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Die natürliche Lebensspanne der Tiere und des Menschen ist streng begrenzt

Daß das irdische Leben des Menschen innerhalb enger, unverrückbarer Grenzen beschlossen liegt, weiß schon die Bibel zu berichten; im 90. Psalm etwa heißt es:

  ...
Unser Leben währet siebzig Jahre,
und wenn’s hoch kommt, so sind’s achtzig Jahre,
und was daran köstlich scheint,
ist doch nur vergebliche Mühe;
denn es fähret schnell dahin,
als flögen wir davon.
...
 

Und ebenso wie des Menschen Leben, so ist auch das der Tiere streng begrenzt. Die Pflanze wird vom Tod nur leise berührt, für Tier und Mensch wird er zu einem essentiellen Wesenszug. Sie können sich nicht mehr direkt von den aufbauenden Lebenskräften des Sonnenlichts ernähren, sie sind darauf angewiesen, ihre gesamte Stoffwechselenergie durch die Atmung aus der aufgenommenen Nahrung zu gewinnen. Die Kraft, die das Tier daraus schöpfen kann, stammt zwar letztlich auch von der Sonne, denn am äußersten Ende jeder Nahrungskette steht schließlich die Pflanze, die das Sonnenlicht einfängt, aber doch ist die Atmung, wie wir schon betont haben, ein abbauender Prozeß. Und auch alle aufbauend, in der Jugend den Leib bildenden und später erhaltenden Kräfte müssen diesem stetigen Abbau abgerungen werden. So werden die Lebenskräfte, die sich bei der Pflanze weitgehend frei entfalten können, in Tier und Mensch beständig gehemmt. Daß das bei einem Lebewesen, das sich nicht unbegrenzt in den Raum ausbreitet, sondern sein Leben in einem eng umschlossenen Hohlkörper gestaltend tätig werden läßt, nicht anders sein kann, haben wir bereits gesehen. So paradox es klingen mag: zuviel Leben ist dem Tier abträglich.

Deutlich zeigt sich auch, daß die Lebenskräfte des Tieres um so stärker gehemmt werden, je höher entwickelt es ist. Ein Wurm, der in der Mitte auseinandergetrennt wird, kann sich wieder zu einem vollständigen Wesen regenerieren. Ein Frosch, der ein Bein verloren hat, kann es, wenn auch etwas verkümmert, wieder nachbilden. Den Säugetieren fehlt diese Regenerationsfähigkeit schon beinahe völlig, aber sie verfügen immerhin noch über wesentlich stärkere Wundheilkräfte als der Mensch, in dem die Lebenskraft am allermeisten zurückgedrängt wird.

