Auf alle Weise.
So betrachte denn auch noch dieses, ob du auch
darüber mit mir einig sein wirst: Du nennst doch
etwas warm und kalt?
Das tue ich.
Etwa dasselbe, was auch Schnee und Feuer?
Nein, beim Zeus, ich nicht.
Sondern etwas anderes als das Feuer ist das
Warme, und etwas anderes als der Schnee das
Kalte?
Ja.
Aber das, denke ich, glaubst du doch, daß niemals der Schnee als Schnee das Warme aufnehmen
und, wie wir im vorigen sagten, noch sein wird,
was er war, Schnee und zugleich warm; sondern
wenn das Warme sich nähert, wird er ihm entweder
aus dem Wege gehn oder verschwinden.
Freilich.
Und so das Feuer wiederum, wenn ihm das Kalte
naht, wird entweder darunter weggehn oder verschwinden, nie aber das Herz haben, die Kälte
aufzunehmen und noch sein zu wollen, was es war,
Feuer und kalt.
Wohlgesprochen, sagte er.
Diese Bewandtnis also, fuhr er fort, hat es mit
einigen Dingen, daß nicht nur der Begriff selbst
sich seinen Namen aneignen will für alle Zeit, sondern auch noch etwas anderes, welches zwar nicht
er selbst ist, aber doch immer seine Gestalt an sich
trägt, solange es ist. Vielleicht wird hieran noch
deutlicher werden, was ich meine: Das Ungerade
muß doch immer diesen Namen bekommen, den
wir jetzt genannt haben; oder nicht!
Allerdings.
Aber dieses allein, denn danach frage ich, oder
auch noch etwas anderes, welches zwar nicht das
Ungerade selbst ist, aber was man doch immer
auch mit dem Namen desselben nennen muß weil
es so geartet ist, daß es das Ungerade nie kann fahren lassen! Ich meine damit das, was auch der
Dreiheit begegnet und noch vielem anderen. Denn überlege dir nur wegen der Drei: glaubst du nicht, daß
sie immer muß sowohl mit ihrem Namen genannt
werden als auch mit dem des Ungeraden, obgleich
dieses nicht dasselbe ist wie die Dreiheit? Aber
dennoch ist dies die natürliche Beschaffenheit der
Drei und der Fünf und überhaupt der einen ganzen
Hälfte der Zahlen, daß, obgleich sie nicht dasselbe
ist wie das Ungerade, doch jede von ihnen ungerade ist. Und wiederum die Zwei und die Vier und
die andere Reihe der Zahlen ist nicht dasselbe wie
das Gerade, aber doch ist jede von ihnen immer gerade. Gibst du das zu oder nicht?
Wie sollte ich nicht? sprach er.
So siehe nun zu, was ich eigentlich deutlich machen will: Es ist nämlich dieses, daß nicht nur jenes
Entgegengesetzte selbst sich einander nicht annimmt; sondern auch alles das, was einander
eigentlich nicht entgegengesetzt ist, doch aber das
Entgegengesetzte immer in sich hat, auch dieses
scheint jene Idee nicht annehmen zu wollen, die der
in ihm wohnenden entgegengesetzt ist, sondern,
wenn sie kommt, entweder unterzugehn oder sich
davonzumachen. Oder wollen wir nicht sagen, die
Drei werde eher untergehen und sich alles andere
gefallen lassen, als aushalten, Drei zu sein, und zugleich gerade zu werden?
Allerdings, sagte Kebes.
Nun ist doch die Zwei der Drei nicht entgegengesetzt.
Freilich nicht.
Also nicht nur die entgegengesetzten Begriffe
lassen einander nicht zu, sondern auch noch einiges
andere läßt das Entgegengesetzte nicht an sich
kommen.
Vollkommen richtig, sprach er, redest du.
Sollen wir nun, fuhr jener fort, wenn wir es können, bestimmen, welcherlei diese sind?
Allerdings.
Werden es nun nicht diejenigen sein, o Kebes,
welche dasjenige, wovon sie Besitz nehmen, nicht
nur nötigen, ihre eigene Idee immer festzuhalten,
sondern auch immer die eines gewissen Entgegengesetzten?
Wie meinst du das?
Wie wir eben sagten. Denn du weißt doch: alles,
wovon die Idee der Dreiheit Besitz nimmt, ist notwendig nicht nur Drei, sondern auch ungerade?
Freilich.
Zu einem solchen nun, sagen wir, kann die Idee,
welche der Form entgegengesetzt ist, die dies bewirkt, niemals kommen?
Freilich nicht.
Bewirkt hat dies aber die Form des Ungeraden?
Ja.
Und entgegengesetzt dieser ist die des Geraden?
Ja.
Also kann zu der Drei niemals die Form des
Geraden kommen.
Offenbar nicht.
Ohne allen Anteil an dem Geraden ist also die
Drei?
Ohne Anteil.
Also ist die Drei ungerade?
Ja.
Was ich also bestimmen wollte, welche Dinge
nämlich, ohne einem gewissen anderen entgegengesetzt zu sein, doch dessen Gegenteil nicht
annehmen, - wie jetzt die Drei dem Geraden nicht entgegengesetzt ist, es aber trotzdem doch nicht
aufnimmt; denn immer bringt sein Gegenteil mit sowohl die Zwei dem Ungeraden als das Feuer dem
Kalten, und vieles andere; - siehe nun zu, ob du
dieses wohl so bestimmst, daß nicht nur ein Entgegengesetztes das andere nicht aufnimmt, sondern
auch, wenn etwas allem, woran es sich macht, den
einen Gegensatz zubringt, so kann eben dieses Zubringende den Gegensatz des Zugebrachten niemals
annehmen. Rufe es dir nur noch einmal zurück:
denn es ist nicht übel, es oft zu hören. Die Fünf
wird nie die Form des Geraden annehmen, noch die
Zehn die des Ungeraden als das Zwiefache. Auch
dieses selbst ist einem andern entgegengesetzt, aber
dennoch nimmt es die Form des Ungeraden nicht
an. Ebensowenig das Anderthalbe und alles
dergleichen als Halbes die des Ganzen, oder das
Dritteil und alles dergleichen, wenn du folgst und
beistimmst.
