Sokrates: Also denn merke, o schöner Knabe, daß die
vorige Rede von Phaidros war, des Pythokles Sohn,
dem Manne aus Myrrhinus, die ich aber jetzt sprechen werde, von
Stesichoros ist, des Euphemos
Sohn, aus Himera. Sie ist aber also zu sprechen:
Nein, nicht ist sie wahr, diese Rede, welche sagt,
daß auch, wenn ein Liebhaber da ist, man doch
dem Nichtverliebten sich mehr gefällig zeigen
müsse, weil ja jener im Wahnsinn, dieser bei Besinnung sei. Denn
freilich, wäre es unbedingt richtig, daß der Wahnsinn ein Übel
sei, so wäre das
schön gesprochen. Nun aber werden uns die größten der Güter durch
Wahnsinn zuteil, freilich nur
einen Wahnsinn, der durch göttliche Gabe gegeben
ist. Denn die Prophetin in Delphoi und die Priesterinnen zu Dodona
haben ja vieles und Schönes in
besonderen und öffentlichen Angelegenheiten unserer Hellas im
Stande des Wahnsinns geleistet, in
dem der Besinnung aber noch weniges oder nichts.
Und wollten wir noch von der Sibylla und den anderen sprechen,
welche, göttlicher Wahrsagekunst
mächtig, fürwahr vielen vieles vorausgesagt und
für die Zukunft berichtigt haben, so würden wir,
doch nur von Allbekanntem sprechend, allzu weitläufig werden.
Das aber verdient als Zeugnis bemerkt zu werden, daß auch von
den Alten die, die
die Namen festgesetzt haben, den Wahnsinn weder
für schändlich noch für einen Schimpf hielten.
Denn nicht würden sie dann die schönste Kunst,
durch welche die Zukunft erkannt wird, gerade mit
diesem Namen verflechtend Wahnsagekunst (maniken) genannt haben; sondern weil sie etwas
Schönes ist, wenn sie durch göttliche Schickung
entsteht, haben sie es so beliebt und festgesetzt.
Die Neueren aber haben unschönerweise das N mit
R vertauschend sie Wahrsagekunst (mantiken) geheißen. Haben sie ja auch die Zukunftskunde der
Besonnenen durch Vermittlung der Vögel und anderer Zeichen, sofern
diese mittelst vernünftiger
Überlegung menschlichem Wissen (oiesei) die
Möglichkeit gewähren, voraus von etwas Kunde zu
haben und vorher davon etwas zu sagen, Wissagekunst (oionoïstiken)
genannt, welche nun die neueren mit dem Doppellaut vornehm tuend
Weissagekunst (oionistiken) nennen. In demselben Maß nun,
in welchem die Wahrsagekunst dieser Zeichenkunde, und zwar sowohl
der Name dem Namen als
die Sache der Sache an Weihe und Würde vorgeht,
ist nach dem Zeugnis der Alten auch der Wahnsinn
edler als die Besonnenheit, der gottgewirkte als die
menschlich bedingte. Aber auch von Krankheiten
und den größten Mühsalen,
Von dem, was etwa altem Götterzorn entsprang
In einzelnen Geschlechtern,
hat ein in diesen auftretender und das Verborgene
enthüllender Wahnsinn den Bedürftigen Erlösung
erfunden, indem er, zu Gebeten und Götterverehrungen seine Zuflucht
nehmend und durch ihre Vermittlung in den Besitz von Reinigungen
und heiligen Weihungen gekommen, den von ihm Berührten
sowohl das jetzige als das künftige Leben sühnte
und so für den in echter Weise Wahnsinnigen und
Besessenen eine Lösung von seinen jetzigen Leiden
erfand. Die dritte Art von Begeisterung und Wahnsinn ist die
von den Musen, die, wenn sie eine zarte
und unentweihte Seele ergreift und zu Festgesängen
und anderer Dichtung aufregt und entzückt, tausend
Taten der Alten verherrlichend, die Nachkommen
bildet. Wenn aber einer ohne diesen Musenwahnsinn zu den Pforten
der Dichtkunst kommt, in der
Überzeugung, er könne auch wohl durch Kunst ein
guter Dichter werden, der wird teils selber als ein
Ungeweihter erachtet, teils wird seine Dichtung als
die des Besonnenen von der der Wahnsinnigen verdunkelt.
So vieles und mehr noch habe ich dir zu sagen von
den edeln Taten eines von Göttern kommenden
Wahnsinns. Daher wollen wir uns gerade davor ja
nicht fürchten, noch soll uns eine gewisse Rede
verwirren, die uns mit der Behauptung verblüffen
will, daß man den besonnenen Freund dem Gottbewegten vorziehen
müsse; nein, dann erst soll sie
den Siegespreis davon tragen, wenn sie zu jenem
noch dieses erwiesen hat, daß nicht zum Heil dem
Liebenden und dem Geliebten die Liebe von Göttern gesendet werde.
Hinwiederum aber haben wir
das Gegenteil zu beweisen, daß zum größten Segen
solcher Wahnsinn von Göttern verliehen werde.
Der Beweis aber wird allerdings den starken Geistern unglaubhaft,
den Weisen aber glaubhaft sein.
Zuvörderst nun muß man über die Natur der Seele,
die göttliche sowohl als die menschliche, indem
man teils ihre Leiden, teils ihr Tun ins Auge faßt,
das Wahre begreifen. Der Anfang des Beweises
aber ist folgender:
Jede Seele ist unsterblich; denn das stets Bewegte
ist unsterblich. Was aber ein anderes bewegt und
von einem anderen bewegt wird, das hat, sofern es
ein Aufhören der Bewegung hat, auch ein Aufhören
des Lebens. Das sich selbst Bewegende allein also,
sofern es nie sich selbst verläßt, hört nie auf, bewegt zu sein;
aber auch für das andere, was bewegt
wird, ist dieses Quelle und Anfang der Bewegung.
Der Anfang aber ist ungeworden. Denn alles Werdende wird notwendig
aus dem Anfang, er selbst
aber schlechthin nicht aus einem Etwas; denn wenn
der Anfang aus einem Etwas würde, so würde er ja
nicht aus dem Anfang werden. Da er aber ungeworden ist, ist
er auch notwendig unvergänglich. Denn
wenn der Anfang untergegangen wäre, so könnte ja
weder er selbst jemals aus Etwas, noch anderes aus
ihm werden, da ja alles aus dem Anfang werden
muß. So ist also der Bewegung Anfang das sich
selbst Bewegende. Dieses aber kann weder untergehen noch erst
werden; sonst würde der ganze
Himmel und alles Werden zusammenfallen und
stille stehen und nichts mehr vorhanden sein, woraus Bewegtes
werden könnte. Hat man aber gesagt,
daß das von sich selbst Bewegte unsterblich sei, so
darf sich einer auch nicht schämen, es auszusprechen, daß eben
dieses das Wesen und der Begriff
der Seele sei. Denn jeder Körper, dem das Bewegtwerden von außen
zuteil wird, ist unbeseelt; der
aber, dem es von innen aus sich selbst zuteil wird,
ist beseelt, wie denn dieses die Natur der Seele ist.
Wenn sich aber das also verhält, daß nichts anderes
das sich selbst Bewegende ist als die Seele, so muß
die Seele notwendig sowohl ungeworden als unsterblich sein.
Von ihrer Unsterblichkeit nun
genug!
