Timaios: So wollen wir denn sagen, welcher Grund
den, der dieses All, das Reich des Werdens, zusammenfügte, zu dieser seiner Wirksamkeit bewogen
hat. Er war gut, und in einem Guten entsteht niemals Neid, worauf sich derselbe auch immer
beziehen könnte, und, weil frei von diesem, wollte er
denn auch, daß alles ihm selbst so ähnlich als möglich werde. Diesen Ausgangspunkt des Werdens
und der Welt dürfte man daher wohl mit dem größten Rechte einsichtigen Männern als den
eigentlichsten zugestehen. Da nämlich Gott wollte, daß, soweit es möglich, alles gut und nichts schlecht sei,
da er aber alles, was sichtbar war, nicht in Ruhe,
sondern in regelloser und ungeordneter Bewegung
vorfand, so führte er es denn aus der Unordnung in
die Ordnung hinüber, weil er der Ansicht war, daß
dieser Zustand schlechthin besser als jener sei. Es
war aber und ist recht, daß der Beste nichts anderes
als das Schönste vollbringe, und da fand er nun,
indem er es bei sich erwog, daß unter den ihrer
Natur nach sichtbaren Dingen kein vernunftloses
Werk jemals schöner sein werde als ein vernunftbegabtes, wenn man beide als Ganze einander
gegenüberstellt, daß aber wiederum Vernunft ohne Seele
unmöglich irgend einem Gegenstande zuteil werden
könne. In dieser Erwägung bildete er die Vernunft
in eine Seele und die Seele in einen Körper ein und
fügte so aus ihnen den Bau des Weltalls zusammen, um so naturgemäß das möglichst schönste
und beste Werk vollendet zu sehen. Und so darf
man es denn mit Wahrscheinlichkeit aussprechen,
daß diese Welt als ein wirklich beseeltes und vernünftiges Wiesen durch Gottes Vorsehung
entstanden ist.
Nachdem dies festgestellt ist, müssen wir wiederum das hieran zunächst sich Anschließende
besprechen: welches lebendige Wesen sich denn der
Meister bei ihr zum Vorbilde genommen hat, um
sie ihm ähnlich zu bilden? Von allem nun, was zur
Gattung der Teile gehört, werden wir sie mit nichts
in Vergleich bringen wollen, denn was dem Unvollkommenen gleicht, kann nicht schön sein; wohl
aber werden wir sie demjenigen, wovon die übrigen
lebendigen Wiesen als Einzelne sowie nach ihren
Gattungen bloße Teile sind, als am allerähnlichsten
setzen. Denn alle die lebendigen Wesen, welche allein dem Gedanken zugänglich sind, faßt jenes
ebenso in sich zusammen, wie diese Welt uns und
alle übrigen Geschöpfe, welche sichtbar gebildet
sind. Denn da Gott sie dem schönsten und in allen
Stücken vollkommenen unter allen Gegenständen
der Gedankenwelt am ähnlichsten machen wollte,
so fügte er sie zu einem einzigen sichtbaren lebendigen Wesen zusammen, welches alle ihrer Natur
nach mit ihm verwandten belebten Wesen in sich
enthielt. Sprechen wir also mit Recht nur von einer
Welt, oder wäre es richtiger, von vielen, ja von
einer unbegrenzten Zahl zu reden? Nur von einer
kann die Rede sein, wenn anders sie wirklich nach
ihrem Urbilde ins Werk gesetzt sein soll. Denn
jenes, alle nur immer der Gedankenwelt angehörigen belebten Gebilde umfassende Wiesen kann
unmöglich ein zweites neben einem anderen sein;
denn dann müßte es wiederum noch ein anderes,
jene beiden umfassendes Wesen geben, dessen
Teile dann also jene beiden wären, und es würde
dann die Welt nicht mehr ein jenen beiden, sondern
vielmehr ein diesem sie Umfassenden Nachgebildetes richtiger genannt werden. Damit sie also als
gleichfalls einzig in ihrer Art dem vollkommenen
lebendigen Wesen ähnlich wäre, darum bildete der
Schöpfer weder zwei noch auch unzählige Welten,
sondern, wie dies Weltgebäude als ein einzig geborenes entstanden ist, so besteht es auch und wird
auch fernerhin also bestehen.
Körperlich, sichtbar und fühlbar muß nun aber
das Gewordene sein. Ohne das Feuer aber kann
schwerlich je etwas sichtbar werden, noch fühlbar
ohne etwas Festes und fest wiederum nicht ohne
Erde: daher bildete Gott den Körper des All, als er
ihn zusammenzusetzen begann, zunächst aus Feuer
und Erde. Zwei Dinge allein aber ohne ein Drittes
wohl zusammenzufügen ist unmöglich, denn nur
ein vermittelndes Band kann zwischen beiden die
Vereinigung bilden. Von allen Bändern ist aber
dasjenige das schönste, welches zugleich sich
selbst und die durch dasselbe verbundenen Gegenstände möglichst zu einem macht. Dies aber auf
das schönste zu bewirken, ist die Proportion da.
Denn wenn von drei Zahlen oder Massen oder
Kräften von irgend einer Art die mittlere sich ebenso zur letzten verhält wie die erste zu ihr selber,
und ebenso wiederum zu der ersten wie die letzte
zu ihr selber, dann wird sich ergeben, daß, wenn
die mittlere an die erste und letzte, die erste und
letzte dagegen an die beiden mittleren Stellen gesetzt werden, das Ergebnis notwendig ganz
dasselbe bleibt; bleibt dies aber dasselbe, so sind sie alle
damit wahrhaft untereinander Eins geworden.
Wenn nun der Leib des Alls eine bloße Fläche
ohne alle Höhe hätte werden sollen, dann würde
ein Mittelglied genügt haben, das andere unter sich
und sich selber mit ihm zusammenzubinden; nun
aber kam es ihm zu, ein Körper zu sein, und alle
Körper werden nie durch ein, sondern stets durch
zwei Mittelglieder zusammengehalten, und so stellte denn Gott zwischen Feuer und Erde das Wasser
und die Luft in die Mitte, indem er sie so viel als
möglich unter einander in dasselbe Verhältnis
brachte, so daß sich das Feuer ebenso zur Luft wie
die Luft zum Wasser, und wie die Luft zum Wasser
so das Wasser zur Erde sich verhalten sollte, und
verband und fügte auf diese Weise das Weltall zusammen, so daß es sichtbar und fühlbar wurde.
