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Das kosmische Maß des menschlichen Lebens

"So lehre uns denn zählen unsere Tage, damit wir ein weises Herz erlangen!" (Ps 90,12)

Der Mensch macht pro Minute etwa 18 Atemzüge und ca. vier mal so oft, also 72 mal in der Minute, schlägt unser Herz; pro Tag ergibt das ungefähr 18*60*24 = 25920 Atemzüge. Mit dem Wechsel von Tag und Nacht verbunden ist aber auch der Rhythmus des Schlafens und des Wachens verbunden. Tagsüber ist der Mensch normalerweise wach und richtet sein Bewußtsein auf die äußere sinnliche Welt. Nachts atmet er gleichsam seine Seele aus und versinkt in Bewußtlosigkeit, die nur von den Träumen gelegentlich durchbrochen wird. Im täglichen Rhythmus schwankt so das menschliche Bewußtsein zwischen zwei einander diametral entgegengesetzten Zuständen. Aber auch mit jedem einzelnen Atemzug wandelt sich das Bewußtsein ganz leise, wie jeder, der darauf genügend aufmerksam ist, leicht bemerken kann. Atmen wir ein, so hellt sich das Bewußtsein ganz leicht auf, was so weit gehen kann, daß wir einen leichten, beinahe schmerzhaften Spannungszustand im ganzen Körper fühlen. Indem wir ausatmen, manchmal gar mit einem Stoßseufzer, befreien wir uns wieder von dieser Last und das Bewußtsein rückt dem Traumzustand wieder ein bißchen näher. So ist der Atemrhythmus ein verkleinertes Abbild des täglichen Wechsels zwischen Schlaf und Wachen. Wie viele derartige große "Atemzüge" macht nun der Mensch durchschnittlich in seinem ganzen Erdenleben mit? Wenn man das mittlere Lebensalter des Menschen mit etwa 72 Jahren annimmt und das Jahr grob mit 360 Tagen veranschlagt, kommt man zu einem erstaunlichen Ergebnis: 72 Jahre * 360 Tage = 25920 – der Mensch geht also etwa genau so oft durch Schlafen und Wachen hindurch als er täglich Atemzüge macht! Auf den ganz genauen Zahlenwert, der ohnehin bei jedem einzelnen Menschen etwas anders ist, kommt es dabei nicht an, sondern nur auf die ungefähre Größenordnung, die unverkennbar zeigt, wie harmonisch sich beim Menschen der Atemrhythmus in sein Gesamtleben einfügt. Bei den Tieren ist das nicht in dem Maße der Fall. Der Wechsel von Tag und Nacht ist unverrückbar dadurch bestimmt, wie sich die Erdbewegung in die kosmischen Verhältnisse einfügt. Der Atemrhythmus ist für jede Tierart anders. Kleine und sehr aktive Tiere atmen täglich viel öfter als der Mensch, dafür aber zählt ihr Leben auch weniger an Jahren. Andere Tiere wiederum atmen langsamer als der Mensch. Beim Menschen ist das tägliche Leben, was seine Atmung betrifft, ein ziemlich genaues Abbild seines gesamten Lebens, und die gemeinsame Maßzahl für beide ist etwa 25920.

Genau diese Zahl ist aber auch in einen viel größeren kosmischen Rhythmus eingeschrieben, darauf hat Rudolf Steiner immer wieder hingewiesen. In einem Jahr wandert die Sonne einmal durch den Tierkreis – aber doch nicht ganz; jedes Jahr bleibt sie dabei ein kleines bißchen zurück. Der Frühlingspunkt, also jener Punkt des Tierkreises, an dem die Sonne genau zu Frühlingsbeginn steht, verschieb sich dadurch allmählich entgegen der jährlichen Sonnenbewegung rückläufig durch den Tierkreis. Heute etwa liegt der Frühlingspunkt im Sternbild der Fische, vor zweitausend Jahren war er noch im Sternbild des Widders. Erst nach einer langen Zeit, wenn der Frühlingspunkt rückläufig den ganzen Tierkreis durchlaufen hat, kehrt er wieder an seinen Ausgangsort zurück. Dieses große Platonische Weltjahr, das mit der Präzessionsbewegung der Erde bezogen auf die Sternenwelt zusammenhängt, dauert genau 25920 Jahre. Im Atemrhythmus wie in der Länge des menschlichen Lebens bildet sich dieses große Weltenjahr in verkleinertem Maßstab ab, und das menschliche Leben mit seinen durchschnittlich 72 Jahren ist genau ein Tag im großen Platonischen Jahr (72 Jahre * 360 = 25920 Jahre).