Der Abbau, so unaufhaltsam er auch ist, vollzieht sich dennoch keineswegs regellos und ungeordnet, sondern unterliegt einer weisheitsvollen Lenkung, durch die überhaupt erst die tierische und menschliche Gestalt entstehen kann. Im gesunden tierischen oder menschlichen Körper müssen unentwegt viele Zellen gezielt absterben. Bei Krankheiten wie Krebs, AIDS oder Alzheimer gerät dieser Prozeß außer Kontrolle. Bei Krebs etwa werden die entartet wuchernden Zellen gar nicht mehr gehemmt, bei Alzheimer wird die Gehirnstruktur zu stark abgebaut. Das "Verwelken" (grch. "Apoptose"), das die Pflanze erst am Ende ihres Lebens erfaßt, muß das Leben des Tieres von Anfang an begleiten. Jedes Tier erhält seine endgültige Gestalt dadurch, daß bestimmte Zellen nach einem ganz genauen Plan eliminiert werden! Bei heranwachsenden Säugetieren beispielsweise müssen unzählige Nervenzellen gezielt zugrunde gehen, damit ihr Gehirn richtig durchformt und funktionsfähig wird. Viele Zellen in der Pflanze und im Tier gehen beständig durch Verschleiß zugrunde und werden soweit als möglich wieder erneuert. Die "Apoptose", die hier gemeint ist, ist demgegenüber aber kein passiver Zerstörungsprozeß, sondern wird aktiv gelenkt. Wann und wo eine bestimmte Zelle abgetötet werden muß, ist genau bestimmt. Der schleichende Tod in Tier und Mensch ist kein bloßes Erleiden, sondern er ist aktiv systematisch in uns tätig. Und der endgültige Tod des gesamten Organismus ist schlußendlich nichts anderes als die große Summe der vielen Teiltode, die sein ganzes Leben von jeher bestimmt haben. Die Apoptose, der aktiv gelenkte Zelltod, betrifft gleichermaßen alte wie junge, eben erst durch Teilung entstandene Zellen. Entscheidend dafür, ob eine Zelle vernichtet wird, ist nicht wie alt sie ist, sondern ob sie dem Gesamtorganismus hier und jetzt dienlich ist oder nicht. Jeder lebendige Organismus läßt sich nur ganzheitlich, d.h. von der Peripherie her verstehen. Das Ganze bestimmt, was aus den einzelnen Teilen wird. Das immer wuchernde Leben bringt beständig neue Zellen hervor, der Tod begrenzt ihr Dasein derart, daß der Organismus nicht zu einer formlosen Masse aufquillt. Das Leben, so kann man sagen, stirbt beständig in die feste Form hinein. Das gilt wohl auch für die Pflanze, aber doch nur eingeschränkt, denn ihre Form dehnt sich im Laufe ihres Lebens zwar nicht regellos, aber doch immer weiter aus. Das ausgewachsene Tier hingegen verändert seine äußere Form, und damit auch die Form und Größe seiner inneren Organe kaum mehr, und doch muß sich sein Organismus unaufhörlich erneuern. Wie alles Lebendige ist das Tier niemals, sondern wird beständig. Werden und Entwerden halten einander derart die Waage, daß nach außen zu die Gestalt des Tieres sich nicht zu ändern scheint, und doch ist sie unaufhaltsam im Fluß.

Was für das Ganze gilt, das gilt auch für seine einzelnen Teile. Der Tod ergreift nicht nur den Organismus insgesamt, sondern er geht auch mit jeder einzelnen Zelle, wenn man sie für sich betrachtet, mit. Schon hier wird das Leben beständig systematisch begrenzt. Junge, noch kaum differenzierte Zellen, sind unbegrenzt teilungsfähig. Wenn sie heranreifen, beginnen sie sich zu differenzieren. Jeder vielzellige Organismus verfügt nicht über lauter gleichartige Zellen, sondern er hat Muskelzellen, Nervenzellen, Hautzellen, Blutzellen usw., die sich alle deutlich voneinander unterscheiden. Und je höher ein Lebewesen organisiert ist, desto differenzierter gestaltet sich sein Zellgewebe aus. Je spezialisierter aber eine Zelle geworden ist, je deutlicher sie eine ganz spezielle Form angenommen hat und an dieser unverrückbar festhält, desto mehr hat auch sie den Tod in ihr Wesen aufgenommen. So wie der Gesamtorganismus nur dadurch seine Form behält, daß der Tod dem sprießenden Leben Einhalt gebietet, so kann auch die einzelne Zelle nur dadurch ihrer Aufgabe gerecht werden, daß auch die Todeskräfte in ihr walten. Spezialisierte Zellen verlieren daher ihre unbegrenzte Teilungsfähigkeit. Auf ganz merkwürdige und sehr unterschiedliche Weise sind dabei Leben und Tod ineinander verschränkt. Manche Zellen verlieren, wenn sie einmal ausgereift sind, ihre Teilungsfähigkeit vollständig und der Organismus muß dann sein ganzes weiteres Leben mit den einmal gebildeten Zellen auskommen. So ist es etwa bei den Nervenzellen, den Skelettmuskelzellen, aber auch den Zellen in den Nieren, den Schweißdrüsenzellen oder den Eizellen der Frau. Anderen Zellen wiederum ist nur eine äußerst kurze Lebensspanne zugemessen, aber dafür können sie beständig erneuert werden. Harnblasenzellen etwa leben durchschnittlich 66 Tage, Hautzellen etwa 14 Tage, rote Blutkörperchen etwa 120 Tage und manche weiße Blutkörperchen gar nur wenige Tage. Und obwohl sich die nur wenig gestalteten rote Blutkörperchen, die nicht einmal mehr über einen Zellkern verfügen, nicht teilen können, so werden sie beständig aus den Stammzellen des Knochenmarks erneuert. Jeden Tag werden so über 10.000 Millionen neuer Zellen gebildet – und ebenso viele gehen auch täglich zugrunde. Und diese Knochenmarkstammzellen sind, soweit man heute weiß, unbegrenzt teilungsfähig, d.h. potentiell "unsterblich". So sprudelt im Inneren der Knochen, die die totesten Teile unseres Körpers sind, die Quelle des Lebens. Nicht umsonst ist uns das Skelett ein Bild des Todes und das Blut der Saft des Lebens! Und wo das Leben am stärksten quillt, dort hält auch der Tod reichste Ernte. Nirgendwo als im Blut sind das aufschäumende Leben und der niederschmetternde Tod so heftig ineinander verschränkt. Im Nervensystem, in dem nach den Knochen die Lebenskraft am meisten erlahmt ist, geht der schleichende Tod das ganze Leben lang mit, und zieht erst an dessen Ende seine große Summe.

