1890
-1894
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Weimar
«Die Phantasie als
Kulturschöpferin»
An zwei
Vorträge, die ich bald nach dem Beginne meines weimarischen
Lebensabschnittes zu halten hatte, knüpfen sich für mich
wichtige Erinnerungen. Der eine fand in Weimar statt und hatte
den Titel «Die Phantasie als Kulturschöpferin»; er ging dem
charakterisierten Gespräch mit Herman Grimm über dessen
Anschauungen von der Geschichte der Phantasie-Entwickelung
voran. Bevor ich den Vortrag hielt, faßte ich in meiner Seele
zusammen, was ich aus meinen geistigen Erfahrungen heraus
über die unbewußten Einströmungen .der wirklichen
Geisteswelt in die menschliche Phantasie sagen konnte. Mir
erschien, was in der Phantasie lebt, nur dem Stoffe nach
angeregt von den Erlebnissen der menschlichen Sinne. Das
eigentlich Schöpferische in den echten Phantasiegestaltungen
zeigte sich mir als ein Abglanz der außer dem Menschen
bestehenden geistigen Welt. Ich wollte zeigen, wie die
Phantasie das Tor ist, durch das die Wesenheiten der geistigen
Welt schaffend auf dem Umwege durch den Menschen in die
Entfaltung der Kulturen hereinwirken.
Weil ich für
einen solchen Vortrag meine Ideen nach einem solchen Ziele hin
orientiert hatte, machte mir die Auseinandersetzung Herman
Grimms einen tiefen Eindruck. Dieser hatte gar nicht das
Bedürfnis, nach den übersinnlich-geistigen Quellen der
Phantasie zu forschen; er nahm, was in Menschenseelen als
Phantasie auftrat, seiner Tatsächlichkeit nach hin und wollte
es seiner Entwickelung nach betrachten.
Ich stellte
zunächst den Einen Pol der Phantasie-Entfaltung, das
Traumleben, dar. Ich zeigte, wie äußere Sinnesempfindungen
durch das herabgedämpfte Bewußtseinsleben im Traume nicht
wie im Wachleben, sondern in symbolisch-bildlicher
Umgestaltung erfahren werden; wie innere Leibesvorgänge in
ebensolcher Symbolisierung erlebt werden; wie Erlebnisse nicht
in nüchterner Erinnerung, sondern in einer Art im Bewußtsein
aufsteigen, die auf ein kraftvolles Arbeiten des Erlebten in
den Tiefen des Seelenseins hinweist.
Im Traume ist
das Bewußtsein herabgedämpft; es versenkt sich da in die
sinnlich-physische Wirklichkeit und schaut das Walten eines
Geistigen im Sinnensein, das in der sinnlichen Wahrnehmung
verborgen bleibt, das aber auch dem halbschlafenden
Bewußtsein nur wie ein Heraufschillern aus den Untiefen des
Sinnlichen erscheint.
In der
Phantasie erhebt sich die Seele um ebensoviel über den
gewöhnlichen Bewußtseinsstand, wie sie sich im Traumleben
unter denselben heruntersenkt. Es erscheint nicht das im
Sinnensein verborgene Geistige, sondern das Geistige wirkt auf
den Menschen; er kann es aber nicht in seiner ureigenen
Gestalt erfassen, sondern er verbildlicht es sich unbewußt
durch einen Seeleninhalt, den er aus der Sinneswelt entlehnt.
Das Bewußtsein dringt nicht bis zur Anschauung der
Geisteswelt vor; aber es erlebt diese in Bildern, die ihren
Stoff aus der Sinneswelt entnehmen. Dadurch werden die echten
Phantasie-Schöpfungen zu Erzeugnissen der geistigen Welt,
ohne daß diese selbst in das Bewußtsein des Menschen
eindringt.
Ich wollte
durch den Vortrag einen der Wege zeigen, auf denen die
Wesenheiten der geistigen Welt an der Entwickelung des Lebens
arbeiten.