Die Pflanze ist stets unmittelbar mit dem jährlichen Sonnenlauf verbunden. Das Tier reißt sich durch seinen individuellen Lebensrhythmus teilweise davon los. Zwar ist vieles, was die Tiere tun, noch unmittelbar vom äußeren Sonnenlauf abhängig wie etwa die Brunft- und Paarungszeiten, aber in ihren Atemrhythmus sind sie davon unabhängig geworden. Je mehr sich das Leben von den äußeren kosmischen Rhythmen absondert, je selbstständiger sich es entfaltet, desto individueller wird es auch. Alle Entwicklung in der Natur zielt auf diese Individualisierung hin, um endlich im Menschen zu gipfeln. Von allen Erdenwesen hat sich der Mensch am meisten aus den kosmischen Rhythmen herausgelöst. Die Fortpflanzung der Tiere etwa ist durch den Jahreslauf gelenkt, oft so, daß im Frühjahr, wenn sich der ganze Reichtum der Natur zu entfalten beginnt, die Jungen zur Welt kommen. Das Menschenkind kann zu jeder Jahreszeit auf die Welt kommen, auch in der tiefsten Winternacht. Das Weihnachtsfest mit der Christgeburt ist nicht grundlos das Fest der Menschwerdung. Der Mensch ist soweit als nur irgend möglich unabhängig vom äußeren Naturlauf – aber das kann er nur sein, weil er in sich ein individuelles Abbild des kosmischen Lebens geschaffen hat. Der Mensch ist, wie man das früher ausgedrückt hat, ein vollständiger Mikrokosmos, der den Makrokosmos in sich selbstständig nachbildet. Unser individueller Atemrhythmus ist ebenso wie unsere Lebensspanne ein solches mikrokosmisches Abbild des großen makrokosmischen Weltenjahres. Und aus diesem Rhythmus heraus bestimmt sich letztlich die ganze irdische Gestalt des Menschen. Denn wenn der Mensch nicht seine durchschnittlichen 70 kg Körpermasse hätte, wenn er etwas größer oder kleiner wäre, dann müßte auch seine Atemfrequenz eine andere sein und sein Leben währte länger oder kürzer als es dem kosmischen Maß entspräche. Und da alle anderen Lebensrhythmen zur Atmung bzw. zum Lebensalter in einem festen, übrigens auch für das ganze Tierreich gültigen Verhältnis stehen, so ergibt sich daraus schließlich die ganze menschliche Gestalt. So ist etwa die Pulsfrequenz, wie schon erwähnt, ziemlich genau vier mal so groß wie die Atemfrequenz. In einem ähnlich festen Verhältnis dazu stehen aber auch beispielsweise die rhythmischen Darmkontraktionen, die Clearencezyklen der Nieren, aber auch die Dauer eines "Augenblicks", d.h. die Zuckungsfrequenz der kleinen Augenmuskeln. Das Insgesamt aller dieser Zyklen bestimmt die Form- und Größenverhältnisse des menschlichen wie des tierischen Leibes. Denn die äußere Gestalt ist nichts anderes als die im Raum festgehaltene Bewegungsspur dieses hochdifferenzierten Zeitorganismus, den Rudolf Steiner als Zeit- oder Ätherleib bezeichnet hat, der den physischen, stofflichen Leib auferbaut und innerhalb der ihm zugemessenen Lebensspanne beständig erneuert. Was aber das Leben der Tiere und des Menschen begrenzt, das wird uns durch die Sternenwelt vorgezählt. Erst durch diese Begrenzung des rein vegetativen Lebens entsteht aber überhaupt erst das Empfindungsvermögen. Das Tier geht so vom bloßen Leben zum Erleben über. Im Gegensatz zur Pflanze verfügt das Tier nicht nur über einen Äther- oder Lebensleib, sondern auch über den von Rudolf Steiner so genannten Empfindungsleib. Er darf zugleich als Sternenleib oder Astralleib bezeichnet werden, denn das Maß das ihn charakterisiert, ist das große Weltenjahr, das aus dem Verhältnis der Erde zur Fixsternwelt resultiert. Das rein vegetative Leben wird vielfach von planetarischen Rhythmen beherrscht; was sie alle zu einem Ganzen zusammenschließt und dabei zugleich das immer fortschreiten wollende Leben streng begrenzt, ist der Tierkreis. Er gibt den Tieren die räumlich in sich geschlossene Gestalt, die den Pflanzen noch mangelt, und die im Menschen gipfelt, der in sich und abgetrennt von der äußeren Welt ein vollständiges und harmonisches funktionelles Abbild dieser Welt trägt.

