Freilich.
Und das macht ja, sprach er, keinen Unterschied.
Denn sooft du, etwas sehend, von dieser Gesichtswahrnehmung aus dir noch ein anderes vorstellst,
es sei nun ähnlich oder unähnlich, so ist notwendig
dieses Vorstellen eine Erinnerung gewesen.
Allerdings.
Wie aber weiter? sprach er; begegnet uns wohl
so etwas bei den gleichen Hölzern und andern, von
denen wir eben sprachen? Scheinen sie uns ebenso
gleich zu sein wie das Gleiche selbst? Oder fehlt
etwas daran, daß sie nicht so sind wie das Gleiche,
oder nichts?
Gar viel, sprach er, fehlt daran.
Müssen wir nun nicht gestehen, wenn jemand,
der etwas sieht, bemerkt, dieses, was ich hier sehe,
will zwar sein wie etwas gewisses anderes, es
bleibt aber zurück und vermag nicht so zu sein wie
jenes, sondern ist schlechter, - daß der, welcher
dies bemerkt, notwendig jenes vorher kennen muß,
von dem er sagt, daß das andere ihm zwar gleiche,
aber doch dahinter zurückbleibe?
Notwendig.
Und wie? Geht es uns nun so mit den gleichen
Dingen und dem Gleichen selbst?
Auf alle Weise.
Notwendig also kennen wir das Gleiche schon
vor jener Zeit, als wir, zuerst Gleiches erblickend,
bemerkten, daß alles dergleichen strebe zu sein wie
das Gleiche, aber doch dahinter zurückbleibe?
So ist es.
Aber auch das geben wir doch zu, daß wir eben
dieses nirgend andersher bemerkt haben noch imstande sind, es zu bemerken, als bei dem Sehen
oder Berühren oder irgend einer andern Wahrnehmung, denn diese sind mir alle einerlei.
Sie sind auch einerlei, o Sokrates, für das, wohin
unsere Rede will.
Aber doch an den Wahrnehmungen muß man bemerken, daß alles so in den Wahrnehmungen
Vorkommende jenem nachstrebt, was das Gleiche ist,
und daß es dahinter zurückbleibt. Oder wie wollen
wir sagen?
So.
Ehe wir also anfingen, zu sehen oder zu hören
oder die anderen Sinne zu gebrauchen, mußten wir
schon irgendwoher die Erkenntnis bekommen
haben des eigentlich Gleichen, was es ist, wenn wir
doch das Gleiche in den Wahrnehmungen so auf
jenes beziehen sollten, daß dergleichen alles zwar
strebt zu sein wie jenes, aber doch immer schlechter ist.
Notwendig nach dem Vorhergesagten, o Sokrates.
Nun aber haben wir doch gleich von unserer Geburt an gesehen, gehört und die anderen Sinne
gebraucht?
Freilich.
Und wir mußten, sagen wir, schon ehe dieses geschah, die Erkenntnis des Gleichen bekommen
haben?
Ja.
Ehe wir also geboren wurden, müssen wir sie,
wie sich zeigt, bekommen haben.
So zeigt es sich.
Wenn wir sie also vor unserer Geburt empfangen
haben und in ihrem Besitz geboren worden sind, so
erkannten wir auch schon, ehe wir wurden und sobald wir da waren, nicht das Gleiche nur und das
Größere und Kleinere, sondern alles dieser Art insgesamt? Denn es ist uns ja jetzt nicht eben mehr
von dem Gleichen die Rede, als auch von dem
Schönen selbst und dem Guten selbst und dem
Rechten und Frommen und, wie ich sage, von
allem, was wir bezeichnen als dies selbst, was es
ist, in unsern Fragen, wenn wir fragen, und in unsern Antworten, wenn wir antworten. So daß wir
notwendig von diesem allen die Erkenntnisse,
schon ehe wir geboren wurden, erhalten haben.
So ist es.
Und daß wir, wenn wir sie nicht immer wieder
vergäßen, nachdem wir sie bekommen, auch immer
wissen und uns ihrer das ganze Leben hindurch bewußt sein würden. Denn das heißt ja »wissen«:
eine empfangene Erkenntnis besitzen und nicht verloren haben. Oder heißt das nicht »vergessen«, o
Simmias: Verlust einer Erkenntnis?
Auf alle Weise, sagte er, o Sokrates.