So bemühte ich
mich, Mittel zu finden, durch die ich die erlebte Geisteswelt
zur Darstellung bringen und doch in irgend einer Art
anknüpfen konnte an das, was dem gewöhnlichen Bewußtsein
geläufig ist. Ich war eben der Ansicht: vom Geiste müsse
gesprochen werden; aber die Formen, in denen man sich in
diesem wissenschaftlichen Zeitalter auszusprechen gewohnt ist,
müßten respektiert werden.
Wien
Den andern
Vortrag hielt ich in Wien. Der «Wissenschaftliche Club»
hatte mich dazu eingeladen. Er handelte von der Möglichkeit
einer monistischen Weltauffassung unter Wahrung einer
wirklichen Erkenntnis vom Geistigen. Ich stellte dar, wie der
Mensch durch die Sinne von außen die physische Seite der
Wirklichkeit, durch die geistige Wahrnehmung «von innen»
deren geistige Seite erfaßt, so daß alles, was erlebt wird,
als einheitliche Welt erscheint, in der das Sinnliche den
Geist abbildet, der Geist sich im Sinnlichen schaffend
offenbart.
Es war das in
der Zeit, in der Haeckel seiner monistischen
Weltauffassung eine Formulierung gegeben hatte durch seine Rede
über den «Monismus als Band zwischen Religion und
Wissenschaft». Haeckel, der von meiner Anwesenheit in Weimar
wußte, schickte mir einen Abdruck seiner Rede. Ich erwiderte
die mir erwiesene Aufmerksamkeit, indem ich Haeckel das Heft
der Zeitschrift übersandte, in dem meine Wiener Rede
abgedruckt war. Wer diese Rede liest, der muß sehen, wie
ablehnend ich mich damals gegen den von Haeckel vorgebrachten
Monismus verhielt, wenn es mir darauf ankam, bemerklich zu
machen, was ein Mensch über diesen Monismus zu sagen hat,
für den die Geisteswelt etwas ist, in das er hineinschaut.
Aber es gab
damals für mich noch eine andere Notwendigkeit, auf den
Monismus in Haeckel'scher Färbung hinzuschauen. Er stand vor
mir als eine Erscheinung des naturwissenschaftlichen
Zeitalters. Philosophen sahen in Haeckel den philosophischen
Dilettanten, der in Wirklichkeit nichts anderes kannte als die
Gestaltungen der Lebewesen, auf die er die darwinistischen
Ideen anwandte, in der Form, die er sich zurecht gelegt hatte,
und der kühn erklärte: nichts anderes dürfe zum
Ausgestalten einer Weltanschauung verwendet werden, als was
sich ein darwinistisch gebildeter Naturbeobachter vorstellen
kann. Naturforscher sahen in Haeckel einen Phantasten, der aus
den naturwissenschaftlichen Beobachtungen Schlüsse zieht, die
willkürlich gezogen sind.
Indem ich durch
meine Arbeit genötigt war, die innere Verfassung des Denkens
über Welt und Mensch, über Natur und Geist, wie sie ein
Jahrhundert zuvor in Jena geherrscht hat, da Goethe seine
naturwissenschaftlichen Ideen in dieses Denken hineinwarf,
darzustellen, veranschaulichte sich mir im Hinblicke auf
Haeckel, was in der damaligen Gegenwart in dieser Richtung
gedacht wurde. Goethes Verhältnis zur Naturanschauung seiner
Zeit mußte ich während meiner Arbeit in allen Einzelheiten
mir vor das Seelenauge stellen. An der Stätte in Jena, von
der für Goethe die bedeutsamen Anregungen ausgegangen waren,
seine Ideen über Naturerscheinungen und Naturwesen
auszubilden, wirkte ein Jahrhundert später Haeckel mit dem
Anspruch, aus der Naturerkenntnis heraus Maßgebliches für
eine Weltanschauung sagen zu können.