Von ihrer Idee aber ist das zu sagen, wie sie beschaffen,
allerdings Gegenstand einer durchaus
göttlichen und langwierigen, womit sie aber zu vergleichen,
Gegenstand einer menschlichen und kürzeren Erörterung sei. In
dieser Weise wollen wir
nun sprechen: So gleiche sie denn der zusammengewachsenen Kraft
eines gefiederten Gespanns und
seines Wagenlenkers. Der Götter Rosse und Wagenlenker nun sind
alle sowohl selbst gut als von
guter Abkunft; die Art der anderen aber ist gemischt. Und zwar
was uns betrifft, so lenkt der
Führer erstens ein Doppelgespann; sodann ist ihm
das eine der Rosse sowohl selbst edel und gut als
von solcher Abkunft, das andere aber sowohl von
gegenteiliger Abkunft als selbst das Gegenteil.
Schwierig und unbeholfen ist da notwendig die
Wagenlenkung bei uns.
Woher nun ferner für eine Lebensform die Benennung sterblich
und unsterblich komme, muß man
zu sagen versuchen. Das All der Seelen versorgt
das unbeseelte All, es umwandelt nämlich den ganzen Himmel,
jetzt in dieser, jetzt in anderer Gestalt
erscheinend. Eine Seele nun, die noch in vollkommener Weihe
und befiedert ist, wandelt in der Höhe
und durchwebt das Weltall; wenn sie aber das Gefieder gelassen,
wird sie fortgetrieben, bis sie etwas
Festes erfaßt, in dem sie nun, sich wohnhaft niederlassend und
einen erdigen Leib annehmend, der
durch ihre Kraft bewegt sich selbst zu bewegen
scheint, als Ganzes genommen eine Lebensform
genannt wird und, als aus Seele und Leib zusammengefügt, den
Beinamen sterblich erhält; die Bezeichnung unsterblich aber
erhält sie nicht aus irgend einem Vernunftbegriff; sondern wir
bilden, da
wir einen Gott weder sehen noch zureichend begreifen, ihn uns
eben in der Vorstellung ab als eine
unsterbliche Lebensform, die teils Seele, teils Körper ist,
beides aber für ewige Zeit zusammengewachsen. Doch dies soll
ja nun, wie es immer dem
Gotte gefällt, sich verhalten und so auch besprochen sein. Nun
wollen wir aber die Ursache von
dem Verlust des Gefieders, durch die es einer Seele
entfalle, ins Auge fassen. Sie ist aber folgende:
Des Gefieders Kraft ist, das Schwere nach oben zu
führen, es emporhebend dahin, wo das Geschlecht
der Götter wohnt. Von allem Körperlichen hat es
am meisten teil an dem Göttlichen. Das Göttliche
aber ist das Schöne, das Weise, das Gute und was
sonst derartig ist. Von diesen nun nährt und kräftigt
sich der Seele Gefieder am meisten; vom Häßlichen
aber und Bösen und was sonst von jenem das Gegenteil ist, schwindet
es und vergeht. Der große
Herrscher im Himmel nun, Zeus, zieht den
geflügelten Wagen treibend als erster aus, anordnend alles und
besorgend; ihm aber folgt ein Heer
von Göttern und Dämonen, in elf Scharen geordnet.
Denn Hestia bleibt allein im Götterhause; von den
andern aber führen die, welche in die Zahl der
Zwölf als herrschende Götter gereiht sind, ihre
Schar in der Reihe, in der jeder gereiht ist.
Da gibt es nun viele und selige Schauspiele und
Bewegungen innerhalb des Himmels, die der beglückten Götter
Geschlecht ausführt, indem jeder
das Seine verrichtet. Es folgt aber, wer jedesmal
will und kann; denn der Neid steht draußen vor
dem göttlichen Reigen.
Wenn sie aber nun zum Schmaus und Gelage
gehen, haben sie gegen die höchste unterhimmlische Wölbung schon
einen steilrechten Weg. Da
fahren nun zwar die Götterwagen, wohlgezügelt
das Gleichgewicht haltend, leicht hin, die anderen
aber mühsam. Denn das mit Schlechtigkeit behaftete Roß, wenn
es von einem der Wagenlenker nicht
gut genährt worden ist, beugt sich und drückt
schwerfällig zur Erde hinab. Da ist nun wahrlich
einer Seele die äußerste Mühe und Anstrengung bereitet. Nämlich
diejenigen Seelen zwar, welche unsterbliche genannt werden,
gehen, wenn sie oben
sind, hinaus und stehen nun auf dem Rücken des
Himmels; hier stehend aber führt sie der
Umschwung herum; sie aber schauen, was außerhalb des Himmels
ist.
Den überhimmlischen Ort aber hat noch nie einer
der Dichter hienieden besungen, noch wird ihn je
einer nach Würdigkeit besingen. Es verhält sich
aber also damit: Denn wagen wenigstens muß man,
das Wahre zu sagen, zumal wer von der Wahrheit
spricht. Das farblose und gestaltlose und unberührbare wesenhaft
seiende Wesen nämlich ist nur für
den Lenker der Seele, den Geist, schaubar, jenes
Wesen, in Beziehung auf das die Gattung der wahren Wissenschaft
diesen Ort inne hat. Und nun, da
ja das Geistesleben eines Gottes und einer jeden
Seele, welche das ihr Angemessene aufzunehmen
bestrebt ist, von Geist und lauterer Wissenschaft
sich nährt, wird sie nach verflossener Zeit das Seiende zu sehen
froh, und das Wahre schauend wird
sie genährt und ergötzt, bis sie der Umschwung im
Kreislauf wieder an den vorigen Ort herumführt.
Auf diesem Umzug aber erblickt sie die Gerechtigkeit selbst,
erblickt die Besonnenheit, erblickt die
Wissenschaft, nicht die, der ein Werden zukommt,
nicht die, die immer eine andere ist, je nachdem sie
an einem anderen der Gegenstände haftet, die wir
jetzt seiende nennen, - sondern die andern, was das
wesenhafte Sein ist, haftende Wissenschaft; und
nachdem sie das übrige ebenso wesenhaft Seiende
geschaut und gekostet hat, sinkt sie wieder in das
Innere des Himmels und kommt nach Hause zurück. Wenn sie aber
angekommen, stellt der Wagenlenker die Rosse an die Krippe,
wirft ihnen Ambrosia vor und tränkt sie dazu mit Nektar. Und
dieses nun ist das Leben der Götter!
Was aber die anderen Seelen betrifft, so erheben
einige, die ihrem Gott am rüstigsten folgten und
gleich kommen, ihres Wagenlenkers Haupt hinaus
in den äußeren Raum und werden durch den Umschwung mit herumgeführt,
obgleich von den Rossen verwirrt und mühsam das Seiende erblickend:
andere aber erheben sich bald, bald sinken sie
unter, und bei dem Ungestüm der Rosse sehen sie
zwar einiges, anderes aber nicht. Die übrigen aber,
nach dem Oberen strebend, folgen zwar alle; indessen, da ihnen
die Kraft fehlt, werden sie in die
Tiefe untersinkend zusammen umgetrieben, einander tretend und
drängend, indem eine der anderen
voranzusein sich bemüht. Da gibt es nun Verwirrung und Wetteifer
und Kampfschweiß im höchsten
Maß, wobei dann durch Schlechtigkeit der Wagenlenker viele gelähmt
werden, viele viel Gefieder
einbüßen, alle aber, nachdem sie viele Mühsal gehabt, als Ungeweihte,
die nicht zum Schauen des
Seienden gelangt sind, zurückkommen und zurückgekommen im Gebiet
der Meinung ihre Nahrung
finden.