Und wenn wir, meine ich, vor unserer Geburt sie
besaßen und sie bei der Geburt verloren haben, hernach aber beim Gebrauch unserer Sinne an solchen
Gegenständen eben jene Erkenntnisse wieder aufnahmen, die wir einmal schon vorher hatten, ist
dann nicht, was wir »lernen« heißen, das Wiederaufnehmen einer uns schon angehörigen
Erkenntnis? Und wenn wir dies »wiedererinnern« nennen,
werden wir es nicht richtig benennen?
Gewiß.
Denn das hatte sich uns doch als möglich gezeigt, daß, wer etwas wahrnimmt, es sei nun durch
Gesicht und Gehör oder irgendeinen anderen Sinn,
dabei etwas anderes vorstellen könne, was er vergessen hatte und was diesem nahekam als
unähnlich oder als ähnlich. Also, wie ich sage, eines von
beiden: entweder sind wir mit diesem Wissen geboren worden und wissen es unser Leben lang alle,
oder die, von denen wir sagen, daß sie hernach erst
lernen, erinnern sich dessen nur, und das Lernen
wäre also eine Erinnerung.
Wohl gar sehr verhält es sich so, Sokrates.
Welches nun wählst du, o Simmias, daß wir wissend geboren werden, oder daß wir uns hernach
dessen erinnern, wovon wir schon vorher eine Er
kenntnis gehabt hatten?
So im Augenblick, o Sokrates, weiß ich nicht zu
wählen.
Wie aber? Kannst du hier wählen, oder was
dünkt dich hiervon: Muß ein wissender Mann von
dem, was er weiß, Rechenschaft geben können oder
nicht?
Ganz notwendig, o Sokrates, sprach er.
Und dünkt dich denn, daß alle Rechenschaft zu
geben imstande sind von dem, was wir eben
anführten?
Das wünschte ich wohl, sprach Simmias; aber
ich fürchte vielmehr, es möchte uns schon morgen
hierzulande keiner mehr gefunden werden, der dies
gehörig zu tun vermöchte.
Du meinst also nicht, o Simmias, daß alle dieses
wissen?
Keineswegs.
Also erinnern sie sich dessen, was sie einst gelernt hatten?
Notwendig.
Wann aber hatten unsere Seelen die Erkenntnis
davon bekommen? Doch wohl nicht, seitdem wir
als Menschen geboren sind?
Nicht füglich.
Früher also?
Ja.
Also waren, o Simmias, die Seelen, auch ehe sie
in menschlicher Gestalt waren, ohne Leiber und
hatten Einsicht.
Wenn wir nicht etwa bei der Geburt diese Erkenntnisse empfangen, o Sokrates: denn diese Zeit
bleibt uns noch übrig.
Gut, o Freund! Aber in welcher andern Zeit verlieren wir sie denn? Denn wir haben sie nicht,
wenn wir geboren werden, wie wir eben eingestanden. Oder verlieren wir sie in derselben Zeit, in
welcher wir sie auch empfangen? Oder weißt du
noch eine andere Zeit anzugeben?
Keineswegs, o Sokrates, sondern ich merkte nur
nicht, daß ich nichts sagte.
Verhält es sich nun also nicht so mit uns, sprach
er, o Simmias? Wenn das etwas ist, was wir immer
im Munde führen, das Schöne und Gute und jegliches Wesen dieser Art, und wenn wir hierauf alles,
was uns durch die Sinne kommt, beziehen als auf
ein vorher Gehabtes, was wir als das Unsrige wieder auffinden, und wenn wir diese Dinge damit
vergleichen, so muß notwendig, ebenso wie dieses ist,
so auch unsere Seele sein, auch ehe wir noch geboren worden sind. Wenn aber alles dieses nichts ist,
so wäre dann auch diese Rede vergeblich geredet.
Verhält es sich wohl so, und ist es die ganz gleiche
Notwendigkeit, daß jenes ist, und daß auch unsere
Seelen sind auch vor unserer Geburt, und daß,
wenn jenes nicht, dann auch nicht dieses?
Über die Maßen, o Sokrates, sprach Simmias,
dünkt es mich dieselbe Notwendigkeit zu sein; und
an einen sichern Ort rettet sich unser Satz, dahin
nämlich, daß unsere Seele auf dieselbe Weise ist,
ehe wir noch geboren werden, wie jenes alles,
wovon du eben sprachest. Denn ich habe gar
nichts, was mir so klar wäre als eben dieses, daß
alles dergleichen wahrhaft in dem allerhöchsten
Sinne ist, das Schöne und das Gute und was du
sonst eben anführtest; und mir wenigstens genügt
der Beweis vollkommen.