Und so wurde denn zu diesem Zwecke und aus diesen also beschaffenen und ihrer Zahl nach auf vier
sich belaufenden Wesenheiten der Körper der Welt
geschaffen, so daß er vermittelst der Proportion innerlich zusammenstimmte, und besaß dadurch eine
solche Anhänglichkeit seiner Teile unter einander,
daß er sich mit sich selber in Eins zusammenzog
und unauflöslich für jeden anderen ward als für den
Urheber der Verbindung.
Von diesen vieren nun hat das Weltgebäude ein
jedes ganz erhalten. Denn aus allem Feuer und
Wasser und aus aller Luft und Erde fügte es der
Bildner zusammen und ließ von keinem derselben
irgend einen Teil oder eine Kraft außerhalb zurück,
indem er dies dabei bezweckte: zunächst, daß es als
organisches Wesen zu einem möglichst vollkommenen Ganzen durch sein Bestehen aus möglichst
vollkommenen Teilen werde; sodann, daß es ein
einziges sei, sofern nichts übriggeblieben, woraus
ein anderes von derselben Art entstehen könnte;
ferner auch dem Alter und der Krankheit nicht ausgesetzt, indem er erwog, daß, wenn einen
zusammengesetzten Körper Hitze und Kalte und alles,
was sonst starke Wirkungen ausübt, von außen her
umgeben und zur Unzeit mit ihm zusammentreffen,
sie ihn in Auflösung versetzen und ihm durch Herbeiführung von Krankheit und Alter seinen
allmählichen Untergang bereiten. Aus diesem Grunde und
in dieser Erwägung erbaute er denn diese Welt als
ein einziges Ganzes, welches selbst wieder aus lauter Ganzen besteht und eben deshalb frei ist von
Alter und Krankheit. Sodann gab er ihr auch eine
Gestalt, wie sie ihr angemessen und ihrer Natur
verwandt ist. Demjenigen lebendigen Wesen, welches alles andere Lebendige in sich fassen soll,
dürfte nun wohl auch eine Gestalt angemessen sein,
welche alle anderen Gestalten in sich faßt. Deshalb
drehte er sie denn auch kugelförmig, so daß sie von
der Mitte aus überall gleich weit von ihren Endpunkten entfernt war, nach Maßgabe der
Kreisform, welche von allen Gestalten die vollkommenste und am meisten sich selber gleiche ist, indem er
das Gleiche für tausendmal schöner als das Ungleiche hielt; auswendig aber machte er sie ringsherum
auf das genaueste vollständig glatt, und zwar aus
vielerlei Gründen. Bedurfte sie doch der Augen
nicht, denn es war nichts Sichtbares, noch auch der
Ohren, denn es war nichts Hörbares außerhalb
ihrer zurückgelassen; ebenso bestand keine Luft,
welche sie noch umgeben und der Einatmung bedurft hätte; auch war sie keines Werkzeuges
bedürftig, um vermittelst desselben Nahrung zu sich
zu nehmen und die früher zu sich genommene,
nachdem sie den eigentlichen Nahrungssaft von ihr
ausgesogen, wieder von sich zu geben; denn nichts
sonderte sich von ihr aus, und nichts trat irgendwoher zu ihr hinzu, denn es gab nichts außer ihr;
vielmehr ist sie kunstvoll dergestalt gebildet, daß ihre
Aussonderungen ihr auch zugleich wieder zur Nahrung dienen, und daß sie alles innerhalb ihrer selbst
erleidet und alles durch sich selber tut; denn es
hielt der, welcher sie zusammenfügte, sie für vollkommener und besser, wenn sie sich selbst
genügte, als wenn sie eines anderen bedürfte. Hände
aber, die ihr weder um irgend etwas anzugreifen
noch auch abzuwehren erforderlich waren, glaubte
er nutzloserweise ihr nicht anfügen zu dürfen, und
ebenso wenig Füße sowie überhaupt die zum
Gehen dienenden Glieder. Denn er teilte ihr eine
Bewegung zu, die einem Körper von der Gestalt
des ihrigen eigentümlich und von allen sieben Bewegungen diejenige ist, die am meisten der der
Vernunft und Erkenntnis nahe kommt. Nämlich
gleichmäßig in demselben Räume und in sich selber führte er sie herum und ließ sie so sich
umschwingend im Kreise bewegen; alle sechs andern
Bewegungen aber nahm er ihr ab und machte sie
von deren Irrwandel frei, und da sie zu jenem Umlauf um sich selbst der Beine nicht bedurfte, so
ersehnter sie ohne Schenkel und Füße.
Diese ganze Erwägung nun also desjenigen Gottes, welcher von Ewigkeit ist, wie dieser sie über
denjenigen Gott anstellte, welcher erst ins Dasein
eintreten sollte, bewirkte, daß der Körper der Welt
glatt und eben und überall gleich weit vom Mittelpunkte abstehend und in sich geschlossen und
vollständig aus Körpern, die schon selber vollständig
waren, gebildet wurde. Die Seele aber pflanzte er
in die Mitte desselben ein und spannte sie nicht
bloß durch das ganze Weltall aus, sondern umkleidete den Weltkörper auch noch von außen mit ihr.
Und so richtete er denn das Weltganze her als einen
im Kreise sich drehenden Umkreis, der, einzig und
einsam, durch seine Vortrefflichkeit mit sich selber
des Umgangs zu pflegen vermag und keines anderen dazu bedarf, sondern hinlänglich bekannt und
befreundet ist allein mit sich selber, und durch alle
diese Veranstaltungen schuf er es zu einem seligen
Gotte.