Gar sehr, sprach er, stimme ich bei und folge
auch.
So sage mir denn, sprach er, noch einmal von
Anfang an und antworte mir, nicht das gerade, was
ich frage, sondern mich nachahmend ein anderes!
Ich sage das nämlich, weil ich außer jener vorher
gegebenen sicheren Antwort vermittelst des jetzt
Gesagten noch eine andere Sicherheit absehe. Denn
wenn du mich fragtest, was doch in dem Leibe einwohnt, wenn dieser warm ist, so würde ich dir
nicht jene einfältige sichere Antwort geben, daß
Wärme in ihm sei, sondern eine feinere vermöge
des jetzt Gesagten, nämlich daß Feuer in ihm sei.
Noch auch, wenn du fragtest, was doch dem Leibe
einwohnt, wenn dieser krank ist, werde ich sprechen, daß Krankheit in ihm sei, sondern daß Fieber
in ihm sei. Noch auch, wenn du fragtest, was doch
einer Zahl einwohnt, wenn sie ungerade ist, werde
ich antworten, daß Ungeradigkeit in ihr ist, sondern
Einheit, und so überall. Siehe nun zu, ob du schon
zur Genüge verstehst, was ich will!
Vollkommen zur Genüge, sagte er!
Antworte also, sprach er: Wenn was doch dem
Leibe einwohnt, wird er lebend sein?
Wenn Seele, antwortete er.
Und verhält sich dies auch immer so?
Wie sollte es nicht? sagte er.
Die Seele also, wessen sie sich bemächtigt, zu
dem kommt sie und bringt immer Leben mit?
Das tut sie freilich.
Ist nun wohl etwas dem Leben entgegengesetzt
oder nichts?
Ja.
Und was?
Der Tod.
Also wird wohl die Seele das Gegenteil dessen,
was sie immer mitbringt, nie annehmen, wie wir
aus dem vorigen festgesetzt haben?
Ganz gewiß.
Wie nun? Was die Idee des Geraden nie aufnimmt, wie nannten wir das eben?
Ungerade.
Und was das Gerechte nie annimmt und das
Künstlerische nie annimmt?
Unkünstlerisch, sprach er, und jenes ungerecht.
Gut. Und was den Tod nie annimmt, wie nennen
wir das?
Unsterblich, sagte er.
Und die Seele nimmt doch den Tod nie an?
Nein.
Unsterblich also ist die Seele?
Unsterblich.
Gut, sprach er. Wollen wir also sagen, dies sei
erwiesen, oder wie dünkt dich?
Und zwar ganz vollständig, o Sokrates?
Wie nun, sprach er, o Kebes? Wenn das Ungerade notwendig unvergänglich wäre, würde dann die
Drei nicht auch unvergänglich sein?
Wie sollte sie nicht?
Und nicht wahr, wenn auch das Unwarme notwendig unvergänglich wäre, so müßte, wenn
jemand an den Schnee Wärme brächte, der Schnee
sich davonmachen, aber wohlbehalten und ungeschmolzen? Denn vergehen könnte er ja nicht, aber
auch nicht bleiben und die Wärme aufnehmen.
Richtig, sagte er.
Und ebenso, denke ich, wenn das Unkalte unvergänglich wäre und jemand an das Feuer Kaltes
brächte, so würde es nicht verlöschen und auch
nicht vergehen, sondern nur wohlbehalten sich entfernen.
Notwendig.
Muß man nun nicht ebenso auch von dem Unsterblichen sagen, daß, wenn das Unsterbliche auch
unvergänglich ist, die Seele unmöglich, wenn der
Tod an sie kommt, untergehen kann? Denn den
Tod, vermöge des Vorhergesagten, kann sie nicht
annehmen und gestorben sein, wie die Drei niemals
gerade sein kann, ebensowenig als das Ungerade
selbst, noch auch das Feuer kalt, ebensowenig als
die Wärme in dem Feuer. »Aber was hindert«,
könnte jemand sagen, »daß das Ungerade zwar niemals gerade wird, wenn das Gerade ihm ankommt,
wie auch eingestanden ist, aber wohl, daß es umkommt und statt seiner uns ein Gerades entsteht?«
Wer nun das sagte, dem könnten wir nicht abstreiten, daß es nicht umkomme; denn das Ungerade ist
nicht unvergänglich. Wenn aber dies erst eingestanden wäre, dann könnten wir leicht
durchfechten, daß, wenn das Gerade kommt, das Ungerade
und die Drei nur davongehn, und vom Feuer und
dem Warmen und allem andern würden wir es
ebenso durchfechten. Oder nicht?
Gewiß.
Nicht so auch jetzt von dem Unsterblichen?
Wenn uns nur erst eingestanden wäre, daß es zugleich auch unvergänglich ist, wäre uns die Seele
außerdem, daß sie unsterblich ist, auch unvergänglich; wo aber nicht, so müßte man es anders
anfangen.
Dessen bedarf es nun wohl nicht, sprach er, was
dies betrifft. Denn gute Wege hätte es, daß irgend
etwas sich dem Untergang entziehen könnte, wenn
auch das Unsterbliche und immer Seiende den Untergang annähme.
Wenigstens daß Gott, sprach Sokrates, und die
Idee des Lebens selbst, wenn überhaupt etwas unsterblich ist, niemals untergehe, wird wohl von
jedem eingestanden werden.
Beim Zeus, sagte er, von jedem Menschen ja
schon, und noch mehr, denke ich, von den Göttern.
Wenn also das Unsterbliche auch unvergänglich
ist, wäre dann nicht die Seele, wenn sie doch unsterblich ist, zugleich auch unvergänglich?
Ganz notwendig.
Tritt also der Tod den Menschen an, so stirbt,
wie es scheint, das Sterbliche an ihm, das Unsterbliche aber und Unvergängliche zieht wohlbehalten
ab, dem Tode aus dem Wege.
