1897-1899
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Berlin
Die «Dramatische
Gesellschaft»
Mit dem Magazinkreis im
Zusammenhang stand eine freie «Dramatische Gesellschaft».
Sie gehörte nicht so eng dazu wie die «Freie literarische
Gesellschaft»; aber es waren dieselben Persönlichkeiten wie
in dieser Gesellschaft im Vorstande; und ich wurde sogleich
auch in diesen gewählt, als ich nach Berlin kam.
Die Aufgabe dieser Gesellschaft
war, Dramen zur Aufführung zu bringen, die durch ihre
besondere Eigenart, durch das Herausfallen aus der
gewöhnlichen Geschmacksrichtung und ähnliches, von den
Theatern zunächst nicht aufgeführt wurden. Es gab für den
Vorstand gar keine leichte Aufgabe, mit den vielen
dramatischen Versuchen der «Verkannten» zurechtzukommen.
Die Aufführungen gingen in der
Art vor sich, daß man für jeden einzelnen Fall ein
Schauspielerensemble zusammenbrachte aus Künstlern, die an
den verschiedensten Bühnen wirkten. Mit diesen spielte man
dann in Vormittagsvorstellungen auf einer gemieteten oder von
einer Direktion frei überlassenen Bühne. Die
Bühnenkünstler erwiesen sich dieser Gesellschaft gegenüber
sehr opferwillig, denn sie war wegen ihrer geringen Geldmittel
nicht in der Lage, entsprechende Entschädigungen zu zahlen.
Aber Schauspieler und auch Theaterdirektoren hatten damals
innerlich nichts einzuwenden gegen die Aufführung von Werken,
die aus dem Gewohnten herausfielen. Sie sagten nur: Vor einem
gewöhnlichen Publikum in Abendvorstellungen könne man das
nicht machen, weil sich jedes Theater dadurch finanziell
schädige. Das Publikum sei eben nicht reif genug dazu, daß
die Theater bloß der Kunst dienten.
Die Betätigung, die mit dieser
dramatischen Gesellschaft verbunden war, erwies sich als eine
solche, die mir in einem hohen Grade entsprechend war. Vor
allem der Teil, der mit der Inszenierung der Stücke zu tun
hatte. Mit Otto Erich Hartleben zusammen nahm ich an den
Proben teil. Wir fühlten uns als die eigentlichen Regisseure.
Wir gestalteten die Stücke bühnenmäßig. Gerade an dieser
Kunst zeigt sich, daß alles Theoretisieren und Dogmatisieren
nichts hilft, wenn sie nicht aus dem lebendigen Kunstsinn
hervorgehen, der im Einzelnen das allgemein Stilvolle intuitiv
ergreift. Die Vermeidung der allgemeinen Regel ist voll
anzustreben. Alles, was man auf einem solchen Gebiete zu
«können» in der Lage ist, muß im Augenblicke aus dem
sicheren Stilgefühl für die Geste, die Anordnung der Szene
sich ergeben. Und was man dann, ohne alle
Verstandesüberlegung, aus dem Stilgefühle, das sich
betätigt, tut, das wirkt auf alle beteiligten Künstler
wohltuend, während sie sich bei einer Regie, die aus dem
Verstande kommt, in ihrer inneren Freiheit beeinträchtigt
fühlen.
Auf die Erfahrungen, die ich
auf diesem Gebiete damals gemacht habe, mußte ich mit vieler
Befriedigung in der Folgezeit immer wieder zurückblicken.
Das erste Drama, das wir in
dieser Art aufführten, war Maurice Maeterlincks «Der
Ungebetene» (L'Intruse). Otto Erich Hartleben hatte die
Übersetzung gegeben. Maeterlinck galt damals bei den
Ästhetizisten als der Dramatiker, der das Unsichtbare, das
zwischen den gröberen Geschehnissen des Lebens liegt, auf der
Bühne dem ahnend erfassenden Zuschauer vor die Seele
bringen könne. Von dem, was im Drama sonst «Vorgänge»
genannt wird, von der Art, wie der Dialog verläuft, machte
Maeterlinck einen solchen Gebrauch, daß dadurch zu Ahnendes
wie im Symbol wirkt. Dieses Symbolisierende war es, was
manchen Geschmack damals anzog, der von dem vorangegangenen
Naturalismus abgestoßen war. Allen, die «Geist» suchten,
aber keine Ausdrucksformen wünschten, in denen eine
«Geistwelt» sich unmittelbar offenbart, fanden in einem
Symbolismus ihre Befriedigung, der eine Sprache führte, die
sich nicht in naturalistischer Art ausdrückte, die aber auf
ein Geistiges doch nur insofern ging, als dieses in
mystisch-ahnungsvoller, unbestimmt verschwimmender Art sich
kundgab. Je weniger man «deutlich sagen» konnte, was hinter
den andeutenden Symbolen liegt, desto verzückter wurden
manche durch sie.