Was nun die Quelle betrifft, woraus dieser große
Eifer entspringt, zu sehen, wo das Gefilde der
Wahrheit ist, so ist einmal die dem besten Teile der
Seele angemessene Weide auf der dortigen Wiese
zu finden; sodann wird das Gefieder, wodurch die
Seele der Schwere entledigt sich erhebt, seiner
Natur gemäß auf ihr genährt. Auch ist dieses eine
Ordnung der Adrasteia: welche Seele als Gefährtin
ihres Gottes von dem Wahren etwas sieht, die soll
bis zum anderen Umlauf unverletzt sein, und wenn
sie dieses immer vollbringen kann, soll sie immer
unbeschädigt sein. Wenn sie aber, weil ihr die
Kraft fehlt nachzufolgen, das Wahre nicht sieht
und, durch irgend ein Mißgeschick, das sie betrifft,
von Vergessenheit und Schlechtigkeit erfüllt, niedergedrückt
wird und niedergedrückt das Gefieder
läßt und auf die Erde fällt: dann ist es Gesetz, eine
solche Seele bei der ersten Geburt noch in keine
tierische Natur einzupflanzen, sondern die, welche
noch am meisten gesehen, in den Lebenskeim eines
Mannes, der ein Philosoph oder ein Schönheitsfreund oder ein
dem Dienst der Musen und der
Liebe Ergebener werden wird, die zweite aber in
den eines gesetzmäßigen Königes oder eines kriegerischen und
zum Herrschen bestimmten Mannes,
die dritte in den eines Staatsbeamten, eines
Wirtschafters oder eines Geldmannes, die vierte in
den eines Mannes, der mit anstrengenden Leibesübungen oder mit
irgend einer Art ärztlicher Körperpflege sich befassen wird;
die fünfte wird einen
die Wahrsagekunst und die heiligen Weihen betreffenden Lebensstand
haben; der sechsten wird ein
dichterischer oder ein anderer mit Nachahmen sich
abgebender Berufpassen, der siebenten der des
Handwerkers oder des Landmanns, der achten der
des Sophisten oder Volksschmeichlers, der neunten
der des Tyrannen.
Unter allen diesen aber empfängt nun, wer sein
Leben gerecht führt, ein besseres Los, wer aber ungerecht, ein
schlimmeres. Dahin nämlich, von wo
jede Seele herkommt, gelangt sie nicht wieder in
der Zeit von 10000 Jahren; denn vor Ablauf eines
solchen Zeitraums wird sie nicht wieder befiedert,
die Seele desjenigen ausgenommen, der ohne Trug
philosophiert oder mit Philosophie der Liebe lebt.
Diese aber kehren im dritten tausendjährigen
Umzug, wenn sie dreimal nach einander diesen Lebensstand wählen
und dadurch befiedert worden
sind, im dreitausendsten Jahre zurück. Die übrigen
aber, wenn sie das erste Leben vollendet haben,
kommen vor Gericht: wenn sie aber gerichtet worden sind, so
kommen einige in die Strafplätze unter
der Erde und büßen ihr Urteil; andere aber werden
durch das Urteil an einen Ort des Himmels, der
Schwere entledigt, erhoben und führen dort ein
Leben dessen würdig, das sie in Menschengestalt
gelebt haben. Im tausendsten Jahre aber gelangen
beide Klassen zur Auslosung und Wahl des zweiten Lebensstandes,
und jede wählt nun, welchen sie
will. Da gelangt nun eine menschliche Seele auch
wohl in den Lebensstand eines Tieres, und aus
einem Tier einer, der ehedem ein Mensch gewesen,
wieder in einen Menschen. Nur eine solche Seele,
die die Wahrheit freilich gar nie gesehen hat, wird
nicht in diese Gestalt kommen. Denn der Mensch
muß sie begreifen in der Form der Idee, wie man es
ausdrückt, die, aus einer Vielheit sinnlicher Wahrnehmungen
sich ergebend, durch logisches Denken
zur Einheit zusammengefaßt wird. Das aber ist
eben Wiedererinnerung an jenes, was einst unsere
Seele sah, als sie mit ihrem Gott wandelte, über
das, was wir jetzt als Sein bezeichnen, hinwegsehend und sich
nach dem wesenhaft Seienden emporrichtend. Daher wird denn auch
gerechterweise
allein des Philosophen Geist befiedert; denn er verweilt so
viel als möglich ununterbrochen im Erinnern bei jenem, bei dem
sein Gott verweilt, um
göttlich zu sein. Welcher Mann aber nun solche Erinnerungen
sich aufrechte Weise zu Nutzen macht,
der allein empfängt, als ununterbrochen mit
vollkommenen Weihen geweiht, wahrhaft die
Weihe der Vollkommenheit. Indem er aber der
menschlichen Bestrebungen sich entschlägt und bei
dem Göttlichen verweilt, wird er zwar von der
Menge als ein Verrückter gescholten; daß er aber
ein göttlich Begeisterter ist, bleibt der Menge verborgen.
Und hier ist nun der Ort, wo die ganze Rede von
der vierten Art des Wahnsinns eintritt, da einer,
wenn er beim Anblick der Schönheit hienieden, der
wahrhaftigen sich wieder erinnernd, sich befiedert
und neu sich befiedernd wieder aufzufliegen verlangt, aber die
Kraft dazu nicht findet, einem Vogel
gleich nach oben blickend und um das Untere sich
nicht kümmernd, - da ein solcher, sage ich, die Beschuldigung
erfährt, daß er im Zustande des Wahnsinns sich befinde - die
Rede also davon, daß unter
allen Arten der Begeisterung gerade diese die beste
und von der besten Abkunft sei sowohl für den, der
sie selbst inne hat, als auch für den, der in Gemeinschaft mit
ihr tritt, und daß, wer dieses Wahnsinns
teilhaftig die Schönen liebt, ein Liebhaber genannt
wird. - Wie nämlich schon gesagt worden ist, jede
Menschenseele hat zwar ihrer Natur gemäß das
Seiende geschaut, sonst wäre sie nicht in diese Lebensform gekommen.
Aber von dem Diesseitigen
sich an jenes wieder zu erinnern, ist nicht leicht für
jede: nicht für diejenigen, die damals das Jenseitige
nur flüchtig sahen, noch für diejenigen, die, hierher
herabgefallen, Mißgeschick hatten, so daß sie,
durch irgendwelche gesellschaftliche Verbindungen
zum Unrecht verleitet, das Heilige, das sie damals
gesehen, vergessen haben. Wenige fürwahr bleiben
übrig, denen das Vermögen des Erinnerns noch in
genügendem Maße zu Gebot steht. Diese aber,
wenn sie irgend ein Abbild des Jenseitigen sehen,
werden gewaltig aufgeregt und sind ihrer selbst
nicht mehr mächtig; was aber dieser leidenschaftliche Zustand
ist, wissen sie nicht, weil ihre Wahrnehmung ihn nicht genügend
durchdringt. Von der
Gerechtigkeit nun zwar und der Besonnenheit und
dem, was sonst für Seelen wertvoll ist, wohnt kein
Lichtglanz in ihren Abbildern hienieden; sondern
durch trübe Werkzeuge schauen wenige nur mühsam, indem sie mit
ihren Bildern in Berührung
kommen, die Gattung des Abgebildeten. Die
Schönheit aber war damals leuchtend zu sehen, als
mit dem beglückenden Reigen wir im Gefolge des
Zeus, andere in dem eines anderen der Götter eines
seligen Anblicks und Schauens genossen, und als
wir in diejenige der Weihen eingeweiht waren, welche die seligste
zu nennen heilige Pflicht ist, und
die wir feierten, selbst noch fehllos und unberührt
von den Übeln, die in späterer Zeit auf uns
warteten, dabei aber fehllose und lautere und wandellose und
beglückende Gesichte mit geweihtem
und priesterlichem Auge in reinem Glänze schauend, als Reine
selbst und nicht eingekerkert in diesen Körper, wie wir das
jetzt nennen, was wir mit
uns, der Auster gleich angebunden, herumtragen.
Dieses nun sei der Erinnerung gewidmet, um deren
willen in Sehnsucht nach dem Damaligen jetzt ausführlicher geredet
worden ist!