Das leuchtet ein.
Ganz sicher also, o Kebes, ist die Seele unsterblich und unvergänglich, und in Wahrheit werden
unsere Seelen in der Unterwelt sein.
Ich wenigstens, o Sokrates, sagte er, vermag
weder etwas anderes hiergegen vorzubringen noch
deinen Reden den Glauben zu versagen; weiß aber
unser Simmias oder sonst ein anderer etwas, so
wird es wohlgetan sein, es nicht zu verschweigen.
Denn ich wüßte nicht, auf welche andere Gelegenheit als die jetzt noch vorhandene es jemand
verschieben könnte, der etwas über diese Gegenstände
sagen oder hören will.
Allerdings, sagte Simmias, weiß auch ich nicht,
wie ich nicht beistimmen soll, dem Gesagten zufolge; jedoch wegen der Größe der Gegenstände,
worauf die Reden sich beziehen, und wie ich auf die
menschliche Schwachheit wenig halte, bin ich gedrungen, bei mir selbst noch einen Unglauben zu
behalten über das Gesagte.
Nicht nur das, o Simmias, sagte Sokrates, sondern wie du hierin ganz recht gesprochen hast,
müßt ihr auch in alle Wege unsere ersten Voraussetzungen, wenn sie euch auch zuverlässig sind,
doch noch genauer in Erwägung ziehen; und wenn
ihr sie euch befriedigend auseinandergesetzt habt,
dann, denke ich, werdet ihr auch der Rede folgen,
soweit nur irgend ein Mensch sie verfolgen kann.
Und wenn eben dieses gewiß geworden ist, dann
werdet ihr nichts weiter suchen.
Vollkommen richtig.
Und so ist denn dieses, ihr Männer, wohl wert,
bemerkt zu werden, daß, wenn die Seele unsterblich ist, sie auch der Sorgfalt bedarf, nicht für diese
Zeit allein, welche wir das Leben nennen, sondern
für die ganze Zeit, und das Wagnis zeigt sich nun
eben erst recht furchtbar, wenn jemand sie vernachlässigen wollte. Denn wenn der Tod eine
Erledigung von allem wäre, so wäre es ein Glücksfund
für die Schlechten, wenn sie sterben, ihren Leib
loszuwerden, aber auch ihre Schlechtigkeit mit der
Seele zugleich. Nun aber diese sich als unsterblich
zeigt, kann es ja für sie keine Sicherheit vor dem
Übel geben und kein Heil als nur, wenn sie so gut
und vernünftig geworden ist als möglich. Denn
nichts anderes kann sie doch mit sich haben, wenn
sie in die Unterwelt kommt, als nur ihre Bildung
und Nahrung, die ihr ja auch, wie man sagt, gleich
so, wie sie gestorben ist, den größten Nutzen oder
Schaden bringt, gleich am Anfang der Wanderung
dorthin. Denn man sagt ja, daß jeden Gestorbenen
sein Dämon, der ihn schon lebend zu besorgen
hatte, auch dann an einen Ort zu führen sucht, von
wo aus mehrere zusammen, nachdem sie gerichtet
sind, in die Unterwelt gehen mit jenem Führer, dem
es aufgetragen ist, die von hier dorthin zu führen.
Nachdem ihnen dann dort geworden, was ihnen gebührt, und sie die gehörige Zeit dageblieben, bringt
ein anderer Führer sie wieder von dort hierher zurück nach vielen und großen Zeitabschnitten. Und
diese Reise ist wohl nicht so, wie der Telephos des
Aischylos sie beschreibt. Denn jener sagt, es fahre
nur ein einfacher Fußsteig in die Unterwelt; ich
aber glaube, daß es weder einer ist noch ein einfacher. Sonst würde es ja keines Führers bedürfen,
denn nirgendshin kann man ja fehlgehen, wo nur
ein Weg geht. Nun aber mag er sich wohl oftmals
teilen und winden. Dies schließe ich aus dem, was
bei uns als heilige Feier eingeführt und gebräuchlich ist. Die sittige und vernünftige Seele nun folgt
und verkennt nicht, was ihr widerfährt; die aber begehrlich an dem Leibe sich hält, wie ich auch
vorher sagte, drängt sich lange Zeit immer um ihn
herum und in dem sichtbaren Ort umher, und nach
vielem Sträuben und vielen Versuchen wird sie
endlich mit Mühe und gewaltsam von dem beauftragten Dämon abgeführt. Kommt sie nun dahin,
wo auch die andern sich befinden, so wird die unreine und die etwas dergleichen verübt hat, habe sie
sich nun mit ungerechtem Morde befaßt oder anderes dergleichen begangen, was dem verschwistert
und verschwisterter Seelen Werk ist, jeder meiden
und ihr ausweichen und weder ihr Reisegefährte
noch ihr Führer werden wollen; sie aber irrt in
gänzlicher Unsicherheit befangen, bis gewisse Zeiten um sind, nach deren Verlauf die Notwendigkeit
sie in die ihr angemessene Wohnung bringt. Die
aber rein und mäßig ihr Leben verbracht und Götter zu Reisegefährten und Führern bekommen hat,
bewohnt jede den ihr gebührenden Ort. Es hat aber
die Erde viele und wunderbare Orte und ist weder
an Größe noch Beschaffenheit so, wie von denen,
die über die Erde zu reden pflegen, geglaubt wird,
nach dem, was mir einer glaublich gemacht hat.
Darauf sagte Simmias: Wie meinst du das, o Sokrates? Denn über die Erde habe ich auch schon
vielerlei gehört, wohl aber nicht das, was dich befriedigt; darum möchte ich es gern hören.
Das ist ja
wohl keine große Kunst, o Simmias, sagte er, zu
erzählen, was ist; aber freilich, daß es so wahr ist,
das möchte wieder schwerer sein als schwer; und
teils möchte ich es vielleicht nicht können, teils
auch, wenn ich es verstände, möchte doch mein
Leben wenigstens, o Simmias, für die Größe der
Sache nicht mehr hinreichen. Doch die Gestalt der
Erde, wie ich belehrt bin, daß sie sei, und ihre verschiedenen Orte zu beschreiben hindert mich
nichts.