Ich fühlte mich nicht
behaglich gegenüber diesem geistigen Flimmern. Aber dennoch
war es reizvoll, an der Regie eines solchen Dramas wie «Der
Ungebetene» sich zu betätigen. Denn gerade diese Art von
Symbolen durch geeignete Bühnenmittel zur Darstellung zu
bringen, erfordert in einem besonders hohen Grade ein
Regiewirken, das in der eben geschilderten Art orientiert ist.
Und dazu fiel noch die Aufgabe
auf mich, die Vorstellung durch eine kurze hinweisende Rede (Conference)
einzuleiten. Man hatte damals diese in Frankreich geübte Art
auch in Deutschland bei einzelnen Dramen angenommen.
Natürlich nicht auf dem gewöhnlichen Theater, aber eben bei
solchen Unternehmungen, wie sie in der Richtung der
«Dramatischen Gesellschaft» lagen. Es geschah das nicht etwa
vor jeder Vorstellung dieser Gesellschaft, sondern
selten; wenn man für notwendig hielt, das Publikum in ein ihm
ungewohntes künstlerisches Wollen einzuführen. Mir war die
Aufgabe dieser kurzen Bühnenrede aus dem Grunde befriedigend,
weil sie mir Gelegenheit gab, in der Rede eine Stimmung walten
zu lassen, die mir selbst aus dem Geist heraus strahlte. Und
das war mir lieb in einer menschlichen Umgebung, die sonst
kein Ohr für den Geist hatte.
Die
Theaterkritik als «Gedanken-Kunstwerk»
Das Drinnenstehen in dem Leben
der dramatischen Kunst war für mich damals überhaupt ein
recht bedeutsames. Ich schrieb daher die Theaterkritiken des
«Magazin» selbst. Ich hatte auch von solchen «Kritiken»
meine besondere Auffassung, die aber wenig Verständnis fand.
Ich hielt es für unnötig, daß ein Einzelner «Urteile»
abgibt über ein Drama und dessen Aufführung. Solche Urteile,
wie sie da gewöhnlich abgegeben werden, sollte eigentlich das
Publikum mit sich allein abmachen.
Wer über eine
Theateraufführung schreibt, sollte in einem
künstlerisch-ideellen Gemälde vor seinem Leser erstehen
lassen, welche Phantasie-Bild-Zusammenhänge hinter dem Drama
stehen. In künstlerisch geformten Gedanken sollte vor dem
Leser eine ideelle Nachdichtung stehen als der in dem Dichter
unbewußt lebende Keim seines Dramas. Denn mir waren Gedanken
niemals bloß etwas, wodurch man Wirkliches abstrakt und
intellektualistisch ausdrückt. Ich sah, wie im Gedanken-Bilden
eine künstlerische Betätigung möglich ist wie mit Farben,
wie in Formen, wie mit Bühnenmitteln. Und ein solches kleines
Gedankenkunstwerk sollte derjenige geben, der über eine
Theateraufführung schreibt. Daß aber ein Derartiges
entstehe, wenn ein Drama dem Publikum vorgeführt wird,
erschien mir als eine notwendige Forderung des Lebens der
Kunst.
Ob nun ein Drama «gut»,
«schlecht» oder «mittelmäßig» ist, das wird aus Ton und
Haltung eines solchen «Gedanken-Kunstwerkes» ersichtlich
werden. Denn in ihm läßt sich das nicht verbergen, auch wenn
man es nicht grob-urteilend sagt. Was ein unmöglicher
künstlerischer Aufbau ist, das wird anschaulich durch
gedankenkünstlerische Nachbildung. Denn da stellt man zwar
die Gedanken hin; sie erweisen sich aber als wesenlos, wenn
das Kunstwerk nicht aus wahrer, in Wirklichkeit lebender
Phantasie ist.
Solch ein lebendiges Zusammenwirken
mit der lebenden Kunst wollte ich im «Magazin» haben.
Dadurch hätte etwas entstehen sollen, was die Wochenschrift
nicht wie etwas die Kunst und das geistige Leben theoretisch
Besprechendes, Beurteilendes erscheinen ließ. Sie sollte ein
Glied in diesem geistigen Leben, in dieser Kunst selbst
sein.