Was aber die Schönheit betrifft, so stand sie, wie
wir gesagt haben, unter jenen befindlich in lichtem
Glänze; und auch hierher gekommen, fassen wir sie
mit dem hellsten unserer Sinne auf, als am hellsten
schimmernd. Das Auge nämlich kommt uns als der
schärfste der Sinne des Körpers zu; doch wird die
Weisheit nicht damit erblickt. Denn gar wunderbare Liebestriebe
würde sie bereiten, wenn ein
solch helles Bild von ihr in die Augen fallend bereitet wäre,
und so auch das andere Liebenswürdige. Der Schönheit allein
aber ist nun dieses teilgeworden, so daß sie das Sichtbarste
und das Liebreizendste ist.
Zwar nun wer nicht ein noch Neugeweihter ist,
oder wer dem Verderben schon verfallen, den zieht
es nicht mit scharfem Drange von hier nach dort zu
der Schönheit selbst, wenn er schaut, was hienieden ihre Benennung
trägt. Sein Anblick stimmt ihn
daher nicht zur Verehrung; sondern der Lust fröhnend, sucht
er nach tierischer Art den Trieb des Geschlechts und der Begattung
zu befriedigen und
fürchtet und schämt sich nicht, der Lust in zügelloser Annäherung
wider die Natur nachzujagen. Wer
aber noch frisch geweiht ist und das Damalige vielfältig geschaut
hat, der, wenn er ein gottähnliches,
die Schönheit wohl abbildendes Antlitz sieht oder
eine solche Körpergestalt, wird zuerst von Schauer
ergriffen, und es überkommt ihn etwas von den damaligen Beängstigungen;
sodann aber, wenn er es
anblickt, verehrt er es wie einen Gott, und fürchtete
er nicht den Schein eines übermäßigen Wahnsinns,
er würde gar dem Liebling opfern wie einem Götterbild und einem
Gott. Nun er ihn aber gesehen,
ergreift ihn, wie nach dem Fieberschauer, eine veränderte Stimmung,
Schweiß und ungewohnte
Hitze. Indem er nämlich durch die Augen den Ausfluß der Schönheit
in sich aufnimmt, wird er von
einer Erwärmung durchdrungen, in deren befeuchtendem Zug die
Keimkraft des Gefieders sich löst.
Infolge dieser Erwärmung aber schmilzt um den
Keim desselben das, was vorlängst in Härte sich
zusammenschließend ihn zu sprossen verhindert
hat. Indem aber nun Nahrung zuströmt, schwillt
und strebt aus der Wurzel hervorzukeimen des Gefieders Kiel um die ganze Gestalt der Seele; denn
ehedem war sie ganz befiedert! Dabei nun pocht
und gärt ihr ganzes Wesen, und was das Leiden der
Zahnenden mit den Zähnen ist, wenn sie zuerst hervorbrechen, ein Jucken und Stechen im Zahn-
fleisch, dasselbe fürwahr leidet die Seele dessen,
dem das Gefieder zu keimen anfängt; es pocht und
juckt und kitzelt sie, indem ihr das Gefieder keimt.
Zwar nun, wenn sie auf die Schönheit des Lieblings blickt und
die von dieser sich losreißenden
und zur Liebe reizenden Teile, welche ja deshalb
Liebreiz genannt werden, wenn sie, sage ich, diesen
Liebreiz in sich aufnehmend, von jenem lösenden
Wärmezug durchströmt wird, so erholt sie sich
vom Schmerz und fühlt sich wohl. Wenn sie aber
einsam ist und vertrocknet, so dorren die Ränder
der Öffnungen da, wo das Gefieder hervorbricht,
zusammen und sperren, sich verschließend, den
sprossenden Trieb des Gefieders ab. Dieser aber,
innen mit dem Liebreiz abgesperrt, hüpft nun
gleich dem Aderschlag und sticht gegen jedwede
Öffnung, auf die er trifft, so daß die ganze Seele
ringsum gestachelt rast und voll Schmerzen ist.
Weil sie aber die Erinnerung des Schönen in sich
trägt, fühlt sie sich auch wieder wohl. Indem aber
so die Eindrücke von beidem sich mischen, wild ihr
unheimlich über der Seltsamkeit dieses leiden-
schaftlichen Zustandes, und da sie sich nicht zu
helfen weiß, gerät sie in Wut, und wahnsinnig, wie
sie ist, kann sie weder bei Nacht schlafen, noch bei
Tag bleiben, wo sie auch sein mag, läuft aber sehnsuchtsvoll
überall hin, wo sie den sehen zu können
meint, der die Schönheit besitzt. Sobald sie ihn
aber sieht und sich neuen Liebreiz zuleitet, löst sie
das vorhin Zusammengeschrumpfte auf, und wieder
Atem schöpfend, entledigt sie sich der Stacheln und
Schmerzen und genießt wieder im jetzigen Augenblick jene süßeste
Lust. Deswegen verläßt sie ihn
auch freiwillig nicht, noch schätzt sie jemanden
höher als den Schönen: sondern Mutter und Brüder
und alle Genossen vergißt sie und schlägt es für
nichts an, wenn Hab und Gut fahrlässigerweise
verloren geht; unbekümmert aber um Bewahrung
von Sitte und Anstand, womit sie sonst sich zierte,
ist sie bereit, ein dienstbares Leben zu führen und,
wo er es irgend gestattet, nur so nahe als möglich
bei dem Gegenstand ihrer Sehnsucht zu ruhen.
Denn neben dem, daß sie von Verehrung erfüllt ist,
findet sie auch in ihm, der die Schönheit besitzt,
allein einen Arzt für die größten Mühsale. Diesen
leidenschaftlichen Zustand aber, o schöner Knabe,
an den ja meine Rede gerichtet ist, heißen die Men-
schen Eros; hörst du aber, wie ihn die Götter nennen, so wirst du mit Recht ob dem jugendlichen
Mutwillen lachen. Es sagen nämlich, meine ich,
einige der Homeriden aus den geheimen Gesängen
zwei Verse auf den Eros, von denen der zweite sehr
ausgelassen und nicht eben wohllautend ist. Sie
singen nämlich:
Den nun nennen die Sterblichen zwar den geflügelten Eros,
Pteros aber die Götter vom Sinn betörenden Flattern.
Diesem nun kann man Glauben schenken oder auch
nicht; jedenfalls aber verhält es sich wirklich in
jener Weise mit dem leidenschaftlichen Zustand der
Liebenden und der Ursache davon.