Wenn ein Tier den natürlichen Alterstod stirbt, dann kommt es meist zu einem Multiorganversagen. Mehrere Organe beginnen gleichzeitig ihren Dienst zu versagen. Und das liegt teilweise daran, daß die ihr Gewebe aufbauenden Zellen ihre maximale Teilungsrate erschöpft haben und nicht mehr erneuert werden können. So unterschiedlich die Teilungsraten der verschiedenen Zellen auch sein mögen, so streben sie doch einem gemeinsamen Ziel zu, daß das Leben des Gesamtorganismus unerbittlich beschränkt. Ein weiteres Indiz dafür, wie weisheitsvoll das Leben der einzelnen Zelle auf das des gesamten Organismus abgestimmt ist. In jedem Lebewesen waltet eben eine ungeheure tätige Intelligenz, die wir erst von Ferne zu ahnen beginnen.


Wieviel an Lebenskraft in einer einzelnen Zelle wohnt, das sieht man unmittelbar an ihrer Form. Je reicher und differenzierter, je asymmetrischer und vertrockneter sie erscheint, desto mehr hat der Tod in ihr Gestalt angenommen. Nervenzellen sind dafür ein typisches Beispiel. Je mehr sich eine Zelle der sphärischen Tropfenform nähert, desto stärker wirkt in ihr auch das Leben. Und was ist eine Zelle schon viel mehr als ein leise gestalteter Wassertropfen? Viele Zellen enthalten 98 oder gar 99% Wasser, das durch eine mehr oder weniger spezifisch durchlässige Membran von seiner Umwelt abgetrennt ist. Aber diese Trennung selbst ist schon der Anfang des Todes, durch den sich aber erst das allgemeine Leben als Einzelwesen verkörpern kann, so daß wir also zu dem scheinbar paradoxen Schluß kommen, daß das Wasser selbst das allerlebendigste ist, lebendiger noch als es auch nur die primitivste Zelle je sein kann. Genau so ist es aber auch. Nicht der einzelne Wassertropfen, aber die Wasserhülle der Erde als Ganzes, ob sie sich nun in Bäche und Flüsse ergießt, in Seen und Meeren sammelt, als Dunst aufsteigt oder als Nebel schwebt, als Wolke wie als Regen, dieses große Ganze das vielfach von den verschiedensten kosmischen Rhythmen, von denen die Jahreszeiten nur die aller auffälligsten sind, durchklungen wird und durch seine unermeßliche Kraft die feste Erde entscheidend mitgestaltet, ist noch viel lebendiger als jedes einzelne verkörperte Lebewesen. Die Quelle des irdischen Lebens liegt im Wasser, damit hat schon Thales von Milet nicht ganz unrecht gehabt, und in diesem irdischen Leben spiegelt sich der ganze Kosmos und schafft sich hier sein irdisches Abbild. Es ist ganz willkürlich, den Begriff des Lebens auf das in einem scharf umgrenzten Körper eingegrenzte Einzellebewesen zu beschränken. Vielmehr stellt jede Eingrenzung schon einen beginnenden Todesprozeß dar. Am Anfang steht das kosmische Leben, das, je mehr es sich stufenweise in einzelne herausgesonderte Gebilde ergießt, dabei zwar immer komplexer gestaltete Gebilde hervorbringt, denen aber dadurch zugleich auch immer mehr der Tod innewohnt. Leben ist beständige Umgestaltung und jede festgehaltene, definierte Form ist schon ein Zeichen des Todes. Nicht aus dem toten Stoff ist das Leben entstanden, sondern der tote Stoffe selber ist umgekehrt ein Endprodukt des Lebendigen, ist der Leichnam des einstmals Belebten. Je mehr sich ein Einzellebewesen vom kosmischen Leben abschließt, desto mehr trägt es notwendig den Tod in sich. Die Pflanzen leben dieses große kosmische Leben noch in hohem Maße mit, die Tiere haben sich von ihm schon viel weiter emanzipiert. Das Pflanzenleben wird bis zu einem gewissen Grad stets von neuem durch den Kosmos angefacht, das Tier hat sich zeitweilig eine gewisse Summe an Lebenskraft vom Kosmos geborgt; wenn diese aufgebraucht ist, muß es sterben – und das gilt ebenso für den Menschen, der sich noch viel stärker von seiner Umwelt absondert als das Tier. Aber nur dadurch kann er sich auch als selbstbewußtes, von der Welt wohl unterschiedenes Wesen erfahren!