Denn alles das, was man durch
die Gedankenkunst für die dramatische Dichtung tun kann, das
ist auch für die Schauspielkunst möglich. Man kann in
Gedankenphantasie erstehen lassen, was die Regiekunst in das
Bühnenbild hineinversetzt; man kann in solcher Art dem
Schauspieler folgen, und was in ihm lebt nicht kritisierend,
sondern «positiv» darstellend erstehen lassen. Man wird dann
als «Schreibender» ein Mitgestalter am künstlerischen
Zeitleben, nicht aber ein in der Ecke stehender
«gefürchteter»,
«bemitleideter» oder wohl auch verachteter und gehaßter
«Beurteiler». Wenn das für alle Gebiete der Kunst
durchgeführt wird, dann eben steht eine
literarisch-künstlerische Zeitschrift im wirklichen Leben
darinnen.
Aber mit solchen Dingen macht
man immer dieselbe Erfahrung. Sucht man sie vor Menschen, die
sich schriftstellerisch betätigen, zur Geltung zu bringen, so
gehen sie entweder gar nicht darauf ein, weil sie ihren
Denkgewohnheiten widersprechen, und sie aus diesen nicht
herauswollen. Oder aber sie hören zu, und sagen dann: ja, das
ist das Richtige; aber ich habe das immer schon so gemacht.
Sie bemerken gar nicht das Unterscheidende zwischen dem, was
man will, und dem, was sie «schon immer gemacht haben».
Wer seine einsamen geistigen
Wege gehen kann, den braucht das alles nicht seelisch zu
berühren. Wer aber in einem geistigen Menschenzusammenhang
arbeiten soll, der wird seelisch recht gründlich ergriffen
von diesen Verhältnissen. Insbesondere dann, wenn seine
innere Richtung eine so feste, mit ihm verwachsene ist, daß
er in einem Wesentlichen nicht von ihr abgehen kann.
Geist-Natur-Anschauung
Weder von meinen Darstellungen
im «Magazin», noch von denen meiner Vorträge konnte ich
damals innerlich befriedigt sein. Nur, wer sie heute liest und
glaubt, daß ich Materialismus hatte vertreten wollen, der
irrt sich vollständig. Das habe ich niemals gewollt.
Man kann das auch aus den Aufsätzen
und Vortragsauszügen, die ich geschrieben habe, deutlich ersehen.
Man muß nur den einzelnen materialistisch klingenden Stellen andere
gegenüberhalten, in denen ich vom Geistigen, vom Ewigen spreche.
So in dem Artikel: «Ein Wiener Dichter». Von Peter Altenberg sage
ich da: «Was den Menschen, der sich in die ewige Weltharmonie vertieft,
am meisten interessiert, scheint ihm fremd zu sein ...» Von den
ewigen Ideen dringt kein Licht in Altenbergs Augen («Magazin» vom
17. Juli 1897). Und daß mit dieser «ewigen Weltenharmonie» nicht
eine mechanisch-materialistische gemeint sein kann, wird deutlich
an Aussprüchen wie die im
Aufsatz über Rudolf Heidenhain (vom 6. November 1897):
«Unsere Naturauffassung strebt deutlich dem Ziele zu, das Leben
der Organismen nach denselben Gesetzen zu erklären, nach denen auch
die Erscheinungen der leblosen Natur erklärt werden müssen. Mechanische,
physikalische, chemische Gesetzmäßigkeit wird im tierischen und
pflanzlichen Körper gesucht. Dieselbe Art von Gesetzen, die eine
Maschine beherrschen, sollen, nur in unendlich komplizierter und
schwer zu erkennender Form, auch im Organismus tätig sein. Nichts
soll zu diesen Gesetzen hinzutreten, um das Phänomen, das wir Leben
nennen, möglich zu machen ... Die mechanistische Auffassung der
Lebenserscheinungen gewinnt immer mehr an Boden. Sie wird aber denjenigen
nie befriedigen, der fähig ist, einen tieferen Blick in die Naturvorgänge
zu tun ... Die Naturforscher von heute sind in ihrem Denken zu feige.
Wo ihnen die Weisheit ihrer mechanischen Erklärungen ausgeht, da
sagen sie, für uns ist die Sache nicht erklärbar ... Ein kühnes
Denken erhebt sich zu einer höhern Anschauungsweise. Es versucht,
nach höhern Gesetzen zu erklären, was nicht mechanischer Art ist.