Dazu kam, daß
an einer der ersten Versammlungen der Goethe-Gesellschaft, an
der ich während meiner Weimarer Arbeit teilnahm, Helmholtz
über «Goethes Vorahnungen kommender naturwissenschaftlicher
Ideen» einen Vortrag hielt. Da wurde ich auf manches
hingewiesen, das Goethe durch eine glückliche Eingebung von
späteren naturwissenschaftlichen Ideen «vorausgeahnt» habe,
da wurde aber auch angedeutet, wie sich Goethes Verirrungen
auf diesem Gebiete an seiner Farbenlehre zeigten.
Wenn ich auf
Haeckel blickte, wollte ich mir immer Goethes eigenes Urteil
vor die Seele stellen über die Entwickelung der
naturwissenschaftlichen Anschauungen in dem Jahrhundert, das
auf die Ausgestaltung der seinigen gefolgt war; als ich
Helmholtz zuhörte, stand das Urteil dieser Entwickelung über
Goethe vor meiner Seele.
Ich konnte
damals nicht anders, als mir sagen, wenn aus der herrschenden
Geistesverfassung der damaligen Zeit über das Wesen der Natur
gedacht wird, so muß das herauskommen, was Haeckel in
vollkommener philosophischer Naivität denkt; die ihn
bekämpfen, zeigen überall, daß sie bei der bloßen
Sinnesanschauung stehen bleiben und das Fortentwickeln dieser
Anschauung durch das Denken vermeiden wollen.
Weimar
Begegnung mit Ernst
Haeckel
Ich
hatte zunächst kein Bedürfnis, Haeckel, an den ich viel zu denken
gezwungen war, persönlich kennen zu lernen. Da kam sein sechzigster
Geburtstag heran. Ich wurde veranlaßt, an der glänzenden Festlichkeit
teilzunehmen, die damals in Jena veranstaltet wurde. Das Menschliche
an dieser Festlichkeit zog mich an. Während des Festessens trat
Haeckels Sohn, den ich in Weimar, wo er an der Malerschule war,
kennen gelernt hatte, an mich heran und sagte, sein Vater möchte,
daß ich ihm vorgestellt werde. Das tat denn nun der Sohn.
So lernte ich
Haeckel persönlich kennen. Er war eine bezaubernde
Persönlichkeit. Ein Augenpaar, das naiv in die Welt blickte,
so milde, daß man das Gefühl hatte, dieser Blick müßte
sich brechen, wenn Schärfe des Denkens sich durch ihn
durchdränge. Der konnte nur Sinnes-Eindrücke vertragen,
nicht Gedanken, die sich in den Dingen und Vorgängen
offenbaren. Jede Bewegung an Haeckel war darauf gerichtet,
gelten zu lassen, was
die Sinne aussprechen, nicht den beherrschenden Gedanken in
ihr sich offenbaren zu lassen. Ich verstand, warum Haeckel so
gerne malte. Er ging in der Sinnesanschauung auf. Wo er
beginnen sollte, zu denken, da hörte er auf, die
Seelentätigkeit zu entfalten und hielt lieber das Gesehene
durch den Pinsel fest. So war die eigene Wesenheit Haeckels.
Hätte er nur sie entfaltet, etwas ungemein reizvoll
Menschliches hätte sich geoffenbart.
Aber
in einem Winkel dieser Seele wühlte etwas, das eigensinnig als ein
bestimmter Gedankeninhalt sich geltend machen wollte. Etwas, das
aus ganz anderen Weltrichtungen herkam, als sein Natursinn. Die
Richtung eines früheren Erdenlebens, mit fanatischem Einschlag,
auf ganz anderes gerichtet als auf die Natur, wollte sich austoben.
Religiöse Politik lebte sich aus den Untergründen der Seele herauf
aus und benützte die Natur-Ideen, um sich auszusprechen.