Wie aber dem Kebes? sprach Sokrates. Denn wir
müssen auch den Kebes überzeugen.
Gewiß auch ihn, sprach Simmias, wie ich glaube, wiewohl er der hartnäckigste Mensch ist im
Unglauben an anderer Reden. Allein davon, glaube
ich, ist er nun hinreichend überzeugt, daß, ehe wir
geboren wurden, unsere Seele war. Ob aber auch,
nachdem wir gestorben sind, sie noch sein wird,
das scheint auch mir selbst, o Sokrates, noch nicht
bewiesen zu sein, sondern es steht noch entgegen,
wie auch Kebes eben sagte, jene Rede der großen
Menge, ob nicht, indem der Mensch stirbt, die
Seele zerstiebt und auch für sie dieses das Ende des
Seins ist. Denn was hindert doch, daß sie zwar anderwärtsher werde und bestehe und sei, auch ehe
sie in menschlichen Leib gelangt, daß aber doch,
nachdem sie in diesen gelangt ist, wenn sie von
ihm getrennt wird, alsdann auch sie selbst endet
und untergeht?
Wohlgesprochen, o Simmias, sagte Kebes. Denn
es scheint gleichsam die eine Hälfte von dem bewiesen zu sein, was wir brauchen, daß nämlich, ehe
wir geboren wurden, unsere Seele war; aber man
muß noch dazu beweisen, daß auch, wenn wir tot
sind, sie um nichts weniger sein wird als vor unserer Geburt, wenn der Beweis seine Vollendung
bekommen soll.
Es ist doch, o Simmias und Kebes, sprach Sokrates, auch jetzt schon bewiesen, wenn ihr diesen
Satz zusammenbringen wollt mit jenem, den wir
vorher zugestanden hatten, daß nämlich alles Lebende aus dem Gestorbenen entsteht. Denn wenn
die Seele auch vorher schon ist, und wenn sie notwendig, indem sie ins Leben geht und geboren
wird, nirgend andersher kommen kann als aus dem
Tode und dem Gestorbensein, - wie sollte sie denn
nicht notwendig, auch nachdem sie gestorben ist,
sein, wenn sie doch wiederum geboren werden soll;
Bewiesen also ist dies, wie ich sagte, auch jetzt
schon. Dennoch scheint ihr, du und Simmias, gern
auch diesen Satz noch weiter durcharbeiten zu wollen und euch zu fürchten wie die Kinder, daß nicht
gar buchstäblich der Wind sie, wenn sie aus dem
Leibe herausfährt, auseinanderwehe und zerstäube,
zumal wenn einer nicht etwa bei Windstille, sondern in recht tüchtigem Sturmwinde stirbt.
Da sagte Kebes lächelnd: So tue denn so, als
fürchteten wir uns, und versuche, uns zu überreden!
Lieber jedoch nicht, als ob wir selbst uns fürchteten, sondern vielleicht ist auch in uns ein Kind,
welches dergleichen fürchtet. Dieses also wollen
wir versuchen zu überzeugen, daß es den Tod nicht
fürchten müsse wie ein Gespenst.
Dieses müßt ihr, sprach Sokrates, täglich besprechen, bis ihr es herausbannt.
Woher aber, o Sokrates, sprach er, sollen wir
einen tüchtigen Besprecher zu solchen Dingen nehmen, nun du doch von uns scheidest?
Hellas ist noch groß, o Kebes, sagte er, und
treffliche Männer sind darin, und groß sind auch
die Geschlechter der Barbaren, die ihr alle durchsuchen müßt, um einen solchen Besprecher zu finden,
ohne weder Geld zu scheuen noch Mühe. Denn es
gibt wohl nichts, worauf ihr das Geld besser wenden könntet. Aber auch untereinander müßt ihr
euch bemühen, denn ihr möchtet auch wohl nicht
leicht wen finden, der dies besser als ihr zu tun vermöchte.
Das soll gewiß geschehen, sprach Kebes; von
wo wir aber abgegangen sind, dahin laß uns zurückkehren, wenn es dir recht ist!
Mir gar sehr recht; wie sollte es nicht?
Wohlgesprochen, sagte er.