Auch das, sprach Simmias, soll uns genug sein.
Zuerst also bin ich belehrt worden, daß, wenn
sie rund inmitten des Himmels steht, sie weder Luft
brauche, um nicht zu fallen, noch irgend einen andern solchen Grund; sondern, um sie zu halten, sei
hinreichend die durchgängige Einerleiheit des Himmels und das Gleichgewicht der Erde selbst. Denn
ein im Gleichgewicht befindliches Ding, in die
Mitte eines anderen solchen gesetzt, wird keinen
Grund haben, sich irgendwohin mehr oder weniger
zu neigen, und daher wird es in der gleichen Lage
ohne Neigung bleiben. Dieses, sagte er, habe ich
zuerst angenommen.
Und sehr mit Recht, sprach Simmias.
Dann auch, daß sie sehr groß sei, und daß wir,
die vom Phasis bis an die Säulen des Herakles reichen, nur an einem sehr kleinen Teile, wie Ameisen
oder Frösche um einen Sumpf, um das Meer herum
wohnen, viele andere aber anderwärts an vielen solchen Orten. Denn es gebe überall um die Erde her
viele Höhlungen und mannigfaltige von Gestalt
und Größe, in welchen Wasser und Nebel und Luft
zusammengeflossen sind; die Erde selbst aber liege
rein in dem reinen Himmel, an welchem auch die
Sterne sind, und den die meisten, welche über dergleichen zu reden pflegen, Äther nennen, dessen
Bodensatz nun eben dieses ist, und es fließt immer
in den Höhlungen der Erde zusammen. Wir nun
merkten es nicht, daß wir nur in diesen Höhlungen
der Erde wohnten, und glaubten, oben auf der Erde
zu wohnen, wie wenn ein mitten im Grunde der See
Wohnender glaubte, oben an dem Meere zu wohnen, und weil er durch das Wasser die Sonne und
die andern Sterne sähe, das Meer für den Himmel
hielte, aus Trägheit aber und Schwachheit niemals
bis an den Saum des Meeres gekommen wäre noch
über das Meer aufgetaucht und hervorgekrochen,
um diesen Ort zu schauen, wieviel reiner und schöner er ist als der bei ihm, noch auch von einem
andern, der ihn gesehen, dies gehört hätte: gerade so
erginge es auch uns. Denn wir wohnten in irgend
einer Höhlung der Erde und glaubten, oben darauf
zu wohnen, und nennten die Luft Himmel, als ob
diese der Himmel wäre, durch welchen die Sterne
wandeln. Damit aber sei es gerade so, daß wir aus
Trägheit und Schwachheit nicht vermöchten hervorzukommen bis an den äußersten Saum der Luft.
Denn wenn jemand zur Grenze der Luft gelangte
oder Flügel bekäme und hinaufflöge, so würde er
dann hervortauchen und sehen, wie hier die Fische,
wenn sie einmal aus dem Meer heraustauchen,
sehen, was hier ist, - so würde dann ein solcher
auch das Dortige sehen und, wenn seine Natur die
Betrachtung auszuhalten vermöchte, dann erkennen, daß jenes der wahre Himmel ist und das wahre
Licht und die wahre Erde. Denn die Erde hier bei
uns und die Steine und der ganze Ort hier ist zerfressen und verwittert, wie das, was im Meere liegt,
vom Salz angefressen ist: denn nichts der Rede
Wertes wächst im Meere, noch gibt es irgend etwas
Vollkommenes darin, sondern nur Klüfte und Sand
und unendlichen Kot und Schlamm, wo es noch
Erde gibt, und nichts, was irgend mit unsern
Schönheiten könnte verglichen werden; jenes aber
würde wiederum noch weit vorzüglicher sich zeigen vor dem Unsrigen. Und darf man wohl eine
schöne Erzählung vorbringen, Simmias, so lohnt es
wohl, zu hören, wie das auf der Erde unter dem
Himmel Befindliche beschaffen ist.
Gewiß, sprach Simmias, werden wir diese Erzählung gern hören, o Sokrates.
Man sagt also zuerst, o Freund, diese Erde sei so
anzusehen, wenn sie jemand von oben herab betrachtete, wie die zwölfteiligen ledernen Bälle, in
so bunte Farben geteilt, von denen unsere Farben
hier gleichsam Proben sind, alle die, deren sich die
Maler bedienen. Dort aber bestehe die ganze Erde
aus solchen und noch weit glänzenderen und reineren als diese. Denn ein Teil sei purpurrot und
wunderbar schön, ein anderer goldfarbig, ein anderer
weiß, aber viel weißer als Alabaster oder Schnee,
und ebenso aus jeder anderen Farbe bestehe einer
und aus noch mehreren und schöneren, als wir je
gesehen haben. Denn selbst diese Höhlungen der
Erde, welche mit Wasser und Luft angefüllt sind,
bilden eine eigene Art von Farbe, welche in der
Vermischung aller anderen Farben glänzt, so daß
sie ganz und gar als ein ununterbrochenes Bunt erscheint. Auf dieser so beschaffenen nun wachsen
verhältnismäßig eben solche Gewächse: Bäume,
Blumen und Früchte. Ebenso haben auch die Gebirge und die Steine nach demselben Verhältnis
ihre Vollendung und Durchsichtigkeit und schönere
Farben, von denen aber auch unsere so sehr
gesuchten Steinchen hier Teile sind, die Karneole
und Jaspisse und Smaragden und alle dergleichen;
dort aber sei nichts, was nicht so wäre und noch
schöner als diese. Die Ursache hiervon aber sei,
daß jene Steine rein sind und nicht angefressen
noch verwittert wie die hiesigen von Fäulnis und
Schärfe alles dessen, was hier zusammenfließt und
Steinen und Erden und allen Gewächsen und Tieren
Entstellungen und Krankheiten verursacht. Die
Erde also sei mit alle diesem geschmückt und außerdem noch mit Gold und Silber und dem übrigen
der Art, welches glänzend dort zu finden sei und in
großer Menge wachse und überall auf der Erde, so
daß sie zu schauen ein beseligendes Schauspiel sei.