Alle Tiere werden physiologisch gesehen gleich alt!

Die natürliche Lebensspanne der verschiedenen Tierarten dehnt sich über einen weiten Bereich aus, von der Eintagsfliege bis etwa hin zu den Elefantenschildkröten, die gut und gerne 150 Lebensjahre erreichen können. Kleine Tiere leben zumeist kürzer als größere Tiere. Die wechselwarmen Reptilien erreichen ein vergleichsweise biblisches Alter, während die warmblütigen Säugetiere relativ kurz leben. Tiere mit langen Ruhephasen leben länger als solche, die ständig aktiv sind. So leben etwa Katzen, die immer nur kurzzeitig aktiv sind und dann wieder lange schlafen, länger als Hunde, die vergleichsweise viel weniger ruhen. Tiere, die einen Winterschlaf halten erreichen ein höheres Alter als solche, die ohne diese Ruhephase auskommen müssen. Was sie aber alle unaufhaltsam dem Tode entgegenführt, das ist, wie wir bereits gesehen haben, die Atmung. Wenn auch alle aufbauenden Lebensprozesse im Tier durch die aus der Atmung gewonnene Stoffwechselenergie gespeist werden, so überwiegt zuletzt doch immer der Abbau, der mit allen Wärmeprozessen untrennbar verbunden ist. Und nicht nur die Wärme selbst zerstreut sich, sie läßt den Körper an diesem Prozeß teilnehmen. Sie wirkt, wie wir schon eingangs dieser Schrift erwähnten, formauflösend. Und indem sie derart wirkt, führt sie das zeitweilig in engen Grenzen verkörperte Leben wieder zum allgemeinen kosmischen Leben zurück. Das Einzellebewesen löst sich wieder im universellen Leben auf – das ist genau der Vorgang, den wir als Tod und darauf folgende Verwesung empfinden. Leben und Sterben der Tiere stellt sich damit insgesamt so dar:

Alles Leben ist tätige Formbildekraft. Indem sich das Lebewesen aus der befruchteten Eizelle allmählich zum ausgewachsenen Tier entwickelt, stirbt es immer mehr in eine scharf umrissene definierte Form hinein. Jede festgehaltene, mehr oder weniger erstarrte Form widerstrebt den tätig umgestalten wollenden Lebenskräften. Im ausgewachsenen Tier wird das Leben zurückgedrängt, und das um so mehr, je stärker ein Organismus verhärtet und verknöchert. Ein Teil der aus der Atmung gewonnen Stoffwechselenergie kann dafür aufgewendet werden, diese Form eine gewisse Zeit lang zu erhalten, indem sie sie beständig erneuert. Der andere Teil der Wärme zerstreut sich aber in den Kosmos und vernichtet endlich auch die festgefrorene Form. Das zeitweilig vom Kosmos geborgte und dabei stark abgedämpfte Leben kehrt wieder in seine kosmische Heimat zurück.