Die Seele hat nun aber nicht etwa, wie wir jetzt
später von ihr zu reden beginnen, so auch Gott erst
nach dem Körper gebildet; denn nicht würde er bei
der Zusammenfügung beider zugelassen haben, daß
das Altere von dem Jüngeren beherrscht werde;
sondern wir, wie wir vielfach vom Zufall und Ungefähr abhängig sind, reden nur gerade eben auf
dem entsprechende Weise; er dagegen fügte die
Seele so, daß sie ihrer Entstehung sowie ihrer Vortrefflichkeit nach dem Körper voranging und ihm
gegenüber die dem höheren Alter zustehende
Würde empfing, als seine künftige Herrin und Gebieterin aus folgenden Bestandteilen und auf
folgende Weise zusammen; Aus beiden, nämlich aus
der unteilbaren und immer sich gleich bleibenden
Wesenheit und sodann derjenigen, welche an den
Körpern teilbar wird, mischte er sie als eine dritte
Art von Wesenheit zusammen, welche die Mitte
hielt zwischen der Natur des Selbigen und der des
Anderen, und stellte sie alle drei demgemäß in
einer Reihe vor sich hin, so daß unter ihnen jene
die Mitte einnahm zwischen dem Unteilbaren und
dem an den Körpern haftenden Geteilten. Darauf
nahm er alle drei und mischte sie zu einer einzigen
Gestaltung zusammen, indem er die der Mischung
widerstrebende Natur des Anderen gewaltsam mit
dem Selbigen verträglich machte. Und nachdem er
so beide mit der Seelensubstanz gemischt und so
aus Dreien Eins gemacht hatte, teilte er wiederum
dieses Ganze in so viel Teile, als es sich gehörte,
so aber, daß ein jeder aus dem Selbigen, dem Anderen und der Seelensubstanz zusammengesetzt
war. Er begann aber diese Teilung folgendermaßen:
Zuerst nahm er einen Teil von dem Ganzen weg,
darauf das Doppelte desselben, zum dritten sodann
das Anderthalbfache des zweiten Teils, zum vierten
das Doppelte des zweiten, zum fünften das Dreifache des dritten, zum sechsten das Achtfache des
ersten und zum siebten das Siebenundzwanzigfache
des ersten. Hierauf füllte er sowohl die zweifachen
als dreifachen Zwischenräume aus, indem er noch
weitere Teile vom Ganzen abschnitt und sie in die
Mitte von ihnen hineinsetzte, so daß in jedem Zwischenraume zwei Mittelglieder waren, von denen
das eine um den gleichen Bruchteil der äußeren
Glieder das eine der letzteren übertraf und von andern übertroffen wurde, das andere aber um eine
gleiche Zahl. Da nun aber Zwischenräume von 1
1/2, 1 1/3 und 1 1/8 durch diese Verbindungsglieder innerhalb der frühem Zwischenräume
entstanden waren, so füllte er mit dem Zwischenraume von
1 1/8 alle Zwischenräume von 1 1/3 aus und ließ
so von einem jeden der letzteren noch einen Teil
übrig, so daß der Zwischenraum dieses Teiles, in
Zahlen ausgedrückt, dem Verhältnisse der Glieder
243 zu 256 entsprach. Und damit hatte er denn
auch die Mischling, von welcher er alle diese Teile
hinwegnahm, ganz und gar verbraucht. Dies ganze
so zusammengefügte Gebilde aber spaltete er hierauf der Länge nach in zwei Teile, verband
dieselben kreuzweise in ihrer Mitte, so daß sie die Gestalt eines Chi (X) bildeten, und bog dann jeden
von beiden in einen Kreis zusammen, so daß er
also jeden mit sich selbst und beide mit einander in
dem Punkte, welcher ihrer Durchschneidung gegenüberlag, verknüpfte, umschloß beide mit der auf
dieselbe Weise und in demselben Räume herumgeführten Bewegung und machte den einen dieser
Kreise zum äußeren und den andern zum inneren.
Den Umlauf sodann, der im äußeren, und den, der
im inneren Kreise vor sich ging, benannte er nach
den beiden Wesenheiten, von welchen sie herrührten, jenen den des Selbigen und diesen den des
Anderen, und führte den ersteren in der Richtung der
Seite nach rechts herum, den letzteren aber in der
Richtung der Diagonale nach links. Das Übergewicht aber verlieh er dem des Selbigen und
Gleichartigen, denn er beließ ihn in ungeteilter Einheit;
den inneren aber spaltete er sechsfach und teilte ihn
so in sieben ungleiche Kreise, je nach den Zwischenräumen des Zweifachen und Dreifachen, und
setzte fest, daß zwar einander entgegengesetzt die
Kreise sich bewegen sollten, drei aber an Geschwindigkeit gleich, vier hingegen unter sich und
von den dreien verschieden, jedoch so, daß sie sich
nach einem bestimmten Verhältnisse bewegten.
Nachdem nun nach dem Sinne des Meisters die
ganze Zusammenfügung der Seele erfolgt war, bildete er hierauf alles, was körperlich ist, innerhalb
derselben und fügte es so zusammen, daß es dieselbe mitten durchdrang. Sie selbst aber, die sie nicht
bloß das ganze Weltgebäude überall von der Mitte
bis zum Umkreise durchflocht, sondern es auch von
außen her ringsherum einschloß und die sie rein in
sich selber ihren Kreislauf vollbrachte, nahm in
dieser Weise den göttlichen Anfang eines unvergänglichen und vernunftbegabten Lebens für alle
Zeiten. Und der Körper der Welt ward, wie gesagt,
sichtbar, sie selbst aber zwar unsichtbar, aber, was
sie eben erst zur Seele macht, der Vernunft und
Harmonie der reinen Gedankenwelt und des ewig
Seienden teilhaftig und so durch den edelsten
Schöpfer das Edelste von allem Geschaffenen. Da
sie nämlich aus der Natur des Selbigen und des Anderen und der Seelensubstanz, also aus ihrer drei
Teilen, zusammengemischt und nach festen Verhältnissen geteilt und verbunden ist, und da sie in
ihrem Kreislaufe in sich selber stets zu sich selber
zurückkehrt, so wird sie, wenn sie mit irgend etwas
in Berührung tritt, mag nun dasselbe ein teilbares
Wesen haben oder ein unteilbares, durch ihr ganzes
Selbst hindurch bewegt und gibt eben hierdurch
kund, womit nur immer irgend etwas Dasselbige
oder wovon es verschieden ist, und in was für Beziehung vornehmlich und auf welche Art und
Weise und wann für dasselbe der Fall eintritt, was
immer und im Verhältnis zu wem immer sowohl
von dem Werdenden als auch von dem immer sich
Gleichbleibenden zu sein sowie zu erleiden. Wird
nun aber diese Kundgebung, welche das durch sich
selber Bewegte ohne Laut und Schall in sich trägt,
auf gleiche Weise wahr, mag sie nun auf das Andere oder auf das Selbige sich beziehen, so entstehen,
wenn sie auf das sinnlich Wahrnehmbare gerichtet
ist und der Kreislauf des Anderen im richtigen
Gange die Kunde der Sache durch die ganze Seele
verbreitet hat, sichere und richtige Vorstellungen
und Meinungen; wenn sie aber auf das Vernünftige
sich erstreckt und der Kreislauf des Selbigen,
indem er wohl vonstatten gegangen, ihr solche
Kunde gebracht hat, dann kommt notwendig vernünftige Einsicht und Wissenschaft zustande.