Lebewesen aber gebe es auf ihr vielerlei andere und
auch Menschen, welche teils mitten im Lande wohnen, teils so um die Luft herum, wie wir um das
Meer herum, teils auch auf luftumflossenen Inseln
um das feste Land her. Und mit einem Worte, was
uns Wasser und Meer ist für unsere Bedürfnisse,
das sei jenen dort die Luft, und was uns die Luft,
das sei jenen der Äther. Und die Witterung habe
eine solche Mischung bei ihnen, daß sie ohne
Krankheit wären und weit längere Zeit lebten als
die hiesigen, und ihr Gesicht, Gehör, Geruch und
dergleichen von dem unsrigen in demselben Maß
abstände, wie die Luft vom Wasser absteht und der
Äther von der Luft hinsichtlich der Reinheit. Auch
haben sie weiter Tempel und Heiligtümer für die
Götter, in denen aber die Götter wahrhaft wohnen,
und Stimmen, Weissagungen, Erscheinungen der
Götter und mehr dergleichen Verkehr mit ihnen;
und Sonne, Mond und Sterne sähen sie, wie sie
wirklich sind, und dem sei auch ihre übrige Glückseligkeit gemäß.
So demnach sei die ganze Erde geartet, und was
sie umgibt; rund umher auf ihr aber gebe es nach
Maßgabe ihrer Höhlung viele Orte, einige tiefer
und weiter geöffnet als der, in welchem wir wohnen, andere wiederum tiefer, aber mit einer engeren
Öffnung, als die unser Ort hat; und welche sind
wohl auch flacher und dabei doch breiter als der
hiesige. Alle diese nun wären unter der Erde vielfältig gegen einander durchgebohrt, enger und
weiter, so daß sie Durchgänge haben unter sich, durch
welche denn vieles Wasser aus einem in den andern
fließt, wie in Becher, und daß es unversiegliche
Ströme von unübersehbarer Größe unter der Erde
gebe von warmen Wassern und kalten und vieles
Feuer und große Ströme von Feuer, viele auch von
feuchtem Schlamm, teils reinerem, teils schmutzigerem, wie in Sizilien die vor dem Feuerstrome
sich ergießenden Ströme von Schlamm und der
Feuerstrom selbst, von denen denn alle Örter erfüllt
werden, je nachdem jedesmal jeder seinen Umlauf
nimmt. Und dieses alles bewege hinauf und hinunter gleichsam eine in der Erde befindliche
Schaukel; diese Schaukel aber bestehe durch folgende
Einrichtung ungefähr: Einer nämlich von diesen
Erdspalten ist auch sonst der größte und quer durch
die ganze Erde gebohrt. Dieser ist nun, wie Homeros davon singt,
Ferne, wo tief sich öffnet der Abgrund unter der
Erde,
derselbe, den anderwärts er und auch sonst viele
andere Dichter den Tartaros genannt haben. In diesen Spalt nun strömen alle diese Flüsse zusammen
und strömen auch wieder von ihm aus; und alle
werden so wie der Boden, durch welchen sie strömen. Die Ursache aber, warum alle Ströme von
hier ausfließen und auch wieder hinein, ist, daß
diese Flüssigkeit keinen Boden hat und keinen
Grund. Daher schwebt sie und wogt immer auf und
ab, und die Luft und der Hauch um sie her tut dasselbe. Denn dieser begleitet sie, sowohl wenn sie in
die jenseitigen Gegenden der Erde strömt, als wenn
sie in die diesseitigen strömt. Und so wie der
Hauch der Atmenden in beständiger Bewegung
immer einströmt und ausströmt, so bildet auch dort
der mit der Flüssigkeit wogende Hauch heftige und
gewaltige Winde sowohl im Hineingehen als im
Herausgehen. Wenn nun strömend das Wasser
nach der Gegend hin ausweicht, welche »unten«
genannt wird, so fließt es in das Gebiet der dortigen Ströme und füllt es an wie beim Pumpen.
Wenn es aber von dort wiederum sich wegzieht und
hierher strömt, so erfüllt es dann die hiesigen.
Diese, wenn sie erfüllt sind, strömen durch die Kanäle und durch die Erde; und wenn sie jeder in die
Gegenden kommen, wohin sie jedesmal geleitet
werden, so bilden sie Meere und Seen und Flüsse
und Quellen. Von da tauchen sie nun wieder unter
die Erde, und teils längere und mehrere Gegenden
durchziehend, teils wenigere und kürzere, ergießen
sie sich alle wieder in den Tartaros, einige viel weiter unten, als wo sie ausgepumpt wurden, andere
nicht so viel; aber unterhalb ihres Ausflusses fließen sie alle ein; und einige strömen wieder aus,
gerade gegenüber der Stelle, wo sie eingeflossen sind,
andere auf der nämlichen Seite. Ja, es gibt auch
welche, die im Kreise herumziehen, ein oder mehrere Male sich um die Erde winden wie Schlangen
und dann möglichst tief gesenkt sich wieder hinein
ergießen. Möglich ist aber von beiden Seiten nur,
sich bis zur Mitte herabzusenken, weiter nicht.
Denn für beiderlei Ströme geht die Richtung nach
jeder von beiden Seiten aufwärts.