Das Bewußtsein der Tiere

Bewußtsein und Tod

Wo sich das Leben ungehemmt entfalten kann, entsteht kein Bewußtsein. Die Pflanze lebt, aber sie erlebt weder sich selbst noch ihre Umwelt, mit der sie doch so eng verbunden ist. Bewußtsein kann nur dort aufleuchten, wo das Leben zurückgedrängt wird. Alles Bewußtsein ist an Abbauprozesse gebunden. Obwohl auch schon die Pflanze, indem sie atmet, über solche verfügt, so reichen sie doch noch nicht dafür hin, daß das Bewußtsein hervortreten kann. Das ist erst bei den Tieren der Fall. Bei den primitiven wirbellosen und wechselwarmen Tieren ist es noch sehr schwach ausgeprägt. Erst bei den Säugetieren steigert es sich um ein Vielfaches, um schließlich im Menschen in eine ganz neue Dimension vorzustoßen. Je mehr ein Tier an Todeskräften in sich aufgenommen hat, desto heller wird auch sein Bewußtsein. Überspitzt ausgedrückt: der von Krankheit und Tod geschüttelte Körper allein ist das geeignete Werkzeug, bewußt zu werden. Alles Bewußtsein beginnt als leiser undifferenzierter Schmerz, der als Schatten ins Bewußtsein fällt, wenn das Leben in spezifischer Weise gehemmt wird. Die Pflanze, unverrückbar fest in der Erde verwurzelt, wird durch die gütige Natur im Überschwang ernährt, ohne daß sie sich selbst aktiv darum bemühen müßte. Sie kennt weder Hunger noch Sättigung, ungehemmt fließt der Strom des Lebens immer fort, auf kargem Boden träge und langsam, in saftiger Erde rascher, unaufhaltsam vorangetrieben durch die Kraft des Sonnenlichts. Das Tier, losgelöst vom festen Mutterboden, muß seine Nahrung aktiv selber aufsuchen. Es findet seine Kraft, durch die es lebt und sich bewegt, nicht aus dem unmittelbaren Sonnenlicht, das auf die Erde einstrahlt, sondern es muß sich der durch die Pflanze in die Nahrungsstoffe hinein gefesselten indirekten Sonnenkraft bedienen, die es durch den Atmungsprozeß dem Stoff entbindet. Das Pflanzenleben schwingt harmonisch mit dem täglichen Wechsel von Tag und Nacht mit; die Ernährung des Tieres ist demgegenüber viel unregelmäßiger; es muß fressen, wenn es Nahrung findet und muß dann oft wieder längere Zeit ohne Nahrung auskommen. Das gilt ganz besonders für die Raubtiere, die ihre Beute erjagen müssen, während reine Pflanzenfresser noch viel stärker und unmittelbarer von den ungebrochenen Lebenskräften der vegetabilen Natur zehren. Hunger und Sättigung in ihrer einander bedingenden Polarität werden entsprechend vom Raubtier noch viel intensiver empfunden als von den Weidetieren. Ein Kuh etwa hat dadurch aber auch ein viel dumpferes Bewußtsein als beispielsweise ein Löwe, wenn er gerade seine Beute reißt. Typisch für Raubtiere ist es aber auch, daß sie zwar, wenn sie auf Beutefang sind, hellwach in ihren Sinnen werden, dafür aber dann auch wieder lange Ruhephasen einhalten, in denen sich das Bewußtsein verdunkelt. Verglichen mit den Verdauungstieren, deren Bewußtseinsleben nur relativ geringen Schwankungen unterliegt, ist das Erleben der Raubtiere viel eruptiver und gegensätzlicher. Wenn durch die Atmung die aufgenommene Nahrung verbraucht worden ist, befällt es quälender Hunger. Die Lebenskräfte werden eingeschränkt, das Tier muß die Reserven seines eigenen Körpers aufzehren, um es weiter zu erhalten. Dieser Schmerz, den eigenen Leib aufzehren zu müssen, um das leben notdürftig zu erhalten, stärkt aber gerade das Bewußtsein. Aber nicht nur das diffuse Empfinden des eigenen Leibes nimmt zu, sondern die Sinne werden nun ganz besonders empfänglich für das, was sich in der Umgebung des Tieres tut. Und das nach außen gerichtete sinnliche Bewußtsein ist noch viel schärfer und differenzierter als das, was das Tier an seinem eigenen Inneren erlebt. Jede Sinneswahrnehmung ist aber auch wiederum nichts anderes als ein leiser, gedämpfter Schmerz. Wenn Licht in das Auge fällt, so wird dadurch sein reiner Lebensvorgang gestört. Der Sehpurpur in den Sinneszellen wird aufgebraucht, und eine Bahn kurzzeitiger Zerstörung pflanzt sich durch den Sehnerv bis ins Gehirn fort. Die Sinnesorgane und die sich daran anschließenden nerven, über die die Pflanze nicht, wohl aber das Tier verfügt, sind geradezu ein physisches Abbild des Schmerzes, der seine Spur von Tod und Zerstörung durch den Organismus zieht und gegen den die Lebenskräfte beständig ankämpfen müssen. Das Nervensystem ist das physische Werkzeug des Bewußtseins, und damit es das sein kann, muß es neben den Knochen der toteste Teil des Organismus sein. Während im normalen Zellgewebe die mehr oder weniger prall gefüllten Zellen dicht an dicht beieinander liegen, ist das Nervensystem zu einem spinnwebenartigen Gebilde mit eingeschrumpften Zellkörpern und langen dürren fasrigen Ausläufern verwelkt. Je differenzierter sich diese Nervenstruktur ausbildet, desto klarer wird auch das Bewußtsein.