In solch
widerspruchsvoller Art lebten zwei Wesen in Haeckel. Ein
Mensch mit mildem, liebeerfülltem Natursinn, und dahinter
etwas wie ein Schattenwesen mit unvollendet gedachten,
engumgrenzten Ideen, die Fanatismus atmeten. Wenn Haeckel
sprach, dann ließ seine Milde den Fanatismus nur schwer sich
in das Wort ergießen; es war, wie wenn naturgewollte
Sanftheit ein verborgenes Dämonisches im Sprechen abstumpfte.
Ein Menschenrätsel, das man nur lieben konnte, wenn man es
sah; über das man oft in Zorn geraten konnte, wenn es
urteilte. So sah ich Haeckel vor mir, als er in den neunziger
Jahren des vorigen Jahrhunderts das vorbereitete, was dann zu
dem wilden Geisteskampfe führte, der um die Jahrhundertwende
wegen seiner Gedankenrichtung tobte.
Heinrich von
Treitschke
Unter den
Weimar-Besuchern war auch Heinrich v. Treitschke. Ich konnte
ihn kennen lernen, da Suphan mich miteinlud, als er Treitschke
einmal zum Mittagsmahle bei sich hatte. Ich hatte einen tiefen
Eindruck von dieser viel umstrittenen Persönlichkeit.
Treitschke war völlig taub. Man verständigte sich mit ihm,
indem er kleine Zettel reichte, auf die man schrieb, was man
an ihn heranbringen wollte. Das ergab, daß in einer
Gesellschaft, in der er sich befand, seine Persönlichkeit in
dem Mittelpunkte stand. Hatte man etwas aufgeschrieben, so
sprach er dann darüber, ohne daß ein wirkliches Gespräch
entstand. Er war für die Ändern in viel intensiverer Art da,
als sie für ihn. Das war in seine ganze Seelenhaltung
übergegangen. Er sprach, ohne daß er mit Einwänden zu
rechnen hatte, die einem ändern begegnen, der unter Menschen
seine Gedanken mitteilt. Man konnte deutlich sehen, wie das in
seinem Selbstbewußtsein Wurzel gefaßt hatte. Weil er keine
Einwände gegen seine Gedanken hören konnte, empfand er stark
den Wert dessen, was er selber dachte. Die erste Frage, die
Treitschke an mich richtete, war, woher ich stamme. Ich
schrieb auf das Zettelchen, ich sei Österreicher. Treitschke
erwiderte: Die Österreicher sind entweder ganz gute und
geniale Menschen oder Schurken. Er sprach solches, indem man
wahrnahm, die Einsamkeit, in der seine Seele durch die
Taubheit lebte, drängte zum Paradoxen und hatte an diesem
eine innere Befriedigung. Die Mittagsgäste blieben bei Suphan
gewöhnlich den ganzen Nachmittag zusammen. So war es auch
damals, als Treitschke unter ihnen war. Man konnte diese
Persönlichkeit sich entfalten sehen. Der breitschultrige Mann
hatte auch in seiner geistigen Persönlichkeit etwas, durch
das er sich breit unter seinen Mitmenschen zur Geltung
brachte. Man kann nicht sagen, Treitschke dozierte. Denn es
trug alles, was er sprach, den Charakter des Persönlichen.
Leidenschaftliche Lust, sich auszusprechen, lebte in jedem
Wort. Wie befehlend war sein Ton, auch wenn er nur erzählte.
Er wollte, daß auch der andere im Gefühle von seinem Worte
ergriffen werde. Seltenes Feuer, das aus seinen Augen
sprühte, begleitete seine Behauptungen. Das Gespräch kam
damals auf Moltkes Weltanschauung, wie sich diese in dessen
Lebenserinnerungen ausgesprochen fand. Treitschke verwarf die
unpersönliche, an das mathematische Denken erinnernde Art, in
der Moltke die Welterscheinungen auffaßte. Er konnte gar
nicht anders, als mit dem Unterton starker persönlicher
Sympathien und Antipathien die Dinge beurteilen. Menschen, die
wie Treitschke so ganz in ihrer Persönlichkeit stecken,
können auf andre Menschen nur einen Eindruck machen, wenn das
Persönliche zugleich bedeutend und tief mit den Dingen
verwoben ist, die sie vorbringen. Das war bei Treitschke so.