So gibt es nun gar viele andere große und verschiedene Ströme; unter diesen vielen aber gibt es
vorzüglich vier, von denen der größte und der am
äußersten rundherum fließende der sogenannte
Okeanos ist; diesem gegenüber und in entgegengesetzter Richtung fließend ist der Acheron, welcher
durch viele andere wüste Gegenden fließt, vorzüglich aber auch unter der Erde fortfließend in den
Acherusischen See kommt, wohin auch der meisten
Verstorbenen Seelen gelangen, und nachdem sie
gewisse bestimmte Zeiten dort geblieben, einige
länger, andere kürzer, dann wieder ausgesendet
werden zu den Erzeugungen der Lebendigen. Der
dritte Fluß strömt aus zwischen diesen beiden und
ergießt sich unweit seiner Quelle in eine weite, mit
einem gewaltigen Feuer brennende Gegend, wo er
einen See bildet, größer als unser Meer und siedend
von Wasser und Schlamm. Von hier aus bewegt er
sich dann im Kreise herum trübe und schlammig,
und indem er sich um die Erde herumwälzt, kommt
er nächst andern Orten auch an die Grenzen des
Acherusischen Sees, jedoch ohne daß ihre Gewässer sich vermischten. Und nachdem er sich oftmals
unter der Erde umhergewälzt, ergießt er sich zu allerunterst in den Tartaros. Dies ist der, den man
Pyriphlegethon nennt, von welchem auch die
feuerspeienden Berge, wo sich deren auf der Erde
finden, kleine Teilchen herauf blasen. Diesem wiederum gegenüber strömt der vierte aus, zuerst in
eine furchtbare und wilde Gegend, wie man sagt,
und die von Farbe ganz und gar dunkelblau ist,
welche sie die Stygische nennen, und den See, welchen der Fluß bildet, den Styx. Nachdem sich
dieser nun hier hineinbegeben und gewaltige Kräfte
aufgenommen in sein Wasser, geht er unter die
Erde, wälzt sich herum, kommt dem Pyriphlegethon gegenüber wieder hervor und trifft auf den
Acherusischen See an der gegenüberliegenden
Seite. Und auch dieser vermischt sein Wasser mit
keinem andern, sondern geht ebenfalls im Kreise
herum und ergießt sich wieder in den Tartaros gegenüber dem Pyriphlegethon. Sein Name aber
heißt, wie die Dichter sagen, Kokytos.
Da nun dieses so ist, so werden, sobald die Verstorbenen an dem Orte angelangt sind, wohin der
Dämon jeden bringt, zuerst diejenigen ausgesondert, welche schön und heilig gelebt haben, und
welche nicht. Die nun dafür erkannt werden, einen
mittelmäßigen Wandel geführt zu haben, begeben
sich auf den Acheron, besteigen die Fahrzeuge, die
es da für sie gibt, und gelangen auf diesen zu dem
See. Hier wohnen sie und reinigen sich, büßen ihre
Vergehungen ab, wenn einer sich irgendwie
vergangen hat, und werden losgesprochen, wie sie
auch ebenso für ihre guten Taten den Lohn erlangen, jeglicher nach Verdienst. Deren Zustand aber
für unheilbar erkannt wird wegen der Größe ihrer
Vergehungen, weil sie häufigen und bedeutenden
Raub an den Heiligtümern begangen oder viele ungerechte und gesetzwidrige Mordtaten vollbracht
oder anderes, was dem verwandt ist, - diese wirft
ihr gebührendes Geschick in den Tartaros, aus dem
sie nie wieder heraussteigen. Die hingegen heilbare
zwar, aber doch große Vergehungen begangen zu
haben erfunden werden, wie die gegen Vater oder
Mutter im Zorn etwas Gewalttätiges ausgeübt, oder
die auf diese oder andere Weise Mörder geworden
sind, - diese müssen zwar auch in den Tartaros
stürzen; aber wenn sie hineingestürzt und ein Jahr
darin gewesen sind, wirft die Welle sie wieder aus,
die Mörder auf der Seite des Kokytos, die aber
gegen Vater und Mutter sich versündigt, auf der
Seite des Pyriphlegethon. Wenn sie nun auf diesen
fortgetrieben an den Acherusischen See kommen,
so schreien sie da und rufen die, welche von ihnen
getötet worden sind oder frevelhaft behandelt.
Haben sie sie nun herbeigerufen, so Heben sie und
bitten, sie möchten sie in den See aussteigen lassen
und sie dort aufnehmen. Wenn sie sie nun überreden, so steigen sie aus, und ihre Übel sind am
Ende; wo nicht, so werden sie wieder in den Tartaros getrieben, und aus diesem wieder in die Flüsse,
und so hört es nicht auf, ihnen zu ergehen, bis sie
diejenigen überreden, welchen sie Unrecht getan
haben; denn diese Strafe ist ihnen von den Richtern
angeordnet. Die aber ausgezeichnete Fortschritte in
heiligem Leben gemacht zu haben erscheinen, dies
endlich sind diejenigen, welche, von allen diesen
Orten im Innern der Erde befreit und losgesprochen
von allem Gefängnis, hinauf in die reine Behausung gelangen und auf der Erde wohnhaft werden.
Welche nun unter diesen durch Weisheitsliebe sich
schon gehörig gereinigt haben, diese leben für alle
künftigen Zeiten gänzlich ohne Leiber und kommen
in noch schönere Wohnungen als diese, welche
weder leicht wären zu beschreiben, noch würde die
Zeit für diesmal zureichen. Aber schon um deswillen, was wir jetzt auseinandergesetzt haben, o
Simmias, muß man ja wohl alles tun, um der Tugend
und Vernunft im Leben teilhaftig zu werden. Denn
schön ist der Preis und die Hoffnung groß.