Wer nun von den Gefährten des Zeus ergriffen
wird, der vermag die Pein des Flügelnamigen
standhafter zu tragen. Die aber, welche des Ares
Diener waren und mit ihm umwandelten, sind,
wenn sie vom Eros gefesselt werden und von dem
Geliebten in etwas gekränkt zu sein meinen, mordlustig und bereit,
sich selbst und den Liebling hinzuopfern. Und so, je nach der
Art seines Gottes, zu
dessen Reigen er gehörte, lebt jeder, ihn ehrend und
nach Kräften nachahmend, solange er noch unverdorben ist und
das erste Dasein hienieden verlebt,
und auf dieselbe Weise bestimmt er auch seinen
Umgang sowohl mit den Geliebten als anderen
Leuten und sein Betragen gegen sie. So nun wählt
auch jeder unter den Schönen sich den Gegenstand
seiner Liebe nach seiner Art aus, und als wäre ihm
jener selbst ein Gott, rüstet er ihn sich zu und
schmückt er ihn aus wie ein Götterbild, es zu ehren
und zu feiern. Die dem Zeus Angehörigen suchen
also nun zu ihrem Geliebten eine Zeusseele. Sie
sehen daher darauf, ob er nach seiner Natur ein
Philosoph und zum Herrschen tüchtig sei, und
wenn sie ihn gefunden und lieb gewonnen haben,
tun sie alles, damit er es werde. Wenn sie sich nun
früher nicht auf solche Bestrebung eingelassen
haben, so versuchen sie es jetzt, indem sie teils lernen, woher
sie irgend können, teils selbst der Sache
nachgehen. Danach aber spürend, sind sie gar wohl
imstande, von sich selbst die Natur ihres Gottes
aufzufinden wegen der Nötigung, der sie unverrückt unterliegen,
auf den Gott zu blicken; und
indem sie ihn im Erinnern erfassen, nehmen sie,
von Begeisterung erfüllt, seine Sitten und Bestrebungen an,
soweit es einem Menschen möglich ist,
eines Gottes teilhaftig zu werden. Und indem sie
hiervon denn den Geliebten als die Ursache be-
trachten, huldigen sie ihm noch mehr; und wenn sie
aus dem Borne des Zeus schöpfen, wie die Bakchantinnen, so lassen
sie es auf des Geliebten Seele
überfließen und machen ihn so viel als möglich
ihrem Gott ähnlich. Hinwiederum diejenigen, die
im Gefolge der Hera waren, suchen einen Königlichen, und wenn
sie ihn gefunden, tun sie an ihm
ganz dasselbe. Die aber, die dem Apollon oder
welchem der Götter sonst angehören, suchen, dem
Gotte nachgehend, sich einen Liebling, der also geartet ist,
und wenn sie ihn gewonnen haben, leiten
sie ihn, soweit es in eines jeden Macht liegt, zu des
Gottes Bestrebung und Idee hin, indem sie sowohl
selbst ihn nachahmen, als den Liebling dazu überreden und nach
diesem Maße bilden; und, ohne
weder Neid noch unedle Scheelsucht gegen den
Liebling zu hegen, sondern weil sie über alles bemüht sind,
ihn so viel als möglich zu allseitiger
Ähnlichkeit mit ihnen selbst und dem Gott zu leiten, den sie
ehren, darum handeln sie so. Ein Eifer
also von wahrhaft Liebenden, und wenn sie bezwecken, um was
sie sich beeifern, eine heilige
Weihe, wie ich sage, schön und beglückend, ist es,
was so durch den von Liebe wahnsinnigen Freund
dem Freunde zuteil wird, wenn er gewonnen ist.
Gefesselt aber wird der Gewonnene auf folgende
Weise:
Wie ich im Anfang dieses Mythos jede Seele dreifach geteilt
habe, nämlich in zwei rosseähnliche
Gestalten und eine dritte, den Wagenlenker darstellende, so
soll es uns auch jetzt noch dabei bleiben.
Von den Rossen aber ist ja, sagen wir, das eine gut,
das andere nicht: worin aber die Tugend des guten
und die Schlechtigkeit des schlechten bestehe, das
haben wir nicht erörtert, ist aber nun zu besprechen. Das nun
von den beiden, welches von schönerer Beschaffenheit ist, ist
seiner Gestalt nach aufrecht gebaut und gut gegliedert, hat
hohen Nacken,
gebogene Nase, weiße Farbe, schwarze Augen, vereinigt Ehrliebe
mit Besonnenheit und Schamhaftigkeit, und als ein Freund wahrer
Denkweise wird es
ohne Schläge nur durch Befehl und Wort gelenkt.
Das andere dagegen ist gebeugt, plump und
schlecht gebaut, von dickem Nacken, kurzem Hals,
stumpfer Nase, schwarzer Farbe, blauäugig mit
Blut unterlaufen, ein Freund von Trotz und Anmaßung, um die
Ohren zottig, taub, kaum der Peitsche
und dem Stachel gehorsam. Wenn nun der Wagenlenker, indem er
das geliebte Antlitz sieht, durch
die ganze Seele bei der Wahrnehmung erglühend,
von Kitzel und Sehnsucht gestachelt wird, so hält
das dem Wagenlenker gern folgende Roß, wie
immer so auch jetzt von Scham bewältigt, selbst an
sich, nicht auf den Geliebten loszurennen; das andere aber kehrt
sich nicht mehr weder an Stachel
noch Peitsche des Wagenlenkers, sondern springend treibt es
mit Gewalt fort, und dem Mitgespann und dem Wagenlenker alle
mögliche Not
bereitend, zwingt es sie, zu dem Liebling zu gehen
und gegen ihn der Vergünstigung aphrodisischer
Gefälligkeit Erwähnung zu tun. Anfangs indessen
leisten beide voll Unwillen Widerstand, als sollten
sie zu etwas Argem und Gesetzwidrigem genötigt
werden; endlich aber, wenn des Übels kein Ende
ist, gehen sie fortgezogen hin, nachgebend und ver-
sprechend, sie wollen das Verlangte tun. Nun sind
sie bei ihm, nun sehen sie das strahlende Angesicht
des Lieblings.
Indem es aber der Wagenlenker sieht, wird seine
Erinnerung zu dem Wesen der Schönheit fortgeführt, und wieder
sieht er sie mit der Besonnenheit
vereint auf unentweihtem Grunde stehen. Bei diesem Anblick aber
erbebt er und beugt sich, von
Verehrung erfüllt, rückwärts nieder, und zugleich
wird er genötigt, die Zügel so stark nach hinten anzuziehen,
daß er beide Rosse auf die Hüften setzt,
das eine gutwillig, weil es nicht Widerstand leistet,
das trotzige aber höchst widerwillig. Indem sie nun
beide weiter zurückgehen, gerät das eine so sehr in
Beschämung und Entsetzen, daß es die ganze Seele
mit Schweiß benetzt; das andere aber, sobald es
den Schmerz los ist, den es von dem Zaum und
dem Sturz bekommen, hat kaum wieder Atem geschöpft, so beginnt
es voll Zorn zu schmähen und
den Wagenlenker und seinen Mitgespann auf alle
Weise schlecht zu machen, als wären sie aus Feigheit und Unmännlichkeit
von ihrer Stellung und
ihrem Versprechen gewichen. Und wiederum sie
drängend, gegen ihren Willen hinzugehen, gibt es
ihnen kaum nach, wenn sie bitten, es auf ein anderes Mal zu
verschieben. Ist aber die verabredete
Zeit gekommen, so erinnert es sie, die sich anstellen, als dächten
sie nicht mehr daran, wendet alle
Gewalt an, wiehert, zieht sie fort und nötigt sie, mit
den nämlichen Reden zu dem Liebling zu kommen;
und wenn sie ihm nahe sind, so zieht es, sich vorwärts beugend,
den Schweif emporsträubend und in
den Zaum beißend, schamlos weiter. Der Wagenlenker aber, in
noch stärkerem Grade von dem vorigen Gemütszustand ergriffen,
wie einer, der von
den Schranken auslaufend sich rückwärts beugt,
zerrt den Zaum des trotzigen Rosses mit noch stärkerer Gewalt
aus dem Gebiß nach hinten, strengt
ihm die schmähsüchtige Zunge und die Backen an
bis aufs Blut und bereitet ihm Schmerzen, indem er
ihm Schenkel und Hüften zur Erde niederzwingt.
Wenn aber das schlimme Roß dieselbe Behandlung
öfters erfährt und von seiner trotzigen Wildheit
läßt, so folgt es gedemütigt schon der vernünftigen
Leitung des Wagenlenkers, und wenn es den Schönen sieht, vergeht
es vor Furcht. Und so kommt es,
daß die Seele des Liebhabers nun dem Liebling
verschämt und verschüchtert folgt.
Dieser nun, da er sich ja fast einem Gott gleich alle
Arten von Huldigung dargebracht sieht, dargebracht von einem,
der sich nicht als ein Liebender
nur anstellt, sondern in Wahrheit diese Leidenschaft hegt, wie
er ja selbst schon durch den Zug
der Natur befreundet gestimmt ist, schließt mit dem
Huldigenden einen Freundschaftsbund. Und wenn
er auch etwa vordem von seinen Gespielen oder irgend anderen
Leuten, welche sagten, es sei eine
Schande, einem Liebenden sich zu nähern, aufgebracht worden
wäre und er deshalb den Liebenden
zurückgestoßen hätte, so bringt ihn doch schon im
Verlauf der Zeit seine Jugend und die Macht der
Notwendigkeit dazu, jenem ein Verhältnis des Umgangs zu gestatten.
