Vom
Leben zum Erleben wie das Bewußtsein entsteht
Licht, Klang usw. sind,
wie wir bereits gezeigt haben, übersinnliche
Kräfte, die, wenn sie
mit der stofflichen Welt zusammentreffen, die sinnlichen
Qualitäten hervortreten lassen. Das reine,
übersinnliche Licht läßt, wenn es den Stoff
beleuchtet, die sinnlichen Farben erglänzen. Der reine
ätherische Klang erregt im Stoff rhythmische
Formveränderungen, Schwingungen, die sich uns vermittels
des Ohres als Töne kundgeben. Damit wir diese sinnlichen
Erfahrungen haben können, bedürfen wir der geeigneten
Sinnesorgane und des sich daran anschließenden
Nervensystems. Bei allem, was wir so sinnlich wahrnehmen,
schwingen aber auch, wie wir schon eingangs dieser
Schrift gesehen haben, rein seelische Erlebnisse mit.
Ohne daß sich das Rot sinnlich auf uns zubewegen würde,
empfinden wir es doch rein seelisch als an uns
herandrängend. Ein Mollakkord wird unweigerlich als
traurig empfunden, während ein entsprechender Durakkord
freudig erfahren wird.
Auch auf die Pflanze,
namentlich auf ihre über der Erde gelegenen Teile,
wirken die übersinnlichen ätherischen Kräfte, aber die
Pflanze erlebt ihre sinnliche Wirkung nicht. Vielmehr
gestaltet sie sich durch die auf sie aus dem Kosmos
einwirkenden ätherischen Bildekräfte. Das Licht etwa,
das von der Sonne auf die Pflanzenwelt niederstrahlt,
wird zwar von den Pflanzen nicht bewußt wahrgenommen,
aber es verleiht ihnen ihre Farbe. Die Spektralanalyse
zeigt, daß das Sonnenlicht besonders befähigt ist, die
grüne Farbe hervorzubringen und genau das
geschieht in der Pflanzenwelt! Die Klangätherkräfte,
die Mensch als Ton vernimmt, bauen alle rhythmisch sich
wiederholenden Gestaltelemente der Pflanze auf, die dann
noch durch den Lebensäther vielfältig modifiziert
werden. Diese Lebensätherkräfte nimmt der Mensch
nicht das Tier in Form der Sprache, d.h. in dem
zum Wort gestalteten Klang wahr. Rudolf Steiner hat immer
wieder darauf hingewiesen, allerdings in ganz anderem
Zusammenhang, daß der Mensch neben dem Gehörsinn auch
über einen eigenen Wortsinn verfügt. Auch das Tier und
der Mensch müssen diese ätherischen Bildekräfte in
sich aufnehmen, um überhaupt belebte Wesen sein zu
können. Aber wie wir gesehen haben, tritt bei Tier und
Mensch diesen rein aufbauenden Lebenskräften durch die
Atmung ein starker abbauender Prozeß entgegen. So wird
ein Teil der kosmischen Ätherkräfte zwar dafür
verbraucht, den tierischen und menschlichen Organismus zu
bilden und zu erhalten, ein anderer Teil aber bleibt
übrig, der nicht wie in der Pflanze gestaltend wirken
kann. Gerade die Sinnesorgane und das Nervensystem
widersetzen sich am stärksten den anbrandenden
Ätherkräften. Nervenzellen sind nicht mehr
teilungsfähig, können sich nicht mehr erneuern, sondern
sind in ihrer Form mehr oder weniger erstarrt. Aber auch
die Sinnesorgane ähneln mehr physikalischen Apparaten
als lebendigen Wesen. Das Auge gleicht in vielem einer
Kamera, das Ohr mit seinen tausenden Sinnesfäden, die
durch den Schall erregt werden, ist dem mechanischen
Klavier nicht unähnlich. Und so für alle Sinnesorgane.
Der Lebensprozeß ist in ihnen stark gehemmt, und das um
so mehr, je höher entwickelt es ist. So können die
lebendigen Bildekräfte die Sinne und Nerven nur sehr
oberflächlich berühren und kaum in ihnen gestaltend
wirksam werden. Das Blatt baut sich durch das Sonnenlicht
auf, es widersetzt sich nicht den eingestrahlten
Lebenskräften.