Wenn aber einer von allem, was da ist, dasjenige,
in welchem diese so wie jene entstehen, anders als
Seele nennen wollte, so würde er alles eher als die
Wahrheit sagen.
Als nun aber der Vater, welcher das All erzeugt
hatte, es ansah, wie es bewegt und belebt und ein
Bild der ewigen Götter geworden war, da empfand
er Wohlgefallen daran, und in dieser seiner Freude
beschloß er denn, es noch mehr seinem Urbilde
ähnlich zu machen. Gleichwie nun dieses selber ein
unvergängliches Lebendiges ist, ebenso unternahm
er es daher, auch dieses All nach Möglichkeit zu
einem eben solchen zu machen. Nun war aber die
Natur des höchsten Lebendigen eine ewige, und
diese auf das Entstandene vollständig zu übertragen war eben nicht möglich; aber ein bewegtes
Bild der Ewigkeit beschließt er zu machen und bildet, um zugleich dadurch dem Weltgebäude seine
innere Einrichtung zu geben, von der in der Einheit
beharrenden Ewigkeit ein nach der Vielheit der
Zahl sich fortbewegendes dauerndes Abbild, nämlich eben das, was wir Zeit genannt haben.
Nämlich Tage, Nächte, Monate und Jahre, welche es vor
der Entstehung des Weltalls nicht gab, läßt er jetzt
bei der Zusammenfügung desselben zugleich mit
ins Entstehen treten. Dies alles aber sind Teile der
Zeit, und das War und Wirdsein sind Formen der
entstandenen Zeit, obwohl wir mit Unrecht, ohne
dies zu bedenken, diese dem ewigen Sein beilegen.
Denn wir sagen ja von ihm: »es war, ist und wird
sein«, während ihm doch nach der wahren Redeweise allein das »es ist« zukommt, wogegen man
die Ausdrücke »es war« und »es wird sein« lediglich von dem in der Zeit fortschreitenden Werden
gebrauchen darf. Denn beides bezeichnet Bewegungen; demjenigen aber, welches sich unbeweglich
stets auf die gleiche Weise verhält, kommt es nicht
zu, weder älter noch jünger zu werden im Verlaufe
der Zeit, noch es ehemals oder jetzt geworden zu
sein oder es in Zukunft werden zu sollen; kurz, es
kommt ihm überhaupt nichts von alledem zu, was
das Werden mit den im Gebiete der Sinnenwelt
sich bewegenden Dingen verknüpft hat, sondern es
sind dies alles die Formen der die Ewigkeit nachahmenden und nach den Zahlenverhältnissen im
Kreise sich fortbewegenden Zeit geworden. Und ebenso
steht es mit Ausdrücken folgender Art: das Entstandene sei ein Entstandenes, und das Entstehende
sei ein Entstehendes, und das Entstehenwerdende
sei ein Entstehenwerdendes, und das Nichtseiende
sei ein Nichtseiendes, welches alles keine genauen
Bezeichnungen sind. Doch dürfte gegenwärtig vielleicht nicht der schickliche Zeitpunkt dazu sein,
hierüber Bestimmungen zu treffen, wie es, genau
genommen, heißen müßte.
So entstand denn also die Zeit zugleich mit der
Welt, damit beide, zugleich ins Leben gerufen,
auch zugleich wieder aufgelöst würden, wenn ja
einmal ihre Auflösung eintreten sollte, und nach
dem Urbilde der schlechthin ewigen Natur, damit
die Welt ihr so ähnlich als möglich werde. Denn
das Urbild ist ein durch alle Ewigkeit Seiendes, sie
aber immerfort durch alle Zeit geworden, seiend
und sein werdend. Zufolge solcher Betrachtung und
Überlegung Gottes in bezug auf die Zeit entstanden, damit diese hervorgebracht werde. Sonne,
Mond und die fünf anderen Sterne, welche den
Namen der Wandelsterne tragen, zur Unterscheidung und Bewahrung der Zeitmaße. Und nachdem
Gott den Körper eines jeden von ihnen gebildet
hatte, setzte er sie ihrer sieben in die sieben Kreise
hinein, welche der Umlauf des Anderen beschrieb,
den Mond in den, welcher zunächst um die Erde
kreiste, die Sonne in den zweiten oberhalb ihrer,
den Morgenstern (Venus) aber und den, welcher
dem Hermes (Merkur) heilig ist und nach ihm genannt wird, in die zwei nächsten, dem der Sonne an
Geschwindigkeit gleichen Kreise, versah sie jedoch
mit einer der Sonne entgegenstrebenden Kraft der
Bewegung, weshalb denn die Sonne und der Hermes (Merkur) und Morgenstern auf gleiche Weise
einander einholen und von einander eingeholt werden. Was aber die übrigen anlangt, so würde, wenn
man von allen angeben sollte, wohin und aus
welchen Gründen er sie dahin versetzte, diese Auseinandersetzung, die doch nur eine beiläufige wäre,
umständlicher sein als die Erörterung selber, welche uns hierauf geführt hat. Vielleicht wird denn
auch dieser Gegenstand späterhin bei größerer
Muße eine Darlegung finden, wie er sie verdient.
