnte. Von hier aus
konnte das Ich die Seele immer individueller zu prägen
beginnen.
Je enger also der
Personenkreis wurde, in dem sich das Gruppen-Ich ausleben
konnte, desto schärfer wurde also sein Erdenbewußtsein.
Dieses Prinzip wurde in der Geschwisterehe der ägyptischen Pharaonen vorbereitet.
Auch dadurch wurde das Ich bereits auf einen allerengsten
Menschenkreis konzentriert. Darauf fußt jenes
Einweihungsprinzip, das unmittelbar mit der menschlichen
Seelenentwicklung zusammenhängt und auf das uns die Isis
und Osiris-Legende hinweist. Isis ist die Witwe ihres
Gemahls und Bruders Osiris und gebiert das Horus-Kind, also den Sohn der Witwe, der zugleich die in der Seele
geborene Ich-Kraft darstellt.
So sind es zunächst zwei
ganz verschiedene Einweihungsarten, die für die
Seelenentwicklung wichtig sind und die einander
ergänzen. Die Eingeweihten in den Volksgeist dehnen die Seele soweit aus, daß
sie zu einem vollkommen Ausdruck der Volksseele wird,
wobei aber das eigentlich individuelle Element
zurücktritt. Was früher nur Sippenbewußtsein war,
breitet sich nun über das ganze Volk aus oder im
Idealfall auf die ganze Menschheit, wie es bei dem
nathanischen Jesus-Knaben der Fall ist: seine Seele ist
Ausdruck des allgemein Menschlichen schlechthin.
Die Söhne der Witwe prägen der menschlichen Seele den
Stempel der Individualität auf. Sie wird dadurch
unabhängig von Rasse, Volk und Familie; sie ist eine
wahrhaft heimatlose Seele, prädestiniert nur sich
selbst, d.h. ihrem individuellen Ich verantwortlich zu
sein. Der salomonische Jesus-Knabe, der wiedergekommene Zarathustra,
ist der vollkommenste Repräsentant dieser Strömung.
Dem Volkseingeweihten
droht seine Individualität völlig zu entschwinden,
während der Sohn der Witwe Gefahr läuft, im krassesten
Egoismus zu versinken, wie es etwa bei den späteren
römischen Cäsaren der Fall war. Nur ein vollkommen
geläuterter Astralleib, der "Goldstern", kann
ihn davor bewahren. Beide Einweihungsrichtungen bereiten
den Herabstieg des Menschheits-Ichs, des Christus, aus
den geistigen Welten vor. Aber erst durch den
konkreten Zusammenfluß beider Strömungen in einem
einzigen Menschen, d.h. durch die Vereinigung des
salomonischen und des nathanischen Jesus, konnte sich der
Christus bei der Jordan-Taufe als individuelles menschliches Ich
verkörpern. Und dieser Inkarnationsprozeß benötigt die
vollen 3 Jahre, die der Christus auf Erden gelebt hat und
vollendet sich erst mit dem Mysterium von Golgatha, wo der Christus nun in die ganze
Erde übergeht und sich mit ihr verbindet. So konnte die
gewaltige kosmisch-geistige Kraft des Christus bis in den
physischen Menschenleib hinein wirken und ihn zur
Auferstehung führen. Dadurch wurde aber überhaupt erst
die Voraussetzung dafür geschaffen, daß sich von nun an
das einzelne individuelle menschliche Ich in der
Erdenwelt verkörpern konnte.
In vorchristlicher Zeit
war es Jahve, der den menschlichen Leib vor den
schlimmsten Verfallserscheinung bewahrt und ihn zur
Blüte geführt hatte. Von nun an wird er durch das auf
Erden wirkende Christus-Prinzip abgelöst. Das
Vererbungsprinzip und die Erbsünde werden nun
gleichermaßen überwunden. Die Seele wird nun nicht mehr
durch den naturgegebenen Leib individualisiert, sondern
unmittelbar durch das rein geistige, aber auf Erden
verkörperte menschliche Ich. Und die individuelle Seele
beginnt in der Folge auch den Leib immer individueller
auszuprägen. Dadurch werden endlich Egoismus, Volkstum
und Rasse überwunden aber nur wenn sich das
einzelne Individuum freiwillig mit der Christuskraft
durchdringt.
Durch den Christus ist der
vollendete Mensch in die Erdenentwicklung getreten,
vorbildlich für die ganze weitere Entfaltung des
Menschengeschlechts. Und dadurch unterscheidet sich der
Christus selbst von allen Eingeweihten: "In dem
Christus haben wir die eine einzige Individualität, die
alles, was sie getan hat, was sie gesprochen hat, was von
ihr ausgegangen ist in die Menschheitsentwicklung, durch
den physischen Leib und nicht auf dem Umwege durch
höhere Leiber gegeben hat." (GA 133/S 45) Er
hat jenes Ziel bereits verwirklicht, zu dem sich die
Menschheit erst noch hin entwickeln muß. Seine reale
Präsenz auf Erden hat bewiesen, daß dieses Ziel
erreichbar ist, wenngleich es auch für uns noch in der
Ferne liegt. Der Wiederaufstieg ins Geistige mit allen
Früchten des Erdenlebens kann beginnen.
Geschlechtertrennung, Rassen, Völker und das einzelne
Ego sind notwendige Folgen der vorchristlichen
Entwicklung, die das Christus-Mysterium überhaupt erst
möglich gemacht haben, die aber auch noch weit über die
Zeitenwende hinaus fortwirken, ja sogar fortwirken
müssen. Sie werden nur durch eine wahrhafte
"Imitatio Christi", durch eine rechte Nachfolge
Christi allmählich überwunden werden.
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