Nicht alle Teile des tierischen Organismus sind von diesem Zerstörungsprozeß in gleichem Maße betroffen. Am stärksten sprudelt das Leben noch in den Verdauungstrakt und den zugehörigen Stoffwechselorganen. Die Leber ist nicht umsonst das Lebensorgan schlechthin, das Gifte vernichtet und die alle aufbauenden Lebensprozesse leitet. Das Wort "Leber" hängt ja auch mit "Leben" zusammen. Sie ist das zentrale Organ, das den rein vegetativen Aufbau des Körpers leitet. Und sie vollzieht diese Tätigkeit völlig bewußtlos. Gerade die Leber, selbst wenn sie erkrankt ist, schmerzt niemals. Und wenn sie im Extremfall scheinbar doch zu schmerzen beginnt, dann nur deshalb, weil sie dann bereits so angeschwollen ist, daß sie auf das umliegende Nervengewebe drückt. Im normalen gesunden Zustand spürt man von dem in den inneren Organen pulsierenden Leben nur wenig. Und das Nervennetz, daß die Unterleibsorgane durchzieht, ist ganz diffus, ohne spezifisches Zentrum. Mehr noch als die Tiere verschlafen wir Menschen beinahe vollständig, was unseren Stoffwechselorganismus tätig durchwirkt. Aber auch die Tiere haben nur ein sehr dumpfes Bewußtsein von ihrem inneren organischen Sein und Werden. Bei primitiven Tieren, deren Sinnesorgane noch kaum für die Umwelt geöffnet sind, ist es überhaupt das einzige, was sie erleben. Ein Regenwurm etwa, der sich durch die warme feuchte Erde windet, spürt dabei nur ein ganz dumpfes inneres Behagen. Und wenn er sich bewegt, dann strebt er solchen Orten zu, die dieses Behagen fördern. Wo die Erde ausgetrocknet ist und seinem Leben nicht die nötige Nahrung bieten kann, von dort zieht er sich instinktiv zurück. Dumpfe Unlust erfüllt ihn, wenn sein Leben derart gehemmt wird; leise Lust keimt in ihm auf, wenn er einem Platz zustrebt, an dem er besser gedeihen kann. Er unterscheidet dabei in keiner Weise zwischen sich und seiner Umwelt; sein dumpfes Bewußtsein dehnt sich über seine ganze Umgebung aus und verschmilzt ungeschieden mit ihr. Was der Erde an lebendiger Feuchte mangelt, das empfindet er zugleich als seinen eigenen Mangel. Die poröse Haut schließt sich noch wenig von der umgebenden Feuchtigkeit ab. Bewußtsein glimmt so zwar in ihm auf, aber es ist noch meilenweit von einem selbst noch so anfänglichen Selbstbewußtsein entfernt. Dem entspricht sein primitives Strickleiternervensystem, das sich nirgends ein vorzügliches Zentrum schafft, sondern, sich beinahe endlos in immer gleichen Strukturelementen wiederholend, diffus den ganzen Körper durchzieht, der wenig mehr als ein selbstständig gewordener, in nicht weniger als 100 bis 180 Segmente gegliederter Verdauungskanal ist. Tropische Regenwürmer können so immerhin bis zu 3 m lang werden. Das rote Blut nimmt daraus die Nahrungsstoffe unmittelbar auf. Über eigene Lungen verfügt der Regenwurm nicht, er atmet direkt durch die stets feuchte Haut. Die beiden großen Hauptgefäße, die den ganzen Körper durchziehen, sind in jedem einzelnen Segment durch zwei halbkreisförmige Adern miteinander verbunden, deren Wandungen vom 7. Bis zum 11. Segment besonders muskulös sind und rhythmisch pulsieren – die 10 "Herzen" des Regenwurms. In jedem Segment finden sich die beiden Segmentalorgane (Nephridien), die der Ausscheidung und Entgiftung dienen und die unseren beiden Nieren entsprechen. So überwiegt im Bau des Regenwurms noch deutlich das rein vegetative Prinzip des Klangäthers, wie wir ihn genannt haben, der zur beinahe endlosen Wiederholung gleichartiger Strukturen führt. Nur die niedersten Sinne, die sich eng mit der stofflichen Umgebung berühren müssen, sind für den Regenwurm bedeutsam. Ein primitiver Geruchs- und Tastsinn leitet ihn bei seiner Nahrungssuche. Er besitzt keine Augen, aber dafür ist sein ganzer Körper lichtempfindlich. Grelles Tageslicht, das die lebendige Pflanze am meisten fördert, meidet er. Bei mildem Mondlicht kommt jedoch gerne aus der Erde hervor, um sich, wenn man ihn etwa mit einer Taschenlampe anleuchtet, schnell wieder zurückzuziehen. Seine bauchseitigen parallel laufenden Nervenstränge, die sich in jedem Segment knotig verdicken und miteinander verbinden, enden vorne in einem Schlundring, der die beiden unteren mit den größeren oberen Schlundknoten verbindet. Der Regenwurm ist ein Zwitter, d.h. männlich-weiblich zugleich, der sich durch Eier vermehrt, die er in ein schleimiges Kokon ablegt, das aus dem zwischen dem 31. und 37. Glied liegenden Gürtel oder Sattel ausgeschieden wird. Alles in allem hat er sich noch sehr wenig über das völlig bewußtlose rein vegetative Dasein erhoben. In vieler Beziehung steht er, wie alle wirbellosen Tiere, den Pflanzen näher als den höheren Tieren. Das Leben waltet in ihm beinahe ungehemmt, was sich ja auch in seiner gewaltigen Regenerationsfähigkeit ausdrückt, aber zugleich ist eben deshalb sein Bewußtsein noch sehr schwach. Überall fehlen ihm die Zentren, die der schleichende Tod dem Leben abgerungen hat, die aber nötig sind, damit sich das Bewußtsein verinnerlichen und in sich selbst festigen kann. Sein ganzes Leben ist auch dienend auf die Vegetation abgestimmt; er durchlüftet den Boden und unterstützt die Humusbildung, die ihrerseits wieder das Pflanzenwachstum fördert.

Ähnliches, aber auf der gehobenen Ebene der Wirbeltiere, finden wir noch unter den Reptilien, besonders den Schlangen. Durch ihre schuppige trockene Haut schließen sie sich allerdings viel stärker von der Umwelt ab, und ihr Nervensystem konzentriert sich in dem schier endlos scheinenden Rückenmarkskanal. In ihrer ganzen Gestalt und in ihrem Empfindungsleben ist die Schlange vorallem auf sich selbst bezogen. Von den großen Sauriern des Erdmittelalters abstammend, hat sie durch Degeneration ihre Gliedmaßen verloren. Indem sich die Echsen zum Schlangentypus metamorphosieren, streckt sich zunächst der Rumpf, die Gliedmaßen werden immer zierlicher und büßen an Zehen- und Fingerzahl ein, bis nur noch stummelartige Reste verbleiben, die schließlich auch verschwinden und sich sogar der Becken- und Schultergürtel auflöst. Das schwerfällige Schreiten, das die Echsen kennzeichnet, geht so in das Schlängeln des sich windenden Rückrats über. Die Schlange ist beinahe nur Rückgrat, Hals und Schwanz verschmelzen mit dem Rumpf in eins und der Kopf hebt sich nur wenig vom restlichen Körper ab. Die höheren, am Kopf zentrierten Sinnesorgane sind weitgehend degeneriert. Schlangen sind beinahe taub; und der Gehörsinn ist es gerade, der uns am stärksten mit unserer Umwelt verbindet, mehr noch als das Auge. Sehen kann man nämlich stets nur die Oberfläche der Dinge; der Klang dringt aber aus deren Innerem zu uns und kündet von ihrer inneren Qualität. Namentlich bei den höheren Tieren erklingt der Ton in Lust und Leid und spricht so ihr innerstes seelisches Empfinden aus. All das zieht an der Schlange unbemerkt vorüber. Auch der Sehsinn ist nur schwach ausgebildet; meist reagiert er überhaupt nur auf rasche Bewegungen, außerdem unterscheidet er nur Hell und Dunkel. Das ist ein deutlicher Rückschritt gegenüber den Sauriern, von denen man annimmt, daß sie ausgesprochene Sehtiere waren. Gerade bei ihnen hat die Entwicklung des Auges einen gewaltigen Sprung vorwärts gemacht:

"Aus vergleichenden Befunden von Schädeln läßt sich nicht nur erschließen, daß die Dinosaurier in ihrer Allgemeinheit Sehtiere waren, sondern daß sie auch überraschend kleine Hirne hatten. Wir wissen z.B., daß das Gehirn des 30 Tonnen schweren Brontosaurus nur einige Dutzend Gramm wog.

Diese Befunde aus der Vergangenheit und Parallelbefunde aus der Gegenwart von Reptilien und Vögeln erlauben den Schluß, daß ein großer Teil des Sehvorganges, der als Datenverarbeitung bezeichnet wird, sich neuralen Teil des Auges abspielte, d.h. in der Netzhaut. Die häufig verwendete Bezeichnung der Netzhaut als peripheres Hirn, ist treffend in Bezug auf die Reptilien, und auch in weitem Maße auf ihre Nachkommen, die Vögel, sowohl vom embryologischen als auch vom physiologischen Standpunkt." (13)

Das Auge eines Raubvogels, eines Adlers etwa, übertrifft in all seinen Funktionen das menschliche Auge beiweiten. Die Vögel, die nach oben hin aus dem Stamm der Saurier abgezweigt sind, haben in dem Maße ihren Sehsinn verfeinert, als er umgekehrt bei den Schlangen, die nach unten hin aus dem Saurierstamm herausgestoßen wurden, vergröbert hat. Die Saurier mit ihrem riesig aufgeschwollenen Unterleib, ihrem winzigen Hirn und dem hochintelligenten Auge sind geradezu ein Abbild der verkörperten sinnlichen Begierde. Alle sinnliche Wahrnehmung, egal ob sie nun Pflanzenfresser oder Raubtiere waren, ist bei ihnen auf die schier unersättliche Freßlust orientiert. Sehen und Fressen gehen unmittelbar ineinander über. Bei der Schlange konzentriert sich alles lustvolle Erleben auf das eigene Innere, sie genießt und träumt ihre eigene Verdauungstätigkeit, die sich oft über Stunden oder Tage hinstreckt. So ist die Schlange ein Bild des sich selbst genügenden und sich vor der Welt verschließenden Egoismus. Nicht als ob man der Schlange damit etwas Böses nachsagen wollte. Wie alle Tiere kann auch die Schlange ihr eigenes Tun und Sein nicht vor sich selbst verantworten. Sie ist weder gut noch böse, schuldlos ist sie durch ihre Natur so wie sie ist. Egoismus ist eine Seeleneigenschaft, die nur der Mensch kennt, aber die Schlang ist dessen physisch verkörpertes Abbild. Mehr noch, nur weil die Schlangen als ganz extreme Gestalten aus der auf den Menschen als körperliches Wesen hinzielenden Entwicklung ausgeschieden wurden, konnte sich die menschliche Gestalt ausbilden, die das Gefäß eines geistigen Wesens werden konnte, das aus seiner Ichkraft heraus den Egoismus in sich zu überwinden vermag. Die Schlange ist in gewissem Sinne das Tier schlechthin, denn alle Tiere werden in ihren Taten und in ihrem Erleben wesentlich durch ihr Rückenmarksnervensystem instinktiv bestimmt. Und während andere Tiere vielfach schon leise auf den Menschen, der das Großhirn als Werkzeug seines Geistes benutzt, hindeuten, hat die Schlange so vollständig als nur möglich alles Menschliche aus seiner Gestalt ausgeschieden. Nicht mit scheelem Blick, sondern dankbar muß man auf diese im Staube kriechenden Geschöpfe niederschauen; nicht zuletzt ihnen verdanken wir, daß wir Menschen sein können.

Stark ausgeprägt ist bei den Schlangen der Tast- und Wärmesinn des ganzen Körpers, wie bei kaum einem anderen Tier. Zu der aus mindestens 180, manchmal sogar bis zu 435 Wirbeln bestehenden Wirbelkette gehört auch eine entsprechend gut entwickelte Muskulatur und ein ausgeprägter Eigenbewegungssinn. Tast- und Wärmesinn sind zugleich die eigentlichen Fernsinne der Schlange, durch die sie ihre Umgebung mehr ahnt als wahrnimmt; und immer ist die Wahrnehmung mit der für gerade diese Sinne typischen Eigenwahrnehmung verbunden. Auch wir, wenn wir etwas betasten, spüren nicht wirklich den Gegenstand selbst, sondern vielmehr uns selbst am Gegenstand. Mit ihrem ausgeprägten Tastsinn nimmt die Schlange auch leiseste Erschütterungen wahr. Will man etwa eine Ringelnatter näher betrachten, muß man sich ganz vorsichtig nähern, um sich nicht zu verscheuchen. Wenn eine Schlange mit ihrer gespaltenen Zunge züngelt, "tastet" sie in die Luft und nimmt etwas von den riechenden Substanzen auf, die sie im Innern des Rachens auf zwei Wülste überträgt, von wo sie in die beiden Gruben des sog. Jacobsonschen Organes gepreßt werden. Hier im Oberkiefer empfindet die Schlange dann die Gerüche. Geruch, Geschmack und eine Druckempfindung, die mit dieser inneren Berührung verbunden ist, durchdringen so einander. Wieder ist gegenüber der normalen Riechempfindung der Tiere hier die Selbstwahrnehmung bedeutsam gesteigert. Alle die genannten Sinne, die bei der Schlange stark ausgebildet sind, hängen viel stärker und unmittelbarer mit dem Rückenmark als mit dem Gehirn zusammen, während die höheren Sinne, die bei der Schlange rückgebildet sind, gerade die Hirnentwicklung vorangetrieben haben. Das Großhirn ist in gewisser Weise durch ihre Wirkung gleichsam von außen nach innen zu entstanden. Was bei den Sauriern noch in der hochkomplexen Netzhaut veranlagt ist, verlagert sich im Zuge der Entwicklung nach innen und bildet, den Augen genau diametral entgegengesetzt, die Sehrinde. Ähnlich bildete sich die Hörrinde des Großhirns. Das Vorderhirn des Menschen schließlich, das nicht mehr der Wahrnehmung, sondern dem kombinatorischen Denken dient, ist ein verwandeltes, seiner ursprünglichen Funktion enthobenes und mächtig aufgewölbtes Riechhirn.