Nachdem nun also alle die Sterne, welche zur Erzeugung der Zeit mitwirken sollten, in den einem
jeden zukommenden Umschwung gebracht und
durch beseelte Bänder, die ihre Körper zusammenhielten, zu lebendigen Wesen erhoben und des
ihnen Aufgetragenen inne geworden waren, so gingen sie in dem Umschwunge des Anderen, welcher
schräg ist, indem er den Umschwung des Selbigen
durchschneidet und von ihm beherrscht wird,
herum, indem sie teils eine größere, teils eine kleinere Kreisbahn umschrieben, und zwar die, welche
eine kleinere beschrieben, schneller, und die, welche eine größere, langsamer. Und durch den
Umschwung des Selbigen schienen nun dabei die, welche am schnellsten herumgingen, von den
langsamer sich bewegenden eingeholt zu werden, während doch vielmehr diese die ersteren einholten;
denn da die Umkreisung des Selbigen alle Kreisbahnen dieser Gestirne sich schraubenförmig zu
drehen zwang, insofern diese Bahnen durch ihre
Einwirkung zwiefach in entgegengesetzter
Richtung fortrücken, so bewirkte sie den Schein,
als ob die sich am langsamsten von ihr, die sie das
Schnellste ist, entfernenden ihrer Geschwindigkeit
am nächsten kämen. Damit aber ein deutliches Maß
für das gegenseitige Verhältnis von Langsamkeit
und Geschwindigkeit vorhanden wäre, mit welcher
die acht Umläufe sich bewegten, so zündete Gott in
dem zweiten derselben von der Erde ab ein Licht
an, eben das, was wir jetzt Sonne nennen, auf daß
es möglichst durch das ganze Weltall schiene und
die belebten Wesen, so vielen immer dies zukam,
des Zahlenmaßes teilhaftig würden, dessen sie
durch die Umkreisung des Selbigen und Gleichartigen innegeworden. Tag und Nacht entstanden auf
diese Weise und durch diese Veranstaltung als der
Umlauf der einigen und vernünftigsten Kreisbewegung, der Monat aber, wenn der Mond seinen
Kreislauf vollendet und die Sonne eingeholt hat,
endlich das Jahr, sooft die Sonne ihre Bahn umschrieben hat. Die Umläufe der übrigen aber haben
die Menschen bis auf wenige unter den vielen nicht
beachtet und geben ihnen daher weder besondere
Namen, noch messen sie sie gegen einander zufolge
angestellter Beobachtungen nach Zahlen ab, so daß
sie geradezu nicht einmal wissen, daß auch ihre
Bahnen, deren Menge verwirrt und deren Mannigfaltigkeit wunderbar ist, eine Zeit bezeichnen. Es
ist jedoch nichtsdestoweniger möglich, zu beobachten, daß die vollständige Zeitenzahl auch das
vollständige große Jahr voll macht, dann, wenn die gegenseitigen Geschwindigkeiten aller acht Umläufe
zugleich beendigt zu ihrem Ausgangspunkte zurückkehren, sofern man sie nach dem Kreise des
Selbigen und sich gleichartig Bewegenden mißt.
Auf diese Weise also und zu diesem Zwecke wurden alle die Sterne hervorgebracht, welche den
Weltenraum in gewundener Linie durchwandern,
auf daß diese lebendige Welt dem vollkommenen
und nur dem Gedanken erfaßbaren Lebendigen so
ähnlich als möglich werde in Nachahmung seiner
schlechthin ewigen Natur.
Und in allen übrigen Stücken bis zu der Entstehung der Zeit hin war sie nun bereits dem Urbilde,
welchem sie nachgebildet wurde, entsprechend
vollendet; aber darin, daß sie noch nicht alle lebenden Wesen in sich faßte, so daß diese schon
innerhalb ihrer entstanden waren, verhielt sie sich noch
unähnlich gegen dasselbe. Und so vollendete der
Bildner denn auch dies, was ihr noch mangelte,
indem er es nach der Natur des Urbildes ausprägte.
Wie viel nämlich und welcherlei Gestalten die Vernunft nur immer in dem wahrhaft seienden
Lebendigen als ihm einwohnende erblickt, so viel und
solcherlei, glaubte er, müsse auch dieses
Gewordene empfangen. Es gibt aber deren vier: die
eine das himmlische Geschlecht der Götter, die andere die geflügelte und die Lüfte durchschwebende,
die dritte die im Wasser lebende Gattung, und die
vierte die, welche sich auf ihren Füßen bewegt und
auf dem Erdboden wohnt. Die Gestalt des Göttlichen nun bildete er größtenteils aus Feuer, damit es
so glänzend und schön als möglich anzuschauen
wäre, machte es in Nachbildung des Weltganzen
wohlgerundet und versetzte es in das vernunftmäßige Denken des Mächtigsten als dessen Begleiter,
indem er es im Umkreise rings um das ganze Weltgebäude verteilte, auf daß es diesem ein wahrhafter
Schmuck und eine bunte Zierde nach dessen ganzem Umfange sei. Bewegungen aber heftete er ihrer
zwei einem jeglichen aus diesem Kreise an: die
eine in demselben Räume und in gleichmäßiger
Weise als einem solchen, welches über dasselbe
stets dasselbe bei sich selber denkt, die andere nach
vorne als einem solchen, welches von dem Umschwunge des Selbigen und Gleichartigen
beherrscht wird; hinsichtlich der fünf anderen Bewegungen aber ließ er es unbewegt und stillstehend,
damit ein jedes dieser Wesen so vollkommen als
möglich würde. Aus dieser Ursache also sind alle
die Sterne geworden, welche wandellos als lebendige Wesen göttlich und unsterblich und
gleichmäßig in demselben Räume sich drehend
ewig verharren; diejenigen aber, welche ihre Stellung verändern und somit dem Wandel unterworfen
sind, entstanden aus den Gründen, welche schon im
Vorigen auseinandergesetzt sind. Die Erde aber,
unsere Ernährerin, welche um die durch das All gezogene Achse herumgeballt ist, bildete er zur
Wächterin und Werkmeisterin von Tag und Nacht
als die erste und älteste von den Gottheiten, so viel
ihrer innerhalb des Weltgebäudes entstanden sind.
Die Reigenbewegungen aber von diesen selber und
ihre gegenseitigen Annäherungen und Begegnungen, und was sich auf die Rückkehr ihrer Bahnen in
sich selber und ihr Vorrücken bezieht, ferner, welche von den Göttern bei den Vereinigungen
einander nahe und wie viele einander gegenüber treten,
und hinter welchen die einzelnen, indem sie einander ins Licht treten, und zu welchen Zeiten sie sich
für uns verbergen und, wenn sie dann wieder zum
Vorschein kommen, Furcht vor dem, was bevorsteht, und Vorzeichen desselben für die, welche
nicht zu rechnen verstehen, mit sich bringen, - dies
darzustellen ohne Anschauung von Abbildungen,
die wieder von ihnen gemacht wären, würde eine
vergebliche Mühe sein, und so möge uns vielmehr
das Gesagte in der obigen Weise hinreichen und
die Erörterung über die Natur der sichtbaren und
geschaffenen Götter hiermit ihr Ende haben.