Solange der Embryo
heranreift, und auch in der ersten Zeit nach der Geburt,
ist das Nervensystem allerdings noch nicht fertig
ausgeformt und in seiner Feinstruktur noch sehr bildsam
und beginnt sich erst in den weiteren Lebensphasen
entscheidend zu verhärten. Seine unverkennbar baumartige
Struktur verrät, wie nahe es ursprünglich den rein
vegetativen Lebensprozessen steht. Und solange sich das
Nervensystem durch diese Lebensprozesse erst
ausgestaltet, ist es noch kein besonders taugliches
Instrument für das Bewußtsein. Erst wenn das Leben in
den Nerven weitgehend erstorben ist, beginnt das
Bewußtsein stärker aufzuleuchten. Was die Sinne
aufnehmen, das ruft im eben erst geborenen Kleinkind noch
wenig bewußtes Erleben hervor, umso stärker aber
gestaltet sich das Nervensystem nach den einströmenden
Sinnesqualitäten. Wie sich das Kleinkind bewegt, was es
tastet, was es ergreift, wie es erst mühsam krabbelt und
sich schließlich noch mühsamer aufrichtet, das prägt
entscheidend die feineren Strukturen des Nervensystems.
Wächst es so auf, daß es von mannigfaltigen fein
nuancierten und einigermaßen harmonisch aufeinander
abgestimmten Sinnesqualitäten umgeben ist, so wird auch
sein Nervenzentrum entsprechend fein und reichhaltig
ausgeformt. Ist es nur von strukturlosen plumpen
Gegenständen umgeben, so wird auch sein Gehirn
entsprechend grob gestaltet. Grelle Farben, Lärm und
dergleichen zerrütten das Nervensystem für das ganze
spätere Leben. Die Sprache, die das Kind hört, und die
Laute die es nachahmend mit großer Lust formt, prägen
und erweitern das eigentliche Hörzentrum so, daß, im
Gegensatz zu den Tieren, eigene Sprachzentren im Gehirn
entstehen können, in denen sich die Struktur der
Muttersprache abbilden. Und erst wenn das Gehirn
weitgehend fertig gebildet ist, keimt allmählich das
eigene Denken des Kindes auf. Das ist zugleich der
Zeitpunkt, zu dem das Kind beginnt, sich selbst als
eigenständiges Wesen, als Ich zu erfassen. Tiere bringen
es niemals bis zu einem derartigen Selbstbewußtsein. Ihr
Nervensystem verhärtet zu früh, um bis zu einem
Werkzeug des Selbstbewußtseins ausgebildet werden zu
können. Der Mensch entfernt sich viel langsamer von dem
von Lebenskräften überschäumenden Embryonalzustand als
alle Tiere. Das Tier, wenn es geboren wird, ist schon
weitgehend fertig gebildet. Das Rehkitz kann kaum eine
Stunde nach seiner Geburt bereits laufen, der Mensch
braucht dazu bald ein ganzes Jahr und der beständigen
Pflege und Hilfe seiner Eltern. Das neugeborene
Menschenkind ist lange Zeit viel hilfloser und
unselbständiger als jedes Tier; gerade das ist aber die
Voraussetzung dafür, daß es später zu einem
selbstbewußten Wesen werden kann. Was das Kind
namentlich in den ersten drei Lebensjahren in seiner
Umgebung wahrnimmt und nachahmend erübt, das wirkt bis
in die feine Ausgestaltung seines Leibes und ganz
besonders in die seines Nervensystems hinein. In diesen
ersten drei Lebensjahren erwirbt sich das Menschenkind
die Fähigkeiten, durch die es jedes Tier überragt und
durch die es sich seines Ichs bewußt werden kann: es
lernt aufrecht zu gehen, zu sprechen und endlich auch zu
denken. Mag der Mensch in vielen anatomischen Details den
höheren Tieren auch sehr nahe stehen, durch diese drei
Fähigkeiten unterscheidet er sich fundamental von allen
anderen Erdenwesen. Und das gilt nicht nur für die
äußere Gestalt, durch die sich der Mensch buchstäblich
durch die ihm allein vorbehaltene Aufrichtekraft über
das Tier erhebt, das gilt als unmittelbare Folge ganz
besonders für das menschliche Seelenleben, das ganz
anders als das der Tiere ist.
Wie sich das tierische und das
menschliche Seelenleben voneinander unterscheiden
Weil sich der Mensch
aufzurichten vermag, kommt er zu einer ganz anderen und
viel differenzierteren Beziehung zum Raum als das Tier.
Durch seine aufrechte Haltung unterscheidet der Mensch
Oben und Unten, Hinten und Vorne, Links und Rechts als
drei qualitativ grundsätzlich voneinander verschiedene
räumliche Richtungen. Nicht so das Tier. Es ist beinahe
vollkommen in die eine Richtung von Hinten nach Vorne
bzw. von Vorne nach hinten hineingebannt. Das ist
zugleich für das Tier die Richtung, in der sich die
sinnliche Wahrnehmung vorwiegend orientiert, und es ist
zugleich die vornehmliche Bewegungsrichtung des Tieres.