Daß die Schlange sich in ihrem Wesen sehr stark von der Umwelt abschließt und dabei gewissermaßen über das normale Tiersein hinausschießt, hat Folgen, denen wir auf andere Art schon bei den Pflanzen begegnet sind. Wenn die tierbildenden astralen Kräfte eine Lebewesen übermäßig ergreifen, steigern sich die durch die Atmung bedingten Verbrennungsprozesse so sehr, daß sich endlich organische Substanz zu giftigen Produkten zu zersetzen beginnt. Viele Schlangen, besonders die der tropischen Gebiete, wo die astralen Kräfte besonders wirksam sind, sind hochgiftig. Die Schlangengifte sind dabei durchwegs hochaktive Eiweißstoffe bzw. Eiweißzersetzungsprodukte, die allesamt sehr reich an Schwefel sind. Sie sind entweder stark neurotoxisch und muskellähmend wie die pflanzlichen Curarealkaloide, die Pfeilgifte der Indianer Südamerikas, oder beeinflussen das Kreislaufsystem (Herzgifte). Manche Schlangengifte wirken "nur" lokal auf die Blutgerinnung.

In einer ständigen aktiven Auseinandersetzung mit ihrer Umwelt stehen all jene Tiere, deren Atmungs- und Kreislauforgane besonders mächtig ausgebildet sind. Das sind vornehmlich die Raubtiere, allen voran die katzen- und hundeartigen, die schon durch ihren mächtig aufgewölbten Brustkasten deutlich zeigen, daß bei ihnen das Atmungsorgan gewaltig ausgebildet ist. Töten oder getötet werden liegen hier eng beisammen. Jagen, auch wenn man dabei das eigene Leben riskiert, oder verhungern ist das Leitmotiv ihres Daseins. Ihr Seelenleben ist, wie wir bereits angedeutet haben, viel stärkeren Schwankungen unterworfen als das der pflanzenfressenden Verdauungstiere, die ihr Bewußtsein vorallem auf ihre innere Verdauungstätigkeit richten. Und wenn, wie etwa bei Pferd, das Atmungsorgan stark ausgebildet ist, dann ist auch ihr Seelenleben viel wacher als das der "normalen" Weidetiere. Der Verdauungstrakt der Raubtiere, etwa eines Löwen, ist auffallend kurz. Ein Rind bringt es gut und gerne auf stattliche 50 m Darmlänge, was beinahe das 30fache seiner Körperlänge ist. Ein Löwe muß mit knapp 7m, also kaum dem vierfachen seiner Körperlänge auskommen. Das Pferd mit etwa 30 m Darmlänge, was rund dem 12fachen seines Körpermaßes entspricht, liegt dazwischen. Dafür beträgt das relative Lungengewicht bei Rind und Pferd nur wenig mehr als 0.7 % der Körpermasse, beim Löwen immerhin mehr als 2%. Das Pferd hat allerdings eine gewaltige innere Lungenoberfläche von 500 m2, die die der meisten anderen Säugetiere und auch die des Menschen mit rund 90 m2 überragt.