Erstaunlich ist nun, was der Stoffwechselphysiologe Roland Prinzinger (10), angeregt durch einige ältere Studien, herausgefunden hat: alle Tiere, von den Einzellern bis hinauf zu den Säugetieren, von den Fischen, über die Amphibien und Reptilien bis hin zu den Vögeln, verbrauchen in ihrem ganzen Leben, sofern sie ihre volle Lebensspanne ausleben können und nicht vorher getötet werden, genau die gleiche LEBENSENERGIESUMME bezogen auf ihr Körpergewicht:

Konstante LEBENSENERGIESUMME bei allen Sauerstoff atmenden Tieren:
2500 kJ/kg Körpergewicht

Und das gilt nicht nur für die Tiere, sondern auch für den Menschen. Auch wir verbrauchen in unserem ganzen Leben pro kg Körpergewicht 2500 kJ, was etwa, um ein anschaulicheres Maß zu geben, 35 Zuckerwürfeln pro Gramm Körpermasse entspricht. In Energieeinheiten gemessen wird also tatsächlich jedes Tier und auch jeder Mensch physiologisch gesehen und auf seine Körpermasse bezogen gleich alt. In Jahren gemessen, können sich daraus sehr unterschiedliche Werte ergeben. Kleine Tiere haben eine sehr hohe Stoffwechselrate, ihr Puls rast dahin; entsprechend schnell ist ihr Lebenslicht ausgebrannt. Größere Tiere mit einem entsprechend trägeren Stoffwechsel leben wesentlich länger. Die potentiell unsterblichen, unbegrenzt teilbaren und daher krankhaft immer weiter wuchernden Krebszellen stellen interessanterweise ihren Stoffwechsel beinahe vollständig von der Sauerstoffatmung auf Gärung um. Was das Leben des Tieres wie des Menschen begrenzt, ist tatsächlich der Atmungsprozeß. Und insoferne in Pflanzen die Atmung stärker hervortritt, wie in Blüten und Früchten, wird auch das rein vegetative Leben entsprechend gehemmt.

Der Tod, der alle Sauerstoff atmenden Lebewesen mit innerer Notwendigkeit trifft, ist, wie wir sehen, ein genau regulierter Prozeß. Er ist keineswegs mit den Verschleißerscheinungen zu vergleichen, die jeden bloß physischen Gegenstand früher oder später zermürben. Solange sich das reine Leben entfalten kann, kann sich ein Lebewesen immer wieder erneuern, ohne dabei auf eine prinzipielle Grenze seines physischen Lebens zu stoßen, sofern man davon absieht, daß es durch massive äußere Kräfte soweit zerstört wird, daß es sich nicht mehr regenerieren kann. Sauerstoff atmende Lebewesen sterben nicht an Verschleißerscheinungen, sondern sie führen aktiv und kontrolliert den Tod herbei. Es gibt keinen physikalischen oder biochemischen Grund dafür, daß sich nicht alle Zellen beliebig oft teilen und so immerwährend erneuern könnten. Der Tod der Tiere und des Menschen ist kein Unfall, sondern er ist ganz gezielt der Natur integriert worden. So sagt Goethe über die Natur:

"Ihr Schauspiel ist immer neu, weil sie immer neue Zuschauer schafft. Leben ist ihre schönste Erfindung, und der Tod ist ihr Kunstgriff, viel Leben zu haben."