Über die sonstigen götterartigen Wesen aber zu
sprechen und ihre Entstehung zu erkennen, übersteigt unsere Kräfte, und wir werden denjenigen
glauben müssen, welche ehedem darüber gesprochen haben, da sie ja, wie sie sagten, Abkömmlinge
der Götter waren und doch wohl genau ihre Vorfahren gekannt haben werden. Unmöglich also ist
es, den Sprößlingen der Götter den Glauben zu versagen, wenn sie auch ohne wahrscheinliche oder
gar zwingende Beweisgründe sprechen; sondern als
solchen, welche Familienverhältnisse mitzuteilen
behaupten, müssen wir ihnen, dem Herkommen
folgend, Vertrauen schenken. Folgendermaßen
möge daher nach ihrem Bericht hinsichtlich dieser
Götter ihre Entstehung für uns sich verhalten und
von uns angegeben werden: Der Ge und dem Uranos wurden Okeanos und Tethys geboren, diesen
aber wiederum Phorkys, Kronos und Rhea und so
viele mit ihnen entstanden; vom Kronos und der
Rhea aber entsprossen Zeus und Hera und alle, so
viel wir ihrer wissen, welche als ihre Geschwister
und von diesen allen selbst noch wieder als Abkömmlinge bezeichnet werden.
Als nun aber die Götter alle, sowohl die, welche
sichtbar herumkreisen, als auch die, welche nur erscheinen, je nachdem sie es selber wollen, ihre
Entstehung hatten, da spricht zu ihnen der Erzeuger
des Alls folgendermaßen: »Göttliche Göttersöhne,
deren Bildner ich bin und Vater von Werken, welche, durch mich entstanden, unauflösbar sind, weil
ich es so will. Denn alles, was zusammengebunden
ist, läßt sich zwar auch wieder auflösen, aber das,
was schön zusammengefügt ist und sich wohl verhält, würde nur ein Frevler wieder auflösen wollen.
Deshalb seid ihr denn auch, weil ihr entstanden
seid, zwar nicht schlechterdings unsterblich und
unauflösbar; aber nichtsdestoweniger sollt ihr nimmer aufgelöst noch des Todesgeschickes teilhaftig
werden, weil ihr an meinem Willen ein noch stärkeres und mächtigeres Band als jene Bänder erlangt
habt, mit denen ihr zusammengebunden wurdet, als
ihr entstandet. So merket denn nun, was euch
meine Rede verkündet! Es sind noch sterbliche Geschlechter, und zwar ihrer drei übrig, die noch
unerzeugt sind: träten nun sie nicht ins Leben, so
würde das Weltgebäude unvollständig sein: denn
es würde dann nicht alle Geschlechter lebendiger
Wesen in sich tragen, und das muß es, wenn es
schlechthin vollständig sein soll. Wenn sie aber
durch mich entständen und mit Leben begabt würden, so würden sie den Göttern gleich werden.
Damit sie also zu Sterblichen werden und dieses
All ein wirkliches All sei, so kommt es euch
naturgemäß zu, euch an die Hervorbringung der lebendigen Geschöpfe zu machen, indem ihr meine
Tätigkeit, wie sie bei eurer Entstehung stattfand,
nachahmt. Und so viel an ihnen dem Unsterblichen
gleichnamig zu sein verdient, nämlich das Göttlichzunennende und Leitende in ihnen, soweit sie stets
dem Rechte und euch zu folgen geneigt sind, von
dem will ich die Samen und Keime selber bilden
und euch dann übergeben; in ihren übrigen Teilen
aber sollt ihr, indem ihr mit diesem Unsterblichen
Sterbliches verwebt, die lebendigen Geschöpfe
vollenden und erzeugen und, indem ihr ihnen Nahrung gebt, sie wachsen lassen und, wenn sie
dahingeschwunden sind, wieder in euch aufnehmen.«
So sprach er und goß wiederum in dasselbe
Mischgefäß, in welchem er zuvor die Seele des Alls
zusammengemischt hatte, die Überreste derselben
Bestandteile hinein und vermischte sie zwar ungefähr auf die gleiche Weise, nahm sie aber nicht von
derselben gleichmäßigen Reinheit, sondern vom
zweiten und dritten Range. Und nachdem er aus
ihnen ein Ganzes gebildet hatte, verteilte er dies in
Seelen von gleicher Zahl mit den Sternen und teilte
je eine einem jeden zu, und nachdem er sie so auf
dieselben wie au fein Fahrzeug gesetzt hatte, zeigte
er ihnen die Natur des Alls und verkündete ihnen
die vom Schicksal verhängten Gesetze, daß
nämlich die erste Geburt auf die gleiche Weise für
sie alle bestimmt sein werde, auf daß keine von
ihnen in Nachteil durch ihn gesetzt würde, und daß
sie auf die einzelnen, einer jeden entsprechenden
Werkzeuge der Zeit verpflanzt, zu demjenigen aller
lebendigen Geschöpfe werden sollten, welches am
meisten die Götter verehre; und da die menschliche
Natur eine zwiespältige sei, so solle das edlere von
beiden Geschlechtern mit einer solchen Beschaffenheit vorgebildet werden, wie sie hernach mit dem
Namen Mann verbunden sein sollte. Sobald sie
nun aber der Notwendigkeit gemäß in Leiber eingepflanzt wären und von ihrem Leibe ein Teil hinzu
käme und ein anderer Teil abginge, so müsse notwendig zuerst die Wahrnehmung und Empfindung
auf gleiche Weise in ihnen allen entstehen, als notwendig mit starken Erregungen und Eindrücken
verwachsen; sodann als das Zweite die Liebe, welche aus Lust und Schmerz gemischt ist; hierauf
Furcht sowie Zorn und Eifer und alles, was hiermit
zusammenhängt, und wiederum alles, was aus der
Gegenwirkung hervorgeht. Wenn sie nun über
diese Erregungen herrschten, so würden sie gerecht
leben, wenn sie aber sich von ihnen beherrschen
ließen, ungerecht. Und wer die ihm zugemessene
Zeit hindurch wohl gelebt habe, der solle in die Behausung des ihm verwandten Gestirnes
zurückkehren und ein seliges und seiner Gewohnheit entsprechendes Leben führen; wer aber hierin
gefehlt, der werde in eines Weibes Natur bei seiner
zweiten Geburt verwandelt werden; wenn er aber
auch in diesem Zustande noch nicht seiner Schlechtigkeit Einhalt täte, so solle er der Art derselben
entsprechend jedesmal in eine Tiergattung von ähnlicher Art, wie er sie sich angebildet, übergehen
und in steter Verwandlung nicht eher ans Ziel seiner Leiden gelangen, als bis er, dem Umschwunge
des Selbigen und Gleichartigen in sich folgend,
jener wirren und vernunftlosen Masse, welche sich
später aus Feuer, Wasser, Luft und Erde ihm angesetzt, durch die Vernunft Herr geworden und so in
die Gestalt seiner früheren und edelsten Beschaffenheit zurückgekehrt wäre.