Daß sich nun dies alles gerade so verhalte, wie
ich es auseinandergesetzt, das ziemt wohl einem
vernünftigen Mann nicht zu behaupten: daß es jedoch entweder diese oder eine ähnliche Bewandtnis
haben muß mit unsern Seelen und ihren Wohnungen, wenn doch die Seele offenbar etwas
Unsterbliches ist, dies, dünkt mich, zieme sich gar
wohl und lohne auch, es darauf zu wagen, daß man
glaube, es verhalte sich so. Denn es ist ein schönes
Wagnis, und man muß mit solcherlei gleichsam
sich selbst besprechen. Darum spinne ich auch
schon so lange an der Erzählung. Also um deswillen muß ein Mann guten Mutes sein seiner Seele
wegen, der im Leben die andern Lüste, die es mit
dem Leibe zu tun haben, und dessen Schmuck und
Pflege hat fahren lassen als etwas ihn selbst nicht
Angehendes, und wodurch er nur Übel ärger zu machen befürchtete, jener Lust hingegen an der
Forschung nachgestrebt und seine Seele geschmückt
hat nicht mit fremdem, sondern mit dem ihr eigentümlichen Schmuck, mit Besonnenheit,
Gerechtigkeit, Tapferkeit, Edelmut und Wahrheit, so seine
Fahrt nach der Unterwelt erwartend, um sie anzutreten, sobald das Schicksal rufen wird.
Ihr nun, setzte er hinzu, o Simmias und Kebes
und ihr übrigen, werdet ein andermal jeder zu seiner Zeit abreisen; mich aber ruft jetzt schon, würde
ein Tragödiendichter sagen, das Geschick, und es
ist wohl beinahe Zeit, sich nach dem Bade umzusehen. Denn es dünkt mich doch besser zu baden, ehe
ich den. Trank nehme, und nicht hernach den Weibern Mühe zu machen mit dem Waschen des
Leichnams.
Als er dieses gesagt, sprach Kriton: Gut, o Sokrates! Was trägst du aber diesen auf oder mir
deiner Kinder wegen, oder was wir sonst irgend dir
noch recht zu Dank machen könnten, wenn wir es
täten?
Was ich immer sage, sprach er, o Kriton, nichts
Besonderes weiter, daß nämlich, wenn ihr euer
selbst recht wahrnehmt, ihr mir und den Meinigen
und euch selbst alles zu Dank machen werdet, was
ihr nur tut, und wenn ihr es auch jetzt nicht versprecht; wenn ihr aber euch selbst vernachlässigt
und nicht wollt gleichsam den Spuren des jetzt und
sonst schon Gesagten nachgehen im Leben, ihr
dann, wenn ihr jetzt noch so vieles und noch so
heilig versprächet, doch nichts weiter damit ausrichten werdet.
Dieses also wollen wir uns bestreben, so zu machen, sagte Kriton. Aber auf welche Weise sollen
wir dich begraben?
Wie ihr wollt, sprach er, wenn ihr mich nur
wirklich haben werdet und ich euch nicht entwischt
bin.
Dabei lächelte er ganz ruhig und sagte, indem er
uns ansah: Diesen Kriton, ihr Männer, überzeuge
ich nicht, daß ich der Sokrates bin, dieser, der jetzt
mit euch redet und euch das Gesagte einzeln vorlegt; sondern er glaubt, ich sei jener, den er nun
bald tot sehen wird, und fragt mich deshalb, wie er
mich begraben soll. Daß ich aber schon so lange
eine große Rede darüber gehalten habe, daß, wenn
ich den Trank genommen habe, ich dann nicht länger bei euch bleiben, sondern fortgehen werde zu
irgend welchen Herrlichkeiten der Seligen. - das,
meint er wohl, sage ich alles nur so, um euch zu
beruhigen und mich mit. So leget ihr denn eine
Bürgschaft für mich ein beim Kriton, und zwar
eine ganz entgegengesetzte, als er bei den Richtern
eingelegt hat! Denn er hat sich verbürgt, ich würde
ganz gewiß bleiben, ihr aber verbürgt euch dafür,
daß ich ganz gewiß nicht bleiben werde, wenn ich
tot bin, sondern abziehen und fort sein, damit Kriton es leichter trage und, wenn er meinen Leib
verbrennen oder begraben sieht, sich nicht ereifere
meinetwegen, als ob mir Arges begegne; und damit
er nicht beim Begräbnis sage, er stelle den Sokrates
aus oder trage ihn heraus oder begrabe ihn. Denn
wisse nur, sagte er, o bester Kriton, sich unschön
ausdrücken ist nicht nur eben insofern sündlich,
sondern bildet auch etwas Böses ein in die Seele.
Sondern du mußt mutig sein und sagen, daß du
meinen Leib begräbst, und diesen begrabe nur, wie
es dir eben recht ist, und wie du es am meisten für
schicklich hältst!
Als er dies gesagt, stand er auf und ging in ein
Gemach, um zu baden, und Kriton begleitete ihn;
uns aber hieß er dableiben. Wir blieben also und
redeten untereinander über das Gesagte und überdachten es noch einmal; dann aber auch klagten wir
wieder über das Unglück, welches uns getroffen
hätte, ganz darüber einig, daß wir nun gleichsam
des Vaters beraubt als Waisen das übrige Leben
hinbringen würden. Nachdem er nun gebadet und
man seine Kinder zu ihm gebracht hatte - er hatte
nämlich zwei kleine Söhne und einen großem -
und die ihm verwandten Frauen gekommen waren,
sprach er mit ihnen in Kritons Beisein, und nachdem er ihnen aufgetragen, was er wollte, hieß er die
Weiber und Kinder wieder gehen; er aber kam zu
uns. Und es war schon nahe am Untergange der
Sonne, denn er war lange drinnen geblieben.
Als er nun gekommen war, setzte er sich nieder
nach dem Bade und hatte noch nicht viel seitdem
gesprochen, so kam der Diener der Elfmänner,
stellte sich zu ihm und sagte: O Sokrates, über dich
werde ich mich nicht zu beklagen haben wie über
andere, daß sie mir böse werden und mir fluchen,
wenn ich ihnen ansage, das Gift zu trinken auf Befehl der Oberen. Dich aber habe ich auch sonst
schon in dieser Zeit erkannt als den Edelsten,
Sanftmütigsten und Trefflichsten von allen, die sich
jemals hier befunden haben, und auch jetzt weiß
ich sicher, daß du nicht mir böse sein wirst - denn
du weißt wohl, wer schuld daran ist -, sondern
jenen. Nun also, - denn du weißt wohl, was ich dir
zu sagen gekommen bin, - lebe wohl und suche so
leicht als möglich zu tragen, was nicht zu andern
ist! Da weinte er, wendete sich um und ging.