All unser naturwissenschaftliches Denken bleibt hinter unserer naturwissenschaftlichen
Erfahrung zurück. Man rühmt heute die naturwissenschaftliche Denkart
sehr. Man spricht davon, daß wir im naturwissenschaftlichen Zeitalter
leben. Aber im Grunde ist dieses naturwissenschaftliche Zeitalter
das ärmlichste, das die Geschichte zu verzeichnen hat. Hängenbleiben
an den bloßen Tatsachen und an den mechanischen Erklärungsarten
ist sein Charakteristikum. Das Leben wird von dieser Denkart nie
begriffen, weil zu einem solchen Begreifen eine höhere Vorstellungsweise
gehört als zur Erklärung einer Maschine.»
Ist nicht völlig
selbstverständlich, daß, wer so von der Erklärung des «Lebens»
spricht, von der des «Geistes» nicht im
materialistischen Sinne denken kann?
Aber ich spreche öfter davon,
daß der «Geist» aus dem Schoße der Natur «hervorgehe».
Was ist da mit «Geist» gemeint? Alles das, was aus
menschlichem Denken, Fühlen und Wollen die «Kultur»
erzeugt. Von einem andern «Geiste» zu sprechen, wäre
damals ganz zwecklos gewesen. Denn niemand hätte mich
verstanden, wenn ich gesagt hätte: dem, was am Menschen als
Geist erscheint, und der Natur liegt etwas zugrunde, das weder
Geist, noch Natur ist, sondern die vollkommene Einheit beider.
Diese Einheit: schaffender Geist, der den Stoff in seinem
Schaffen zum Dasein bringt und dadurch zugleich Stoff ist, der
ganz als Geist sich darstellt: diese Einheit wird durch eine
Idee begriffen, die den damaligen Denkgewohnheiten so fern wie
möglich lag. Von einer solchen Idee aber hätte gesprochen
werden müssen, wenn in geistgemäßer Anschauungsart die
Urzustände der Erd- und Menschheitsentwickelung und die heute
noch im Menschen selbst tätigen geist-stofflichen Mächte
hätten dargestellt werden sollen, die auf der einen Seite
seinen Körper bilden, auf der andern das lebendig Geistige
aus sich hervorgehen lassen, durch das er die Kultur schafft.
Die äußere Natur aber hätte so besprochen werden müssen,
daß in ihr das ursprünglich Geist-Stoffliche als erstorben
in den abstrakten Naturgesetzen sich darstellt.
Das alles konnte nicht gegeben
werden.
Es konnte nur angeknüpft
werden an die naturwissenschaftliche Erfahrung, nicht an das
naturwissenschaftliche Denken. In dieser Erfahrung lag etwas
vor, das einem wahren, geisterfüllten Denken gegenüber die
Welt und den Menschen lichtvoll vor dessen eigene Seele
stellen konnte. Etwas, aus dem der Geist wiedergefunden werden
konnte, der in den traditionell bewahrten und geglaubten
Bekenntnissen verlorengegangen war. Die Geist-Natur-Anschauung
wollte ich aus der Naturerfahrung herausholen. Sprechen wollte
ich von dem, was im «Diesseits» als das Geistig-Natürliche,
als das wesenhaft Göttliche zu finden ist. Denn in den
traditionell bewahrten Bekenntnissen war dies Göttliche zu
einem «Jenseits» geworden, weil man den Geist des
«Diesseits» nicht anerkannte und ihn daher von der
wahrnehmbaren Welt absonderte. Er war zu etwas geworden, das
für das menschliche Bewußtsein in ein immer stärkeres
Dunkel untergetaucht war. Nicht die Ablehnung des
Göttlich-Geistigen, sondern die Hereinstellung in die Welt,
die Anrufung desselben im «Diesseits» lag in solchen
Sätzen, wie dem in einem der Vorträge für die «Freie
literarische Gesellschaft»: «Ich glaube, die
Naturwissenschaft kann uns in schönerer Form, als die
Menschen es je gehabt haben, das Bewußtsein der Freiheit
wiedergeben. In unserem Seelenleben wirken Gesetze, die ebenso
natürlich sind wie diejenigen, welche die Himmelskörper um
die Sonne treiben. Aber diese Gesetze stellen ein Etwas
dar, das höher ist als alle übrige Natur. Dieses Etwas ist
sonst nirgends vorhanden als im Menschen. Was aus diesem
fließt, darinnen ist der Mensch frei. Er erhebt sich über
die starre Notwendigkeit der unorganischen und organischen
Gesetzmäßigkeit, gehorcht und folgt nur sich selbst.» (Die
letzten Sätze sind erst hier unterstrichen, waren es noch
nicht im «Magazin». Vgl. für diese Sätze das «Magazin»
vom 12. Februar 1898.)
TB 636 (XXV.), S
263 ff
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