Nachdem er ihnen nun alle diese Gesetze verkündet hatte, um an der späteren Schlechtigkeit
eines jeden unschuldig zu sein, verpflanzte er sie
teils auf die Erde, teils auf den Mond, teils auf die
übrigen Werkzeuge der Zeit. Was aber nach dieser
Verpflanzung noch zu tun war, das überließ er den
jungen Göttern: nämlich, ihnen sterbliche Leiber
anzubilden und das noch Rückständige, was zur
Entstehung einer menschlichen Seele noch hinzukommen mußte, dies und alles damit
Zusammenhängende zu vollenden und dann die Herrschaft zu
führen und nach Möglichkeit aufs schönste und
beste das sterbliche lebendige Wesen zu lenken,
soweit es nicht selber sich Übel zuziehen würde.
Und nachdem er nun dies alles angeordnet hatte,
verharrte er seinerseits in dem seiner Art angemessenen Zustande; seine Kinder aber inzwischen,
nachdem sie die Anordnung des Vaters vernommen, leisteten ihr Folge, und nachdem sie den
unsterblichen Keim zu dem sterblichen Lebendigen in
Empfang genommen hatten, so entlehnten sie in
Nachahmung ihres Erzeugers Teile von Feuer,
Erde, Wasser und Luft von der Welt zu künftiger
Wiedererstattung, verkitteten darauf diese entnommenen Teile in Eins, indem sie sie nicht mit den
unauflöslichen Bändern, durch welche sie selber
zusammengehalten wurden, sondern mit einer
Menge von Stiften, welche ihrer Kleinheit wegen
unsichtbar waren, zusammenhefteten, bildeten so
aus der Gesamtmasse jeden einzelnen Körper und
banden endlich die Umschwünge der unsterblichen
Seele in diesen ab- und zuströmenden Leib hinein.
Diese nun, in einen so gewaltigen Strom eingeschlossen, beherrschten diesen weder, noch wurden
sie von ihm beherrscht, sondern gewaltsam wurden
sie fortgezogen und zogen sie fort, so daß das
ganze lebendige Gebilde bewegt ward und demnach ohne Ordnung fortrückte, wohin der Zufall es
führte, und ohne Vernunft, weil es alle sechs Bewegungen hatte: denn nach vorn und hinten und
ebenso nach rechts und links, und nach oben und unten,
kurz, überall nach den sechs Richtungen rückte es
in der Irre fort. Denn so heftig auch schon die zuströmende und abfließende Woge war, welche ihm
seine Nahrung brachte, so ward doch eine noch heftigere Erschütterung durch die Eindrücke von dem
bewirkt, was einem jeden widerfuhr, wenn sein
Körper mit einem fremden Feuer von außen zusammenstieß oder mit festen Erdteilen oder der dahin
gleitenden Feuchtigkeit des Wassers, oder wenn er
von einem Wirbel der durch die Luft erregten
Winde ergriffen wurde, und wenn dann durch dies
alles Bewegungen erregt und durch den Körper
hindurch fortgeführt wurden, bis sie die Seele fanden; und sie wurden denn auch nachher eben
hiernach genannt und heißen auch noch jetzt insgesamt
Empfindungen. Sie waren es also, welche schon
damals für den Augenblick die meiste und stärkste
Bewegung hervorbrachten; und indem sie vermöge
des unaufhörlich strömenden Flusses die Umläufe
der Seele in Bewegung setzten und heftig erschütterten, so hemmten sie sowohl den des Selbigen
gänzlich durch ihr Entgegenströmen und hielten
seine Herrschaft und seinen Fortgang auf, als sie
auch andererseits den des Anderen so erschütterten,
daß sie die Zwischenräume des Zweifachen und
Dreifachen, welche ihrer je drei von beider Art
waren, und die Mittel- und Bindeglieder des Anderthalb-, Vierdrittel- und Neunachtelfachen, da sie
ganz aufzulösen nur dem möglich war, welcher sie
zusammengeknüpft hatte, auf alle Weise verkehrten
und alle möglichen Durchbrechungen und Störungen in die Kreise hineinbrachten, so viel es ihrer
nur geben konnte: so daß sie kaum noch mit einander zusammenhingen und sich zwar noch
fortbewegten, aber vernunft- und regelwidrig, bald in entgegengesetzter Richtung, bald zur Seite und bald
kopfüber; gleichwie dann, wenn ein Mensch umgekehrt mit dem Haupte auf die Erde sich stützt, die
Füße aber nach oben gewandt hat und an irgend
etwas festhält, in diesem entgegengesetzten Zustande dessen, welcher sich in einer solchen Lage
befindet, und derer, die ihn ansehen, beiden Teilen
gegenseitig das, was dem einen rechts, dem andern
links, und was dem einen links, dem andern rechts
erscheint. Wenn daher die Umläufe von eben demselben und von anderen ähnlichen Vorgängen in
heftigem Maße betroffen werden, so bezeichnen
sie, wenn sie mit etwas von dem außerhalb Befindlichen, sei es von der Art des Selbigen oder von der
des Anderen, in Berührung kommen, sodann das,
was das Selbige mit irgend etwas ist, und das, was
ein Anderes ist als irgend etwas, auf eine der Wahrheit entgegengesetzte Weise und sind somit
trügerisch und unverständig geworden, und keiner von
ihnen ist dann der herrschende und leitende, sondern diejenigen, welchen dann von außen her
irgend welche Wahrnehmungen und Empfindungen
zustoßen und zuteil werden, dergestalt daß dieselben auch die Seele in ihrem ganzen Umkreis mit
sich fortreißen, diese scheinen dann zu herrschen,
obwohl sie vielmehr beherrscht werden. Infolge
aller dieser Erschütterungen wird denn auch die
Seele jetzt anfänglich bewußtlos, sobald sie in
einen sterblichen Körper hineinverflochten ist. Sobald aber der Strom des Wachstums und der
Nahrung nur noch in geringerem Maße herzufließt,
dann bekommen die Umläufe wieder Ruhe, schlagen wieder ihren eigenen Weg ein und befestigen
sich auf diesem immer mehr im Verlaufe der Zeit.