Die Sinne sind kopfseitig vorne zentriert, während des
Zentrum der Triebkräfte, aus denen das Tier seinen
Bewegungsantrieb schöpft, am hinteren Körperende in der
Stoffwechselregion und in den hinteren Gliedmaßen
lokalisiert ist. Wahrnehmungs- und Triebzentrum sind
durch das horizontal liegende Rückgrat miteinander
verbunden, das damit exakt in der Bewegungs- bzw.
Wahrnehmungsrichtung orientiert ist. Und das Rückgrat
ist zugleich das wesentlichste körperliche Werkzeug für
das tierische Seelenleben.
Ganz anders beim Menschen.
Sein Rückgrat ist vertikal aufgerichtet und steht damit
im rechten Winkel zur Wahrnehmungs- und
Bewegungsrichtung. Das hat für das seelische Erleben
bedeutsame Konsequenzen. Weil beim Tier Wahrnehmung und
Bewegungsantrieb direkt in einer Linie liegen,
durchdringen sie einander auch unmittelbar. Jede
Wahrnehmung erregt sofort eine bestimmte triebhafte
Reaktion. Wenn etwa ein Raubtier hungrig ist und am
Wahrnehmungshorizont ein geeignetes Beutetier auftaucht,
dann erwacht unmittelbar der Jagdtrieb und reißt das
Tier mit sich. Wahrnehmung und Bewegung gehen direkt
ineinander über, ohne daß sich eine rationale
Überlegung dazwischen schiebt. Das Tier erlebt die
äußere Wahrnehmung der Beute, das innere Hungergefühl
und die mit dem Jagdtrieb verbundene Bewegungslust nicht
als etwas voneinander geschiedenes, sondern sie mischen
sich zu einem untrennbaren Gesamterlebnis. Im Gegensatz
zum Menschen vermag das Tier nicht zwischen äußerer
sinnlicher Wahrnehmung und eigenem inneren Körpergefühl
zu unterscheiden. Es kann die Welt nicht in
"Subjekt" und "Objekt"
auseinanderlegen. Daher hat das Tier, wie wir schon
mehrmals betont haben, auch kein räumliches Bewußtsein,
und wenn es sich noch so geschickt im Raum bewegt. Um den
Raum, die räumliche Außenwelt bewußt erleben zu
können, muß man sich eben gerade als eigenständiges
Subjekt den räumlichen Objekten gegenüberstellen
können. Der Mensch ist dazu fähig, weil durch seine
aufrechte Körperhaltung die Wahrnehmungs- und die
Bewegungsrichtung nicht ungebrochen ineinander übergehen
und weil obendrein das Rückgrat genau im Rechten Winkel
zu dieser Richtung steht und dadurch nicht die
Wahrnehmung sofort in die Bewegung überleitet, sondern
im Gegenteil beide streng voneinander trennt. Außerdem
ist für den Menschen nicht das Rückgrat, sondern das
Gehirn das wesentlichste Werkzeug seines bewußten
Seelenlebens, und alles, was der Mensch sinnlich erlebt,
wird zunächst zu einem wesentlichen Teil durch das
Gehirn zurückgestaut, ohne gleich unmittelbar in das
Rückenmarksnervensystem weiter zu fließen. Dadurch
entstehen für den Menschen zwei ganz verschiedene
Bewußtseinssphären; die eine ist auf die sinnliche
Außenwelt gerichtet, die andere auf die innere
Wahrnehmung. Beide unterscheiden sich deutlich
voneinander, sowohl was ihren inneren Charakter als auch
ihren Wachheitsgrad betrifft, während sie beim Tier zu
einem ungeschiedenen Gesamtbewußtsein verschwimmen.
Lernen wir erst einmal dieses spezifisch menschliche
Bewußtsein intimer kennen, dann wird sich uns auch ein
klarerer Rückblick auf das Bewußtseinsleben der Tiere
eröffnen. Das umso mehr, als der Mensch unter dieser
charakteristisch menschlichen Erlebnisschicht auch eine
solche trägt, die dem tierischen Erleben verwandt ist.
Der Mensch trägt eben die ganze Natur in sich und
ragt zugleich über sie hinaus. Wie das Mineral trägt er
Physisches in sich, wie die Pflanze ist er ein belebtes
Wesen, und wie im Tier webt auch in ihm ein naturhaft
Seelisches, dessen wir uns aber normalerweise kaum
bewußt werden, weil es von dem dem Menschen allein
vorbehaltenen Geistesleben überstrahlt wird. Von diesem
menschlichen Geistesleben aus, wenn es nur genügend
durchkraftet wird, ist aber auch der bewußte besonnene
Rückblick auf die tiefer gelegenen naturhaften
Erlebnisschichten möglich.
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