Also ungefähr so, sprach Sokrates, müssen wir
uns selbst fragen: Welcherlei Dingen kommt es
wohl zu, dies zu erfahren, das Zerstieben, und für
welche muß man also fürchten, daß ihnen dieses
begegne, welchen aber kommt es nicht zu? Dann
müssen wir untersuchen, zu welchen von beiden
die Seele gehört, und hieraus und demgemäß entweder Mut fassen oder besorgt sein für unsere
Seelen?
Ganz richtig, sagte er.
Und nicht wahr, dem, was man zusammengesetzt hat und was seiner Natur nach
zusammengesetzt ist, kommt wohl zu, auf dieselbe Weise aufgelöst zu werden, wie es zusammengesetzt worden
ist; wenn es aber etwas Unzusammengesetztes gibt,
diesem, wenn sonst irgend einem, kommt wohl zu,
daß ihm dieses nicht begegne?
Das scheint mir sich so zu verhalten, sprach
Kebes.
Und nicht wahr, was sich immer gleich verhält
und auf einerlei Weise, davon ist wohl am wahrscheinlichsten, daß es das Unzusammengesetzte
sei; was aber bald so, bald anders und nimmer auf
gleiche Weise, dieses das Zusammengesetzte?
Mir wenigstens scheint es so.
So gehen wir denn, sprach er, zu dem, wovon
wir auch vorher sprachen! Jenes Wesen selbst, welchem wir das eigentliche Sein zuschreiben in
unsern Fragen und Antworten, verhält sich dies wohl
immer auf gleiche Weise, oder bald so, bald anders? Das Gleiche selbst, das Schöne selbst, und so
jegliches, was nur ist, selbst, nimmt das wohl
jemals auch nur irgend eine Veränderung an? Oder
verhält sich nicht jedes dergleichen als ein einartiges Sein an und für sich immer auf gleiche Weise
und nimmt niemals auf keine Weise irgendwie eine
Veränderung an?
Auf gleiche Weise, sprach Kebes, und einerlei
verhält es sich notwendig, o Sokrates.
Wie aber das viele Schöne, wie Menschen, Pferde, Kleider oder sonst irgend etwas dergleichen
Schönes oder Gleiches oder sonst einem von jenem
Gleichnamiges, - verhalten sich auch diese immer
gleich, oder ganz jenem entgegengesetzt, weder mit
sich selbst jedes noch untereinander jemals, um es
kurz zu sagen, auch nur im mindesten gleich?
Wiederum so, sprach Kebes, scheint mir dieses
niemals einerlei sich zu verhalten.
Und diese Dinge, sprach er, kannst du doch anrühren, sehen und mit den andern Sinnen
wahrnehmen; aber zu jenen sich Gleichseienden kannst du
doch wohl auf keine Weise irgend anders gelangen,
als durch das Denken der Seele selbst; sondern unsichtbar sind diese Dinge und werden nicht
gesehen?
Auf alle Weise, sagte er, hast du recht.
Sollen wir also, sprach er, zwei Arten der Dinge
setzen: sichtbar die eine und die andere unsichtbar?
Das wollen wir, sprach er.
Und die unsichtbare als immer auf gleiche Weise
sich verhaltend, die sichtbare aber niemals gleich?
Auch das, sagte er, wollen wir setzen.
Wohlan denn, sprach er, ist nicht von uns selbst
das eine Leib und das andere Seele?
Allerdings.
Welcher von jenen beiden Arten nun wollen wir
wohl sagen, daß der Leib ähnlicher sei und verwandter?
Das muß ja jedem deutlich sein: dem Sichtbaren.
Wie aber die Seele, ist die unsichtbar oder sichtbar?
Menschen wenigstens ist sie es nicht, o Sokrates,
sagte er.
Aber wir sprachen doch von dem Sichtbaren und
Unsichtbaren für die Natur der Menschen, oder
meinst du für irgend eine andere?
Für die menschliche.
Was sagen wir also von der Seele, daß sie sichtbar sei oder nicht sichtbar?
Nicht sichtbar.
Also unsichtbar?
Ja.
Ähnlicher also als der Leib ist die Seele dem
Unsichtbaren, er aber dem Sichtbaren.
Ganz notwendig, o Sokrates.