Denn nimmer ja ist es vom Geschicke bestimmt, daß der Schlechte
dem Schlechten freundlich noch daß der Gute dem Guten nicht
freundlich sei. Indem er es aber nun gestattet und
Gespräch und Umgang sich gefallen läßt, so regt
das im unmittelbaren Verkehr sich äußernde Wohlwollen des Liebenden
den Geliebten mächtig auf,
indem er es bald durchfühlt, daß alle seine anderen
Freunde und Angehörigen zusammengenommen
verglichen mit dem gottbeseelten Freunde ihm so
gut als keine Freundschaft gewähren. Wenn er aber
nun dieses Verhältnis längere Zeit fortsetzt, in
seiner Nähe verweilt und dabei auf den Ringplätzen und bei anderen
Anlässen des Umgangs in persönliche Berührung mit ihm tritt,
dann leitet sich
der Quell jenes Stroms, den Zeus, als er den Ganymedes liebte,
Liebreiz nannte, in Fülle dem Liebhaber zu, so daß er teils
in diesen eindringt, teils von
ihm, wenn er selbst erfüllt ist, wieder nach außen
strömt; und wie der Wind oder Schall, von glatten
und festen Körpern abspringend, dahin zurückgetrieben wird,
von wo er ausging, so kommt die
Strömung der Schönheit, durch das Auge, wo sie
den natürlichen Gang zur Seele hat, sich fortlei-
tend, wieder in den Schönen zurück mit neubefiedernder Kraft;
und ihr feuchter Zug löst die Mündungen des Gefieders, weckt
den Trieb der Befiederung und erfüllt nun auch wieder die Seele
des Geliebten mit Liebe. Er liebt zwar nun, aber wen, ist
ihm unklar; und weder weiß er, wie ihm geschehen,
noch kann er es sagen, sondern wie einer, der von
einem anderen die Augenkrankheit geerbt hat, weiß
er die Ursache nicht zu sagen; daß er aber in dem
Liebenden wie in einem Spiegel sich selbst erblickt, ist ihm
verborgen. Und zwar wenn dieser
anwesend ist, wird er geradeso wie dieser von
Schmerz frei; wenn er aber abwesend ist, so sehnt
er sich wieder geradeso, wie er ersehnt wird, der
Liebe Abbild, die Gegenliebe, in sich tragend; er
aber sagt und glaubt nicht, daß sie Liebe, sondern
daß sie Freundschaft sei. Indessen sehnt er sich fast
ebenso wie dieser, nur in schwächerem Grade, ihn
zu sehen, zu berühren, zu küssen, zu umarmen,
und, wie es ja natürlich ist, tut er es auch in der
Folge bald. Beim Umarmen nun hat das unbändige
Roß des Liebhabers mit dem Wagenlenker ein
Wort zu sprechen und fordert für die vielen Mühsale ein bißchen
Genuß; das des Lieblings aber hat
zwar nichts zu sagen, aber von Empfindung gesteigert, und ohne
sich klar zu sein, umfaßt es den
Liebhaber und küßt ihn, ihn als seinen wohlwollendsten Freund
begrüßend, und wenn sie sich umarmen, vermöchte er für seinen
Teil sich nicht zu
weigern, dem Liebenden zu willfahren, wenn er ihn
darum bäte. Hiergegen aber leistet wieder der Mitgespann mit
dem Wagenlenker Widerstand, von
Schamgefühl und Vernunft geleitet.
Und nun, wenn die besseren vernünftigen Seelenkräfte, von
welchen die Richtung zu geregeltem
Wandel und zur Philosophie ausgeht, obsiegen, so
führen sie schon hienieden ein seliges und einhelliges Leben,
indem sie, sich selbst beherrschend und
geordnet, wie sie sind, dasjenige untertänig erhalten, woran
die Schlechtigkeit der Seele, das aber
frei erhalten, woran ihre Tugend haftet. Sterben sie
aber, so haben sie ja, befiedert und leicht
geworden, von jenen drei Ringkämpfen, diesen
wahrhaft Olympischen Spielen, schon in einem den
Sieg gewonnen, ein Glück so groß, daß weder eine
Gabe menschlicher Besonnenheit noch göttlichen
Wahnsinns seinen Wert für den Menschen überbieten kann.
Wenn sie aber einen ungebildeteren und unphilosophischen,
dabei aber doch ehrliebenden Wandel
führen, so mag es wohl einmal geschehen, daß die
beiden unbändigen Gespanne im Zustande der Berauschung oder
einem anderen sorglosen Augenblick die Seelen unbewacht überraschen,
sie zusammenführen und das, was die Menge als das seligste Teil
betrachtet, erwählen und verwirklichen;
und haben sie es einmal verwirklicht, so machen
sie sich dessen schon auch fernerhin teilhaftig,
doch sparsam, da ihr Tun ja etwas betrifft, das
nicht eben des ganzen Geisteslebens Billigung hat.
Als Freunde nun bringen zwar auch diese, doch
weniger als jene, ihr Leben mit einander zu, sowohl
solange die Liebe dauert, als wenn sie darüber hinaus sind,
indem sie glauben, die höchsten Gewährschaften gegenseitig teils
gegeben, teils empfangen
zu haben, so daß sie es für Sünde achten müßten,
diese wieder einzulösen und jemals in Feindschaft
zu geraten. Im Sterben aber gehen sie zwar noch
unbefiedert, aber von dem Triebe, sich zu
befiedern, durchdrungen, aus dem Körper, so daß
sie doch einen nicht geringen Preis von ihrem Liebeswahnsinn
davontragen. Denn in die Finsternis
und den Wandel unter der Erde zu kommen, ist gesetzlich denen
nicht mehr bestimmt, welche schon
den himmlischen Wandel begonnen haben, sondern
ein lichtes Leben zu führen und glücklich zu sein,
mit einander wandelnd und der Liebe wegen, wenn
sie es werden, zu gleicher Zeit befiedert zu werden.
Dieses, o Knabe, so Großes und so Göttliches wird
dir die von einem Liebhaber gewidmete Freundschaft schenken.
Die von dem Nichtverliebten ausgehende Vertraulichkeit aber,
die, mit sterblicher
Besonnenheit gemischt, auch nur Sterbliches und
Kärgliches auszuteilen hat, wird, indem sie in der
geliebten Seele eine von der Menge als Tugend gepriesene unedle
Sinnesart erzeugt, ihr das Los bereiten, noch neuntausend Jahre
auf der Erde umher
unstet und unter der Erde vernunftlos zu weilen.
Dieser Widerruf sei dir, geliebter Eros, gewidmet
und als Schuld bezahlt, der schönste und beste
nach unserem Vermögen, und der notgedrungen des
Phaidros wegen da und dort, zumal in der Ausdrucksweise, etwas
dichterisch abgefaßt wurde.
Mir aber für das Frühere Verzeihung, für das Jetzige Gunst beweisend,
wollest du gütig und gnädig
die Liebeskunst, die du verliehen, im Zorne weder
entziehen noch schwächen; verleihe mir aber noch
viel mehr als jetzt, den Schönen wert zu sein!
Haben wir aber in der früheren Rede etwas dir
Mißliebiges gesagt, Phaidros und ich, so rechne es
dem Vater der Rede, dem Lysias zu, laß ihn mit
derartigen Reden aufhören und lenke ihn, wie sein
Bruder Polemarchos sich dahin gelenkt hat, zur
Philosophie, damit auch dieser sein Liebhaber hier
nicht mehr nach beiden Seiten hänge, wie jetzt,
sondern sein Leben ungeteilt dem Eros und philosophischen Reden
widme!