Und dann erst machen die Umschwünge, indem sie
sich nach dem naturgemäßen Gange der einzelnen
Kreise richten und so das Andere und das Selbige
mit dem rechten Namen benennen, ihren Besitzer
vernunftbeseelt. Kommt nun dann auch noch die
rechte Nahrung durch geistige Ausbildung zur
Hilfe, dann wird er ganz und gar untadelhaft und
gesund und ist der größten Krankheit entflohen.
Hat er dies aber vernachlässigt, so gelangt er,
nachdem er hinkend die Lebensbahn zurückgelegt
hat, unvollkommen und unverständig wieder in die
Unterwelt. Dies nun geschieht einst in späterer
Zeit; das jetzt Vorliegende aber muß genauer
durchgegangen werden. Das also, was jenem vorangeht, nämlich die Entstehung des Körpers und
der Seele nach ihren einzelnen Teilen, und aus welchen Ursachen und aus welcher Absicht der Götter
sie entstanden sind, haben wir jetzt dergestalt zu
erörtern, daß wir, wie wir uns überhaupt an das am
meisten Wahrscheinliche halten, so auch hierin
vorgehen.
Die göttlichen Umläufe nämlich, zwei an der
Zahl, schlossen die Götter, indem sie die Gestalt
des Alls, welche ja rund ist, nachahmten, in einen
kugelförmigen Körper, nämlich denjenigen ein,
welchen wir jetzt Kopf nennen, welcher das göttlichste und alles an uns beherrschende Glied ist.
Daher übergaben sie ihm auch den ganzen Leib als
eine für ihn zusammengebrachte Dienerschaft, weil
sie bedachten, daß er aller Bewegungen, soviel
deren entstehen konnten, teilhaftig sein würde;
damit er also nicht auf der Erde, die da Höhen und
Tiefen von aller Art hat, herumrollend in Verlegenheit geriete, wie er jene übersteigen und aus diesen
sich herausarbeiten sollte, so gaben sie ihm denselben zum Fahrzeuge zu leichtem Fortkommen.
Demgemäß erhielt denn der Körper Länge und
trieb, indem die Gottheit ihn zum Gehen einrichtete, vier ausstreckbare und biegsame Glieder, mit
denen er sich teils anzuhalten, teils aufzustützen
und so allerorten sich fortzubewegen imstande
ward, indem er den Wohnsitz des Göttlichsten und
Heiligsten in uns auf seinem Gipfel trug. Beine und
Hände also wuchsen auf diese Weise und zu diesem Zwecke allen Körpern an, und da die Götter
die vordere Seite für edler und der Herrschaft würdiger hielten, so verliehen sie unserem Gange
vorzugsweise die Richtung nach vorne, und eben deshalb mußte auch die vordere Seite des
menschlichen Körpers in unterscheidender Weise und unähnlich von der hinteren gebildet werden. Daher
fügten die Götter zunächst auf dieser Seite dem
Umkreise des Hauptes das Antlitz an, versetzten in
dieses die Werkzeuge für die gesamte Überlegungstätigkeit der Seele und verordneten, daß
dieses das natürliche Vorne bilden und die Oberleitung haben sollte. Von diesen Werkzeugen aber
verfertigten sie zuerst die Leiter des Lichtes, die
Augen, und befestigten sie aus folgender Ursache
im Gesichte: Soviel nämlich vom Feuer nicht die
Eigenschaft hat zu brennen, sondern das milde
Licht zu verbreiten, welches jedem Tage eigentümlich ist, bildeten sie zu einem Körper. Nämlich das
in uns befindliche, hiermit verwandte reine Feuer
ließen sie glatt und dicht aus den Augen ausströmen, indem sie ihr ganzes Gewebe, und zwar
vorzugsweise den mittleren Teil von ihm, so fest zusammenzogen, daß es alles andere Feuer von
dichterer Beschaffenheit zurückhält und nur das von
jener Art rein hindurchläßt. Sobald daher das Tageslicht diese Ausströmung des Sehstrahles in sich
aufnimmt, so strömt eben damit Gleichartiges zu
Gleichartigem aus, und beides verschmilzt durch
diese seine Verwandtschaft in gerader Richtung
vom Auge zu einem einzigen Körper, wo nur
immer das von innen ausströmende Feuer an demjenigen, welches von den äußeren Gegenständen
her mit ihm zusammentrifft, im Gegenstoße einen
Halt findet. Und da nun dieser Lichtkörper eben
wegen seiner durchweg gleichartigen Beschaffenheit auch in allen seinen Teilen die gleichen
Eindrücke empfängt, so teilt er von allen Gegenständen, mit welchem derselben er nur immer in
Berührung tritt und welcher andere mit ihm, ihre Bewegungen dergestalt dem ganzen Leibe mit, daß sie
durch diesen bis zur Seele hindurchdringen, und erzeugt so die Empfindung, auf welche eben wir den
Ausdruck »wir sehen« anwenden. Sobald dagegen
das ihm verwandte Feuer des Tages in Nacht dahingegangen, so wird und bleibt der Sehstrahl vom
Auge abgeschnitten; denn da er nunmehr zu Unähnlichem heraustritt, so verändert er auch sich
selber und erlischt, indem er nicht mehr mit der umgebenden Luft eine Verbindung eingeht, weil diese
kein Feuer hat. Er hört daher auf, eine Gesichtswahrnehmung hervorzubringen, und führt überdies
auch den Schlaf herbei. Indem nämlich nun das,
was die Götter zum Schutze des Gesichtes ins
Leben gerufen haben, das Gebilde der Augenlider,
indem (sage ich) diese sich schließen, so halten sie
die Gewalt des Feuers inwendig zurück, und dieses
zerstreut und beschwichtigt sodann die Bewegungen im Inneren, so daß infolgedessen Ruhe eintritt.
Ist nun diese Ruhe in einem hohen Grade vorhanden, so entsteht ein nur wenig von Träumen
getrübter Schlaf; sind aber einige stärkere Bewegungen
zurückgeblieben, so bewirken diese, daß Traumerscheinungen, welche der eigenen Natur dieser
Bewegungen sowie der der Orte, an denen sie zurückgeblieben sind, an Art und Zahl entsprechen, sich
im Inneren bilden und sodann nach dem Erwachen
der Erinnerung auch äußerlich entgegentreten.
Ebenso ist auch die Erzeugung der Bilder in den
Spiegeln und der Widerschein in allen Körpern von
glatter und glänzender Oberfläche hiernach nicht
mehr schwer zu erklären. |