Tatsächlich hätten sich die Natur nicht zu immer weiteren und höheren Erscheinungen entfalten können, wenn die einzelnen Lebewesen in unveränderter Form immer weiter bestanden hätten. Altes muß zugrunde gehen, damit Neues erscheinen kann. Auch die Pflanzen haben den großen Schritt zu den Blütenpflanzen erst vollzogen, indem sie gleichsam vom Tod berührt wurden – zur gleichen Zeit etwa, als die warmblütigen Säugetiere die große Bühne der Erde betraten und mit ihrem konstant temperierten roten Blut den Atmungsvorgang zur Vollendung brachten. Der Hauch des Todes weht am Ende des Erdmittelalters(Mesozoikum) und in der beginnenden Erdneuzeit (Tertiär) durch die ganze Natur, aber er bringt zugleich einen gewaltigen Entwicklungssprung mit sich. Ein viel stärkere Individualisierung der Einzellebewesen findet statt. Tiere, die ihre Körperwärme unabhängig von der Außentemperatur festhalten können, vermögen ein viel stärkeres seelisches Innenleben zu entfalten und sich auch seelisch weiter von ihrer Umwelt zu distanzieren als wechselwarme Tiere. Erst im Menschen vollendet sich allerdings dieser Prozeß soweit, daß der Mensch sich als einziges irdisches Wesen vollbewußt der Natur gegenüberzustellen vermag und sich seiner selbst bewußt wird. Interessant ist, daß nicht nur die Säugetiere ihre Körpertemperatur aktiv festhalten können, sondern daß das vereinzelt auch manchen Blütenpflanzen gelingt. Ein weiteres Zeichen dafür, daß wir es hier mit einem Vorgang zu tun haben, der - da stärker, dort schwächer – die ganze Natur erfaßt. Viele Pflanzen heizen ihre Blüten so auf, daß sie oft beträchtlich wärmer sein können als die sie umgebende Luft. Nur drei Arten (11) kennt man allerdings derzeit, die dabei die Temperatur auch aktiv innerhalb einer engen Spanne festhalten, darunter ein Aronstabgewächs (Philodendron selloum), aber auch die Indische Lotosblume:

Die Wärmeleistung ist dabei durchaus der der Tiere vergleichbar. Ein 125 g schwerer Blütenkolben des Aronstabes etwa bringt es auf beachtliche 9 Watt, wenn er bei 10° Lufttemperatur seine Eigenwärme von etwa 40° beibehält; etwa genauso groß ist die unter gleichen Bedingungen von einer 3 kg schweren Katze erbrachte Wärmeleistung, während eine 125 g schwere Ratte dafür nur 2 Watt braucht. Durch ihr isolierendes Fell, das der Pflanze wie auch dem Menschen mangelt, müssen sie weniger Energie aufbringen als die Pflanze; bei sehr tiefen Außentemperaturen steigert sich die innere Wärmeproduktion der Tiere allerdings beträchtlich.

Atmung und Photosynthese sind einander genau entgegengesetzte Prozesse. Durch die Photosynthese baut sich die Pflanze, indem sie das Sonnenlicht einfängt, auf. Sie nimmt dabei Kohlendioxid aus der Luft und Wasser aus dem Boden auf und erzeugt dabei primär Traubenzucker; außerdem gibt sie, gleichsam als "Abfallprodukt" Sauerstoff an die Atmosphäre ab. Bei der Atmung wird umgekehrt Sauerstoff, bei höheren Tieren mit Hilfe des roten Blutfarbstoffes Hämoglobin, aufgenommen und mit dessen Hilfe Traubenzucker zu Wasserdampf und Kohlendioxid "verbrannt". Nur durch das ausgewogene Gleichgewicht zwischen Pflanzen und Tieren bleiben die günstigen Lebensbedingungen auf Erden erhalten. Das für die Photosynthese nötige Chlorophyll, der grüne Blattfarbstoff, ist dabei chemisch praktisch mit der zentralen Struktur des Hämoglobins identisch, nur enthält das Chlorophyll den Lichtfänger Magnesium, während das Häm sich statt dessen des Eisens bedient, um den Sauerstoff zu binden. Durch die Photosynthese werden die sich völlig bewußtlos vollziehenden rein vegetativen aufbauenden Lebensvorgänge der Pflanze angetrieben und kontrolliert. Die Atmung treibt alle Abbauprozesse voran und sie schafft, wie wir noch genauer sehen werden, die Voraussetzung dafür, daß im Tier das seelische Erleben aufleuchten kann. Aus dem Licht wird das Leben, durch die Atmung beginnt es sich selbst zu erleben.

Wenn das tierische und das menschliche Leben, wie wir es gezeigt haben, letztlich durch den Atemrhythmus begrenzt wird, und wenn sich diese Begrenzung nicht aus den unmittelbaren irdischen physikalischen und biochemischen Verhältnissen ableiten läßt, dann stellt sich die große Frage, wo sonst wir nach dem Maß suchen müssen, das unsere Tage zählt. Wie an anderer Stelle (12) besprochen wurde, ist die Pflanzengestalt ein spezifisches Abbild bestimmter kosmischer Rhythmen. Hängt das Leben der Tiere und des Menschen auch in irgendeiner Weise mit einem derartigen kosmischen Maß zusammen?

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