Phaidros: Ich bete mit dir, o Sokrates, daß dieses,
wofern es so besser für uns wäre, geschehen
möge! - Deine Rede aber erfüllte mich schon lange
mit Bewunderung, wie viel schöner sie dir gegen
die frühere geraten ist, so daß ich besorgt bin, ob
Lysias mir nicht armselig vorkommen werde, wenn
er allen/ falls auch Lust bekäme, dieser durch eine
andere die Spitze zu bieten. Denn auch kürzlich, o
Bewundernswürdiger, hat von den Staatsmännern
einer, der eine Schmährede gegen ihn hielt, ihm
eben dieses zum Vorwurf gemacht und ihn durch
die ganze Schmährede hindurch einen Redenschreiber genannt.
Möglich nun, daß er aus Ehrgeiz sich
des Schreibens für uns ganz enthält!
Sokrates: Einen gar lächerlichen Glauben, o Jüngling,
sprichst du da aus, und du irrst dich gewaltig in
deinem Freunde, wenn du ihn für einen so Tadelscheuen hältst. Vielleicht aber glaubst du auch, daß
sein Schmähredner mit dem, was er sprach, seine
wirkliche Meinung ausgesprochen habe?
Phaidros: Wenigstens kam er mir so vor, o Sokrates,
und du selbst weißt ja ebenso gut, daß die ein einflußreichsten
und vornehmsten Männer in den
Städten sich schämen. Reden zu schreiben und
Schriftwerke von sich zu hinterlassen, aus Furcht
vor dem Urteil der Folgezeit, daß man sie Sophisten nennen möchte.
Sokrates: Ein Glykys Ankon, o Phaidros, wobei du
nicht bedenkst, daß das Sprichwort von dem Makros Ankon des
Nil seinen Namen hat. Und abgesehen von dem Ankon, bedenkst
du nicht, daß gerade diejenigen unter den Staatsmännern, die am meisten von sich
halten, das Redenschreiben und das
Hinterlassen von Schriftwerken vorzugsweise lieben, wie sie
ja auch, wenn sie eine Rede schreiben,
den Lobern derselben dermaßen huldigen, daß sie
die, welche sie jedesmal loben, gleich obenan beischreiben.
Phaidros: Wie meinst du dies; Denn ich verstehe
nicht.
Sokrates: Du verstehst nicht, daß auf dem Schriftwerk
eines Staatsmannes sein Lober im Eingang
obenan geschrieben sei?
Phaidros: Wie?
Sokrates: »Es hat gefallen«, sagt er ja doch wohl,
»dem Rat, oder dem Volk, oder beiden«, und dann
redet, wer den Antrag stellte, nämlich der Schriftverfasser,
der hiermit sich selbst gar vornehm aufführt und verherrlicht,
nach diesem nun weiter,
indem er den Lobern seine Weisheit aufzeigt und
manchmal ein recht langes Schriftwerk verfaßt.
Oder scheint dir ein solches Werk etwas anderes zu
sein als eine schriftlich abgefaßte Rede?
Phaidros: Mir gewiß nicht!
Sokrates: Und nicht wahr, wenn es nun bei demselben
bleibt, so tritt der Verfasser frohlockend von
der Schaubühne ab; wenn es aber durchstrichen
wird und es also für ihn mit dem Redeschreiben
und der Würde des Schriftverfassers nichts ist, so
trauern sowohl er als seine Freunde.
Phaidros: Und gar sehr!
Sokrates: Sichtlich dann nicht als solche, die diese
Neigung gering achten, sondern wie solche, die
voll Bewunderung dafür sind?
Phaidros: Sehr wohl!
Sokrates: Wie aber? Wenn ein Redner oder ein
König, dem die Macht eines Lykurgos oder Solon
oder Dareios zu Gebot steht, zugleich der Mann ist,
ein unsterblicher Redeschreiber in einem Staat zu
werden, - achtet er sich da nicht selbst noch bei
Lebzeiten einem Gott gleich, und die nach ihm
Kommenden, haben sie nicht dieselbe Meinung
von ihm, wenn sie auf seine Schriftwerke schauen?
Phaidros: Gar sehr.
Sokrates: Glaubst du nun, daß von diesen einer, wer
er auch und wie abgünstig er auch immer gegen
den Lysias sein mag, ihm gerade das zum Vorwurf
mache, daß er Schriftwerke verfasse?
Phaidros: Das ist nicht eben wahrscheinlich nach
dem, was du sagst! Denn er würde ja, wie es
scheint, aus seiner eigenen Leidenschaft einen Gegenstand des
Vorwurfs machen.
Sokrates: Dieses also ist einmal jedem klar, daß es an
und für sich wenigstens keine Schande ist, Reden
zu schreiben.
Phaidros: Wie sollte es auch?
Sokrates: Aber jenes, glaube ich, wird immerhin eine
Schande sein, nicht schön zu sprechen oder auch zu
schreiben, sondern schändlich und schlecht?
Phaidros: Offenbar, ja!
Sokrates: Welches ist nun die Art und Weise, schön
zu schreiben oder nicht? Sollen wir etwa, o Phaidros, den Lysias darüber zur Rede stellen, und den
einen und anderen, der irgend einmal etwas geschrieben hat oder schreiben wird, sei es nun eine
Staats- oder eine Privatschrift, in gebundener Rede
als Dichter oder in ungebundener als Prosaiker?
Phaidros: Du fragst, ob wir sollen? Weshalb wäre
man denn eigentlich sozusagen auf der Welt, wenn
nicht eben gerade für die Vergnügungen dieser Art?
Denn sicher nicht für jene, bei denen man sich vorher recht abkümmern muß, wenn man nicht auf das
Vergnügen verzichten will, was ja so ziemlich bei
allen sinnlichen Vergnügungen der Fall ist; daher
sie auch mit Recht sklavische genannt werden.
Sokrates: Muße haben wir ja, wie es scheint. Zugleich kommt es mir vor, als ob auch die Zikaden
über unseren Häuptern bei der drückenden Hitze
singend und sich mit einander unterredend heruntersähen. Wenn sie nun auch uns beide wie die
meisten anderen sehen würden, wie wir, statt uns
zu unterreden, uns von ihnen aus geistiger Trägheit
einschläfern und einwiegen lassen, so würden sie
wohl mit Recht lachen, in der Meinung, ein Paar
Sklaven sei zu ihnen in die Herberge gekommen,
um, wie Schafe an der Quelle, Mittag zu halten und
zu schlafen. Wenn sie aber sehen, wie wir uns unterreden und uneingewiegt an ihnen, wie an den
Sirenen, vorüberschiffen, dann dürften sie vielleicht,
entzückt darüber, uns geben, was sie zur Gabe für
die Menschen von den Göttern als ein Geschenk
erhalten haben.
Phaidros: Was haben sie denn aber für eines erhalten? Denn zufällig bin ich, wie es scheint, dessen
unkundig.
Sokrates: Nicht wohl steht es fürwahr einem musenfreundlichen Manne an, solcher Dinge unkundig zu
sein. Es geht aber die Sage, daß diese da einst
Menschen, und zwar von denen gewesen seien,
welche lebten, ehe noch die Musen geboren waren.
Als aber die Musen geboren wurden und der Gesang zum Vorschein kam, da wurden also etliche
von den damals Lebenden dergestalt aufgeregt, daß
sie singend Essen und Trinken vergaßen und auch
das Herannahen des Sterbens nicht inne wurden.