Sokrates aber sah ihm nach und sprach: Auch du
lebe wohl, und wir wollen so tun. Und zu uns sagte
er: Wie fein der Mensch ist! So ist er die ganze Zeit
mit mir umgegangen, hat sich bisweilen mit mir
unterhalten und war der beste Mensch; und nun,
wie aufrichtig beweint er mich! - Aber wohlan
denn, o Kriton, laßt uns ihm gehorchen, und bringe
einer den Trank, wenn er schon ausgepreßt ist; wo
nicht, so soll ihn der Mensch bereiten!
Da sagte Kriton: aber mich dünkt, o Sokrates,
die Sonne scheint noch an die Berge und ist noch
nicht untergegangen. Und ich weiß, daß auch andere erst ganz spät getrunken haben, nachdem es
ihnen angesagt worden ist, und haben noch gut gegessen und getrunken; ja einige haben gar noch
solche zu sich kommen lassen, nach denen sie Verlangen hatten. Also übereile dich nicht: denn es hat
noch Zeit.
Da sagte Sokrates: Gar recht, o Kriton, hatten
jene, so zu tun, wie du sagst; denn sie meinten
etwas zu gewinnen, wenn sie so täten, und gar recht
habe auch ich, nicht so zu tun. Denn ich meine
nichts zu gewinnen, wenn ich um ein weniges später trinke, als nur, daß ich mir selbst lächerlich
vorkommen würde, wenn ich am Leben klebte und
sparen wollte, wo nichts mehr ist. Also geh, sprach
er, folge mir und tue nicht anders!
Darauf winkte denn Kriton dem Knaben, der ihm
zunächst stand, und der Knabe ging heraus, und
nachdem er eine Weile weggeblieben, kam er und
führte den herein, der ihm den Trank reichen sollte,
welchen er schon zubereitet im Becher brachte.
Als nun Sokrates den Menschen sah, sprach er:
Wohlan, Bester, denn du verstehst es ja, wie muß
man es machen?
Nichts weiter, sagte er, als, wenn du getrunken
hast, herumgehen, bis dir die Schenkel schwer werden, und dann dich niederlegen, so wird es schon
wirken.
Damit reichte er dem Sokrates den Becher, und
dieser nahm ihn, und ganz getrost, o Echekrates,
ohne im mindesten zu zittern oder Farbe oder Gesichtszüge zu verändern, sondern, wie er pflegte,
ganz gerade den Menschen ansehend, fragte er ihn:
Was meinst du von dem Trank wegen einer Spendung? Darf man eine machen oder nicht?
Wir bereiten nur so viel, o Sokrates, antwortete
er, als wir glauben, daß hinreichend sein wird.
Ich verstehe, sagte Sokrates. Beten aber darf
man doch zu den Göttern und muß es, daß die
Wanderung von hier dorthin glücklich sein möge,
worum denn auch ich hiermit bete, und so möge es
geschehen!
Und wie er dies gesagt, setzte er an, und ganz
frisch und unverdrossen trank er aus. Und von uns
waren die meisten bis dahin ziemlich imstande gewesen, sich zu halten, daß sie nicht weinten; als
wir aber sahen, daß er trank und getrunken hatte,
nicht mehr. Sondern auch mir selbst Rossen Tränen
mit Gewalt, und nicht tropfenweise, so daß ich
mich verhüllen mußte und mich ausweinen, nicht
über ihn jedoch, sondern über mein eigenes Schicksal, was für eines Freundes ich nun sollte beraubt
werden. Kriton war noch eher als ich aufgestanden,
weil er nicht vermochte die Tränen zurückzuhalten.
Apollodoros aber hatte schon früher nicht aufgehört zu weinen, und nun brach er vollends in lautes
Klagen aus, weinend und unwillig sich gebärdend,
und es war keiner von allen Anwesenden, den er
nicht durch sein Weinen erschüttert hätte, als nur
Sokrates selbst; der aber sagte: Was macht ihr
doch, ihr wunderbaren Leute! Ich habe vorzüglich
deswegen die Weiber weggeschickt, daß sie dergleichen nicht begehen möchten; denn ich habe
immer gehört, man müsse stille sein, wenn einer
stirbt. Also haltet euch ruhig und seid stark!
Als wir das hörten, schämten wir uns und hielten
inne mit Weinen. Er aber ging umher, und als er
merkte, daß ihm die Schenkel schwer wurden, legte
er sich gerade hin auf den Rücken: denn so hatte es
ihn der Mensch geheißen. Darauf berührte ihn eben
dieser, der ihm das Gift gegeben hatte, von Zeit zu
Zeit und untersuchte seine Füße und Schenkel.
Dann drückte er ihm den Fuß stark und fragte, ob
er es fühle; er sagte: »Nein.« Und darauf die Kniee,
und so ging er immer höher hinauf und zeigte uns,
wie er erkaltete und erstarrte. Darauf berührte er
ihn noch einmal und sagte, wenn ihm das bis ans
Herz käme, dann würde er hin sein.
Als ihm nun schon der Unterleib fast ganz kalt
war, da enthüllte er sich, denn er lag verhüllt, und
sagte, und das waren seine letzten Worte: »O Kriton, wir sind dem Asklepios einen Hahn schuldig:
entrichtet ihm den und versäumt es ja nicht!«
Das soll geschehen, sagte Kriton; sieh aber zu,
ob du noch sonst etwas zu sagen hast?
Als Kriton dies fragte, antwortete er aber nichts
mehr; sondern bald darauf zuckte er, und der
Mensch deckte ihn auf; da waren seine Augen gebrochen. Als Kriton das sah, schloß er ihm Mund
und Augen.
Dies, o Echekrates, war das Ende unseres
Freundes, des Mannes, der unserm Urteil nach von
den damals Lebender, mit denen wir es versucht
haben, der Trefflichste war und auch sonst der Vernünftigste und Gerechteste.
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