Wenn er von Historischem sprach, so redete er so, als ob alles
gegenwärtig wäre und er persönlich dabei mit all seiner
Freude und all seinem Ärger. Man hörte dem Manne zu, man
behielt den Eindruck des Persönlichen in einer unbegrenzten
Stärke; aber man bekam zu dem Inhalt des Gesagten kein
Verhältnis.
Ludwig Laistner
Einem andern
Weimar-Besucher trat ich freundschaftlich sehr nahe. Es war
Ludwig Laistner. Eine feine, auf die schönste Art im
Geistigen lebende, in sich harmonische Persönlichkeit. Er war
damals literarischer Beirat der Cotta'schen
Verlagsbuchhandlung und hatte als solcher im Goethe-Archiv zu
arbeiten. Ich konnte fast alle Zeit, die uns frei blieb, mit
ihm zubringen. Sein Hauptwerk, «Das Rätsel der Sphinx», lag
damals schon der Welt vor. Es ist eine Art Mythengeschichte.
Er geht in der Erklärung des Mythischen seine eigenen Wege.
Unsere Gespräche bewegten sich viel auf dem Gebiete, das in
dem so bedeutenden Buche behandelt ist. Laistner verwirft alle
Erklärung des Märchenhaften, des Mythischen, die sich an die
mehr oder weniger bewußt symbolisierende Phantasie hält. Er
sieht den Ursprung der mythisierenden Naturauffassung des
Volkes in dem Traume, namentlich dem Alptraume. Der drückende
Alp, der sich als peinigender Fragegeist für den Träumenden
zeigt, wird zum Alb, zur Elfe, zum dämonischen Quäler; die
ganze Schar der Geister entsteigt für Ludwig Laistner aus dem
träumenden Menschen. Die fragende Sphinx ist eine andere
Metamorphose der einfachen Mittagsfrau, die dem auf dem Felde
am Mittag Schlafenden erscheint und ihm Fragen aufgibt, die er
zu beantworten hat. — Alles, was der Traum an paradoxen,
sinnigen und sinnvollen, an peinigenden und lust-erfüllten
Gestaltungen schafft, das verfolgte Ludwig Laistner, um es in
den Märchen- und Mythen-Bildungen wieder aufzuweisen. Ich
hatte bei jedem Gespräche das Gefühl: der Mann könnte so
leicht den Weg finden von dem im Menschen schaffenden
Unterbewußten, das in der Traumwelt wirkt, zu dem
Überbewußten, das auf die reale Geistwelt trifft. Er hörte
meine diesbezüglichen Auseinandersetzungen mit dem größten
Wohlwollen an; wendete nichts dagegen ein, aber ein
innerliches Verhältnis dazu gewann er doch nicht. Daran
hinderte auch ihn die in der Zeitgesinnung liegende Furcht,
sogleich den «wissenschaftlichen» Boden zu verlieren, wenn
man an das Geistige als solches herantritt. Aber Ludwig
Laistner stand zu Kunst und Poesie dadurch in einem besonderen
Verhältnis, daß er das Mythische an die realen
Traumerlebnisse und nicht an die abstrakt schaffende Phantasie
herantrug. Alles Schöpferische im Menschen bekam dadurch in
seiner Auffassung eine Weltbedeutung. Er war bei einer
seltenen inneren Ruhe und seelischen Geschlossenheit eine
feinsinnige, poetische Persönlichkeit. Seine Aussagen über
alle Dinge hatten etwas Poesievolles. Begriffe, die unpoetisch
sind, kannte er eigentlich gar nicht. Ich habe mit ihm in
Weimar, dann bei einem Besuche in Stuttgart, wo ich bei ihm
wohnen durfte, schönste Stunden verlebt. An seiner Seite
stand seine ganz in seiner geistigen Wesenheit aufgehende
Gattin. Für sie war Ludwig Laistner eigentlich alles, was sie
mit der Welt verband. Er lebte nach seinem Besuche in Weimar
nur noch kurze Zeit. Die Frau folgte dem Dahingeschiedenen in
der allerkürzesten Zeit nach; die Welt war für sie leer, als
Ludwig Laistner nicht mehr in ihr war. Eine ganz selten
liebenswürdige, in der Liebenswürdigkeit wahrhaft bedeutende
Frau. Sie wußte immer abwesend zu sein, wenn sie zu stören
vermeinte; sie fehlte nie, wenn sie für etwas zu sorgen
hatte. Mütterlich stand sie an Ludwig Laistners Seite, der
mit seiner feinen Geistigkeit in einem sehr zarten Körper
steckte.