Bei den Raubtieren sind, im Gegensatz zu den Verdauungstieren, die Fernsinne, namentlich Gehör, Geruch und Sehsinn besonders ausgebildet und setzen sich nach innen zu in das bereits bedeutsam entwickelte Gehirn fort. Und doch liegt ist instinktive Intelligenz dieser Tiere noch weniger im Hirn begründet, als vielmehr in den Sinnesorganen selbst. Die eigentliche "Intelligenz" des Wolfes, oder seines gezähmten Genossen, des Hundes, liegt nicht in seinem logischen Vorderhirn, sondern vielmehr in seinem ausgeprägten Geruchssinn, der eine Million mal besser ist als der des Menschen. Was der Mensch an Riechfähigkeit verloren hat, das hat er an wachem Verstand dazugewonnen. Mit den Säugetieren überhaupt, die sich mit der beginnenden Erdneuzeit immer mehr über die Erde verbreiteten und den weiten Raum eroberten, der ihnen von den ausgestorbenen Sauriern zurückgelassen wurde, verfeinerten sich die Sinne beträchtlich, und zwar vorallem die nächtlichen Sinne: der Gehörsinn, Geruchs-, Geschmacks- und Vibrationssinne. Besonders das Ohr machte eine sprunghafte Entwicklung mit, bei der sich erst die drei Gehörknöchelchen und die frei bewegliche Ohrmuschel ausbildeten, und wurde so zu einem der wichtigsten Sinnesorgane der Säuger. Demgegenüber degenerierte interessanterweise der Sehsinn zunächst außergewöhnlich stark. Nicht am hellen Tag, sondern in der vom Mond nur schwach erleuchteten Nacht betraten die Säugetiere die Erde. Eine starke Innerlichkeit entwickelte sich so, die sich aber nicht von ihrer Mitwelt, wie die Schlange, verschließt, sondern geradezu durch den Gehörsinn am inneren seelischen Erleben der Mitgeschöpfe teilnimmt. Das Sehen wird nun ganz auf das Dämmerungs- oder Nachtsehen abgestimmt. Der knöcherne Außenring des Reptilauges verschwindet vollkommen und zugleich bilden sich die Akkommodationsmuskeln, deren Tragegerüst der Knochenring war, zurück. Ebenso degenerieren die Rezeptoren für das Farbensehen, die Zäpfchen; ihre Dichte nimmt ab und die zentrale Grube, der Ort schärfster Sicht, verschwindet. Die Stäbchen, die Rezeptoren für das Dämmerungssehen, die aber nur Hell und Dunkel unterscheiden können, nehmen beträchtlich zu. Die ersten Säugetiere waren vollkommen farbenblind! Entsprechend den nächtlichen Lichtverhältnissen vergrößerte sich der Augapfel und relativ dazu die Linse und Hornhaut. Alle diese Strukturmerkmale finden sich vielfach noch heute bei den Sehorganen der Säugetiere. Vielfach entstanden auch lichtverstärkende Reflektorstrukturen, wie sie heute noch im Auge der Katze leicht zu bemerken sind. Die Augen beginnen wie von innen her zu leuchten. Es scheint, als sollte zuerst ein inneres Licht erregt werden, das erst später dem äußeren hellen Sonnenlicht entgegentreten sollte. Genau so war es auch. Indem die Sehfunktion gegenüber den anderen Sinne so stark zurücktrat, wurde zugleich die neuronale Assoziation der verbliebenen Sinne entscheidend gefördert und dadurch letztlich eine Großhirnstruktur ausgebildet, die das Werkzeug dieses inneren Lichts werden konnte.

Nerven und Wurzeln – Leben abseits des äußeren Lichts

In der Dämmerung des äußeren Lichts begannen die Nervenzellen erst so richtig jene großartige Eigenschaft auszuspielen, die sie dem Umstand verdanken, daß in ihnen der Todesprozeß, der ihnen die Regenerationsfähigkeit genommen hat, so stark geworden ist. Das Leben ist aus dem Zellkörper fast vollständig geschwunden, sie können sich nicht mehr teilen. Alle Lebenskraft, die ihnen noch verblieben ist, konzentriert sich nun auf ihre beinahe pflanzenhaften Auswüchse, die baumartig sich verzweigenden Dendriten und auf das sich verzweigende Axon. Normalerweise liegen Zellen dicht gedrängt aneinander und eine unmittelbare Verbindung besteht nur zwischen den unmittelbar benachbarten Zellen. Nicht so beim Nervengewebe. Die Zellen berühren einander nicht anders als durch ihre baumartigen Ausläufer bzw. durch das sich oft meterlang erstreckende Axon. So berühren die Zellen einander zwar nicht unmittelbar, aber dafür werden Zellen miteinander verbunden, die oft sehr weit voneinander entfernt sein können, was bei anderen Zelltypen nicht der Fall ist; das spinnwebenartige Nervennetz entsteht, das rein morphologisch dem ausgedehnten Wurzelsystem der höheren Pflanzen ähnlich ist.

Tatsächlich ist diese Ähnlichkeit fundamentaler als es auf den ersten Blick erscheinen mag. Man wird diese Gemeinsamkeit allerdings nur bemerken, wenn man sich dafür einen großzügigen, weit überschauenden Blick aneignet. Daß sich das Nervensystem und der Wurzelsproß in vielen funktionellen und anatomischen Details voneinander unterscheiden, kann bei lebendigen Strukturen, die sich unter so unterschiedlichen äußeren Bedingungen entfalten, nicht anders sein. Dennoch haben sie viel miteinander gemein. Beide entfalten sich abseits des äußeren Lichts in einem der Sonne abgewandten dunklen Raum. Das, was gerade das Wesen der Pflanze ausmacht, sich ganz in die sonnendurchhellte Atmosphäre hinein zu gestalten, fehlt der Wurzel, von Ausnahmen abgesehen (Luftwurzeln tropischer Pflanzen) völlig. Das rein vegetative Wachstum ist im Wurzelsystem stark eingeengt, das Wurzelgewebe kann weder Knospen noch Blattansätze hervorbringen. Wie bei den Nerven tritt das lineare Gestaltungselement besonders hervor.