Und nicht wahr, auch das haben wir schon lange
gesagt, daß die Seele, wenn sie sich des Leibes bedient, um etwas zu betrachten, es sei durch das
Gesicht oder das Gehör oder irgend einen andern
Sinn - denn das heißt vermittelst des Leibes, wenn
man vermittelst eines Sinnes etwas betrachtet -,
dann von dem Leibe gezogen wird zu dem, was
sich niemals auf gleiche Weise verhält, und daß sie
dann selbst schwankt und irrt und wie trunken taumelt, weil sie ja eben solches berührt?
Das haben wir gesagt.
Wenn sie aber durch sich selbst betrachtet, dann
geht sie zu dem reinen, immer seienden Unsterblichen und sich stets Gleichen, und als diesem
verwandt hält sie sich stets zu ihm, wenn sie für sich
selbst ist und es ihr vergönnt wird, und dann hat sie
Ruhe von ihrem Irren und ist auch in Beziehung
auf jenes immer sich selbst gleich, weil sie eben
solches berührt, und diesen ihren Zustand nennt
man eben die Vernünftigkeit?
Auf alle Weise, o Sokrates, sagte er, ist dies
schön und wahr gesagt.
Welcher von beiden Arten also dünkt dich die
Seele nach dem Vorherigen und dem Jetzt gesagten
ähnlicher und verwandter zu sein?
Jeder, sagte er, dünkt mich, o Sokrates, müßte
nach dieser Darstellungsweise zugeben, auch der
Ungelehrigste, daß doch in allem und jedem die
Seele dem sich immer Gleichbleibenden ähnlicher
ist als dem, was nicht so ist.
Und wie der Leib?
Dem anderen.
Betrachte es auch von dieser Seite, daß, solange
Leib und Seele zusammen sind, die Natur ihm gebietet, zu dienen und sich beherrschen zu lassen,
ihr aber, zu herrschen und zu regieren: auch hiernach nun, welches von beiden dünkt dich dem
Göttlichen ähnlich zu sein und welches dem Sterblichen? Oder dünkt dich nicht das Göttliche so
geartet zu sein, daß es herrscht und regiert, das Sterbliche aber, daß es sich beherrschen läßt und dient?
Das dünkt mich.
Welchem gleicht nun die Seele?
Offenbar, o Sokrates, die Seele dem Göttlichen
und der Leib dem Sterblichen.
Sieh nun zu, sprach er, o Kebes, ob aus allem
Gesagten uns dieses hervorgeht, daß dem Göttlichen, Unsterblichen, Vernünftigen, Eingestaltigen,
Unauflöslichen und immer einerlei und sich selbst
gleich sich Verhaltenden am ähnlichsten ist die
Seele, dem Menschlichen und Sterblichen und Unvernünftigen und Vielgestaltigen und Auflöslichen
und nie einerlei und sich selbst Gleichbleibenden
wiederum der Leib am ähnlichsten ist? Oder wissen
wir hiergegen noch etwas anderes zu sagen, lieber
Kebes, daß es sich nicht so verhalte?
Wir wissen nichts dergleichen.
Wie nun? Wenn sich dieses so verhält, kommt
nicht dem Leibe wohl zu, leicht aufgelöst zu werden, der Seele hingegen, ganz und gar unauflöslich
zu sein oder wenigstens beinahe so?
Wie sollte es nicht?
Und du bemerkst doch, sprach er, daß, wenn der
Mensch stirbt, auch seinem Sichtbaren, dem Leibe,
der noch im Sichtbaren daliegt, den wir Leichnam
nennen, und dem es zukommt, aufgelöst zu werden
und zu zerfallen und verweht zu werden, nicht
gleich etwas hiervon widerfährt, sondern daß er
noch eine ganz geraume Zeit so bleibt, und wenn
einer bei günstiger Leibesbeschaffenheit stirbt und
zu eben solcher Zeit, dann gar lange. Und wenn der
Leib zusammengefallen ist und getrocknet, wie sie
in Ägypten aufgetrocknet werden, so hält er sich
fast undenkliche Zeit. Ja, einige Teile des Leibes,
wie Knochen, Sehnen und alle dergleichen, sind,
wenn er auch schon verfault ist, sozusagen doch
fast unsterblich. Oder nicht?
Ja.