Mit Ludwig
Laistner konnte ich wie mit wenigen andern Menschen über den
Idealismus der deutschen Philosophen Fichte, Hegel, Schelling
sprechen. Er hatte den lebendigen Sinn für die Realität des
Ideellen, die in diesen Philosophen lebte. Als ich ihm einmal
von meinen Sorgen über die Einseitigkeit der
naturwissenschaftlichen Weltauffassung sprach, sagte er: die
Leute haben eben keine Ahnung von der Bedeutung des
Schöpferischen in der Menschenseele. Sie wissen nicht, daß
in diesem Schöpferischen gerade so Weltinhalt lebt wie in den
Naturerscheinungen.
Über dem
Literarischen und Künstlerischen verlor Ludwig Laistner nicht
das Verhältnis zu dem unmittelbar Menschlichen. Bescheiden
war bei ihm Haltung und Auftreten: wer Verständnis dafür
hat, der fühlte bald nach der Bekanntschaft mit ihm das
Bedeutende seiner Persönlichkeit. Die offiziellen
Mythenforscher standen zu seiner Auffassung gegnerisch; sie
berücksichtigten sie kaum. So blieb im Geistesleben ein Mann
fast unbeachtet, dem nach seinem inneren Werte eine erste
Stelle gebührt. Von seinem Buche «Rätsel der Sphinx»
hätte die Mythen-Wissenschaft ganz neue Impulse empfangen
können; es blieb fast ganz ohne Wirkung.
Ludwig Laistner
hatte damals in die «Cotta'sche Bibliothek der
Weltliteratur» eine vollständige Schopenhauer-Ausgabe und
eine Ausgabe von ausgewählten Werken Jean Pauls aufzunehmen.
Er übertrug mir diese beiden. Und so hatte ich in meine
damaligen weimarischen Aufgaben die vollständige
Durcharbeitung des pessimistischen Philosophen und des
genial-paradoxen Jean Paul einzugliedern. Beiden Arbeiten
unterzog ich mich mit dem tiefsten Interesse, weil ich es
liebte, mich in Geistesverfassungen zu versetzen, die der
meinigen stark entgegengesetzt sind. Es waren bei Ludwig
Laistner nicht äußerliche Motive, durch die er mich zum
Schopenhauer- und Jean Paul-Herausgeber machte; der Auftrag
entsprang durchaus den Gesprächen, die wir über die beiden
Persönlichkeiten geführt hatten. Er kam auch zu dem
Gedanken, mir diese Aufgaben zu übertragen, mitten in einem
Gespräche.
Hans und Grete Olden
In Weimar
wohnten damals Hans Olden und Frau Grete Olden. Sie
versammelten einen geselligen Kreis um sich, der «Gegenwart»
leben wollte, im Gegensatz zu allem, was wie die Fortsetzung
eines vergangenen Lebens in Goethe-Archiv und
Goethe-Gesellschaft den Mittelpunkt des geistigen Daseins sah.