Der ganze Erdboden wird von unzähligen, einander vielfältig begegnenden und sich miteinander vernetzenden Wurzelfäden durchzogen, so wie das Nervennetz den ganzen tierischen Organismus durchdringt. Salzprozesse spielen da wie dort eine wesentliche Rolle. Die Pflanze nimmt durch die Wurzel Wasser und darin gelöste Salze auf, die, wenn man sie auch nicht eigentlich als Nährstoffe bezeichnen kann, doch nötig sind, damit sich die Pflanze lebendig gestalten kann. Jede Pflanze konzentriert die Salze in ihrem Inneren und macht sich dadurch erst zu einem Empfangsorgan für die sie durchformenden kosmischen Rhythmen. Nachweislich sind viele der in den Salzen enthaltenen Metallionen sensitiv für ganz spezifische kosmische Einflüsse. Das gilt namentlich für Schwermetalle wie Kupfer, Eisen, Silber, Gold usw., die auch schon aus dem instinktiven Wissen alter Völker den verschiedenen Planetensphären zugeordnet wurden; ein Zusammenhang, der heute etwa mittels der Steigbildmethode auch streng empirisch bewiesen werden kann. Metallionen sind es vielfach auch, die in den Eiweißstoffen gestaltbildende Zentren schaffen, durch die diese erst zu Enzymen, d.h. zu tauglichen "Werkzeugen" des Stoffwechselgeschehens werden. Wesentlicher noch als die mit den Salzen aufgenommen metallischen Stoffe selbst sind die durch sie vermittelten gestaltbildenden Prozesse. Die bestimmten Stoffen zugehörigen Formbildekräfte werden vielfach sogar erst dann recht wirksam, wenn der Stoff selbst gar nicht mehr anwesend ist und folglich auch durch chemische Analyse nicht mehr nachgewiesen werden kann. Eine Salzlösung etwa, die in sich rhythmisch wiederholender Folge so oft verdünnt wird, daß von der Ausgangssubstanz rein stofflich gar nichts mehr überbleibt, prägt doch dem reinen Lösungsmittel, hier also dem zucker- und eiweißhaltigen Zellsaft der Pflanzen, dynamische Strukturen ein, die entscheidend den Lebensprozess der Pflanze vorantreiben. Es ist das selbe Prinzip, dessen man sich in der Homöopathie bedient, um dem erkrankten Organismus die ihm mangelnden Formbildekräfte zuzuführen. Indem in der Homöopathie das Heilmittel "potenziert", d.h. durch aufeinanderfolgende Verdünnungsschritte völlig seiner stofflichen Natur entkleidet wird, nimmt das Lösungsmittel die "Arzneimittelinformation", wie sie der Chemiker Viktor Gutmann (14) nennt, auf und bewahrt sie. Den exakten empirischen Nachweis, daß derartige "Hochpotenzen", die nichts mehr vom Ausgangsstoff enthalten, physiologisch wirksam sind, hat schon seit den frühen zwanziger Jahren Lili Kolisko (15), angeregt durch Rudolf Steiner, geführt. Seitdem haben auch einige andere exakte empirisch-naturwissenschaftliche Untersuchungen bestätigt, daß geeignete Lösungsmittel derartige "Arzneimittelinformationen" "speichern" können. Daß das möglich ist, sollte uns im heutigen "Informationszeitalter" auch nicht weiter überraschen. Information heißt soviel wie "Einformung", und damit eine solche "Einformung" stattfinden kann, muß nicht der Stoff, sondern nur die Form übertragen werden. Um einen Siegelabdruck zu erhalten, ist es ja auch nicht nötig, daß stofflich etwas vom Metall des Siegelrings in das Siegelwachs übergeht. Ähnliches geschieht auch bei der Potenzierung, nur bewahrt das Lösungsmittel dabei nicht eine statische räumliche Form, sondern die "Arzneimittelinformation" wird als dynamischer Prozeß bewahrt, d.h. als sich beständig auflösende aber gleich wieder regenerierende Struktur, als tätige Formbildekraft – und eben deshalb kann sie auch unmittelbar tätig in das Lebensgeschehen eingreifen. Was so als Heilprinzip der Homöopathie künstlich angewendet wird, findet aber auch natürlicherweise beständig in der belebten Welt statt, besonders auch in den Salzprozessen der Pflanzenwurzeln.

Salzprozesse spielen auch eine wesentliche Rolle im ganzen Nervensystem. Von den Sinnesorganen aus werden die Reize durch elektrische Impulse in der Nervenfaser weitergeleitet. Diese elektrischen Impulse wiederum werden aber dadurch möglich, daß die Nervenfaser elektrisch geladene Metallionen mit ihrer Umgebung derart austauscht, daß zwischen innen und außen eine Ladungsdifferenz und mithin auch ein elektrisches Spannungsgefälle entsteht. Die äußere sinnliche Welt, egal ob es sich um Farben, Töne, Gerüche usw. handelt, bildet sich so im Nervensystem als flüchtiger elektrischer Impuls ab. Nun ist zweifellos das Nervensystem das körperliche Werkzeug aller bewußten Erfahrung. Ein irdisches Lebewesen, das wie die Pflanze über kein Nervensystem verfügt, kann zwar leben, aber nicht bewußt erleben. Nur Tiere verfügen über das Nervensystem, und erst mit den Tieren beginnt das Bewußtsein aufzuleuchten. Wie das allerdings im Einzelnen geschieht, ist zunächst noch rätselhaft. Wir haben zwar gesehen, daß sich die äußere Welt irgendwie in Form elektrischer Impulse im Nervensystem abbildet, aber was wir bewußt erleben sind keineswegs diese elektrischen Erregungen selbst. Das Erlebnis "Rot" hat mit derartigen elektrischen Prozessen nichts gemeinsam, obgleich sie offenbar nötig sind, damit eine derartige bewußte Erfahrung entstehen kann. Wir haben ferner gesehen, daß der Wurzelsproß und das Nervensystem in struktureller und funktioneller Beziehung einander ähnlich sind, aber doch kommt die Pflanze auch durch ihre Wurzeln zu keinem bewußten Erleben, während das ihnen entsprechenden Nervensystem gerade zur physischen Grundlage des Bewußtseins wird. Einige Faktoren haben wir damit kennengelernt, die daran beteiligt sind, daß das sich beständig gestaltende und umgestaltende Leben in das bewußte Erleben übergeht. Wie alle diese Faktoren miteinander zusammenhängen und uns dadurch das Phänomen des Bewußtseins erklärlich machen, müssen wir als nächstes betrachten. Wir nähern uns damit dem Kernpunkt unseres Themas.

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