Und die Seele also, das Unsichtbare und sich an
einen andern eben solchen Ort Begehende, der edel
und rein und unsichtbar ist, nämlich in die wahre
Geisterwelt zu dem guten und weisen Gott, wohin,
wenn Gott will, alsbald auch meine Seele zu gehen
hat, - diese, die so beschaffen und geartet ist, sollte, wenn sie von dem Leibe getrennt ist, sogleich
verweht und untergegangen sein, wie die meisten
Menschen sagen? Daran fehlt wohl viel, ihr lieben
Kebes und Simmias! Sondern vielmehr verhält es
sich so, wenn sie sich rein losmacht und nichts von
dem Leibe mit sich zieht, weil sie mit gutem Willen nichts mit ihm gemein hatte im Leben, sondern
ihn floh und in sich selbst gesammelt blieb und
dies immer im Sinn hatte, was nichts anders heißen
will, als daß sie recht philosophierte und darauf
dachte, leicht zu sterben; oder hieß dies nicht auf
den Tod bedacht sein?
Allerdings ja.
Also welche sich so verhält, die geht zu dem ihr
Ähnlichen, dem Unsichtbaren, und zu dem Göttlichen, Unsterblichen, Vernünftigen, wohin gelangt
ihr dann zuteil wird glückselig zu sein, von Irrtum
und Unwissenheit, Furcht und wilder Liebe und
allen andern menschlichen Übeln befreit, indem
sie, wie es bei den Eingeweihten heißt, wahrhaft
die übrige Zeit mit Göttern lebt. Wollen wir so
sagen, o Kebes, oder anders?
So, beim Zeus, sprach Kebes.
Wenn sie aber, meine ich, befleckt und unrein
von dem Leibe scheidet, weil sie eben immer mit
dem Leibe verkehrt und ihn gepflegt und geliebt
hat und von ihm bezaubert gewesen ist und von
den Lüsten und Begierden, so daß sie auch glaubte,
es sei überhaupt gar nichts anderes wahr als das
Körperliche, was man betastet und sieht, ißt und
trinkt und zur Liebe gebraucht, und weil sie das für
die Augen Dunkle und Unsichtbare, der Vernunft
hingegen Faßliche und mit Wahrheitsliebe zu Ergreifende gewohnt gewesen ist zu hassen und zu
scheuen und zu fürchten, - meinst du, daß eine so
beschaffene Seele sich werde rein für sich absondern können?
Wohl nicht im mindesten, sprach er.
Sondern durchzogen von dem Körperlichen,
womit sie durch den Umgang und Verkehr mit dem
Leibe, wegen des ununterbrochenen Zusammenseins und der vielen Sorge um ihn, gleichsam
zusammengewachsen ist?
Freilich.
Und dies, o Freund, muß man doch glauben, sei
unbeholfen und schwerfällig, irdisch und sichtbar,
so daß auch die Seele, die es an sich hat, schwerfällig ist und wieder zurückgezogen wird in die
sichtbare Gegend aus Furcht vor dem Unsichtbaren und
der Geisterwelt, wie man sagt, an den Denkmälern
und Gräbern umherschleichend, an denen, daher
auch allerlei dunkle Erscheinungen von Seelen
gesehen worden sind, wie denn solche Seelen wohl
Schattenbilder darstellen müssen, welche nicht rein
abgelöst sind, sondern noch teil haben an dem
Sichtbaren, weshalb sie denn auch gesehen werden.
Das leuchtet wohl ein, o Sokrates.
Und freilich leuchtet auch ein, o Kebes, daß dies
nicht die Seelen der Guten sind, sondern die der
Schlechten, welche um dergleichen gezwungen sind
herumzuirren, Strafe leidend für ihre frühere Lebensweise, welche schlecht war. Und so lange irren
sie, bis sie durch die Begierde des sie noch begleitenden Körperlichen wieder gebunden werden in
einen Leib. Und natürlich werden sie in einen von
solchen Sitten gebunden, deren sie sich befleißigt
hatten im Leben.
Was meinst du für welche, o Sokrates?
Z.B. die sich ohne alle Scheu der Völlerei und
des Übermuts und Trunkes befleißigten, solche begeben sich wohl natürlich in Esel und ähnliche
Arten von Tieren. Oder meinst du nicht?
Das ist ganz wahrscheinlich.
Die aber Ungerechtigkeit, Herrschsucht und
Raub vorzogen, diese dagegen in die verschiedenen
Geschlechter der Wölfe, Habichte und Geier? Oder
wohin anders sollen wir sagen, daß solche gehen?
Ohne weiteres, sprach Kebes, in dergleichen.
Und gewiß so doch auch mit den übrigen, daß
jegliche der Ähnlichkeit mit ihren Bestrebungen
nachgeht?
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