In diesen Kreis wurde ich aufgenommen; und ich denke mit
großer Sympathie an alles zurück, was ich in ihm erlebt
habe.
Man konnte
seine Ideen im Archiv noch so stark versteift haben an dem
Mit-Erleben der «philologischen Methode»; sie mußten frei
und flüssig werden, wenn man in Oldens Haus kam, wo alles
Interesse fand, was sich in den Kopf gesetzt hatte, daß eine
neue Denkweise in der Menschheit Boden gewinnen müsse; aber
auch alles, was mit Seelen-Innigkeit manches alte
Kultur-Vorurteil schmerzlich empfand und an Zukunfts-ideale
dachte.
Hans Olden
kennt die Welt als den Verfasser leichtgeschürzter
Theaterstücke wie die «Offizielle Frau»; in seinem
damaligen weimarischen
Kreise lebte er sich anders aus. Er hatte ein offenes Herz
für die höchsten Interessen, die zu dieser Zeit im geistigen
Leben vorhanden waren. Was in Ibsens Dramen lebte, was in
Nietzsches Geiste rumorte, darüber wurden in seinem Hause
endlose, aber immer anregende Diskussionen geführt.
Gabriele
Reuter, die damals an dem Roman «Aus guter Familie» schrieb,
der ihr bald darauf wie im Sturm ihre literarische Stellung
eroberte, fand sich in Oldens Kreis ein und erfüllte ihn mit
allen ernsten Fragen, die damals die Menschheit in bezug auf
das Leben der Frau bewegten.
Hans Olden
konnte reizvoll werden, wenn er sofort mit seiner
leicht-skeptischen Denkweise ein Gespräch stoppte, das sich
in Sentimentalität verlieren wollte; aber er konnte selbst
sentimental werden, wenn andere ins Leichtlebige verfielen.
Man wollte in diesem Kreise für alles «Menschliche»
tiefstes «Verständnis» entwickeln; aber man kritisierte
schonungslos, was einem an diesem oder jenem Menschlichen
nicht gefiel. Hans Olden war tief durchdrungen davon, daß es
für einen Menschen nur Sinn habe, sich literarisch und
künstlerisch den großen Idealen zuzuwenden, von denen in
seinem Kreise recht viel gesprochen wurde; aber er war zu
stark Menschenverächter, um in seinen Produktionen seine
Ideale zu verwirklichen. Er meinte, Ideale können wohl in
einem kleinen Kreise auserlesener Menschen leben; der aber sei
ein «Kindskopf», der glaubte, solche Ideale vor ein
größeres Publikum tragen zu können. Er machte gerade in der
damaligen Zeit einen Ansatz zur künstlerischen Verwirklichung
weiterer Interessen mit seiner «Klugen Kate». Dies
Schauspiel konnte es in Weimar nur zu einem «Achtungserfolg»
bringen. Das bestärkte ihn in der Ansicht, man gebe dem
Publikum, was es nun einmal verlangt, und behalte seine
höheren Interessen in den kleinen Kreisen, die dafür
Verständnis haben.
In einem noch
viel höheren Maße als Hans Olden war Frau Grete Olden von
dieser Anschauung durchdrungen. Sie war die vollendetste
Skeptikerin in der Schätzung dessen, was die Welt an
Geistigem aufnehmen kann. Was sie schrieb, war ganz
offensichtlich von einem gewissen Genius der
Menschenverachtung eingegeben.
Was Hans Olden
und Grete Olden aus solcher Seelenverfassung ihrem Kreise
boten, atmete in der Atmosphäre einer ästhetisierenden
Weltempfindung, die an das Ernsteste herankommen konnte, aber
die auch nicht verschmähte, über manches Ernste mit leichtem
Humor hinwegzukommen.
TB 636 (XV.), S
161 ff
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