Aus diesen entsteht hierauf das Geschlecht der Zikaden, welches von den Musen das als Geschenk
empfing, von Geburt an keinerlei Nahrung zu be-
dürfen, sondern ohne zu essen und ohne zu trinken
sogleich zu singen, bis es stirbt, und hernach zu
den Musen kommend ihnen zu melden, wer von
denen hienieden jede von ihnen verehre. Der Terpsichore also melden sie die, welche sie mit den
Chören verehrt haben und machen sie ihr befreundeter, der Erato die mit den Liebesliedern, und so
den übrigen je nach der besonderen Art der Verehrung. Der ältesten aber, der Kalliope, und der nach
ihr kommenden, der Urania, melden sie die, welche
ihr Leben mit Philosophie hinbringen und die diesen eignende Musik ehren, wie ja sie unter den
Musen vorzugsweise dem Himmel und göttlichen
sowohl als menschlichen Reden obwaltend die
schönste Stimme von sich geben. - Aus vielen
Gründen also muß man am Mittag ja etwas besprechen und nicht schlafen.
Phaidros: Gesprochen also muß werden!
Sokrates: Nicht wahr, was wir uns eben vorgesetzt
haben, zu untersuchen, wie man es zu halten habe,
um eine Rede schön sowohl zu sprechen als zu
schreiben und wie nicht, das soll untersucht werden?
Phaidros: Offenbar!
Sokrates: Muß nun nicht für Reden, welche gut und
schön vorgetragen werden wollen, als Bedingung
gelten, daß der Geist des Sprechenden das Wahre
von dem wisse, worüber er sprechen will?
Phaidros: Hiervon habe ich so viel gehört, mein lieber Sokrates, daß es für den, der ein Redner werden
wolle, nicht nötig sei, das wahrhaft Gerechte zu erkennen, sondern das, was der Menge, die zu richten
habe, so erscheinen werde; denn aus diesem, nicht
aber aus der Wahrheit, ergebe sich das Überreden.
Sokrates: Nimmer fürwahr ein verwerfliches Wort
soll das sein, o Phaidros, was da weise Männer
sagen; sondern ansehen muß man es, ob damit
nicht wirklich etwas gesagt sei; und auch das jetzt
Gesagte darf also ja nicht beiseite gelassen werden!
Phaidros: Richtig gesagt!
Sokrates: Folgendermaßen denn wollen wir es ansehen!
Phaidros: Wie?
Sokrates: Wenn ich dich bereden würde, ein Pferd zu
erwerben, um gegen Feinde dich zu wehren, wir
beide aber kein Pferd kennen würden, ich jedoch
zufällig so viel von dir wüßte, daß Phaidros unter
den zahmen Tieren dasjenige, welches die längsten
Ohren hat, für ein Pferd hält -
Phaidros: So wäre das, o Sokrates, ja gar lächerlich!
Sokrates: Noch nicht so gar; aber wenn ich dich nun
im Ernst dazu bereden würde, indem ich eine Lobrede auf den Esel abfaßte, worin ich ihn Pferd
nennen und davon sprechen würde, wie dieses Vieh
alles wert sei zu Haus und im Feld, zum Herabfechten brauchbar und noch zum Tragen tüchtig für
das Gepäck und zu vielem anderen nützlich -
Phaidros: So wäre das denn doch schon über alle
Maßen lächerlich!
Sokrates: Ist es nun nicht besser, ein lächerlicher, als
ein arger und feindseliger Freund zu sein?
Phaidros: Sichtbar!
Sokrates: Wenn nun der Redefertige, der Gutes und
Schlechtes nicht kennt und eine geradeso beschaffene Gemeinde vor sich hat, diese beredet, nicht so,
daß er über den Schatten des Esels eine Lobrede
hält, als wäre es der eines Pferdes, sondern über
etwas Schlechtes, als wäre es Gutes, - wenn er so
die Menge, weil er ihre Ansichten wohl erwogen
hat, zu bereden weiß. Schlechtes zu tun statt Gutes:
was für eine Frucht, glaubst du, werde die Redekunst von der, welche sie da gesät hat, in der Folge
ernten?
Phaidros: Freilich keine gar anständige!
Sokrates: Vielleicht haben wir aber, mein Guter, die
Kunst der Reden derber geschmäht, als sich gebührt? Diese möchte vielleicht sagen: »Was faselt
ihr doch da, ihr Wunderlichen? Denn ich nötige ja
niemanden, der das Wahre nicht kennt, sprechen zu
lernen; sondern wenn ich etwas mitraten darf, so
erwirbt er zuvor jenes, um dann erst mich aufzunehmen. Das aber spreche ich bestimmt aus, daß
der, der auch das an und für sich Seiende weiß,
ohne mich darum noch um nichts mehr imstande
sein wird, kunstmäßig zu überreden.«
Phaidros: Wird sie nun, indem sie dieses sagt, nicht
ganz Richtiges behaupten?
Sokrates: Ich bejahe es, wenn die in ihrem Gefolge
gehenden Reden Zeugnis geben, daß sie eine Kunst
sei! Denn es ist mir, als hörte ich gewisse Reden
herbeikommen und Zeugnis ablegen, daß sie lüge
und keine Kunst sei, sondern ein kunstloser Betrieb. Eine echte Kunst zu sprechen aber, sagt der
Lakonier, ohne die Wahrheit ergriffen zu haben,
gibt es weder jetzt noch wird es je später geben.
Phaidros: Diese Reden müssen herbei, o Sokrates!
Bringe sie nur her und forsche sie aus, was und wie
sie reden?
Sokrates: Herbei denn, ihr edeln Tierchen, überzeuget
den Phaidros, den mit den schönen Sprößlingen,
daß, wenn er nicht tüchtig philosophiere, er auch
niemals tüchtig sein werde, über irgend etwas zu
reden! Der Phaidros also soll antworten!
Phaidros: Fraget nur!
Sokrates: Nun also, sollte nicht die Redekunst im allgemeinen eine gewisse Seelenleitung sein durch
Reden, nicht nur bei den Gerichten und was es
sonst noch für öffentliche Versammlungen gibt,
sondern auch in Privatkreisen, die immer sich
gleich bleibt, sowohl wenn es um kleine als wenn
es um große Angelegenheiten sich handelt? Und
ihre formgerechte Übung, hat sie nicht immer denselben Wert, sie zeige sich an ernsten
Gegenständen oder an unbedeutenden? Oder wie hast du dieses gehört?
Phaidros: Nein, beim Zeus, ganz und gar nicht so!
Sondern vorzugsweise wird in Rechtssachen kunstmäßig gesprochen und geschrieben, gesprochen
auch in Volksreden; Weiteres aber habe ich nicht
gehört.
Sokrates: Aber hast du denn nur von den
Redekunstlehren des Nestor und Odysseus Kunde
erlangt, die sie bei müßiger Weile vor Ilion geschrieben haben, der des Palamedes aber bist du
unkundig geblieben?
Phaidros: Ja, beim Zeus, ich für meinen Teil auch der
des Nestor, wenn du nicht etwa aus einem Gorgias
einen Nestor herrichtest oder aus einem Thrasymachos und Theodoros einen Odysseus!
Sokrates: Vielleicht! Doch lassen wir diese! Du aber
sage: Was tun denn bei den Gerichten die gegnerischen Parteien? Nicht wahr, sie sprechen gegen
einander? Oder was wollen wir sagen?
Phaidros: Eben das!
Sokrates: Und zwar vom Recht sowohl als vom Unrecht?
Phaidros: Ja!
Sokrates: Wird nun nicht der, der dies kunstmäßig
tut, bewirken, daß dieselbe Sache denselben Leuten
bald als Recht, wenn er aber will, als Unrecht erscheint?
Phaidros: Wie anders?
Sokrates: Und bei einer Volksrede, daß der Volksgemeinde dasselbe bald gut, bald wieder das
Gegenteil zu sein dünkt?
Phaidros: So ist's!
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